Читать книгу Tod im Maisfeld - Herbert Weyand - Страница 9

sechs

Оглавление

Marias PC lief heiß, lieferte jedoch nichts Verwertbares. Egal wie und wo sie sich einloggte, die Tote und Peter Abels blieben Unbekannte. Lediglich das Einwohnermeldeamt in Geilenkirchen hielt die Adresse der männlichen Leiche in der Yorkstraße vor. Laut den Geburtsdaten lebte Abels einundvierzig Jahre.

Die Personalverantwortlichen der Base verweigerten Maria einen Termin mit dem Hinweis, die Militärpolizei werde die Angelegenheit übernehmen. Welche Angelegenheit? … konnte oder wollte ihr niemand mitteilen. Von ihren Recherchen wusste sie, dass im Standort Geilenkirchen eine Einheit Militärpolizei agierte, die sich aus den dort stationierten Nationen rekrutierte. Soweit sie wusste, war der Tote, Zivilangestellter und kein Soldat. Da wollte sie jemand verscheißern. Anders war das Verhalten, nicht zu erklären. Ihr blieb nichts anderes, als der Weg zur Staatsanwaltschaft.

Doch der Staatsanwalt bockte und stellte die entsprechenden Legitimationen, die sie autorisierten, in der Base zu ermitteln, nicht aus. Dengler war erst kurze Zeit im Amt und pochte auf die Vorschriften. Er sah keinen Sinn darin, der NATO, wie er sagte, auf die Füße zu treten. In den fast dreißig Dienstjahren hatte sie eine solche Blockadehaltung noch nicht erlebt.

Gott sei Dank kam Armin heute. Er rief vorhin an. Ein seltsames Gespräch. Einerseits wollte er sie sehen und andererseits etwas mitteilen. Er drückte sich kryptisch aus, so, dass sie nicht wusste, woran sie war. Dennoch, die Aussicht, ihn zu sehen hielt ihre Frustrationsgrenze kurz unter der Explosionsmarke. Maria dachte noch einmal an das Telefonat mit Armin.

»In welche Angelegenheit seid ihr hinein geschlittert?«, fragte er, als sie das Telefongespräch entgegennahm. »Bei uns in Düsseldorf laufen die Drähte heiß. Ich möchte am Telefon jetzt nicht zu viel sagen. Die Kacke ist richtig am Dampfen. Ich versuche, meine Ohren offen und dich auf dem Laufenden zu halten. Irgendwie hängen die Amis mit drin. Der Innenminister telefonierte mit Bundesbehörden und wird von Stunde zu Stunde stinkiger. Die Anweisung lautet: Heraushalten. Aus was auch immer. Der Bund kneift die Backen zusammen. Von dort kommt die mehr oder weniger Anweisung an unser Innenministerium.«

»Mist. Bist du sicher? Aber, was frage ich. Ich muss sofort versuchen, Claudia zu bekommen. Sie reagiert heftig, wenn jemand ihre Arbeit sabotiert.«

»Mach‹ mal langsam. Ich weiß doch auch nichts Genaues. Nur der Flurfunk in Düsseldorf brummt. Vielleicht ist nichts dran.«

»Doch, doch … ich spüre es körperlich.«

Es war tatsächlich so. Sie war auf dem Geistertrip, genau wie Claudia. Sie wusste so sicher, wie das Amen in der Kirche, dass sie auf eine Katastrophe zu schlitterten. Und das ihr. Sie durfte niemandem davon erzählen.

*

Kurt zog am Zügel und nahm das Pferd zurück, mit dem er am Heiderand entlang trabte. Ein Vergnügen, dem er nicht mehr nachging, seitdem er Claudia kannte. Die Zeit reichte nicht mehr und die Verletzungen, von denen er langsam genas, kamen auch dazwischen. Lange Zeit wusste er nicht, ob er noch leben wollte oder konnte. Vorbei.

Jetzt lockte das schöne Wetter. Die letzten warmen Sonnenstrahlen mussten genossen werden. Aufgrund der beruflichen Tätigkeit und bisher lockerer Bindungen stand der große schwarze Wallach, zurzeit bei einem Nachbarn unter. Doch wie es aussah, würde er künftig zwangsläufig häuslicher. Der Plan zum Umbau eines Stalls in der Nähe des Wohnhauses geisterte durch die Gedanken. Land besaß er genug, um dem Tier entsprechenden Weidegang zu sichern. Die gedankliche Planung schritt immer weiter fort. In den nächsten Tagen würde er das Projekt in Angriff nehmen. Wie schnell akzeptierte er die Beziehung zu Claudia? Ob ihn wohl die berühmte Liebe packte? Er wusste es nicht.

Seit geraumer Zeit beobachtete er eine Reiterin, zumindest nahm er aufgrund des langen Haares an, dass eine Frau das große Pferd trainierte. Einen Braunen mit sagenhaften Proportionen. Je näher er kam, stellte er fest, dass das ebenso auf die Frau zutraf. Sie saß locker im Sattel und lenkte das Tier lediglich mit den Schenkeln, zu Volten in unterschiedlichen Gangarten. Langes dunkles Haar umwehte sie. Einen Blick in das Gesicht erhaschte er nicht, weil sie konstant von ihm abgewandt ritt. In höchster Konzentration versunken, verrichtete die Reiterin ihre Arbeit. Kurt ritt näher, bis sie innehielt und ihn aufmerksam musterte. Durch eine nicht erkennbare Bewegung stoppte der Hengst. Ihm stockte der Atem. Eine atemberaubend schöne Frau mit hohen Wangenknochen und unergründlichen dunklen Augen.

»Hallo.« Kurt näherte sich. »Beeindruckende Arbeit«, er nickte zu ihrem Pferd.

»Hallo«, sagte sie mit genau der Altstimme, die er erwartete. »Oscar macht das alleine. Im Grunde sitze ich nur auf ihm.« Ihre Stimme besaß einen leichten angelsächsischen Akzent.

»Ich reite lange genug, um zu wissen, welche Arbeit in ihrer Vorführung steckt.«

»Ich mache das von Kindesbeinen an und bin faktisch auf dem Pferd groß geworden.« Sie lächelte.

»Kurt Hüffner«, er stellte sich vor. »Ich wohne dort drüben in dem Dorf«, er machte eine unbestimmte Bewegung nach hinten.

»Raissa Stone. Sie können Rai sagen. Ich arbeite auf der Base.«

»Ich bemerkte den leichten Akzent in Ihrer Sprache. Sie sind nicht von hier? USA?«

»Richtig. Kentucky.«

»Ihr Deutsch ist exzellent.«

»Die Urgroßeltern, vonseiten meines Vaters, kommen aus Hessen. In der Familie wird Wert darauf gelegt, auch die Heimatsprache der Wurzeln zu sprechen. Ich habe in Berlin und Aachen studiert.«

Sie saß locker auf dem Pferd und bot ihm in der Seitenansicht einen wahrhaft kurvigen Anblick. Die Frau war mindestens so groß wie er und circa Ende zwanzig, Anfang dreißig.

»Raissa ist ein russischer Name.«

»Jetzt haben Sie meine Familie erwischt.« Sie lachte locker. »Mein Vater besaß leichte Tendenzen zum Kommunismus. Vor einigen Jahren war das noch ein Verbrechen. Heute schert sich niemand mehr darum.«

»Was arbeiten Sie auf der Base?«

»Dies und das.« Sie antwortete ausweichend.

»Vielleicht sieht man sich wieder.« Kurt hob die Hand und trieb das Pferd an.

»Bestimmt«, rief sie.

Ruhig trabte er davon. Eine schöne, aber auch gefährliche Frau, sagte sein Inneres. Bei aller Faszination, die von ihr ausging, spürte er etwas Gefährliches in ihr. Ein Warnsignal? Wovor? Diese Frau konnte Claudia nicht das Wasser reichen. Rai besaß etwas Raubtierhaftes, das ihn ebenso anzog, wie abstieß. Wenn er richtig überlegte, neigte er dazu, sie abzulehnen. Was gab es abzulehnen?, fragte Kurt leicht amüsiert in Gedanken. Er kannte die Frau gerade mal wenige Minuten, doch sie würde eine Rolle in ihrem Leben spielen. Er drückte die Gedanken beiseite und sah dem gelben Punkt entgegen, der näherkam.

Leo? Was machte der hier? Der sollte doch in der Schule sein.

Leo war so etwas wie sein Neffe. Bis vor wenigen Monaten wussten sie nichts voneinander. Hannah Hüffner, Kurts Mutter, hatte ein Techtelmechtel mit Leos Großvater, aus dem Kurt hervorging. Die komplizierten Familienverhältnisse und die widrige Aufklärung darum, verdrängte Kurt, so gut es ging. Leo war behindert. Stehen geblieben auf der Stufe eines sieben- oder achtjährigen Jungen. Mittlerweile war er fünfzehn. Kurt agierte als gesetzlicher Vormund und sorgte dafür, dass er die bestmögliche Förderung und Ausbildung erhielt. Leo lebte weiterhin bei den Pflegeeltern, die ihn wie ein eigenes Kind liebten. Was mochte geschehen sein?

»Leo, was machst du hier?« Kurt hielt das Pferd an und sprang herab.

»Ist kalt«, sagte der Junge, den eigenen Gesetzen folgend.

»Warum bist du nicht in der Schule?«

»Keine Schule. Muss laufen.« Er drehte schon wieder ab. Leo hielt niemand. Immer in Bewegung und seinen Gedanken unterworfen.

Kurt versuchte nicht, ihn aufzuhalten. Es war sinn- und zwecklos. Er musste noch einmal mit den Schuhmachers, Leos Pflegeeltern, sprechen.

Gedankenvoll sah er dem Jungen hinterher. Es war kein gutes Zeichen, dass sie sich hier trafen. Erst die Amerikanerin und jetzt …

*

Claudia setzte ihre Suche im Haus des Ermordeten fort. Sie saß im Wohnraum auf der Couch. Aber die erhoffte Inspiration kam nicht. Die Wohnung blieb tot, wie ihre ehemaligen Bewohner. Keine Atmosphäre. Immer wieder glitt der Blick über Wände, Fußboden und Möbel in der Hoffnung einen Punkt zu finden, der etwas, über den oder die ehemaligen Bewohner, preisgab. Mutlos fiel sie nach hinten und lenkte die Augen zur Decke. Auch nichts. Auf dem Weg nach draußen bemerkte sie, dass sie ihre Schlüssel irgendwo abgelegt hatte. Genervt stampfte sie zurück. Da … auf der Couch lagen sie, Auto- und Hausschlüssel. Während sie die Schlüssel aufnahm, fuhr eine Hand gewohnheitsmäßig durch die Ritzen der aneinanderstoßenden Kissen. Sie ertastete einen Widerstand. Die Fingerspitzen trafen auf einen halbwegs runden Gegenstand. Sie hielt eine Münze in der Hand. Kupfer, Messing oder Bronze … sie wusste es nicht. Ungleichmäßig rund.

Maria sagte doch etwas von einer Münze. Die wurde bei der Toten gefunden. Ob sie eine erste Spur hatten? Sie betrachtete das wahrscheinlich antike Geldstück. Schmucklos und ungewöhnlich dick lag es in ihrer Hand. Der Avers zeigte ein Tier, die Stilisierung eines Steinbocks und der Revers, etwas wie einen doppelten Anker.

Griet, dachte sie. Kurts Nachbarin und Freundin war Anthropologin. Sie musste ihr letztendlich etwas dazu sagen können.

Unruhig hob sie den Kopf und witterte wie ein Tier. Die Nasenflügel blähten, als könne sie darüber aufnehmen, was in der Luft lag. Tief im Innern stieg Angst herauf und trieb sie aus dem Gebäude. Fast laufend stürzte sie über den Hauseingang auf den Boden nach draußen. Sie rappelte sich hoch und stand ohne Zeitbewusstsein auf der Straße. Was geschah? Solche Furcht hatte sie noch nie empfunden. Eine Klammer drückte ihr Herz zusammen und ließ den Druck würgend die linke Halsseite emporsteigen. Gehetzt flogen Claudias von rechts nach links. Sie stand allein. Einbildung? Oder wieder eine der seltsamen Anwandlungen, die sie in dieser Gegend häufiger bekam? Nein … der Boden zitterte. Es gab einen dumpfen, kaum merklichen Schlag und das Gebäude vor ihr, fiel zusammen. Keine Explosion. Es implodierte. Das Mauerwerk zog nach innen, anderen Kräften, als denen der Schwerkraft folgend. Fassungslos sah sie den zeitlupenartigen Vorgang, der dann urplötzlich rasend schnell ablief. Gehetzt sah sie sich um. Sie stand alleine auf der Straße. Niemand reagierte. Unfassbar.

Claudia informierte die Kollegen in Geilenkirchen und ließ das eingestürzte Gebäude großräumig absperren. Mittlerweile kamen auch die ersten Schaulustigen.

Keine Minute später und … sie wäre in die Erde gezogen worden … so schien es zumindest. Ich bin nicht abergläubisch, dachte sie. Doch im Moment? Die Erde hatte sich aufgetan, anders war die Situation nicht zu beschreiben. Der Schlund der Hölle. Claudia schüttelte sich und wartete gespannt darauf, was ihre Kollegen dazu sagten. Das dauerte. Erst, wenn die Experten das zusammengefallene Haus untersucht hatten, konnte sie etwas unternehmen.

Zutiefst beunruhigt fuhr Claudia nach Hause und warf die Berufskleidung in eine Ecke. Nicht, dass sie einer Kleiderordnung unterlag. Während der Arbeit trug sie meist Rock und Bluse. Ein Zugeständnis an ihre Erziehung. Im Elternhaus bestand eine Vorstellung von Etikette, die fast archaisch anmutete. Mädchen trugen Kleider oder Röcke, die knapp unter dem Knie endeten. Wieso unterlag sie diesem Zwang immer noch. Schlabberhose und Shirt trugen sich viel bequemer. Bei dem Gedanken kicherte sie. Noch vor einigen Wochen wäre sie so nicht vor die Tür gegangen. Ihre holländischen Nachbarn vermittelten eine lockere Lebensart. Ihre Eltern würden einen Infarkt bekommen. Auch seltsam … in den letzten Jahren dachte sie nie so oft an Zuhause, wie seitdem sie in diesem Dorf lebte. Bald war Weihnachten, dann fuhr sie nach Hause. Die Gelegenheit einige Fragen zu stellen. Der arme Kurt. Sie kicherte weiter. Ob er wollte oder nicht, er musste mit.

Claudia machte sich auf den Weg durch den Garten zum Törchen, das die beiden Grundstücke miteinander verband. Sie staunte, wie schnell die Umgewöhnung geschah. Aus der engen Aachener Appartementwohnung in dieses große Haus mit dem riesigen Grundstück. Selbstverständlich und fast ohne darüber nachzudenken, nahm sie es hin. Paul Grebner, der Nachbar, stutzte die Sträucher und arbeitete so vertieft, dass er Claudia erst bemerkte als sie neben ihm stand.

»Welch seltener Besuch«, lächelte er und legte die Gartenschere aus der Hand. Dabei richtete er die kräftige Figur auf. Die tiefblauen Augen musterten sie. »Komm, Griet hat bestimmt einen Kaffee fertig.«

Ungezwungen schlenderten sie zum Haus. Paul erklärte ihr, wie er die Rosen schnitt. Wichtig sei nur, dass man schneidet, und zwar regelmäßig, denn fast alle Rosen blühten wie die meisten anderen Sommerblüher und Spätblüher, am diesjährigen einjährigen Holz. Neue Ableger trieben vor allem nach kräftigem Rückschnitt. Sie hatte absolut keine Ahnung, was er meinte und wollte dem Garten künftig mehr Zeit widmen. Es musste etwas dran sein, wenn so viele Menschen sich als Hobbygärtner betätigen.

»Hi, Claudia. Schön dich zu sehen.« Griet wischte die Hände am Küchentuch ab. »Kaffee?« Ohne eine Antwort abzuwarten, füllte sie einen Becher und stellte ihn auf den Tisch. »Schwarz, nicht.« Sie deutete mit einer Rundbewegung um den Tisch. Claudia trank zwar auch Kaffee im Büro, doch seit sie hier lebte, wurde sie damit zugeschüttet. Überall wo sie hinkam, stand binnen Kurzem eine Tasse mit dem dunklen Gebräu auf dem Tisch. Die Frage nach Tee oder einem anderen Getränk erübrigte sich von selbst. Wahrscheinlich lag das an der Schmugglervergangenheit der älteren Einwohner. Solange der Schlagbaum Europa trennte, so lange wurde hier Kaffee geschmuggelt. Leider nahm das Schengener Abkommen dieses Vergnügen.

Griet war ebenso groß wie ihr Lebensgefährte Paul, jedoch zarter gebaut. Sie trug halblanges dunkelblondes Haar über einem hübschen Gesicht, aus dem graue Augen strahlten. Paul war um die Vierzig und Griet um die dreißig. Beide bildeten ein attraktives, wenn nicht schönes Paar und ergänzten sich prächtig. Anfangs begegnet Claudia Griet mit Misstrauen. In ihrer Vorstellung lief damals etwas zwischen Kurt und der Nachbarin. Bis sie Paul kennenlernte. Heute kam sie zum ersten Mal allein und aus freiem Antrieb zu den beiden.

»Du kommst nicht so einfach zu uns rüber?«, fragte Griet auch gleich, als ob ihr jemand ein Stichwort gegeben hatte. »Wenn ja, dann freuen wir uns.«

»Du hast recht. Ich möchte, dass du dir etwas ansiehst.« Claudia erzählte über den Fall, den sie gerade bearbeitete.

»Wir haben davon gehört. Eine tragische Geschichte«, sagte Paul. »Wie können wir dir helfen?«

»Hier.« Claudia legte die Münze aus der Couchritze auf den Tisch. Jetzt kam sie sich blöd vor. Genauso gut hätte sie die Kriminaltechnik einschalten können.

»Auf den ersten Blick würde ich sagen, dass sie echt ist. In dieser Stärke habe ich die Dinger noch nicht gesehen.« Griet drehte und untersuchte das Geldstück von allen Seiten. »Dies ist eine keltische Münze und besteht aus Potin, eine Bronzelegierung. Weißt du, wo der Fundort liegt?«, fragte sie.

Claudia erzählte die Geschichte und kam darauf zu sprechen, wie das Haus vor ihren Augen implodierte.

Griet und Paul reagierten seltsam. Erschrecken, nein, pures Entsetzen trat auf ihre Gesichter. Claudia hatte solche Reaktionen bei Vernehmungen erlebt. Wenn bei Beschuldigten die Erkenntnis darüber kam, was sie getan hatten und das Ergebnis nicht fassen konnten. Schnell fanden sie zum normalen Verhalten zurück und tauschten einen Blick, der ihr nicht entging.

»Ich muss dir etwas sagen.« Griets Augen sahen nachdenklich in die Ferne. Claudia beobachtete ihre Nachbarin aus der Distanz der Ermittlerin. Urplötzlich belastete Misstrauen die Unterhaltung. »Vor einiger Zeit habe ich den Inhalt eines keltischen Grabes nicht ganz legal an mich gebracht. Das lag dort hinten in der Heide.« Griet wies vage in Richtung Waldsaums. »Damit begann eine Geschichte, die ich nicht noch einmal erleben möchte. Ich denke Paul auch nicht. Wir haben uns damals kennen und lieben gelernt. Immer noch bin ich der Ansicht, dass in der Heide weitere Keltenschätze lagern. Ich habe eine Übereinkunft mit eurer Regierung, in den nächsten Jahren keine Expeditionen in das Gebiet zu unternehmen. Das hängt mit vielen Dingen zusammen. Es gab Ereignisse, die ein normaler Menschenverstand nicht erklären kann. Mit deiner Information zu dem Haus in der Fliegerhorstsiedlung kommt alles wieder hoch. Paul und ich haben den Zwischenfall darüber ausgeblendet. Ich weiß nicht, ob ein Zusammenhang zu unseren damaligen Erlebnissen besteht. Es ist möglich, dass dieses Geldstück dort gefunden wurde. Ich müsste die andere Münze sehen und natürlich einige Untersuchungen machen.«

»Mir ist aufgefallen, dass ihr bei bestimmten Themen einsilbig wurdet. Ich denke Kurt ist mit von der Partie.« Claudia entspannte sich.

»Mach‹ ihm keinen Vorwurf. Paul und ich haben ihn darum gebeten. Wir wollten dir die Geschichte bei passender Gelegenheit selbst erzählen.«

»Nein, nein. Um Gottes willen. Wir haben uns in der Zeit, die wir uns jetzt kennen, so wenig gesehen, dass wir keine Gelegenheit hatten, uns ausgiebig über uns zu unterhalten. Wie gesagt … ich spürte, dass da etwas war. Anfangs dachte ich zwischen dir und Kurt läuft was, aber da kannte ich Paul noch nicht.«

»Deshalb warst du so zurückhaltend.« Griet lachte belustigt. »Normal müsste ich jetzt die deutschen Behörden unterrichten. Wenn du möchtest, warten wir noch etwas.« Griet van Houten lehrte als Privatdozentin in Den Haag Anthropologie. Sie hatte es nicht so mit der Bürokratie, die ihr immer wieder Steine in den Weg legte.

»Es wäre nett, wenn du noch wartest. Ich möchte einige Recherchen anstellen und denke, du brauchst auch etwas Zeit.«

»Richtig. Besorge mir noch die zweite Münze, dann kann ich einen Vergleich oder Zusammenhang herstellen. Um noch einmal auf unsere Reaktion von vorhin zurückzukommen.« Griet rang mit sich. »Es geschehen Dinge, die nicht mit normalen Maßstäben zu messen sind. Ich habe es angedeutet. Du sprachst von einer Implosion. Dieses Gebiet wurde von den Kelten besiedelt. Die Möglichkeit, dass unter uns Gänge und Höhlen laufen, ist groß. Dass die Ursache bei deinem Gebäude darin liegt, schließe ich aus. Hier wird es einen anderen Grund geben. Lassen wir das im Moment. Wie geht es dir?« Sie musterte Claudia eindringlich.

»Im Großen und Ganzen gut. Nachts werde ich manchmal schweißgebadet wach, wahrscheinlich habe ich dann geträumt, weiß es aber nicht mehr. Kurt nimmt mich in den Arm und schon geht es wieder.«

»Mute dir nicht zu viel zu.« Paul sah sie besorgt an. »Du könntest einige Kilo vertragen.«

»Hör‹ auf mich zu bemuttern. Die Arbeit tut mir gut. Sie lenkt ab.«

»Dann lassen wir das.« Paul lächelte. »Du bist von hier? Kurt deutete letztens etwas an.«

»Ja. Wenn ich meinen Eltern glauben darf. Bis Mitte achtzig haben wir hier gelebt. Mein Vater ist aus dem Dorf und meine Mutter aus Heinsberg. Was Genaues weiß ich jedoch nicht, weil ich mich nie dafür interessierte. Vielleicht sollte ich mich darum kümmern.«

»Was macht dein Vater?«

»Biochemie. Früher bei Bayer, heute ist er selbstständig. Eine kleine Firma. Ich glaub‹ so fünfundzwanzig Beschäftigte.«

»Dann bist zur Kripo? War das nichts für dich?«

»Nein. Hat mich nie interessiert. Ich wollte schon immer zur Polizei.« Claudia sah sich zum ersten Mal bewusst in der Wohnung der beiden um. Sie lebten ganz anders. Während bei Kurt immer alles aufgeräumt war, herrschte hier kontrolliertes Durcheinander. Auf der Küchenarbeitsplatte stand noch das Frühstücksgeschirr. Hier und da hing Kleidung über einer Stuhllehne. Ein Notebook stand auf dem Tisch, an dem sie gerade saßen und der Desktop PC stand in der Ecke zum Wohnzimmer unter einem kleinen Tisch. Der Monitor darauf zeigte ein Windows Hintergrundbild. Gemütlich, dachte sie. Wenn sie da an ihre alte Wohnung dachte … Zurzeit herrschte Ordnung. Nicht ganz. Die Klamotten vorhin, hatte sie einfach in die Ecke geworfen. Vielleicht fand sie eine Möglichkeit, Kurt ebenfalls zu einem kontrollierten Durcheinander zu erziehen.

»Wir waren froh, als Kurt dich anschleppte«, bemerkte Griet.

»Wieso Kurt? Wenn ich mich erinnere, hab‹ ich ihn mir unter den Nagel gerissen.« Sie grinste hingerissen. »Der Arme hatte im Grunde genommen keine Chance.«

»Du hast recht.« Paul stimmte zu. »Zuerst hielten wir dich für eine Glücksritterin. Aber das musste Kurt selbst wissen.«

»Deshalb vorhin die Erkundigungen nach meinen Eltern?«

»Klar«, gab Paul gut gelaunt zurück. »Nein. Mich interessiert dein Hintergrund wirklich. Es hat nichts mit Kurt zu tun. Außerdem kennen wir uns jetzt auch.«

»Wenn ihr etwas wissen wollt, fragt einfach. Ich bin nie sehr gesellig. Zuerst fraß der Job meine Zeit und nachher kam ich nicht mehr heraus. Heute frage ich mich warum. Mir gefällt es, mit euch und den Leuten im Dorf. Einfach was erzählen, ohne groß nachzudenken, welch intellektueller Hintergrund gefragt ist.« Claudia staunte über das, was sie sagte. Dazu bestand keinerlei Anlass.

»Das ist dörfliches Leben«, entgegnete Griet lächelnd. »Du wirst überall angesprochen, du gehörst irgendwie dazu. Das ist der äußere Schein. Doch wenn es hart auf hart kommt, bist du schnell wieder die Fremde. Behalte das im Hinterkopf.«

»Schon klar. Hier ist es nicht anders, als sonst wo. Dennoch gefällt es mir … zumindest im Moment.«

*

Tod im Maisfeld

Подняться наверх