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Gottes Wort
ОглавлениеBis heute ringen und streiten Christen verschiedener Bekenntnisse um den Begriff »Gottes Wort« und das »rechte« Verständnis zu Bibel und (kirchlicher) Überlieferung. Die Literatur dazu vermag wohl Bibliotheken zu füllen. Dieses Werkbuch will und kann weder eine theologische Dogmatik noch ein Begriffslexikon noch eine Bibelkunde ersetzen. Auch erspart es jenen, die sich wirklich weiterbilden wollen, nicht die Lektüre theologischer Fachbücher.
In der Einleitung habe ich von »Elementarisierung« gesprochen. In diesem Sinne nenne ich hier ein paar mir einleuchtende Ansätze zum Verständnis des Wortes Gottes. Es sind nicht einfach »Erkenntnisse«, die theoretisch bleiben, sondern Einsichten, die sich praktisch auf meine und Ihre Verkündigung auswirken.
Göttliche Machtworte
Was Gott sagt, geschieht. Einleitend habe ich dies bereits erwähnt. Gott spricht und es entstehen Kosmos, Erde und Lebewesen. In diesem Sinn sind Gottes Worte starke und souveräne Machtworte.
Haben Sie es erlebt? Dass Gottes Wort etwas bewegt und sicht- und spürbare Wirkungen zeigt? Bei Ihnen und bei anderen? Ich ja. Nur ein paar Beispiele – und je länger ich überlege, desto mehr fallen mir ein:
Wir sprechen über Schuld und Vergebung. Ich bin erschrocken über mich selbst, weil ich zwei Reifen für meinen alten VW zwar mitgenommen, aber nicht bezahlt hatte. Dumme Schuldgefühle? Nein, ich war anderen etwas schuldig geblieben. Ich beichte es meinem Seelsorger. Der spricht mir zu: »Dir sind deine Sünden vergeben!« Welche Entlastung! Sofort habe ich auch meine Schulden bezahlt.
Aus Indien habe ich schon berichtet. Viele weitere Beispiele von dort könnte ich erzählen. Wie dies: Ich bete für eine Frau. Plötzlich fällt Sie um, schreit, zuckt und liegt da wie tot. Ich spüre keinerlei Puls. Plötzlich höre ich mich fast befehlend sagen: »Im Namen Jesu Christi: Atme, steh auf und danke Gott!« Völlig unreflektiert habe ich die Frau auf Deutsch angesprochen – und dann nicht schlecht gestaunt. Die Frau stand umgehend auf und sagte laut und vernehmlich »Vandenalu!« (Gott sei Dank!). Mein Wort war ganz offensichtlich zum Machtwort geworden.
Vielfach kamen Menschen auf mich zu und bedankten sich. »Danke! Was du gesagt hast, ist mir zu Herzen gegangen. Da hat Gott zu mir geredet.« Was sie im Gespräch mit mir oder beim Hören einer Predigt erlebt hatten, war für sie mehr als nur mein menschliches Wort. Es war zum Gotteswort geworden. So habe ich es selbst ja auch oft erlebt. Ich höre Christen von Gott reden, von ihrem Glauben und entdecke mich selbst im Gegenüber zu Gott.
Für mich ohne Zweifel: Gottes Wort wirkt. Dies betrifft auch viel größere Zusammenhänge als die meines persönlichen Lebens. Wir suchen und finden oft »natürliche« Erklärungen. Aber wer weiß, vielleicht steckt Gottes Kraft und Lenkung dahinter ... wenn ein Mensch vor großem Leiden bewahrt wird, wenn wieder Frieden einkehrt (auch zwischen Völkern), wenn die Mauer zwischen Menschen (auch die in Berlin) fällt, wenn jemand loslassen kann, am Ende vielleicht sogar sein Leben ... Dies alles muss nicht immer mit Worten verbunden sein, ist es oft jedoch. Wir beten mit Worten und Gott hört und erhört. Wir hören Worte und sind berührt. Ob durch eine Predigt, ein Referat, ob durch einen Filmdialog oder Liedertexte – oft wirken Worte unmittelbar auf uns und andere ein. Gott nutzt sie und erweist seine Macht durch sie. Anders ausgedrückt: Gott greift durch Worte in die Geschichte ein und verändert sie.
»Da muss mal jemand ein Machtwort sprechen!« so fordern es Zeitgenossen angesichts einer verwahrlosten Jugend (was diese schon immer war) oder vermummter Demonstranten. Gemeint ist, dass Politiker für »Recht und Ordnung sorgen« und Regeln und Gesetze mit Gewalt durchsetzen. Gelegentlich wird ein solches Machtwort auch von Gott erwartet oder gar verlangt. Er soll endlich eingreifen! So kann es doch nicht weitergehen mit dieser verdorbenen und gottlosen Welt. Corona-Pandemie, Klimakrise, Erdbeben, Terror und weltweite Flüchtlingsströme werden dann von einigen, die es zu wissen meinen und sich vielleicht gar auf Gerichtsworte im Alten und Neuen Testament beziehen, als solches »Machtwort« Gottes gedeutet. Gott bestraft. Gott zeigt seine Herrschaft. Gott setzt seinen Willen durch. Gott dirigiert uns alle in seine Richtung, wenn nötig auch mit Gewalt und Verderben.
Wort des Lebens
Um es deutlich zu sagen: Dieses Denken halte ich für Gotteslästerung. Jener Schöpfer, von dem die Bibel spricht und vor allem, den Jesus Christus uns leiblich vor Augen führt, »tickt« völlig anders. Er schafft etwas. Er baut auf. Er macht lebendig. Er macht Licht und widersetzt sich der Dunkelheit. Er nutzt seine Macht zum Wohl der Menschen. Er setzt sich nicht mit Gewalt durch. Gottes Exekutivmacht ist die Liebe.
Wenn wir also ein Machtwort Gottes erbitten, dann wird Gott in der Art und Weise antworten, wie Jesus seine Macht gezeigt hat. Mit Dienst, mit Vergebung, mit Geduld, mit Ermahnung und mit Liebe ohne Ende! Als die Reformatoren von »sola scriptura« (allein die Schrift) und »sola gratia« (allein aus Gnade) sprachen und zumindest evangelische Christen und Verkündiger sich darauf bis heute beziehen, dann ist dies unauflöslich verbunden mit dem »solus Christus« (allein Christus).
Die Bindung des »Machtwortes« Gottes an den bis zuletzt liebenden Jesus Christus ist also keine Idee einiger Softies unter den Theologen, die den richtenden und vergeltenden Gott ausblenden. Sie ist verbindlich für alle, die sich dem Wort Gottes verpflichtet wissen.
Gottes Wort schafft, entfaltet und ermöglicht Leben. Es widersteht den Todesworten, den vernichtenden und zerstörerischen Kräften um uns herum. Seine Macht setzt der Vater Jesu Christi ein, damit die Dunkelheit durchbrochen und es hell wird. Wir sprechen nicht umsonst von der »Heilsgeschichte« Gottes und von Jesus Christus als dem »Heiland« und dem Heil der Menschen.
Umfassende Gottesherrschaft
Und wie sind Erfahrungen und Entwicklungen einzuordnen, die alles andere als liebevoll daherkommen? Die Bibel spricht davon und wir erleben es Tag für Tag: Es geschieht vieles, was Gottes Willen und Jesu Vorgabe nicht entspricht. Ohnmächtig sind Menschen den Herrschenden und deren Exekutive ausgeliefert. Selbst in einer Demokratie wie bei uns in Deutschland spüren wir diese Ohnmacht. Jugendliche gehen »Fridays for Future« auf die Straße. Oder, was inhaltlich völlig anders gelagert ist, Menschen demonstrieren gegen Corona-Maßnahmen. Der Blick auf den Rest der Welt macht das Gefühl von Machtlosigkeit nicht leichter. Wir stecken in globalen Zusammenhängen. Es scheint, wenige Konzerne lenken die weltweiten Wirtschaftsströme, das Kapital und letztlich auch die Politik. Der Einzelne als Teil eines großen Ganzen wird so zum Spielball dieser Kräfte und Systeme.
Und Gott? Welche Rolle spielt Gott darin?
Theologen sprechen vom »deus absconditus«, vom verborgenen Gott. Er ist zwar als der liebende Vater, wie Jesus ihn beschrieben hat, nicht sichtbar, handelt jedoch aus der Verborgenheit heraus. Als Mittel seiner Regentschaft nutzt er dabei auch Methoden, die wir als Gegenteil von Liebe empfinden. So gehören Gewalt, Regierungen, Polizei und Armee, ja sogar Diktaturen, Katastrophen und Naturgewalten zur Weise, wie Gott seine Welt regiert. Der »verborgene Gott« eben.
Ist dies gemeint, was Martin Luther mit seiner »Lehre von den zwei Regimenten Gottes« (Zwei-Reiche-Lehre) als göttliches Wirken beschreiben wollte? Gott nutzt auch das Instrument der Politik, die Natur und globale Zusammenhänge für die Durchsetzung seiner Ziele?
Ich denke, Ja und Nein.
»Ja!« Weil Gott in dieser Welt das Sagen hat, mischt er aktiv mit. Es wäre töricht zu meinen, dass die globalen Konzerne, Politiker und (Möchtegern-)Diktatoren und politische oder wirtschaftliche Systeme diese Welt regieren. Irrtum! Gott regiert! Auch die naturwissenschaftlichen Abläufe beim Weltklima oder kosmologische Ereignisse entwickeln sich nicht autonom und durch eine seelenlose Evolution vorherbestimmt. Inmitten all dieser Systeme und jeder globalen Abhängigkeit zieht vielmehr Gott die Strippen. So jedenfalls verstehe ich die Bibel. Er bewahrt seine Welt, er lenkt die Geschichte und er bringt sie ans Ziel. »He’s got the whole world in his hand!« Ich glaube dem alten Spiritual, auch wenn ich angesichts dessen, was vor Augen ist, manchmal zweifle und mir die rationalen Argumente dafür immer wieder ausgehen.
Was hat dies mit dem Reden von Gott zu tun?
Ich denke und rede von Gott nicht als einem hilflosen Befehlsempfänger wirklich mächtiger Personen, Konzerne oder Systeme und Naturgesetze. Ich denke und rede von ihm als dem Herrscher über Himmel und Erde! Und noch einmal: Ich spreche von dem Gott, der sich in Jesus Christus gezeigt hat.
Folglich hat der Kampf und haben Worte gegen Unrecht und Unterdrückung eine echte Chance. Auch das Klima ist noch zu retten, wenn Gott es will. Und der Einsatz für Schwache und Rechtlose macht Sinn. Gott ist auf ihrer Seite. »So ist das nun mal!«, kann und darf kein Argument für Menschen sein, die an Gottes Herrschaft glauben. »So ist es jetzt, ja. Und wir müssen damit klarkommen. Aber so muss es nicht ewig bleiben! Gottes Wille will, kann und wird sich durchsetzen. Dafür erheben wir unsere Stimme!«
»Ja«, Gott herrscht und lässt sich diese Welt nicht aus der Hand nehmen. Wir reden deshalb immer vom Sieg Gottes, ganz im Sinne der Osterbotschaft als Sieg über den Tod!
Vom Missbrauch der Worte
Aber gleichzeitig auch »Nein!«. Gottes Herrschen geschieht nicht mittels Gewalt und Unterwerfung. Worte in Gottes Namen dazu einzusetzen, missbraucht sie. Ich versuche, auch das mit Blick auf die Verkündigung zu aktualisieren:
Mir fällt der Begriff »power evangelism« ein. Gemeint war ursprünglich die Verknüpfung von Wundern (z.B. Heilung) und evangelistischer Predigt. Gott erweist sich als wirksam durch die Predigt seiner Boten, indem er sie mit »Zeichen« wie z.B. Heilungen begleitet. So gesehen sind Erfahrungen, die ich in Indien gemacht habe und wie sie viele Christen aus den Missionsfeldern berichten, so etwas wie »power-evangelism.« Auch in der Bibel kommt dies häufig vor.
Der Begriff wird inzwischen allerdings oft anders gefüllt. »Kraft-Evangelisation« zeichnet sich dann durch starke Worte aus, durch zwingende Rede, Druck und auf Bekehrung und Überwindung der Widerstände ausgelegte Predigt. Von Billy Graham sagt man, er sei »das Maschinengewehr Gottes« gewesen. Ich empfinde das nicht als Kompliment, obwohl dieser amerikanische Evangelist (1918–2018) in großem Segen unzählige Menschen für Christus gewonnen hat. Vermutlich hat er selbst sich auch gegen diesen kriegerischen Begriff abgegrenzt. Gerade in Indien ist mir eine Art der Verkündigung begegnet, die in diese Kategorie passt. Unzählige kleine Kalaschnikows schmettern dort ihre Salven gegen die Köpfe der Hörer oder auch darüber hinweg. Es wird schnell, laut, direkt, erbarmungslos und natürlich immer richtig und bibeltreu zum Glauben aufgefordert.
Das mag etwas anderes sein als die Worte der Diktatoren und Populisten dieser Welt – es folgt jedoch dem gleichen Muster: Ich muss jemanden überwinden. Herrschen heißt Macht ausüben, Druck machen und eben Power (Kraft) ausüben, um die Leute zur Gefolgschaft zu bewegen.
Dieses Missverständnis hat schlimme Konsequenzen. Bezogen auf die Herrschaft des Menschen über diese Erde, hat es uns an den Rand des Abgrunds geführt. Schon im August sind die Ressourcen für ein ganzes Jahr verbraucht. Ab jetzt vertilgen wir die Substanz, die sich nicht erneuert (der »Erdüberlastungstag« 2020 war der 22. August).
Ein viele Jahrhunderte auch christlich und kirchlich vertretenes Missverständnis hat mit dazu beigetragen: »Macht euch die Erde untertan und herrschet ...«, heißt es als Auftrag an den Menschen im ersten Schöpfungsbericht (1. Mo. 1,28). In der Folge wurde Herrschaft als Instrument der Macht verstanden und unser Globus gnadenlos ausgebeutet.
Und die Variante in der Verkündigung?
Sie ist schnell zu identifizieren. Die Begriffe »missionieren«, »predigen« oder »bekehren« werden als Manipulation oder koloniales Machtmittel verstanden. Warum? Weil dies leider oft genug in der Geschichte genauso praktiziert wurde und wird. Das Evangelium wird als Machtinstrument missbraucht. Die Predigt wird zum Machtgewinn oder -erhalt eingesetzt. Man sammelt Gefolgsleute und »seine Truppen«. Leute werden unter Druck gesetzt und gefügig gemacht. Moral und erhobene Zeigefinger beherrschen die Verkündigung. Man muss so oder so leben! Man muss sich »bekehren« und sich selbst verleugnen. Angst wird verbreitet. Die Auslegungshoheit biblischer Texte liegt bei den Amtsträgern, den ordinierten, den geschulten, den bekehrten und den entschiedenen Christen.
Mittelalter? Von wegen. Die Kirchen achten bis heute sehr darauf, dass alles so läuft, wie es ihren Regeln entspricht. »Wir taufen dich ...«? Da hat ein Priester die falsche Formel verwandt und die katholische Taufe war ungültig. »Du musst ...!«, wie oft findet sich solche Rede auch in den liberalsten Predigten? Wie viele Imperative und wie viel Moral verstellen uns den Weg zur froh machenden Botschaft?
Nur die anderen? Nein, auch ich selbst bin in Versuchung, mit Worten Macht auszuüben. Vor allem, wenn ich gut reden und Menschen mit Worten mitreißen kann, sie fessle (passendes Wort!) und sie überzeugen (klingt wie überreden!) kann. Insbesondere als Amtsträger, in meiner Position als Pastor, Referent, Diakon oder Jugendleiter habe ich viele Möglichkeiten, das Wort für meine Zwecke zu missbrauchen und es als Herrschaftsinstrument einzusetzen.
Das dienende Wort
Dabei ist das Wesen des Herrschens im Sinne Jesu ein völlig anderes. »Wer der Größte sein will, der sei euer aller Diener.« (Mk. 10,43-44).
Bezogen auf die Verkündigung bedeutet dies: Wir haben den Menschen (auch) mit unseren Worten zu dienen und sie eben nicht zu beherrschen! Wir verkündigen einen Gott, der dient. Unsere Sprache ist kein Instrument, andere zu überwinden, sie zu regulieren, auf Kurs zu bringen oder bei der Stange zu halten. Sie bleibt vielmehr dem Wohl und der Entfaltung der Menschen verpflichtet.
Wer Sprache in diesem Sinn einsetzt, wird besonders darauf achten, dass er oder sie genau hinhört. Was braucht, was denkt, was will jener Mensch, mit dem ich es da zu tun habe? Wir werden das noch thematisieren. Nicht was ich sagen will wird zum Maß aller Dinge, auch nicht ich selbst und wie ich dastehe – sondern meine Gesprächspartnerinnen und -partner oder meine Hörerinnen und Hörer werden zum Maß meiner Sprache und Verkündigung. Dieser Welt und den Menschen zu dienen hat das Wort Gottes in und mit der Schöpfung die Herrschaft angetreten.