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Verständlich reden lernen

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Wir alle haben irgendwann Sprechen gelernt. Wie gut!

Allerdings unterscheiden sich sowohl Satzbau und Wortschatz als auch Redeweise, Aussprache und Fähigkeiten mit Worten umzugehen sehr.

Es ist ein Unterschied, ob Sie in einer Familie der bürgerlichen Mitte oder in einer Migrantenfamilie der ersten Generation aufwachsen. Die Bedingungen für Bildung und Entwicklung sind nicht nur verschieden, auch die Sprachentwicklung wird durch unsere Herkunft stark beeinflusst. Gut, dass Bildung in Deutschland relativ gerecht organisiert ist und theoretisch jede und jeder die Chance hat, weiterzukommen. Schade, dass es in der Realität riesige Unterschiede gibt. So ist auch die Sprachentwicklung in jedem Milieu unterschiedlich.

Kinder beginnen zu sprechen, wenn sie etwa 1 Jahr alt sind, manche schon etwas früher, viele auch deutlich später. Schon bei der Geburt ist das Sprachzentrum im Gehirn, welches uns das Sprechen und Sprache zu verstehen ermöglicht, vorhanden. Auch die dazu benötigten Organe sind ausgebildet (Zwerchfell, Lippen, Zunge, Gehör, Muskeln). Bereits im Mutterleib hat das Kind Geräusche und den Klang der mütterlichen Stimme aufgenommen. Die Fähigkeit, Beziehungen aufzunehmen und die Sehnsucht nach Nähe zu jenen, die das Kind umsorgen, ist von Beginn an vorhanden.

Die meisten Kinder beginnen mit »Mama« und »Papa«, gefolgt von einfachen Worten. Die ersten Bezugspersonen sind Inhalt und gleichzeitig auch prägend für den Sprachschatz der Kinder. Bei etwa 20 Monaten liegt der Wortschatz eines sich normal entwickelnden Kindes zwischen 50 und 200 Wörtern. Der Spracherwerb geschieht in jungen Jahren nicht durch bewusstes Auswendiglernen von Vokabeln und Redewendungen, sondern durch aufnehmen und Wiedergeben dessen, was Kinder hören, sehen, fühlen und tun. So entsteht die »Muttersprache«, tatsächlich sehr stark geprägt von der Mutter und den ersten Bezugspersonen. Worte, Satzmelodie und »Sound« werden aufgesogen und verinnerlicht. Imitation wird zur primären Lernmethode. Gleichzeitig erproben Kinder ihre eigene Stimme, oft spielerisch und unermüdlich, und je besser sie ihre zum Sprechen erforderlichen Muskel kontrollieren können, desto mehr Worte entstehen. Auch Logik und Struktur von Sprache entnehmen Kinder der gehörten Sprache ihrer Umgebung. Ob dort Hochdeutsch oder Dialekt gesprochen wird, brüchiges Deutsch oder eine Szenesprache – die Kindern nehmen es auf und eignen sich eben diese Sprache an. In den ersten Jahren werden die Grundlagen gelegt, später setzt sich das Aneignen von Sprachmustern fort. Je älter wir werden, desto weniger verändert sich unsere Sprache. Erwachsene Deutsche verfügen über einen Wortschatz von 12.000 bis 16.000 Wörtern, manchmal auch bis zu 216.000 Wörtern (Wikipedia).

In etwa gilt: Je höher der Bildungsstand eines Menschen ist, desto größer ist sein Wortschatz. Außer vom Elternhaus und Bildungsstand wird dieser auch vom beruflichen Umfeld und dem Freundeskreis mitgeprägt. Im Alltag kommt man mit wenigen tausend Worten aus. Unterschieden wird dabei zwischen aktivem Wortschatz (mir stehen die Worte auf Abruf zur Verfügung) und passivem Wortschatz (ich verstehe die Worte, wenn ich sie höre). Wer eine Fremdsprache gelernt hat, kann dies sofort nachvollziehen. In einem fremden Land kommt man mit etwa 1.000 Wörtern in der Landessprache schon gut zurecht.

Die intensive Beschäftigung mit Sprache, auch mit Verkündigung und Predigt wie in diesem Buch, erweitert als Bildungsangebot also auch den Sprachschatz und die Fähigkeiten, mit Sprache und Worten umzugehen.

Sprachverwirrung im eigenen Land

»Im Jahr 2000 gab es einen ersten Szenesprachen-Duden. Das ist also schon ewig her, wenn man in Kategorien von In und Out denkt und ein echtes Modeopfer (fast krankhaft trendy) ist. Das Werk war ein echter Pageturner (ein spannendes Buch). Und auch wenn sich der damalige Bestseller noch gar nicht so wack (Hip-Hop-Deutsch: schlecht) liest: Eine Neuausgabe ist überfällig. Seit der Jahrtausendwende hat sich schließlich viel getan.«

So meldet es der Kölner Stadtanzeiger im Juli 2016 und stellt Beispiele aus Szenesprachen aus jenem Duden und der dazugehörigen Webseite vor – zum Glück mit Erklärungen.

Da heißt es z.B. »Ab Herbst können Leser damit ihren Denkmuskel (das Gehirn) beschlauen. Auch online ist die Lektüre bereits voll porno (interessant, geil, fett).«

Es wir beschrieben, dass in den letzten Jahren viele technische Begriffe neu entstanden sind, z.B. Youtuben, Twittern, Egogoogeln (selbstvergewissernde Suche nach sich selbst im Internet) oder aber Cyberstalking (Recherchieren von anderen Personen im Internet, um mehr über sie zu erfahren). Overchicked zum Beispiel ist ein unattraktiver Mann (Hässlo) mit einer hübschen Freundin. Augenkrebs bekommt man, wenn man hässliche Sachen und Klamotten sieht. Die Biobreak ist ein neues Wort für Pinkelpause, random ist hingegen alles, was beliebig ist. Neuere Umschreibungen fürs Tanzen sind bouncen (hüpfen) und abspacken (ungelenk bewegen). Am Schreibtisch nebenbei zu essen, heißt Deskfood. Und der Zustand, wenn man schmacko (lecker) zu Mittag essen war und dann müde im Meeting sitzt, heißt (schon fast vertraut!) Suppenkoma.

Der Autor meinte damals: »An all diesen Wörtern merkt man, wie schnelllebig die Zeit und wie alt man selbst ist. Kommt man mit? Versteht man die Gedanken hinter den Begriffen? Oder ist man sprachlich ein Vollhorst (Idiot)?«

Er spricht mir Vollhorst aus dem Herzen.

Diese Sprache ist nicht meine. Weder verstehe ich sie noch kann ich sie sprechen. Allein die zahllosen englischen Wörter und Anglizismen (auch schon wieder so ein Fremdwort!) machen solche Reden und Texte für mich zur unverständlichen Szenesprache. Babylon lebt!

Ausgrenzung durch Sprache

Eine Sprache, die ich nicht kenne, trennt mich von den Menschen, die sie sprechen. Manchmal kann ich sie lernen, manchmal bin ich zu alt, zu dumm, zu beschäftigt, zu desinteressiert, zu ungeduldig oder zu faul.

Ich wollte vor Jahren Telugu lernen, die Sprache unserer indischen Freunde. 81 Millionen Menschen sprechen diese Sprache. »Learning Telugu in only thirty days« war der Titel des Übungsheftes, das ich mir in naiver Vorfreude besorgte. Schade, bis heute spreche ich nur wenige Worte. Ich habe es einfach nicht begriffen und geschafft ... und bin froh, dass zumindest einige unserer Freunde Englisch sprechen. Allerdings empfinde ich mein Sprachdefizit als wirklich extrem störend und hinderlich in vielen Beziehungen. So sehr wir Freunde geworden und uns von Herzen verbunden sind – so wenig verstehen wir uns oft. Unsere Kultur, unser Denken, die Gesellschaft, die Hoffnungen und Wünsche, auch der Glaube – nur durch Sprache werden sie erschlossen. Da wir jedoch verschiedene Sprachen sprechen, wird uns manches verstellt, verborgen und fremd bleiben. Sprache verbindet zwar, aber sie grenzt auch aus und trennt. Babylon eben.

Wie schade, dass etwas Ähnliches auch unter denen geschieht, die deutsch sprechen. Ich meine jetzt nicht die Dialekte in unserem Land, wenngleich auch die bereits manchmal eine echte Herausforderung sind! (Schauen Sie mal den Wiener Tatort!). Nein, ich meine die Szenen und Milieus aus denen wir kommen und in die hinein wir mit der Botschaft von Jesus Christus gehen. Was wir eben von der Szenensprache gelesen haben und ja besonders in der Jugendsprache finden, gilt natürlich auch für andere Bereiche. Ja, es scheint fast, jedes Milieu und jede Gruppierung spricht seine eigene Sprache.

Hartgesottene Fußballfans fachsimpeln miteinander, können Sie da wirklich folgen? Vielleicht. Bei Managern, Psychologen, Coaches oder Medizinern im vertrauen Kreis wird das vermutlich schon schwieriger, allemal wenn sie beginnen, sich mittels eines mit Fremdworten und Fachbegriffen gespickten Fachjargons zu verständigen. Auch im Kreis von IT-Experten, Computerfreaks oder Gamern verstehen viele von uns trotz diverser Rückfragen nicht besonders viel. Selbst Landwirte und Forstleute sind im Gespräch über ihre spezielle Lebenswelt manchmal nur schwer zu verstehen. Fachworte, Abkürzungen und spezielle Redewendungen werden nicht erklärt und »übersetzt«, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Folge ist, dass zwar viel geredet wird, wir uns jedoch nicht wirklich verständigen können.

In den meisten Fällen hilft da auch der Heilige Geist nicht besonders viel. Ich denke eher, er wird uns ganz leise ins Ohr flüstern: »Lerne ihre Sprache.« Oder: »Frage erst einmal nach, bevor du sie vollquatscht!« Oder: »Lass solche Gespräche jene Christen führen, die sich mit diesen Leuten verständigen können und in ihrer Welt leben oder sie zumindest kennen.«

Wir halten also fest: Ein »Vollhorst« ist jemand, der die Gedanken hinter den Worten nicht versteht. So ergeht es mir manchmal – und auch ich mache meine Gesprächspartner zum »Vollhorst«, wenn ich so rede, dass sie es nicht begreifen.

Wenn ich die Sprache der Menschen weder verstehe noch spreche, kann ich sie nicht oder nur unzureichend erreichen. Und umgekehrt: Wenn die Leute meine Sprache nicht verstehen, können sie dem Inhalt dessen, was ich sage, nicht folgen. Das »Hörwunder« von Pfingsten bedeutet ja, dass die Menschen verstehen, was wir reden und meinen.

Ob das gelingt? Ich glaube, oft nicht.

Manchmal mag es tatsächlich am Heiligen Geist liegen. Gott spricht, wo, wann und durch wen er will! Vielleicht schweigt er manchmal auch. Allerdings wäre es fatal, wenn wir das Nichtverstehen kurzerhand auf den Geist Gottes schieben. Wir reden drauflos und lehnen uns dann zurück unter dem Motto: Ich kann ja nichts dafür, wenn mich niemand versteht! Das ist ja sowieso Gottes Sache.

Nein. Verständliche Sprache ist natürlich vor allem meine und unsere Verantwortung! Oft mache ich es dem Geist womöglich extra schwer und wir Christen sprechen eine Sprache, die wie eine exotische Fremdsprache klingt, so wie Telugu für Deutsche. Da hat es dann selbst ein pfingstlerisches Hörwunder ziemlich schwer. (Dies gilt für »Wunder« auch generell und immer und dennoch passieren sie gelegentlich!)

Geschlechtergerechte Sprache

Aufmerksame Leser*innen werden bemerkt haben, dass ich die Schreibform mit dem * nicht verwende. In die Diskussion um eine geschlechtergerechte Sprache werde ich nicht eingreifen. Luthers Übersetzung der Bibel entstammt einer Zeit, in der die Sprache durchweg maskulin war. Dies wird zum Glück inzwischen korrigiert. Nur so viel zu meinem Umgang damit: »Ich habe verstanden!« Ich versuche, ob ich nun rede oder schreibe, niemande (?) und niemanden zu diskriminieren.

Sowohl ästhetisch als auch um des Sprachflusses willen entscheide ich mich für eine Mischform. Oft verwende ich das »generische Maskulinum«, also den überlieferten männlichen Begriff, der für alle Geschlechter steht und jeder (Mensch) es im Grunde auch weiß. Ich spreche also weiter von »Gott«, dem »Vater« und gehe davon aus, dass die weibliche Seite darin integriert ist. »Christen« z.B. verstehe ich ebenfalls als einen solchen Sammelbegriff. Manchmal schreibe ich von »Hörern und Hörerinnen«, dann wieder von »Hörenden«, manchmal nenne ich nur ein Geschlecht und wechsle dies. Ich hoffe, dass ich mit meiner Mischform weder jemanden diskriminiere noch die deutsche Sprache verstümmle, Verwirrung stifte oder den Sprach- und Lesefluss störe.

Vermutlich befinden wir uns mit Blick auf die Sprachentwicklung in einer Übergangszeit. Wohin, ist m.E. noch offen. Ich habe im Reden und Schreiben selbstverständlich auf die Wertschätzung aller zu achten, will dabei jedoch auch nicht die von so vielen geschätzte Sprache einfach über Bord werfen – ja und mir selbst treu bleiben will und werde ich auch.

Die Sprache Kanaans

Haben Sie diesen Begriff schon einmal gehört? Vermutlich. Er kennzeichnet eine Sprache, die nur christliche Insider verstehen. Sie ist angefüllt mit Fachbegriffen und vor allem vorausgesetzten Kenntnissen christlicher Glaubenstradition. Außerdem pflegt sie oft einen bestimmten Zungenschlag, einen Sound in der Sprachmelodie, der den Menschen von außerhalb dieser Kultur fremd ist.

Inzwischen gibt es die »Sprache Kanaans« in verschiedenen Varianten. Sie wird in verschiedenen Szenen unterschiedlich gesprochen und macht jene, die sie nicht verstehen, schnell zum »Vollhorst«.

Nehmen Sie das Folgende bitte nicht zu ernst – und natürlich kommen Sie persönlich darin nicht vor.

Die alte, klassische Version der Sprache Kanaans benutzt gerne Begriffe und Redewendungen aus dem Fundus der alten Lutherbibel: Lasset uns herzutreten, höret und glaubet, liebe Gemeinde, das Wort der Heiligen Schrift, die heiligen Sakramente, getauft auf Deinen Namen, im Namen des dreieinigen Gottes, deine Sünden sind dir vergeben, lasset uns singen, lasset uns beten, wir erheben uns, der Herr segne dich ... dies sind nur einige der klassischen Vokabeln, die leider kaum jemand versteht, der nicht damit groß geworden ist. Und wenn die so selbstverständlich dahingesagten Worte doch verstanden werden, ihre Bedeutung bleibt vielen verborgen. Mit den alten Worten einher geht oft, allemal wenn sie in sakralen Kirchengebäuden oder gar im Talar gesprochen werden, ein heiliger Singsang. Die Sprechenden wählen plötzlich einen merkwürdig kirchlichen Ton, reden laaangsam und deutttlich, mit klaren Endungen und erhobener Stimme. Ganz anders als sonst im normalen Leben. Merkwürdig. Wir haben es offensichtlich nicht nur mit einer Sprache, sondern auch mit einer ganz speziellen kanaanitischen Sprachmelodie zu tun, manchmal wunderbar passend zu betont feierlichen Orgeltönen.

Sehr verbreitet ist auch eine pietistische Aufbruchs-Version der Sprache Kanaans. Darin spielen Begriffe wie Bekehrung und Wiedergeburt eine große Rolle und Entscheidung für Jesus natürlich. Stille Zeit, Heilsgewissheit, Buße und Umkehr, Hauskreis, Andacht, unser Heiland Jesu, Himmelreich, Schwestern und Brüder ... man versteht das alles durchaus – allerdings nur, wenn man sich seit Jahren in Gemeinschaft dieser gläubigen und entschiedenen Christen bewegt und sich in ihrem Denk- und Sprachgebäude auskennt. Die dazugehörige Melodie entspricht der Klampfenkultur ins Freie aufbrechender Wandervögel, den Posaunen von Jericho und manchen Volksliedern des NDR 1.

Als Alternative bietet sich die Worship-Szene als christlicher Lebens- und Sprachraum an. Dort spricht man gewissermaßen die postmoderne Version der Sprache Kanaans. Man singt nicht mehr, sondern lobpreist. Man jubelt, lobt und trägt mit Jesus den Sieg über Not, Tod und Unglück in die Welt. Es wird alles einfach. Du musst einfach beten, einfach glauben und einfach nur für Jesus da sein. Na ja, und unheimlich wird es auch. Unheimlich schön, cool, super und geil. Liebe, Lobpreis und Herrlichkeit werden mit Jesu Blut, Sühneopfer und dem Lamm Gottes in einem Atemzug genannt und gesungen. Schön, wenn man das alles wirklich versteht – schade, wenn man damit nichts anfangen kann. Wenn man dann auch die schlichten, süßen und emporhebenden, sich immer wiederholenden Melodien der Lobpreisband (meistens dominiert vom Keyboard) nicht mag, wird es schwierig mit dem Verstehen.

Es gibt gewiss noch viel mehr christliche Szenen mit einer Sprachkultur, die ganz und gar auf eben diese christlichen Kreise beschränkt bleibt.

Wir sehen und erleben: Auch das Reden von Jesus Christus und seiner guten Botschaft kann dann zum Instrument der Ausgrenzung mutieren, ob nun gewollt oder ungewollt.

✪ Ob Sie und Ihre Gruppe auch eine Form von »Sprache Kanaans« pflegen? Sammeln Sie doch mal Begriffe, Abkürzungen und Redewendungen, die bei Ihnen immer wieder vorkommen.

Lässt sich das auch anders ausdrücken?

mit Reden

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