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Zwischen Babylon und Pfingsten

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Wenn nur die Sprachverwirrung nicht wäre!

»Wir verstehen uns nicht!«, scheint das Grundprogramm menschlicher Beziehungen zu sein. Angefangen bei verschiedenen Sprachen und Dialekten der Völker und Kulturkreise bis hin zu Mann und Frau, Kinder und Eltern, Familie und Nachbarschaft. Ein Riss geht durch diese Welt, nein hunderttausend Risse. Statt aufeinander zu hören, uns zu einigen und gemeinsame Wege zu suchen, gibt es Streit, Trennung und sogar Krieg. Woran das liegt?

Die Bibel erklärt es mit der Erzählung vom Bau des Turms in Babylon (1. Mo. 11,1-9). Sie wollten die Größten sein, die Klügsten, die technisch Versiertesten, die Schönsten, die Bedeutendsten und vor allem die Mächtigsten. Sie wollten sich einen Namen machen und sein wie Gott. Sie wollten den Himmel stürmen und den Thron des Höchsten besetzen.

Es ist der schon in der Urgeschichte angesprochene Drang des Menschen, wie Gott sein zu wollen, der alles zerstört. Es steckt tief in uns drin, an Gottes Stelle herrschen zu wollen, zu regieren und das eigene Leben – plus wenn möglich auch das von anderen und dieser Welt in die eigene Hand – zu nehmen. Geboren aus dem Zweifel an Gottes Güte, Stärke und Zuverlässigkeit ersetzen wir Menschen den Herrscher der Welt und setzen uns selbst oder einen unserer »Führer« auf Gottes Thron.

So funktioniert Babylon.

Und so funktioniert es eben nicht wirklich. Der Turm, den sie bauen, erscheint ihnen großartig und geradezu göttlich. Tatsächlich ist er lächerlich. »Gott sah herab ...«, heißt es ironisch. Was wir für Macht und Größe halten, ist aus seiner Sicht nichts wert. Im Gegenteil: Der Versuch, für uns selbst göttliche Größe zu erlangen, vernichtet alles. Beziehungen werden zerstört, weil jeder über den anderen herrschen will. Erfolge werden zu Niederlagen, weil wir uns ständig miteinander vergleichen. Technischer Fortschritt erweist sich als Bumerang, weil wir die Konsequenzen nicht bedacht haben. Babylon wird zum Symbol der Verwirrung, Trennung und Zerstörung menschlicher Gemeinschaft.

Babylon steht für jene Sprachwelt, in der wir uns nicht verstehen. Es ist die Welt, in der wir leben. Ob nun Geschichts-, Kultur- oder Entwicklungswissenschaften untersuchen und beschreiben, warum wir Menschen uns nicht verstehen – am Ende läuft es auf das Gleiche hinaus, was wir in der biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babylon lesen.

Niemand von uns kann sich dem entziehen. Bis in die kleinsten Einheiten, etwa die Ehe, wird solche Trennung existenziell erfahren. Neid, Machtkämpfe, Eifersucht, Missgunst, Lüge, Größenwahn ... und am Ende Einsamkeit und Trennung – all das kennen und erleben wir ganz wie die Menschen von Babylon.

Mit Reden in Babylon

In diesem Kontext also reden wir von Gott, unserem Glauben und verkünden Jesus Christus. Gut zu wissen! Wir werden nicht automatisch verstanden, sondern vermutlich eher missverstanden. Selbst wenn wir auf Deutsch zu Deutschen und auf Englisch zu Engländern reden, versteht man uns nicht selbstverständlich.

Alle, die mit anderen Menschen über den christlichen Glauben reden, egal ob im persönlichen Gespräch oder durch eine Predigt, haben diese Erfahrung gemacht. Manchmal verstehen die Leute sogar das Gegenteil von dem, was wir sagen. Kein Wunder. Wenn babylonische Regeln unseren Alltag beherrschen, wird dem alles untergeordnet und alles Gehörte mit babylonischen Ohren gehört. Genaugenommen hört niemand zu, weil er sein eigenes Ding macht. Und wenn wir zuhören, dann selektiv. Wir picken uns heraus, was unseren Turm größer macht: Was uns nützt, was uns klüger, glücklicher oder mächtiger macht. »Was habe ich davon?« Danach fragen auch moderne Babylonier. »Was bringt mir das, was du da erzählst?«. »Worin liegt der Zugewinn, der Vorteil, das Besondere, der Kick?«. Wir bauen an unseren Lebenstürmen und vergleichen sie mit anderen. Wehe, wenn wir schlecht abschneiden. Dann zerbricht unser Turm oder wir sabotieren den des Konkurrenten. Und wehe, wenn wir gut abschneiden. Dann fühlen wir uns göttlich und Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.

Mit Reden in Babylon trägt oft wenig aus. Es hilft den Menschen nicht dabei, ihren Turm zu bauen und sich an Gottes Stelle zu begeben. Im Gegenteil »der Herr fährt hernieder ...« (1. Mo. 1,5). Gott meldet sich zu Wort. Diesem Wort zuzuhören, zeigt mir, wie klein und brüchig meine Türme in Wahrheit sind. Reichtum, Bedeutung, Leistung, Technik, Konsum, Aussehen ... all das wird durch das Evangelium von Jesus Christus relativiert. In Babylon wird folglich solchen Reden nicht gerade gerne zugehört.

Vermutlich ernte ich jetzt Widerspruch.

So schlimm ist es doch gar nicht. Wenn wir uns Mühe geben, verstehen wir uns doch irgendwie. Und manche sind schließlich genau auf meiner Wellenlänge. Mit ihnen verstehe ich mich im Dunkeln.

Stimmt! Zum Glück gibt es auch in Babylon Menschen, die sich miteinander verständigen können. Jene, die doch noch eine Sprache sprechen. Meine Bluts- und Meinungsverwandten. Meine Peergroup, meine Clique und mein Zuhause. Dort habe ich Gleichgesinnte gefunden. Babylon ist dort weniger spür- und sichtbar als »da draußen«.

Wir alle können am ehesten in Kreisen Gleichgesinnter miteinander reden, uns verständigen und dort auch leichter über den Glauben und Gott sprechen.

Zwar geschieht auch, was Jesu erlebt, als er in seiner Heimatstadt Nazareth predigt: »Der Prophet gilt nichts im eigenen Land.« Schmerzlich müssen wir manchmal erleben, dass Babylon bis in unsere engsten Beziehungen hineinreicht und wir weder verstehen noch verstanden werden. In der Regel jedoch vermag »der Prophet« im Nahbereich durchaus den Ton und den Nerv der Leute treffen, weil er sie kennt und ihre Sprache spricht. Er ist einer von ihnen. Er weiß was sie sagen, bevor sie den Mund aufmachen. Er beherrscht ihre Insidersprache weil er genau so redet, so lebt, so glaubt und so handelt wie sie.

Ob hier die Ursachen christlicher Abgeschiedenheit und unserer gemeindlichen Getto-Existenzen liegen? Wir richten uns in einer Nische ein und spüren so etwas weniger von Babylon und der Zerstreuung?

Vielleicht. Vermutlich.

Mit Reden nach Pfingsten

Die Geschichte vom Turmbau in Babylon ist Teil der biblischen Urgeschichte der Menschheit. In großer Weisheit beschreiben die Verfasser von damals die Wirklichkeit, in der sie leben: Die Völker sind zerstreut und verstehen sich nicht.

Jahrtausende später ereignet sich dann das Gegenstück zu Babylon. Pfingsten. Die Menschheit sehnt sich nach Verstehen und Einheit. Propheten und Gottesmänner ringen und sterben im Kampf für Gerechtigkeit, Frieden und Einheit unter den Menschen und mit Gott.

Und plötzlich geschieht genau dies.

Gerade wird noch babylonische Zerstreuung erlebt. Der Mann Gottes wird gekreuzigt. Viele seiner Gefolgsleute rennen in alle Richtungen davon. Sie finden keine Worte mehr. Einige versammeln sich hinter verschlossenen Türen. Nur Worte der Enttäuschung, der Verwirrung und Angst verbinden sie nun noch. Es sind hilflose, negative, traurige und auch wütende und frustrierte Worte, die sie einander sagen – wenn überhaupt noch jemand redet.

Dann plötzlich taucht Jesus wieder auf. Völlig gegen jede Erfahrung und Vernunft spricht er sie an.

»Maria!«. Jesus richtet sein Wort an seine geliebte Jüngerin. Und plötzlich versteht sie (Joh. 20,11-12). Noch findet sie keine eigenen Worte. Doch die junge Frau wird zur Botschafterin des Auferstandenen.

Und dann, am fünfzigsten Tag nach Ostern, geschieht mit Pfingsten etwas völlig Neues mit Wort und Sprache (Apg. 2).

Jetzt wird völlig anders geredet. Eben noch ängstliche Christen bekennen sich nun zu ihrem Glauben. Herrschten eben noch Angst und Verzweiflung, sind es jetzt Worte der Hoffnung, der Zuversicht und der Freude, die von den Jüngern Jesu ausgehen. Hatten sie sich eben noch hinter Türen in Isolation vom Rest der Welt verrammelt und ihre depressiven Gefühle geteilt, teilen sie sich nun aller Welt lautstark mit und verkündigen die Freudenbotschaft vom Sieg über den Tod. Es begann im Haus hinter verschlossenen Türen – aber es zieht sie hinaus auf Straßen und Plätze (V. 1-2).

Sie alle beginnen zu reden und zu predigen (V. 4). Jerusalemer Bürger und Pilger, die zahlreich zum Schawout-Fest in die Stadt gekommen sind, hören den Jüngern zu. Eigentlich feierten sie die Offenbarung der Tora an das Volk Gottes – nun hören sie ein ganz anderes, ein lebendiges Wort.

Was mögen das damals für Leute gewesen sein? Nur ein paar Fromme und Gläubige? Jene, die sich schon immer für Religion interessierten, die Insider? Nein. Es waren Menschen aus allen Bereichen in Jerusalem. Beamte, Gelehrte, Handwerker, Hausfrauen, Soldaten, Sklaven, Politiker und Händler, Junge und Alte, Kluge und Dumme, Dicke und Dünne ... die Verschiedenheit der Schawout-Gemeinde war enorm. Viele tausend Menschen aus der damals bekannten Welt belebten die Straßen. Es gab keine wirklich übergreifend verbindende Sprache, wie es heute Englisch ist. Die Meisten mögen als geborene oder auch übergetretene Juden zumindest etwas Hebräisch gekonnt haben. Immerhin waren sie in Jerusalem, weil sie die Tora, die jüdische Bibel (Teile des Alten Testaments), das von Gott offenbarte Wort feiern wollten. Latein war im römischen Reich primär unter Gebildeten und Angehörigen des Rates verbreitet, auch Griechisch wurde von manchen gesprochen – aber die meisten sprachen und beherrschten vor allem oder sogar ausschließlich ihre Mutter- und Landessprache.

Babylon lässt grüßen!

Doch Babylon hat keine Chance gegen Pfingsten.

Da ist von einem Brausen und Wind die Rede, es sieht aus wie Feuerflammen (V. 3). Das »Wunder« jedoch bleibt unsichtbar. Es wird nicht mit dem Auge, sondern mit dem Ohr wahrgenommen. Die Leute verstehen, was diese merkwürdig aufgeheizten Christusleute reden. (V. 6-11).

Das Wort verstehen

Wegen der Tora feiern sie dieses Fest – das Wort Gottes erreicht sie jetzt mit einer Botschaft, die ihre alte in neuem Licht erscheinen lässt. Auf das Alte folgt das Neue Testament Gottes. Es wird geprägt von einem Namen: Jesus Christus. Um ihn geht es in den Pfingstpredigten. Er ist auferstanden und hat den Tod besiegt. Er ist Gottes letztes verbindliches Wort und interpretiert auch die Tora.

Und die Jesusbotschaft wird seit Pfingsten verstanden?

Babylon ist wirklich vorbei?

Schaut man auf die Reaktion nach dem ersten Brausen und den mutigen Reden der Jüngerschar, so wird zu Pfingsten mit dem Hörwunder noch keineswegs ein umfassendes Glaubenswunder eingeleitet. Einige sind irritiert und verwirrt. »Was soll das werden?« (V. 12). Sind die nun völlig abgedreht? Welcher Trick mag dahinterstecken? Andere kommen schnell zum Schluss, dass solche Typen betrunken sein müssen. »Sie sind voll des süßen Weins!« (V. 13). Vielleicht meinen sie auch den Rausch der weltfremden Hoffnungsworte, dem sich diese Christenleute hingeben. Wenn man ständig von Liebe redet, von Vergebung, von Frieden, von Gemeinschaft und sinnvollem Leben, von Gottes Weltherrschaft und seiner Menschwerdung, dann sind das für manche Zeitgenossen einfach nur »süße Worte«, die nur jemand verbreiten kann, der eine rosarote Brille trägt und der wahren Welt und den wirklich wichtigen Fragen im Rausch entflieht.

Pfingsten war also trotz (oder sogar wegen?) des Rede- und Hörwunders zunächst kein Erfolg. Babylon mit Sprachverwirrung und Nichtverstehen sitzt zu tief, als dass es mal eben so überwunden wird. Das schaffen weder tolle Predigten noch große Gefühle. Ein Event mit Flammen, Rauschen und viel Gedröhn, kann vielleicht inszeniert werden – ob Gott sich darin wirklich offenbart, bleibt jedoch völlig offen.

Dann jedoch verändert sich die Szene. Simon, ein einfacher Fischer mit Rufnamen Petrus, meldet sich zu Wort. Nicht mehr die Gelehrten und Studierten sind Interpreten und Überbringer des mächtigen Gotteswortes, sondern einfache Leute, Laien, Amateure. Seine Botschaft zeigt Wirkung.

Was macht Petrus? Er deutet das, was alle eben erlebt haben. Er predigt sachlich und rational. Er erklärt, argumentiert, erzählt, berichtet, klärt auf. »Nein, sie sind nicht betrunken. Es ist ja auch erst früh morgens.« (V. 15) »Was hier passiert ist vielmehr das, was ihr beim Propheten Joel gelesen habt.« (V. 16) Dann malt er Jesus Christus als Erfüller und Ziel der Tora vor Augen. Die meisten Anwesenden waren mit der Sehnsucht nach Gottes Offenbarung nach Jerusalem gekommen – nun erfüllt sich diese Sehnsucht in und durch Jesus, den Auferstandenen, vor ihren Augen.

Interessant: Nicht das tosende, flammende und geheimnisvolle Pfingstereignis führt zum Durchbruch der Botschaft von Jesus Christus, sondern die eher nüchterne Predigt des Petrus. Wo zunächst nur Staunen war, folgt jetzt Verstehen.

Wir tun also gut daran, bei der Suche nach Worten und Weisen der Verkündigung ein gutes Maß an Nüchternheit und Sachlichkeit zu bewahren. Petrus predigt reflektiert, auf die alten Schriften bezogen und gleichzeitig geht er auf seine Zuhörer ein. Eine »Sprachschule des Glaubens« mag gerne auch emotional geprägt sein – ihr Wesen ist jedoch eher ein rationaler Umgang mit Sprache, Worten und dem Wort Gottes.

Ich weiß, manche Geschwister aus Pfingstkirchen sehen das anders. Da werden möglicherweise die Begleitphänomene damaliger Verkündigung in den Vordergrund gerückt: Sprachengebet, Zungenrede, Prophetie, Heilungen ...

Auch wenn sie vieles völlig anders sehen und sich von einer pfingstlerischen Theologie und Praxis abgrenzen, bewerten auch Großkirchen und oft auch moderne Missionsbewegungen die Bedeutung der das Wort begleitender Phänomene oft extrem hoch. Da wird auf die Wirkung von Riten und traditionellen Zeremonien gesetzt oder auf mitreißende Musik und begeisterndes Entertainment. Die Verkündigung wird inszeniert. Sowohl die katholische Kirche als auch amerikanische Missionsbewegungen sind Meister darin. Je besser die Inszenierung gelingt, desto eher erwarten wir, dass die Botschaft ankommt. An Stelle der überrationalen Charismen treten jetzt Begabungen, Fähigkeiten, Redekunst (Rhetorik) und eine professionell gemachte Eventkultur.

Doch es ergeht uns wie Pfingsten.

All dies bleibt mit Blick auf »Verstehen« hinter der klaren und sachlichen Rede zurück. Ja, wir brauchen »Zeichen«, die uns zum Staunen bringen oder auch uns provozieren und so ins Nachdenken führen. Wir brauchen eine gute und angenehme Atmosphäre, Erlebnisse, Emotionen und verbindende Gemeinschaftsgefühle. Was wir jedoch vor allem brauchen, sind Worte, die von den Menschen verstanden werden.

Eine Werkstatt wie diese ist also sehr hilfreich.

Allerdings, und wieder differenziere ich, weil auch geistliche Prozesse nicht so oder so verlaufen: Genau betrachtet bewirkt auch das klare, nüchterne und verständliche Wort der Verkündigung nicht, was Pfingsten tatsächlich geschieht. So wenig wie die begleitenden Zeichen, so wenig sind es die Worte der Petruspredigt, die letztlich den Ausschlag zur ersten Gemeinde geben (Apg. 2,37-47). Was steht dort genau?

»Es wurden hinzugetan« (V. 41) und später »der Herr tat hinzu« (V. 47). Was gemeint ist, liegt auf der Hand: Nicht das Pfingsterlebnis und auch nicht unmittelbar die Predigt des Petrus haben die Leute erreicht. Auch nicht die Entscheidung der Leute, sich taufen zu lassen, war der Grund des Erfolges. Nein, Gott selbst hat dies gewirkt. Er hat gehandelt und die Menschen zum Glauben und in die Gemeinde geführt. ER hat Verstehen geschenkt.

Die Abhängigkeit allen (kirchlichen) Handelns vom Geist Gottes wird wieder sichtbar. Weil dies so wichtig und dennoch oft vergessen wird, habe ich davon schon im Vorwort geschrieben. Alle Verkündigung, jedes Wort über meinen Glauben, Gott und was mir da so wichtig ist, kann nur »ankommen«, wenn Gottes Geist es den Leuten »ins Herz« (V. 37) pflanzt. Die Grundhaltung der Verkündigung kann deshalb nur eine von Demut gekennzeichnete Gebetshaltung sein.

Gottes Geist erwarten

Warum schreibe ich nicht »den Geist erbitten

Die Frage ist berechtigt. Wenn die Grundhaltung der Verkündigung ist, dass nur Gott selbst unserer Worte Kraft und Wirkung zu geben in der Lage ist, werden wir um seinen Geist bitten. Das Gebet um Vollmacht und Gottes Eingreifen begleitet uns Christen auch und besonders dann, wenn es um das mit Reden geht, um Sprache und Verkündigung. Ohne Gottes Geist der Liebe können wir »mit Menschen und Engelszungen reden« und wären doch letztlich »ein tönend Erz und eine klingende Schelle!« (1. Kor. 13,1).

Wir bleiben also angewiesen und abhängig von Gottes Eingreifen durch den Geist von Pfingsten – denselben Geist, der schon diese Welt geschaffen hat, sich in der Heilsgeschichte immer wieder als wirksam erwies, den Jesus seinen Jüngern versprach und den die kirchliche Dogmatik später als »Heiligen Geist« als Teil der Dreieinigkeit beschreibt. Ob, wann und wie Gott diesen Geist ausgießt und an wen, bleibt ihm überlassen. Der Auferstandene selbst entscheidet, wem er begegnet. Gott bleibt souverän in seinem Handeln. Er kann dem, was wir erwarten und in einem Buch wie diesem aufschreiben und lesen, auch völlig entgegen wirken, wenn er es will. Er kann sogar Steine zum Sprechen bringen!

Folglich erbitten wir seinen Geist.

Allerdings rechnen wir (hoffentlich) auch damit, dass er ihn tatsächlich schickt. Die kleine Geschichte vom Regengebet haben viele von uns vermutlich bereits gehört: Ein Pastor fordert seine Gemeinde nach Wochen der Trockenheit auf, um Regen zu beten und verspricht, dass Gott es spätestens am nächsten Sonntag regnen lässt. Alle nicken begeistert und versprechen, zu beten. Am Sonntag darauf regnet es immer noch nicht. »Ich weiß, warum!«, wettert der Pastor von der Kanzel. »Niemand von euch hat einen Schirm dabei!«

Wir beten und bitten, gehen aber oft nicht davon aus, dass Gott unsere Gebete tatsächlich erhört. Was den Regen angeht, mag das verständlich sein – was den Geist Gottes angeht, völlig unangebracht. Im Gegensatz zum Regen hat uns Jesus den Geist Gottes immer wieder verheißen und seine Ausgießung verbindlich zugesagt (z.B. Joh. 15-16).

Wie mag es Gott nun gehen, wenn wir ihn immer wieder bitten, den Geist zu schicken? Ob er sich darüber freut? Vielleicht. Vielleicht schüttelt er aber auch mit dem Kopf. »Leute, ihr lebt doch nicht vor, sondern nach Pfingsten! Mein Geist ist bereits unter euch. Ihr müsst ihn nicht vom Himmel herabbeten. Ich bin doch längst da und wirke vielfältig – auch und sogar ganz besonders durch euer Wort!«

Dazu gibt es die schöne Geschichte über Charles Haddon Spurgeon (1834–1892). Einmal soll der begnadete Evangelist einem Predigtkandidaten zugehört haben. Im Anschluss fragte ihn der junge Mann, wie er die Predigt fand. Spurgeon fragte zurück: »Haben Sie etwa geglaubt, dass Gott diese Predigt zu seiner macht?« Frustriert gab der junge Mann zu: »Sie haben wohl Recht. So anmaßend bin ich natürlich nicht.« Die Antwort Spurgeons hatte es in sich: »Genau das war das Problem Ihrer Predigt, junger Mann!«

Ich übertrage dies auf unsere Erwartung der Gegenwart des Geistes Gottes. Ihn immer wieder zu erbitten ist das eine, sich für seine Gegenwart zu bedanken das andere! Pfingsten hat Babylon zwar nicht restlos beseitigt, aber das Nichtverstehen überwunden. Die Ausgießung des Geistes ist geschehen. Wir leben unter einer völlig anderen Vorgabe als die Menschen vor Pfingsten. Wir leben in der Gewissheit des Geistes Gottes. »Sein Wort wird nicht leer zurückkommen!« (Jes. 55,11). Wenn bereits die Verkündiger des Alten Testamentes dies in großer Gewissheit sagen konnten, wie viel mehr dann wir nachpfingstlichen Träger des Wortes!

Geburtstag der Gemeinde-Mission

Pfingsten ist »der Geburtstag der Kirche«. So tradieren und verstehen wir es gerne. Vor allem die etablierten Kirchen feiern Pfingsten als ihren Geburtstag. Dabei sind »Kirchen« im Sinn von Organisationen und Netzwerken mit ihren Regeln, theologischen Bekenntnissen und organisatorischen Apparaten viel später entstanden. Erst nach der konstantinischen Wende 313 n. Chr. begann die Bildung kirchlicher Organisationsformen, wie wir sie heute kennen. Kirchen und Konfessionen sind deshalb niemals vorrangig theologisch zu erklären und zu begründen, sondern zuerst einmal geschichtlich.

Wenn wir Pfingsten als »Geburtstag der Gemeinde« bezeichnen, erscheint es mir deshalb stimmiger. Genau genommen war es zuerst nur die Gemeinde in Jerusalem, die »geboren« wurde. Weitere Gemeinden sind dann durch Paulus und die Apostel gegründet worden. Jenes Pfingstfest in Jerusalem wurde erstmals im Jahr 130 n. Chr. als kirchliches Fest erwähnt – dennoch haben viele der ersten Gemeinden vermutlich den Tag ihrer Gemeindegründung gefeiert, vielleicht sogar schon als Jubiläum. Geburtstag der »Kirche«?

Geburtstag der Gemeinde-Mission erscheint mir dagegen viel zutreffender. Gott erreicht mit seiner Mission (Sendung) des Geistes die Jünger-Gemeinde, die sich hinter verschlossenen Türen ins Getto begeben hatte. Dann erreicht Gott durch die Jünger-Gemeinde die Menschen in Jerusalem und später durch viele Gemeindegründungen den Rest der Welt ... Nur wenn Kirche »missionarisch« ist und wird, erscheint mir der Rückbezug auf Pfingsten als Geburtstag für sie berechtigt.

Die Ausgießung des Geistes als Akt der Mission Gottes (missio Dei) war die Geburtsstunde einer missionarischen Bewegung, die sich später dann in Gemeinden und noch viel später in Kirchen organisierte. Ohne Mission macht Pfingsten absolut keinen Sinn. Die Einladung zum Glauben, die Predigt von Jesus Christus als Retter, Erlöser und Garant der ewigen Liebe Gottes ist unaufgebbarer Bestandteil jeder Verkündigung und gemeindlichen Existenz. So ein Satz wie: »Ja, wir wollen nicht missionieren ...!« aus dem Mund eines kirchlichen Mitarbeiters gibt nicht nur die Bestimmung christlicher Kirche auf, sondern verleugnet auch das Wirken des Heiligen Geistes.

 Ja, wir wollen missionieren und wir müssen es! »Wir können es ja nicht lassen, zu reden von dem, was wir gesehen und gehört haben!« (Apg. 4,20). Nur wenn Gemeinden und Christen, also Sie und ich, dies umsetzen, können wir uns auf Pfingsten als Geburtstag der Kirche berufen.

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