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Linksaußen in den fünfziger Jahren
Noch bis spät in die sechziger Jahre hinein ließ sich im Amateurfußball beobachten, dass auf der Position des Linksaußen häufig Spieler eingesetzt wurden, die gar keinen „linken Fuß” hatten: Weil es in der Mannschaft keinen Linksfüßer gab. Die Linksaußen-Rolle war somit in manchen Mannschaften oft schwach besetzt. Ein Linksaußen, der mit dem rechten Fuß flanken muss, kann so gut wie nie den gesamten freien Raum auf der linken Seite in der gegnerischen Hälfte ausnutzen. Er kann nicht von der Grundlinie aus flanken, weil er sich den Ball auf den anderen Fuß legen muss. Durch die Beschränkung auf den rechten Fuß bleibt in einem solchen Fall das räumliche Dreieck zwischen Eckfahne, Seitenlinie und Sechzehnmeterraum so gut wie ungenutzt.
Das Manko des fehlenden Linksfußes in einer Mannschaft kann zwar durch Flügelwechsel oder ständige Positionswechsel im Sturm minimiert werden, erwirkt allerdings kaum den gewünschten optimalen Effekt im Spiel über 90 Minuten. Wo immer Spieler mit dem Makel des „fehlenden linken Fußes” behaftet waren und auf Linksaußen antreten mussten, schienen deren Mannschaften im Wettkampf geschwächt.
„Bist du erst Linksaußen, bist du auch gleich draußen“, lautete ein scherzhafter Spruch in meiner Jugendzeit, als ich aktiver Fußballer wurde. In allen Mannschaften, in denen ich selbst spielte, gab es einen „geborenen” Linksaußen, eben einen Linksfüßer. Der fußballerische Erfolg der Teams, in denen ich spielte, ging ganz oft von der Kreativität und Dynamik unserer linken Außenstürmer aus. Unzählige Jugendmannschaften, Reserveteams und andere untere Mannschaften allerdings mussten ohne eine „professionelle” Besetzung des linken Außenpostens auskommen, und oft genug war dies dann auch eine der wesentlichen Ursachen für die entsprechenden Leistungen und Tabellenstände.
Das Fußballspiel vor und nach dem Zweiten Weltkrieg war geprägt von starren Systemen, in denen jeder Spieler eine feste Position einnahm und somit auch einen bestimmten Radius und Raum innerhalb des Spielfeldes zugewiesen bekam. Ein linker Verteidiger war der linken Seite des Strafraums, dem Raum zwischen linker Torauslinie, linker Seitenauslinie bis nach vorne zur Mittellinie zugeteilt. Ein Linksaußen bewegte sich vom Anstoß an in Höhe der Mittellinie nach vorne; nach hinten orientierte er sich kaum. Doch nach vorne war sein Aktionsfeld der Raum in Nähe der Seitenauslinie im gegnerischen Feld bis hin zu dessen Torauslinie.
Im Amateurfußball und im Jugendfußball der fünfziger Jahre war es zudem üblich, das System „kick and rush” zu spielen. Aufgrund der fehlenden technischen Fähigkeiten bei einer Vielzahl von Spielern in einer Mannschaft ging es, um zum Torerfolg zu gelangen, nicht darum, den Ball möglichst lange in den eigenen Reihen zu halten, sondern ihn so schnell wie möglich in die Nähe des gegnerischen Tores zu befördern. Das schaffte man am besten dadurch, dass die Bälle von kräftigen Abwehrspielern hoch nach vorne gebolzt wurden und möglichst flinke Stürmer dem Ball hinterherjagten und ihn ihm Tor unterbrachten. Spieler wie Overath, Flohe, Beckenbauer, Netzer oder Ettmayer benötigte man für diese einfache und radikale Form der Taktik nicht.
Das Erfolgsgeheimnis solcher Spielphilosophie lag eben nicht in einem hohen Anteil an Ballbesitz während eines Spiels, sondern darin, den Ball möglichst rasch und möglichst oft in die Nähe des gegnerischen Tores zu bringen. Im modernen Fußball wird häufig die Auffassung vertreten, dass lange Ballstafetten und Ballbesitz dazu führen, dass man ein Spiel gewinnt. Doch ständiges Kurzpassspiel erhöht die Gefahr des Ballverlustes. Es erscheint insofern logisch, dass Torgefährlichkeit und Torchancen vor allem durch einige wenige Ballwechsel, die das Spiel in die Nähe des gegnerischen Tors verlagern, erreicht werden.
Spiele wurden und werden nicht dadurch gewonnen, dass eine Mannschaft ästhetisch schöner spielt als ihr Gegner, sie werden nicht dadurch gewonnen, dass der Ball wie am Schnürchen durch die eigenen Reihen läuft. Entscheidend für Sieg oder Niederlage ist es, wie häufig man zu Torchancen gelangt, und Torchancen hat man meist nur in der Nähe des gegnerischen Tores, im Strafraum oder in Strafraumnähe. Bis heute gibt es Teams, die mit der Methodik des „kick and rush” erfolgreichen Fußball spielen. Eine feinere Variante des „kick and rush” ist der Konterfußball, der in unterschiedlichen Varianten auf Balleroberung aus ist und dann durch zügiges Offensivspiel Gefahr vor das Tor des Gegners bringt. In Mannschaften, die sich dieser Spielweise befleißigten, waren die Außenstürmer neben dem Mittelstürmer stets die wichtigsten Akteure eines Teams.
Das deutsche Team bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz 1954 spielte im klassischen WM-System, mit einem Mittelläufer, zwei Außenverteidigern, zwei Außenläufern, zwei Flügelstürmern, einem Mittelstürmer und zwei Halbstürmern. Es entsprach genau den Spielertypen, die in der Mannschaft vertreten waren. Die entscheidenden taktischen „Figuren” für den Sieg der Deutschen gegen die Ungarn bei der WM 1954 in der Schweiz waren der Kaiserslauterner Spieler Horst Eckel, der durch seine ungeheure Konditionsleistung und Zweikampfstärke den zurückgezogen spielenden Mittelstürmer der Ungarn, Hidegkuti, völlig aus dem Spiel nahm, und die beiden Außenstürmer Helmut Rahn und Hans Schäfer, die unwiderstehlich, dynamisch und brandgefährlich einen Sturm bildeten, der von den Ungarn nicht dauerhaft zu kontrollieren war. Der Unterschied zwischen der deutschen und der ungarischen Mannschaft im Endspiel der Weltmeisterschaft 1954 lag vor allem in der herausragenden fußballerischen Qualität der beiden deutschen Außenstürmer und in der Weltklasse des Regisseurs Fritz Walter während dieses Turniers.
Dabei waren Rahn und Schäfer beileibe nicht die einzigen guten Außenstürmer im Kader von Bundestrainer Sepp Herberger. Auch Richard Herrmann, sowohl auf Halblinks als auch auf Linksaußen einsetzbarer Star aus den Reihen des FSV Frankfurt, den Blauschwarzen vom Bornheimer Hang, war ein hervorragender und extrem schneller und torgefährlicher Stürmer. Auch Berni Klodt, der gleichermaßen auf Linksaußen wie auf Rechtaußen einsetzbar war, gehörte zu den besten Flügelstürmern der fünfziger Jahre in Deutschland. Er war Torjäger und Flankengott in einer Person, bei Schalke 04 und in neunzehn Länderspielen für Deutschland.
Im internationalen Fußball der fünfziger Jahre brillierte bei den Jugoslawen ein junger Spieler auf Linksaußen, von dem man zukünftig noch viel hören würde. Sein Name war Branko Zebec. Darüber hinaus gab es im europäischen Fußball bis Mitte der fünfziger Jahre nur wenige linke Flügelstürmer von Weltklasse. Alfred Körner von Rapid Wien, auch „Körner II” genannt, war einer davon.
Unter den südamerikanischen Linksaußen ragte der Uruguayer Carlos Borges heraus. Im WM-Turnier in der Schweiz 1954 gelang ihm beim 7:0-Sieg der Uruguayer gegen Schottland ein Hattrick, auch im Viertelfinale erzielte er das Führungstor beim Erfolg gegen die Engländer. Der Linksaußen der brasilianischen Mannschaft, die im Viertelfinale der WM an den Ungarn scheiterte, Maurinho, reichte dem Linksaußen der Ungarn, Czibor, nach einem überaus brutalen Spiel die Hand zur scheinbaren Versöhnung. Als Czibor die Geste erwidern wollte holte Maurinho zum Faustschlag aus.
Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft in Schweden im Jahr 1958 wurde erstmalig bei einem großen Turnier eine Variation der Linksaußen-Position praktiziert, die in dieser Konsequenz im internationalen Fußball neu war. Einen zurückgezogenen Mittelstürmer hatte man bereits bei anderen Turnieren beobachten können, wie etwa Hidegkuti 1954 in der Schweiz. Aber einen Linksaußen, der sich flexibel entsprechend dem Spielverlauf immer wieder nach hinten fallen ließ – das war ein Novum in der fußballerischen Strategie damaliger Zeit. Mario Zagallo, der spätere Trainer der brasilianischen Nationalmannschaft, spielte einen hängenden Linksaußen, der sich die Bälle aus der eigenen Hälfte holte und sein Aktionsfeld nicht primär an der linken Seitenlinie in der gegnerischen Hälfte besetzte. Weltmeister Brasilien wurde von Fachleuten trotz einer eher defensiven Taktik die Anerkennung zuteil, dem Fußball völlig neue Akzente gegeben zu haben. Lateinamerikanische Fans hingegen sahen den von Zagallo erstmals zelebrierten „hängenden” Linksaußen als Verrat am offensiven Fußball. In der Spitze des WM-Teams der Brasilianer spielten vor allem Garrincha auf Rechtsaußen und Mittelstürmer Didi, während Vava und Pelé neben dem noch stärker nach hinten agierenden Zagallo als Halbstürmer arbeiteten. Garrincha, der Mann mit den O-Beinen, galt seinerzeit als der beste Rechtsaußen im Fußballsport, während Zagallo auf links einen weit größeren Aktionsradius in der Defensive aufwies.