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Der beste Linksaußen der Welt

Hans Schäfer, 1. FC Köln

Der Mann hat Schuhgröße 42 und sein linker Fuß, in Bronze gegossen, ist im Deutschen Sport- und Olympiamuseum zu Köln ausgestellt. Es ist der Fuß, mit dem er im Weltmeisterschafts-Endspiel 1954 in Bern in der Schweiz die Flanke zu Helmut Rahn schlug, die dieser eiskalt dann zum 3:2-Siegtor für die deutsche Nationalmannschaft verwandelte. Der Mann, von dem hier die Rede ist, hat 507 Pflichtspiele für seinen Verein, den 1. FC Köln, absolviert und 304 Tore in dieser Zeit für die Geißböcke geschossen.1 Er hat an drei Fußballweltmeisterschaften teilgenommen, 1954 in der Schweiz, 1958 in Schweden und 1962 in Chile.

In 39 Länderspielen erzielte er 15 Tore, und nicht nur deshalb ist er in seiner rheinischen Heimat eine Legende. Dabei will der inzwischen 86 Jahre alt gewordene einstige vorbildliche Fußballspieler selbst weder Legende noch Held sein. Laut der Zeitung „Die Welt” hat der Mann nie ein Buch über den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft in Bern gelesen, und auch die Reportage jenes Sieges von Herbert Zimmermann, in deren Besitz er ist, hat er sich nie angehört.2

Er will sich seine eigenen Erinnerungen nicht durch irgendwelche Dokumente oder Interpretationen anderer zerstören lassen. In seiner Heimat nennen sie ihn „De Knoll“, was übersetzt so viel wie „Dickkopf “ oder „sturer Bock” bedeutet. Er hasst es, im Mittelpunkt zu stehen. Er sagt von sich, dass er doch nur ein guter Fußballer gewesen sei, mehr nicht. Es gäbe viel Wichtigeres im Leben als Fußball.

Der Mann, der der beste Linksaußen war, den es im deutschen Fußball je gegeben hat, ist Hans Schäfer. Fachleute und die internationale Presse bezeichneten den überragenden Fußballer des 1. FC Köln seinerzeit nach der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz sogar als den „besten Linksaußen der Welt”. Im Jahr 2002 ist Hans Schäfer in die „Hall of Fame” des deutschen Fußballs aufgenommen worden, neben Fritz und Ottmar Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath, Günter Netzer und Berti Vogts. Nach der Aufnahme in die Ruhmeshalle lehnte der Geehrte jedes Interview ab. Seit neun Jahren hat er sich jedem Journalisten für ein Gespräch verweigert.

Mehr als zehn Jahre lang prägte der Kölner Spieler den Fußball in Deutschland. Sein Verein, der 1. FC Köln, dominierte fast ein ganzes Jahrzehnt den Fußball in der Oberliga West und später dann, zu Beginn der sechziger Jahre, die Bundesliga. Hans Schäfer war wahrscheinlich einer der besten Stürmer im Fußball des 20. Jahrhunderts.

Geboren wurde Hans Schäfer am 19. Oktober 1927 in Köln-Sülz als Sohn des Friseurs Hugo Schäfer aus Alsenz im Pfälzer Wald und seiner Frau Katharina, geborene Bellut. Die beiden hatten im November 1926 in Solingen geheiratet. Das Ehepaar bezog eine Wohnung im Kölner Vorort Zollstock, und bald entwickelte der junge Familienvater eine Vorliebe für den Fußballverein DJK Rheinland Zollstock (später Rot-Weiß Zollstock).

Im blonden Lockenköpfchen Hänschen Schäfer mit den strahlend blauen Augen ließ sich schon sehr früh das große Talent des zukünftigen Ausnahmefußballers erkennen. Von 1937 an spielte Hans Schäfer in den Jugendmannschaften des Kölner Vorortvereins und von Beginn an im Sturm auf Linksaußen, was seinem Temperament und seiner Begabung vollkommen entsprach. Als Sechzehnjährigen, zwei Jahre vor dem Abitur, steckte man Hans Schäfer in eine Uniform. Er wurde Flakhelfer. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg setzte der Junge, der nach dem Besuch des Gymnasiums den Beruf des Friseurs erlernt hatte, um das Geschäft der Eltern zu übernehmen, seine vielversprechende Laufbahn zunächst bei seinem Heimatverein fort. Alsbald begann sich ein örtlicher Konkurrenzverein, die Spielvereinigung Sülz 07, für den jungen Linksaußen der Zollstocker zu interessieren. Um die damals übliche Sperre beim Vereinswechsel innerhalb einer Region zu umgehen, ging Hans Schäfer für eine Saison in die damalige „amerikanische Zone” in Westdeutschland. Er wechselte zum VFB Volkmarsen in Nordhessen, wo er sich unter den Fittichen des Vaters des späteren Profis von Eintracht Frankfurt, Horst Trimhold, noch einmal deutlich als Fußballer weiterentwickeln konnte.

Nach einem einjährigen „Exil” kehrte Hans Schäfer zurück an den Rhein und schloss sich wie geplant dem Klub Sülz 07 an. Durch den sich anschließenden Zusammenschluss von Sülz 07 mit dem Kölner Ballspiel-Club (KBC) war Hans Schäfer plötzlich hoffnungsvoller Angreifer in einem Klub, dem 1. FC Köln, der unter Leitung des Unternehmers Franz Kremer alsbald zu einem der führenden Fußballvereine in Deutschland heranreifen sollte.


Hans Schäfer springt über den Karlsruher Torwart Paul. Zweiter Spieltag der neu gegründeten Bundesliga, 31.08.1963: 1. FC Köln - Karlsruher SC (4:0).

Von 1948 an spielte Hans Schäfer für den 1. FC Köln. Sein Trainer war niemand anderer als Hennes Weisweiler. Nicht im Straßenkreuzer oder im Porsche fuhr Hans Schäfer zum Training, sondern mit der Straßenbahn begab er sich von Zollstock aus auf den Weg nach Müngersdorf. In den ersten Jahren seiner großartigen Karriere überragte bei Hans Schäfer noch das kämpferische Element, seine Dynamik, seine Schnelligkeit, sein Biss. Erst in den späteren Jahren reifte er zu dem exzellenten Techniker, der ihn zum besten Linksaußen des Landes werden ließ. Auffällig war von jeher für Beobachter des Kölner Fußballs, dass Hänschen Schäfer, wie er alsbald landauf, landab genannt wurde, eine völlig neue Variante des Flügelstürmers auf der linken Seite des Spielfelds zelebrierte. Hans Schäfer war seiner Zeit weit voraus. Er begann das Spiel zwar wie jeder Reservekicker auf der Mittellinie in Höhe der Außenlinie und sprintete bei eigenem Anstoß nach vorne. Aber er war darüber hinaus von der ersten bis zur letzten Minute unterwegs auf dem Feld, vorrangig auf der linken Außenbahn, aber eben nicht nur im Vorwärtsgang von der Mittellinie aus, sondern von hinten nach vorne über das ganze Feld, er wechselte den Flügel, er leistete Abwehrarbeit, er ging hart in die Zweikämpfe, praktizierte Pressing bei gegnerischem Ballbesitz bereits in der Hälfte des Gegners, und er verstand es auf geniale Weise, mit zwei, drei Zügen den Gegenschlag zu eröffnen und eigene Feldüberlegenheit in zählbare Torerfolge umzumünzen.

Der damalige Präsident des 1. FC Köln, Franz Kremer, war der Wegbereiter des unaufhaltsamen Aufstiegs der Geißböcke im deutschen Ligafußball und ein wesentlicher Förderer des Kapitäns der Kölner, Hans Schäfer.

In Jupp Röhrig erwuchs Hans Schäfer ein perfekt zu ihm passender Partner. Weit über Köln hinaus avancierten Jupp Röhrig und Hänschen Schäfer zum Traumflügel des deutschen Fußballs in den fünfziger Jahren. Die beiden Spieler waren großartig aufeinander abgestimmt, Hans Schäfer sprintete auf links los, und sekundengenau erreichte ihn der Pass seines Halbstürmers. Wahrscheinlich war der linke Flügel der Kölner der erfolgreichste Sturmteil aller Zeiten in Deutschland; nie wieder fielen so viele Tore von links. Dabei übernahm Hans Schäfer die Rolle des perfekt funktionierenden, extrem schnellen Sprinters, des technisch versierten Dribblers und abgebrühten Vollstreckers. Nie war er nervös, nie patzte er. Der Mann mit der Rückennummer 11 strotzte vor Selbstbewusstsein und ruhte in sich selbst.

Längst hatte Hans Schäfer die führende Rolle im Spiel des 1. FC Köln übernommen. 1953 erzielte er in der Oberliga West 26 Tore und wurde damit Torschützenkönig in der mit Abstand leistungsstärksten Klasse des deutschen Fußballs. Bereits im November 1952 hatte er im Augsburger Rosenau-Stadion sein erstes Länderspiel gegen die Schweiz absolviert. Er sollte der erste deutsche Fußballnationalspieler werden, der an drei Weltmeisterschaften teilnahm.

Zu Bundestrainer Sepp Herberger hatte Hans Schäfer von Anfang an ein vertrauensvolles Verhältnis. Die selbstkritische Sicht Schäfers gefiel dem „Bundes-Sepp”. Sie ging so weit, dass Hans Schäfer seinem Mentor im DFB seinerzeit sogar einmal empfahl, ihn nicht einzusetzen, da er von seiner besten Form weit entfernt sei. Sepp Herberger schätzte Hans Schäfers Drang zum Tor, den unwiderstehlichen Druck nach vorne, den er entfachen konnte, und außerdem den „explosiven Körpereinsatz im Kampf um den Ball”3. Herberger sprach auch davon, dass mit Hans Schäfer nicht gut Kirschen essen sei, wenn man als Verteidiger gegen ihn spielen müsse.

Im Laufe seiner Karriere wurde aus dem einstigen Flügelstürmer ein Halbstürmer. Auf halblinks agierte Hans Schäfer als der wohl zuverlässigste, geradlinigste, klügste und effizienteste Regisseur, den der deutsche Fußball Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre aufzuweisen hatte. In jenen Jahren erlebte er den Wandel vom Halbprofitum zum Vollprofi noch mit, und im Alter von 37 (!) Jahren hatte er maßgeblichen Anteil am Erringen der Meisterschaft seiner Geißböcke im ersten Bundesligajahr der Saison 1963/64.

Mancherlei Geschichten, die sich bei genauerem Hinhören als nicht haltbar entpuppen, ranken sich um die Persönlichkeit des Hans Schäfer. „Er sei schwierig, heißt es beim Deutschen Fußball-Bund“, so berichtet Hartmut Scherzer in der „Mitteldeutschen Zeitung”. Alle Einladungen des DFB sage er ab. Das Erzählen und Reminiszenzen an die Wiederauferstehung des deutschen Selbstbewusstseins nach dem grandiosen Sieg im Jahr 1954 in Bern überlasse er lieber anderen Spielern der damaligen Mannschaft.

Hans Schäfer lebt nach wie vor in Köln. Er ist seit sechs Jahrzehnten mit seiner Frau Isis verheiratet. Das glückliche Ehepaar hat zwei Töchter, Steffi und Regine. Für die, die ihn kennen, ist Hans Schäfer ein „echter kölscher Jung“, authentisch und ehrlich. Er war ein einzigartig begabter Spieler, technisch überragend. Typisch für ihn waren Scherenschlagrückzieher, knallharte Torschüsse, effektvolle Flanken und hoher Körpereinsatz – mit dem er, um nur ein Beispiel zu nennen, bei der WM 1958 in Schweden in der Vorrunde sogar ein umstrittenes Tor gegen die Tschechoslowakei in einer Strafraumsituation durch Tackling erzielte. Die Feierlichkeiten im Jahr 2004 um das „Wunder von Bern“, 50 Jahre nach dem legendären Sieg gegen die Ungarn, hat er gemieden. Am wohlsten fühlt sich Hans Schäfer in seiner Heimatstadt und dort in Müngersdorf im Kreise seiner Freunde und Vertrauten.

Nur einmal noch hat der großartige Spieler des 1. FC Köln sein Schweigen gebrochen. Moritz Müller-Wirth und Christof Siemes von der Wochenzeitung „Die Zeit” führten mit dem legendären Nationalspieler im Juli 2004 ein Interview. Er gab den Journalisten zu Protokoll: „Der Erfolg von 1954 hat mit einem Wunder gar nichts zu tun. Das ist für mich kein Wunder. Es war einfach eine großartige Leistung einer großartigen Mannschaft, die dabei auch viel Glück gehabt hat. Ich distanziere mich übrigens auch von dem Begriff Helden. Ich weiß nicht, was unser Sieg mit Heldentum zu tun hat. Helden sind für mich Jungs, die an die Front gehen, kämpfen und sich eventuell auch noch erschießen lassen müssen, um das Vaterland zu retten. Aber es ist doch kein Heldentum, wenn ich ein Spiel gewinne, und sei es eine Weltmeisterschaft […] Ich verkaufe mich nicht. Ich habe es nicht nötig. Und wenn die anderen das machen, ist es für mich traurig. Soll ich in meinem Alter noch für 3 Mark fuffzich durch die Welt tingeln? Das mache ich nicht. Das ist mir zu billig […]”

Auf die Frage der Journalisten, ob er vom DFB auch menschlich enttäuscht sei, antwortet Hans Schäfer: „Ja sehr. Vor vier Jahren bin ich mit meiner Frau zum 80. Geburtstag von Fritz Walter gefahren. Bei den Feierlichkeiten hat sich dann kein Mensch um uns gekümmert, da hat man meine Frau, mich und noch ein paar andere, zum Beispiel Alfred Pfaff oder die Frau von Jupp Posipal, einfach links liegen gelassen […] ob die 54er da waren, war denen total egal. Nur mit Fritz’ Bruder Ottmar und mit Horst Eckel haben sie sich dann zu einer Feier aufgemacht, zu der die anderen nicht mitkommen konnten. Das ist wohl unglaublich. Ich habe dem Fritz noch gratuliert und bin dann sofort nach Hause gefahren, war bei der offiziellen Feier am nächsten Tag nicht dabei. Da war der DFB natürlich sauer, hat sich dann aber offiziell entschuldigt. Aber von anderen, von Horst Eckel, von Ottmar oder vom Fritz – nicht ein Ton.”4


Hans Schäfer 2007 bei einem Heimspiel „seines” 1. FC Köln auf der Tribüne.

In der „Zeit” erzählt Hans Schäfer schließlich noch, dass er auch Angebote aus Italien hatte, unter anderem vom AC Bologna, aber in Deutschland sah er das geringere Risiko für sich. Er berichtet, wie seine Frau seinerzeit in die Schweiz kam, und dass Herberger erlaubt habe, mit den Frauen spazieren zu gehen. Abends und nachts habe er sich mit Lichtsignalen mit seiner Frau, die in einem anderen Hotel wohnte, verständigt. Für 320 Mark brutto habe er damals gespielt. Und schließlich gesteht er noch ein, dass dem 2:2 im Endspiel gegen die Ungarn ein Foul von ihm vorausgegangen sei, er habe den Ellenbogen herausgenommen, das sei eigentlich ein Foul gewesen.

Das in „Die Zeit” erschienene Gespräch ist allein deshalb ein Stück Fußball- und Zeitgeschichte, weil es den Interviewern gelingt, den als sehr zurückhaltend bekannten Ausnahmefußballer der fünfziger und sechziger Jahre so zu befragen, dass dessen Antworten einen lebendigen und authentischen Einblick in die Lebenswelt und die Karriere eines der letzten noch lebenden Spieler der Berner Weltmeisterschaft self geben. Hans Schäfer überzeugt in diesem Gespräch durch Direktheit und Aufrichtigkeit. Er rückt den Mythos des grandiosen Sieges über die ungarische Wunderelf gerade und macht deutlich, wie bescheiden die Anfänge des bezahlten Fußballs nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland waren. Die für den Fußballinteressierten wesentlichen Passagen des Interviews sind nicht einmal so sehr die, in denen Schäfer Kritik am DFB und dessen Organisationsgebaren bei Festivitäten übt. Die wichtigsten Abschnitte sind solche, in denen er die Bedeutung des Fußballs jener Jahre für die Gesellschaft, für die Zuschauer und für die Spieler selbst in einfachen und überzeugenden Worten schildert. Frank und frei bekennt er, dass der Fußball ihm viele Türen geöffnet hat. Zugleich wird die Lebensphilosophie eines damaligen Spitzensportlers deutlich, der die Prioritäten – anders als heutzutage viele im bezahlten Fußball – bei Werten wie Heimat, Familie und langfristiger Berufsperspektive setzt. Kurz und prägnant macht Schäfer klar, dass Sepp Herberger ein Mann war, der sowohl klare Vorstellungen von Fußball als auch Regeln für eine vernünftige Lebensführung seiner Spieler hatte.

Was der in seiner Zeit „beste Linksaußen der Welt” mit heutigen erfolgreichen Spielern und Weltstars teilt, das war sein unbedingter Wille zum Erfolg und zum Sieg. Im Interview mit den Journalisten von der „Zeit” bekennt er, dass er so „ziemlich alles für den Fußball getan hätte”.

17 Jahre lang hat Hans Schäfer für den 1. FC Köln seine Knochen zu Markte getragen, zweimal, 1962 und 1964, wurde er mit seinen Geißböcken als Kapitän Deutscher Meister. Hans Schäfer hat im Jahr 2012 seinen 85. Geburtstag gefeiert. Er hat zu diesem Anlass gesagt, dass er keinen Bock habe, gefeiert zu werden. Seinen Ehrentag hat er im Kreise seiner Verwandtschaft verbracht. Immer dann, wenn sich „Hänschen” Schäfer einmal zu seiner Karriere als bester Linksaußen der Welt äußert, vergisst er nicht, seine Frau zu erwähnen. Sie, die Tochter des damaligen Schiedsrichterobmanns Wolf Degenhard, habe als Frau eines Fußballers auf manches verzichten müssen, da er ständig für seinen Sport unterwegs gewesen sei. Dafür sei er ihr dankbar.

Joggen und Tennisspielen kann er nicht mehr. Mehrmals in der Woche setzt er sich aufs Rad, er spielt Schach und besucht die Heimspiele seiner Geißböcke. Seinen voraussichtlichen Renteneintritt gibt er scherzhaft mit „90 Jahren” an, und auszuschließen ist das nicht, denn er hilft einem Freund noch immer gelegentlich in dessen Werbeagentur. Den Journalisten der „Sport-Bild” sagte er einmal, dass er sich wie 60 oder 65 fühle, denn er habe „weder gesoffen noch geschlemmt und trotzdem alles mitgenommen – aber in Maßen”. Anlässlich seines 80. Geburtstages äußerte er den Wunsch: „Ich will 105 Jahre alt werden und dann in meiner Stammkneipe mit einem Glas Kölsch in der Hand an der Theke sterben.”

Der Junge aus Zollstock, der erzählt, dass er als Einziger in seiner Straße einen Fußball besaß und dass er, wenn ihm etwas nicht passte, einfach seinen Ball nahm und ging, war schon immer ein ganz eigener, besonderer Typ. Ein Linksaußen eben. Der Mann, der durch seine Flanke auf Helmut Rahn den Triumph von Bern ermöglichte, hat Fußballgeschichte geschrieben. Und dennoch kennen viele junge Menschen den Namen des wahrscheinlich besten Linksaußens aller Zeiten heute nicht mehr.

Gespräch mit Nationalspieler Horst Eckel, 1. FC Kaiserslautern, über Hans Schäfer

Herr Eckel, Sie waren Zimmerkollege von Hans Schäfer während der WM 1954 in der Schweiz.

Horst Eckel: Ja, Hans Schäfer hat mit mir bei der WM in der Schweiz in einem Zimmer gewohnt. Ich war damals das Greenhorn im Aufgebot, und Sepp Herberger hat mich gebeten, auf den Hans aufzupassen, damit er bei den Treffen mit seiner Frau unsere sportlichen Ziele nicht vergisst (lacht). Es war eine schöne Zeit.

Was war das für eine Beziehung zwischen Hans Schäfer und Ihnen im Trainingslager damals?

Horst Eckel: Wir waren Sportkameraden und wollten zusammen gewinnen. Der Hans hätte von sich aus schon alles getan, um optimal für die Spiele vorbereitet zu sein. Wir haben uns an die Ansagen des Chefs gehalten, obwohl im Übrigen nicht alle Hinweise und Anordnungen vom Chef auf Punkt und Komma sinnvoll waren, wie sich im Nachhinein erwiesen hat. Das strikte Verbot, während des Spiels zu trinken, war im Grunde unserer Fitness nach heutigen Gesichtspunkten nicht unbedingt dienlich.

Inwieweit haben Sie Ihren Stubenkameraden Hans Schäfer denn unterstützt, damit er sich mit seiner Frau Isis treffen konnte?

Horst Eckel: Das musste ich nicht. Der Trainer hat das geduldet. Und Hans hat das Vertrauen des Trainers gehabt. Er war ein Sportler durch und durch. Ich habe mich diskret zurückgezogen, wenn der Hans sich mit seiner Frau getroffen hat.

Sind Sie heute noch mit Hans Schäfer befreundet?

Horst Eckel: Wir haben so gut wie keinen Kontakt mehr. Das liegt auch daran, dass der Hans sauer auf den DFB ist. Er hat sich vom DFB nicht gut behandelt gefühlt. Da war ein Vorfall auf Fritz Walters Geburtstag. Der DFB hat Hans Schäfer und dessen Frau und auch andere ehemalige Nationalspieler und deren Frauen wohl nicht so recht beachtet.

Mit Helmut Rahn hingegen habe ich noch Kontakt bis kurz vor dessen Tod gehabt. Es ging ihm nicht gut. Er war ein gutmütiger, offener Kerl bis zuletzt. Die Medien sind lange Zeit nicht gerade fair und freundlich mit ihm umgegangen.

Wie beurteilen Sie die fußballerischen Fähigkeiten von Hans Schäfer?

Horst Eckel: Hans Schäfer war zu seiner Zeit, zumindest aber in der Zeit von 1954 bis 1958, einer der besten Linksaußen im internationalen Fußball. Er hatte alles, er konnte alles, war ungeheuer dynamisch, körperlich durchsetzungsfähig, spielerisch gewitzt, mit allen Wassern gewaschen, ein Vorbild auf dem Platz, mit ständiger Präsenz und großer Torgefährlichkeit. Hans Schäfer war selbst in den ersten Bundesligajahren noch immer ein überragender Regisseur seines Heimatvereins. Es gab nur wenige vergleichbar starke Stürmer in der Bundesliga. Ich zähle ihn zu den besten Spielern seiner Generation.

Anmerkung des Autors:

Das Gespräch wurde im Rahmen einer Medienveranstaltung im Jahr 2008 in Baden-Baden geführt und im Anschluss an die Veranstaltung aufgezeichnet.

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