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4. Meyrinks Kosmologie

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Marzin arbeitet für Meyrinks Kosmologie drei Punkte heraus, die ich – leicht verändert – an den Abschluss dieser Werkschau stellen möchte.64

Der erste Punkt ist der Okkultismus (statt der Marzinschen Kabbala) als Lehre, der sich durch Meyrinks Werk zieht. In allen Geschichten bezieht sich Meyrink auf irgendwelche okkulten Lehren, nur wandelt er im Laufe der Zeit seine Vorlieben (manchmal ist es die Alchimie, manchmal eben Yoga oder Anthroposophie oder starke christliche Elemente). Meyrink versteht sich als jemand, der versucht, das Wissen um die Magie durch die Literatur den Menschen wieder nahe zu bringen.

Konieczny fasst dies folgendermaßen zusammen: „Der Schriftsteller versucht, die Welt wieder zu verzaubern, und sei es mit dem Bösen, Bizarren, Okkulten.“65 Dieses Literaturverständnis hat Meyrink immer wieder Kritik eingebracht. Jüngst ist diese Kritik von Reiter zusammengefasst worden: „Die bereits bei oberflächliche Lektüre offenkundigen Probleme seines Oeuvres liegt darin, dass in die Texte okkultistische Glaubensmodelle derart stark einfließen, dass ihr Status als ästhetische Literatur und als fiktionale Werke durch didaktische Züge gefährdet wird.“66 Es sollte betont werden, dass ich diese Ansicht nicht teile.

Beim zweiten Punkt geht es um das Verhaftetsein in der Geschichte. Meyrinks Figuren handeln nicht selber, sondern sie sind Ausführende einer Handlung, die sozusagen an ihnen vorbeiläuft, die sie nur noch ausführen können, ohne wirklich auf sie einwirken zu können. Besonders im Golem wird deutlich, dass die Protagonisten nur Spielbälle des Schicksals sind, welches sie selber nicht beeinflussen oder verändern können. Meyrink geht sogar so weit, dass er hinter Kriegen handelnde Mächte sieht, die jenseits unserer menschlichen Ebene liegen.67

Der dritte Punkt ist das individuelle Schicksal als zentrales Thema. Dies scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zum zweiten Punkt zu stehen. Doch während für Meyrink die Geschichte etwas kosmologisches ist (in ihr scheinen überirdische Kräfte zu wirken), ist das individuelle Schicksal rein irdisch.

Der Meyrinksche Mensch ist in seinem Schicksal doppelt determiniert – auf der einen Seite durch seinen Stammbaum, durch den „die Freiheit des menschlichen Willens auf die durch die Ahnen gesetzten Grenzen reduziert wird.“68 Auf der anderen Seite durch die unverständlichen, nur am Rande erfassbaren kosmischen Geschehnisse (wie die kosmische Walpurgisnacht), die sein Schicksal bestimmen. Immer sind es (wie bei den Goldmachergeschichten) geheime Regeln und Beziehungen, die ihre Entsprechung im Leben der Menschen finden. Verschiedene Handlungen verbinden sich (obwohl vorher durch Zeit und/oder Raum getrennt), um am Ende parallel zu laufen, bevor sie einem gemeinsamen Höhepunkt zustreben.

Meyrink spürte die Entfremdung des Menschen von der Welt voraus. Für ihn gab es das hüben der irdischen Welt und das drüben der mystischen Welt (oder, um in Meyrinks Begrifflichkeiten zu bleiben, der jenseitigen Welt69). Doch das höchste Ziel des Menschen ist nicht die Machtentfaltung im hüben oder die esoterische Perfektionierung im drüben, sondern die Synthese beider Welten, der Verbund beider Hälften der Welt. Das Ziel definiert Meyrink am Ende von Das grüne Gesicht eindeutig: „er war hüben und drüben ein lebendiger Mensch.“70

Konieczny äußert dazu: „Die Gesamtheit des irdischen Seins ist eine unabänderliche Kette von Ursache und Wirkung, von schicksalshafter Verstrickung. Was geschieht, geschieht aus einer existentiellen Notwendigkeit heraus, die der einzelne quasi als Fatum, als Schicksal, hinnehmen muss, weil er sie nicht durchschaut (…).“71

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