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|9|Wo Ost und West sich begegnen

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»Kaiser, Könige und Fürsten, Ritter und Bürger – und ihr alle, ihr Wissbegierigen, die ihr die verschiedenen Rassen und die Mannigfaltigkeit der Länder dieser Welt kennen lernen wollt – nehmt dieses Buch und lasst es euch vorlesen. Merkwürdiges und Wunderbares findet ihr darin, und ihr werdet erfahren, wie sich Groß-Armenien, Persien, die Tatarei, Indien und viele andere Reiche voneinander unterscheiden. Dieses Buch wird euch genau darüber unterrichten, denn Messer Marco Polo, ein gebildeter edler Bürger aus Venedig, erzählt hier, was er mit eigenen Augen gesehen hat.«

So beginnt der Reisebericht, den der venetianische Kaufmann Marco Polo (1254–1324) im Jahr 1299 in genuesischer Gefangenschaft seinem Mitgefangenen Rustichello da Pisa diktierte und der im deutschsprachigen Raum unter dem Titel »Die Wunder der Welt« bekannt ist. Von 1271–1295 war Marco Polo mit seinem Vater und seinem Onkel auf der Seidenstraße und in China unterwegs (vgl. Seite 44f.). Durch seinen Bericht wurde der große Handelsweg zwischen Europa und China ins Bewusstsein der europäischen Völker gehoben.

Doch die Geschichte dieses Wegenetzes, das erst 1877 vom deutschen Forscher Ferdinand von Richthofen (1833–1905) »Seidenstraße« genannt wurde (vgl. Seite 18f.), ist viel älter. Sie beginnt spätestens mit dem chinesischen Entdecker und kaiserlichen Gesandten Zhang Qian (195–114 v. Chr.), der im Auftrag von Wudi (156–86 v. Chr.), des bedeutendsten Kaisers der Han-Dynastie, nach Westen geschickt wurde, um dort Partner gegen die Xiongnu zu suchen, des nomadischen Volkes nördlich von China, das immer wieder das chinesische Reich durch seine überraschenden Raubzüge bedrohte. Zhang Qian reiste zweimal nach Westen: Von 139–126 v. Chr. kam er entlang der Wüste Taklamakan (vgl. Seite 68f.) bis ins Fergahanatal (vgl. Seite 116f.) und nach Baktrien in das Gebiet des heutigen Afghanistan, Usbekistan und Turkmenistan. Seine zweite Reise führte ihn von 115–114 v. Chr. wiederum ins Ferghanatal in das Gebiet Sogdiens (heute Kirgistan und das östliche Usbekistan). Zhang Qian verfasste über beide Reisen einen ausführlichen Bericht, in dem er |10|die vielen Völker und Kulturen, die er kennen lernen konnte, genau beschrieb. Sein Fazit der beiden Reisen gibt die Bedeutung der Handelswege von China nach Westen wieder: »Aus dem Wissen des anderen kommt uns die Erkenntnis des eigenen Lebens.«

Das ist neben Handel, Technik, Erfindungen und Religionen, die über das Netz der Seidenstraße zwischen Ost und West wanderten, wohl die wichtigste Bedeutung dieser zentralen Verbindung von Asien und Europa: Wo Ost und West sich treffen, wo Asien und Europa sich austauschen, wo sich die vielen Völker Ost-, Zentral- und Vorderasiens mit denen Europas begegnen, da findet nicht nur Handel und Austausch von Gütern statt, sondern da wächst ein besseres Verständnis des Lebens der anderen. Ein solches Kennenlernen anderer Völker und Kulturen ist eine Bereicherung auch des eigenen Lebens. Die Seidenstraße ist eine Brücke zwischen Ost und West.

Marco Polo war auf dem Hinweg drei Jahre unterwegs, bis er den Hof des Mongolenkaiser Kubilai Khan in Khanbalik, dem heutigen Beijing (Peking) erreichte. Unsagbare Mühen auf dem Weg erforderten viel Zeit, im Winter waren die Wege über die Gebirge unpassierbar. Doch war die Seidenstraße zur Zeit der Mongolenherrschaft zumindest politisch ruhig – vergleichbar der Pax Romana im Römischen Reich erlaubte es die Pax Mongolica den drei Polos, sich ungehindert und sicher auf den weiten Weg von Europa nach China zu machen (den Rückweg legte Marco Polo zum größten Teil auf dem Seeweg zurück).

Zu anderen Zeiten waren die Routen der Seidenstraße aber durch sich bekriegende Völker und durch räuberische Überfälle schwerer zu passieren als zur Zeit der Polos. Vor ihnen unternahmen wohl nur wenige Europäer die weite Reise vollständig. Denn in der Regel wurden die Waren der Seidenstraße nur ein Stück des Gesamtweges transportiert und dann in den großen Handelsorten (wie Palmyra, Chiwa, Samarkand …) an andere Kaufleute weiterverkauft. Allein die Missionare der verschiedenen Religionen aus dem persischen (Manichäismus, Zorostrismus) und nordindischen (Buddhismus) Raum (vgl. Seite 32f.) wanderten unter größten Mühen den ganzen Weg von Zentral- bzw. Südasien nach China. Umgekehrt sind dann ab der Zeitenwende auch buddhistische chinesische Mönche in die Zentren des Buddhismus nach Nordindien gewandert, um dort die zentralen Schriften des Buddhismus zu studieren und mit nach China |11|zu nehmen (vgl. hierzu den Abschnitt »Der Weg nach Nordindien«, Seite 80ff.).

Heute dauert ein Flug von Frankfurt nach Beijing etwa zehn Stunden. Auf die alten Karawanenweg, die die Polos beschritten, sind wir nicht länger angewiesen. Dennoch wird die Seidenstraße von China nach Europa in unserer Zeit als Straßennetz und als Schienenweg wieder neu ausgebaut – dies geschieht vor allem durch die chinesische Regierung. Heute kann man von Europa aus über asphaltierte Straßen nach China fahren. Zusätzlich zur Transsibirischen Eisenbahn, die am Ende des 19. Jahrhunderts von Moskau über Ulan Bator nach Beijing gebaut wurde, soll künftig auch eine chinesische Schnellbahntrasse China und Mitteleuropa verbinden und bessere, vor allem schnellere Handelsverbindungen ermöglichen (vgl. Seite 44f.).

Doch vor allem bleibt die Faszination der Seidenstraße: Unermessliche reiche Güter sind über sie transportiert worden, eine Vielfalt von Erfindungen gelangte aus China nach Europa. Umgekehrt sind die unterschiedlichsten Religionen von West nach Ost gewandert und in China an die dortige Kultur angepasst worden. Mit mehr als 10.000 Kilometern ist die Seidenstraße der längste Handelsweg der Welt. Sie bestand über 1500 Jahre und auf ihr trafen sich Händler und Kaufleute, Mönche und Missionare, Forscher und Entdecker, Krieger und Diplomaten – Asien und Europa, Ost und West.

Der Dichter Heinrich Heine (1797–1856) hat ein Gedichtfragment unter dem Titel »Teleologie«) hinterlassen, das wie folgt beginnt:

»Beine hat uns zwei gegeben

Gott, der Herr, um fortzustreben,

wollte nicht, dass an der Scholle

unsre Menschheit kleben solle.«

Die Seidenstraße ist gleichsam die Umsetzung dieses Spruches – eine faszinierende Welt, ein legendenhafter Weg. Lassen Sie sich mitnehmen auf eine Reise in die Welt der Seidenstraße.

Hermann-Josef Frisch

Die Welt der Seidenstraße

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