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|16|Drei Irrtümer
ОглавлениеIn Europa kennen wir aus der Antike das römische Straßensystem, das die verschiedenen Teile des Römischen Reiches über viele tausend Kilometer hinweg verband und die Grundlage dieses Reiches darstellte. Diese Staats- und Heerstraßen dienten nicht allein dem Handel zwischen den Provinzen, sondern vor allem dem schnellen Transport von Militäreinheiten und der Sicherung der oft bedrohten Grenzen (etwa in Deutschland entlang des Limes). Die römischen Straßen waren gepflastert, Meilensteine dienten der Orientierung.
Auch die beiden großen Straßen im südamerikanischen Inkareich (die königliche Straße von Cusco nach Quito [ca. 3000 km] und die längere Küstenstraße) waren in der Ebene breite, gepflasterte Straßen, in schwierigem Berggelänge aus dem Felsen gehauene Pfade, die eindeutig erkennbar waren und deshalb zu Recht als »Straße« bezeichnet werden konnten.
All das trifft auf die Seiden»straße« nicht zu. Vielmehr müssen hier drei Irrtümer korrigiert werden:
• Die Seidenstraße war keine Straße, erst recht keine ausgebaute und gepflasterte Verbindung. Es handelt sich hierbei um ein Netz von Handelsorten und Karawansereien quer durch Asien, zwischen denen sich die Karawanen frei bewegten (meist wohl durch örtliche Führer geleitet). Es war also kein vorgegebener Weg, keine »Straße« im eigentlichen Sinn, sondern eine Vielzahl von offenen Handelswegen durch Steppe und Wüste und anderes unwegsames Gelände.
• Die Seidenstraße bestand nicht aus einem Weg, sondern war ein unübersehbares Netz verschiedenster Wege (vgl. die vereinfachte Darstellung im Vorsatz/Nachsatz dieses Buches). Solche Wege veränderten sich je nach den politischen, aber auch geografischen Gegebenheiten. Als – um ein Beispiel zu nennen – die südliche Umrundung der Wüste Taklamakan durch zunehmenden Wassermangel schwieriger wurde, wurde die Nordumgehung bedeutungsvoller (vgl. Seite 76f.). Es gab Wege der Seidenstraße, die nördlich von Aralsee und Kaspischen Meer über Südrussland das Schwarze Meer erreichten, aber es gab auch Wege durch das Bergland von Afghanistan. Die meist genutzte Route allerdings ging von Kashgar |17|aus durch das heutige Kirgistan, Usbekistan, Turkmenistan und Iran. Dort verzweigte sich der Weg in den direkten Weg zum Mittelmeer über Bagdad, Palmyra und Aleppo. Oder der Weg verlief, wenn die politische Situation anderes nicht zuließ vom Iran aus nach Norden, querte Armenien und das heutige Georgien bis zum Schwarzen Meer. Nicht eine Straße also, sondern viele Wegmöglichkeiten, sodass man nicht von einer »Seidenstraße«, sondern von »Seidenstraßen« oder »Seidenwegen« sprechen sollte.
Kamelkarren in Xinjiang, China
• Auf den Seidenstraßen wurde zwar als wichtigstes und kostbarstes Gut chinesische Seide von Ost nach West transportiert aber auch viele andere Güter in beide Richtungen (vgl. Seite 28f.). Neben der Bedeutung als Handelsverbindung wurden die Seidenstraßen in der Verbindung von China nach Europa auch zum »Transportweg« vieler Ideen und Erfindungen (vgl. Seite 30f.), in der Verbindung vom Vorderen Orient und von Nordindien zum Weg unterschiedlicher Religionen (vgl. Seite 32–35f.).
Die Seidenstraße war mithin ein Wegenetz, das den Austausch von Ost (China), West (Europa) und Süd (Indien) ermöglichte und damit Geschichte schrieb, die die großen Kulturen Asiens und Europas bis heute prägt.