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Wie alles anfing

Die Linksaußen Hermann Fischbach und Hartmut Immel

Seit mein Vater mich, als ich noch ein kleiner Junge war, Mitte der fünfziger Jahre mit zum Fußballplatz meines Heimatdorfes in der oberhessischen Bezirksklasse geschleppt hat, übt dieser Sport auf mich eine Faszination aus wie nur ganz wenige andere Dinge in meinem Leben. Und von allem Anfang an mochte ich unter allen Spielern, neben den Torhütern, die Flügelstürmer der Mannschaften, für die ich mich begeisterte.

In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war das Fußballspiel noch von starren Positionen geprägt. Schon im Jugendfußball hatte jeder Spieler seinen ihm zugeordneten Platz. Wer seine Position verließ, wurde von Trainern und Betreuern sofort zurückbeordert. Ein Linksaußen hatte vorne links an der Seitenauslinie seinen Aktionsraum, und dort harrte er aus, bis der Ball kam. Ein rechter Verteidiger verteidigte hinten rechts, und wehe, er wagte sich aus der eigenen Hälfte heraus! Im Fußballspiel in Deutschland war die Abwehrarbeit der Manndecker über Jahrzehnte hinweg das oberste Prinzip der Taktik.

Doch die Lieblinge der Zuschauer waren schon immer die Stürmer und die Dribbler. Mein allererster Lieblingsspieler in der Elf des Bezirksligisten SV Eckelshausen hieß Hermann Fischbach. Er war damals 22 Jahre alt und von Beruf Bäckermeister, und seine Position war die des Linksaußen. Gespielt wurde in jenen Jahren im klassischen WM-System, das den Fußball der fünfziger Jahre in allen Spielklassen beherrschte, bei den Amateurvereinen und in den Oberligaklubs gleichermaßen und uneingeschränkt.

Hermann Fischbach, im schwarz-gelben Trikot des SVE, hätte noch ein paar Klassen höher spielen können, wenn er bereit gewesen wäre, den Verein zu wechseln. Er war der Flankengott und der Torjäger unseres Dorfvereins, aber schon bei seiner Ausbildung zum Meister, als er im 15 km entfernten Gladenbach arbeiten musste, hatte er Heimweh. Er wollte nie weg von zu Hause. Unsere Nummer 11 stand nicht links an der Außenlinie und wartete, bis er angespielt wurde. Er flitzte die Linie auf und ab, und wenn die Bälle aus der Verteidigung, der Läuferreihe oder von den Halbstürmern nicht kamen, dann holte er sich das Leder am eigenen Strafraum und wetzte breitbeinig und unwiderstehlich nach vorne, und in Höhe des Sechzehnmeterraumes flankte er den Ball nach innen auf seinen genialen Partner Helmut Dersch, und dann klingelte es im Kasten der Gegner. Unser Linksaußen war ein Laufwunder, er war ein Sprinter und ein Mittelstreckler zugleich, er hatte eine Lunge wie ein Gaul, er war schnell im Antritt, flugs im Tempowechsel, er war trickreich, ein Dribbler und er hatte einen guten Schuss. Der Linksaußen des SV 1911 Eckelshausen war nebenbei ein Mann für alle Fälle, der Trainer konnte ihn auch im Tor aufstellen, da stand er genauso seinen Mann wie als Stopper oder Verteidiger. Er konnte links wie rechts schießen, und an Härte fehlte es ihm ganz bestimmt nicht.

Eines allerdings, was dem typischen Linksaußen nachgesagt wird, fehlte Hermann Fischbach, dem Mann, von dem hier die Rede ist, völlig. Er war außerhalb des Fußballfeldes ein ganz normaler Mensch und damit, nach Einschätzung vieler Freunde des Fußballsports, eigentlich kein Linksaußen, wie er im Buche steht.

Hermann Fischbach ist im Alter von 78 Jahren im Sommer des Jahres 2013 gestorben. Er hat von Jugend an in der Backstube gestanden, zunächst als Gehilfe seines Vaters, später als Bäckermeister mit seinen beiden Söhnen Gerd und Dieter, die beide ebenfalls überragende Fußballer waren, wie ihr Vater. Und wenn er nicht in der Backstube stand, dann war er auf dem Fußballplatz zu finden. Hermann Fischbach war ein fröhlicher und allen anderen Menschen zugetaner Mann. Seine Frau Adele, Haushaltshilfe beim Dorfpfarrer, hatte er am Fenster des Pfarrhauses beim Schwätzchen kennengelernt. Sie waren sechzig Jahre einander treu und fest verbunden.

Nur auf dem Sportplatz konnte Hermann, der Mann, den sie im Dorf den „Bäcker-Hermann” nannten, in Rage geraten. Er regte sich schnell über die Schiedsrichter auf. Schwache Schiedsrichter waren die einzigen Lebewesen, die ihn aus der Ruhe bringen konnten.

Unmittelbar bevor Hermann Fischbach starb, habe ich ihn noch einmal an einem Samstag im Juli besucht. Der Held meiner Kindheit lag blass und dünn in einer schwarzen Trainingshose auf seinem Sofa. Er erzählte nichts mehr aus den alten Zeiten. In seinen letzten Tagen war der Fußball zu einer Nebensache geworden. Hermann Fischbach erzählte mir in unserem letzten von unzähligen Gesprächen, wie er seine Frau kennengelernt hatte, und er erzählte von seinen Söhnen.

An seinem Grab bei der Beerdigung standen nur noch wenige der alten Kampfgefährten. Kein Kranz vom Fußballverein SV Eckelshausen, kein Wort des Abschieds von einem Vertreter des Vereins. Die große Zeit des Fußballers und Linksaußen Hermann Fischbach lag eben auch schon 50 Jahre zurück.

Von jeher wird Torhütern und Linksaußen nachgesagt, dass sie ganz besondere Menschen sind, manche sagen sogar scherzhaft und liebevoll, erstklassige Torhüter und Linksaußen müssten ein Ding an der Klatsche haben. Vielleicht habe ich mich aus genau diesem Grund und wegen des überragenden Fußballers Hermann Fischbach aus meinem Heimatdorf im hessischen Hinterland von jeher ganz besonders für die Linksaußen interessiert.

Meine eigene „Karriere” als Fußballer begann im Alter von zehn Jahren in der C-Jugend des SV 1911 Eckelshausen, damals einem der führenden Fußballvereine im Kreis Biedenkopf. Ich spielte als einer der Jüngsten in der Mannschaft zunächst immer auf der Position des rechten Läufers. Der überragende Spieler unserer Jugendmannschaft, die in zwei aufeinanderfolgenden Jahren das Endspiel um die Kreismeisterschaft erreichte, war mein späterer Schulfreund Hartmut Immel, Sohn eines Lehrers aus dem Nachbardorf Wolfgruben. Er spielte Linksaußen, und er spielte diese Position, als hätte er sie neu erfunden. Hartmut Immel war ein Dribbler vor dem Herrn, er spielte andere Jungen schwindelig, er führte den Ball eng am Fuß und hatte einen granatenmäßigen Schuss mit dem linken Fuß. So ein glänzender Fußballer wäre man auch gern gewesen.

Doch es gab durchaus auch andere „Männer” auf dem linken Flügel in unserem Dorf, damals, die mein Bild von dieser Position des Linksaußen im Fußballgeschehen prägten. Gut anzusehen, rein äußerlich, immerhin der bärtige „Wesse Heinz“, der zur See fuhr und immer dann, wenn er in Eckelshausen ein Wochenende verbrachte, in der Reserve Linksaußen spielte. Auch er ein Linker, schnell und begabt am Ball, doch bei Weitem nicht so effektiv wie etwa der „Bäcker-Hermann”.


Hermann Fischbach, dritter von rechts, in der Begegnung VfL Biedenkopf – SV Eckelshausen, 30.4.1958.

Meistens aber war auf der Linksaußen-Position der 2. Mannschaft der Spieler Herbert Bertram zu sehen. Er kam mir vor, als sei er der langsamste Linksaußen der Welt. Er drehte sich im Zeitlupentempo. Wenn er den Ball zugepasst bekam, dauerte es eine Ewigkeit, bis er sich nach vorne in Marsch gesetzt hatte, aber meistens hatten ihm seine Gegenspieler das Leder innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde wieder abgenommen. Nicht alle Linksaußen waren Meister ihres Faches.

Die Position des Linksaußen ist die einzige innerhalb eines Mannschaftsgefüges, auf der ich – neben der des Spielmachers auf halblinks – in den mehr als 20 Jahren meiner aktiven Zeit nie selbst gespielt habe, abgesehen von einem einzigen Freundschaftsspiel.

In jeder besseren Fußballmannschaft war der Linksaußen früher ein absoluter Spezialist, der von Kindesbeinen an diese Position besetzte und dort spielte, von der D-Jugend bis zu den Seniorenmannschaften, fast immer ausgestattet mit einem starken linken Fuß, spritzig, pfeilschnell und gewandt am Ball.

Kein Rechtsfuß spielte früher in einem gutklassigen Team dauerhaft auf der Position der linken Spitze. Doch ein linker Fuß allein reichte nicht aus, um es auf dem linken Flügel zu etwas zu bringen. Es gab und gibt eben im Amateurfußball auch unendlich viele Spieler, die zwar primär den Ball mit links treten, weil sie Linksfüßer sind (so wie es eben auch Linkshänder gibt), denen es aber sowohl an Technik und Ballbehandlung fehlt, wie auch an der erforderlichen Spritzigkeit, und die daher dann zumeist in den Jugendmannschaften und im Amateurfußball in der Verteidigung landeten.

Bei fehlender Schnelligkeit, aber zugleich vorhandenen technischen Fertigkeiten, bot sich für solche Spieler die Rolle des linken Läufers, später die des Mittelfeldspielers oder Spielmachers an.

Im modernen Fußball nun gibt es die klassische Rollenverteilung nicht mehr. Wie sich die Taktik und die Strategie im Fußball verändert haben, warum es den Linksaußen des WM-Systems und des 4-3-3 nicht mehr gibt, wieso sich im Laufe der Jahrzehnte eine völlig neue Variante in der Gestaltung der Position des Linksaußen entwickelt hat und warum wir dennoch getrost davon ausgehen dürfen, dass der Fußballsport sich viel weniger verändert hat, als uns alle Fußballtheoretiker dieser Welt gerne weismachen wollen, das soll hier erläutert werden, und auch, welche einzelnen Spielerpersönlichkeiten die Position der Nummer 11 zu etwas ganz Besonderem im Fußballsport gemacht haben.

Die von mir in diesem Buch vorgenommene Auswahl der besten Flügelflitzer der Welt auf linksaußen ist eine sehr subjektive. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder gar „Richtigkeit“, und sie beinhaltet eine Handvoll Spieler, die als herausragende Fußballer den großen Sprung in die Bundesliga oder den internationalen Fußball nicht oder noch nicht geschafft haben. Für manche Fans und für mich aber waren und sind sie trotzdem Helden.

Außergewöhnliche Spielerpersönlichkeiten und Charaktere prägen das Bild der Spezialisten auf dem linken Flügel, und wahrscheinlich gibt es neben den Torhütern und den Spielmachern, also den klassischen „Zehnern“, kaum eine Position innerhalb einer Mannschaft, die die Fans im Laufe der Geschichte des Fußballs so sehr fasziniert hat wie die des Linksaußen. Während die Verteidiger und andere Defensivkräfte im traditionellen Fußball das eigene Tor absichern, den Spielaufbau der gegnerischen Mannschaft blockieren und zerstören und sich von daher auf die destruktiven Aspekte des Fußballsports konzentrieren müssen, beleben die offensiven Spieler die Strategie des Spiels über mehr als ein Jahrhundert hinweg durch ihre eindeutige Ausrichtung all ihrer spielerischen Fertigkeiten auf das Erzielen eines Tores.

Im Mittelpunkt des Zuschauerinteresses stehen daher nicht immer und ausschließlich die Spielmacher-Persönlichkeiten, die dem Spiel ihren Stempel aufdrücken, sondern auch diejenigen Spieler, die die Tore unmittelbar vorbereiten und selbst erzielen. Das waren früher die Außenstürmer auf rechts und links und der Mittelstürmer, das sind heute die Männer auf den Außenbahnen und in der Spitze. Überdurchschnittliche Spieler auf diesen Positionen prägen den Fußball und das Spiel ihrer Mannschaft. Schnelle Flügelflitzer, fintenreiche und elegante Dribbler, Goalgetter, die beim Abschluss nicht lange fackeln: Das wollen die Fans sehen.

Mein Buch über die besten Linksaußen der Welt soll zeigen, wie sich der Fußball auf der Position des linken Außenstürmers im Laufe der Jahrzehnte verändert hat und welche Menschen und Spielerpersönlichkeiten ihn in den unterschiedlichsten Vereinen und Ländern der Welt rund um den Erdball prägten. Zugleich ist es ein Versuch, die Frage zu klären, ob es den klassischen Linksaußen in der Welt des Fußballs überhaupt noch gibt und ob es ihn jemals wieder in seiner einstigen Prägung geben wird.

Interview mit Hermann Fischbach, Linksaußen einer Amateurmannschaft 1950-1975

Hermann, du hast über zwanzig Jahre als Linksaußen in Amateurmannschaften gespielt. Wie sah damals das Fußballtraining im Amateurfußball aus?

Hermann Fischbach: In unserem knapp 800 Einwohner zählenden Dorf spielte fast jeder halbwegs sportliche junge Mann Fußball. Sonst hätten wir keine zwei Mannschaften zusammenbekommen. Die Qualitäten der einzelnen Spieler und deren technische Fähigkeiten waren sehr unterschiedlich. Wer allerdings in der ersten Mannschaft spielen wollte, musste zumindest konditionell auf der Höhe sein. Deshalb stand im Vordergrund des damaligen Trainings die Konditionsarbeit. Wir sind ganz oft 10 km und mehr am Stück gelaufen, und die am Ball weniger begabten Spieler waren oft diejenigen mit der meisten Luft.

Was wurde am Ball und mit dem Ball geübt?

Hermann Fischbach: Das, was man heute in fast allen Mannschaften der Welt auch macht, Standards trainieren wie Freistöße und Ecken, Schulung des Zweikampfverhaltens, Förderung der Antrittsschnelligkeit, Sprints über kurze Strecken, Kopfballschulung, Flachpassspiel, Beweglichkeit und immer wieder Kondition.

Was unterschied den damaligen Fußball von dem der Gegenwart?

Hermann Fischbach: Zunächst einmal die Athletik. Früher spielten auch Spieler, die aufgrund ihrer mangelnden Fitness heute nicht mehr mithalten könnten. Fußball ist heutzutage mehr denn je ein Laufspiel. Ohne Schnelligkeit und Kondition geht es nicht mehr. Auch in den unteren Klassen kann ein Standfußballer keinen Beitrag mehr für eine Mannschaft leisten. Es gab früher viele Spieler im Amateurfußball, die am Ball nicht schlecht waren, aber keine Laufbereitschaft zeigten. Umgekehrt galt das genauso: Häufig waren Fußballer bei den Amateuren mehr Dauerläufer oder Sprinter als irgendetwas anderes. Das gibt es heute nicht mehr, vor allem nicht im höherklassigen Bereich. Gewisse Mindestvoraussetzungen muss ein ambitionierter Spieler heutzutage sowohl in der Ballbeherrschung wie auch im läuferischen Bereich mitbringen.

Und wie hat sich die Taktik in den letzten Jahrzehnten verändert?

Hermann Fischbach: Früher war das Spiel Mann gegen Mann in allen Klassen Gesetz. Der Verteidiger hatte seinen Gegenspieler auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Die Sturmspitzen rechts, links und in der Mitte blieben in aller Regel bei gegnerischen Angriffen vorne stehen und warteten an der Mittellinie, bis die eigene Mannschaft wieder im Ballbesitz war. Erst dann ging die Post wieder ab. Es kam auch nicht oft vor, dass Positionen gewechselt wurde. So viel Fantasie war damals nicht gefragt beim Fußballspielen.

Und wie hast du dein Fußballspiel im Laufe der Jahre auf dem linken Flügel entwickelt?

Hermann Fischbach: Ich war ein atypischer Linksaußen. Weil ich vom Torwart bis zur Nummer 11 eigentlich alles schon einmal gespielt habe, ging ich bereits in meiner Zeit als Jugendlicher mit zurück, wenn es sein musste. Gegen starke Gegner habe ich defensiv gespielt, aber in all den Jahren war mein Platz vor allem an der linken Außenlinie, immer dann, wenn zum Sturm geblasen wurde.

Was macht einen guten Linksaußen aus?

Hermann Fischbach: Schnelligkeit, Ballbeherrschung, Übersicht, beidfüßiger Abschluss, Fantasie. Das gilt heute, und es galt vor fünfzig Jahren. Ich bin im Übrigen sicher, dass der Fußball nicht „stehen bleibt“, sondern dass er sich fortlaufend ändert. Und irgendwann könnte auch einmal wieder ein Linksaußen gefragt sein, der ausschließlich vorwärts agierend dem Spiel den Stempel aufdrückt. Ribéry, Robben und Reus sind drei Spieler, die dem, was vor Jahrzehnten als „klassischer Außen und Linksaußen” bezeichnet wurde, sehr nahekommen. Es wird überhaupt sehr viel über Fußball geredet und geschrieben, vor allem über Strategie und Taktik, dabei unterscheiden sich viele Systeme und viele Spieler heutzutage nur unwesentlich von dem, wie früher eine Mannschaft eingestellt wurde. Der wesentliche Unterschied scheint für mich im Vergleich zu früher darin zu liegen, dass die Anforderungen an gute, höherklassige Spieler in puncto Kondition und Kraft enorm gestiegen sind.

Anmerkung des Autors:

Hermann Fischbach starb im Sommer des Jahres 2013 an einer Krebserkrankung. Neben seiner Familie und seinem Beruf gehörte dem Fußball und seinem Heimatverein, dem SV 1911 Eckelshausen, sein ganzes Herz. Zu seiner Zeit war er sicher einer der besten Linksaußen in Oberhessen. Das Interview wurde kurz vor seinem Tod geführt.

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