Читать книгу Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen - Hermann Stehr - Страница 18
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ОглавлениеIn den schönsten Frühlingstagen verwandelt sich die lachende Klarheit des jungen Lichtes ohne erkennbare Veranlassung plötzlich in das unreine Quirlen eines schimmernden Luftstaubes. Dann erblickt man die ganze Welt wie durch angelaufene Fensterscheiben: Alles sieht weicher, müder aus, eine ganz leise Regung der Trauer liegt auf allem, und die Stimmen des süßen Raumes tönen verhüllt, aus Fernen, zaghafter, so wie das Schluchzen der Menschenrede einsetzt, mit einer leidenschaftlich heißen Schwäche.
Gerade dieser Veränderung erlag auch Leonore, die in der Schlafstube sich auf einen Stuhl niedergelassen hatte. All ihre Sicherheit war zitternd, alle Helle unbestimmt, die Klarheit des Tages ihrer Pflichten gesetzlos geworden. Wie in Wolken eingehüllt saß sie. Der lange, gemessene Schritt ihres Mannes ärgerte sie nicht; er klang in ihrem Ohr noch, als er schon außer Hörweite war und verlor sich dann in dem Summen ihres Selbstempfindens wie ein verhauchendes Klingen. — So saß sie, die Hände im Schoß, und die Finger spielten eilig umeinander.
Von Zeit zu Zeit nickte sie langsam, als wisse sie nun alles, und dabei wurden ihre Augen groß:
„Ja, ja . . . das Leben, das Leben . . . ich weeß nie . . . ja, ja! . . .“
Die eintretende Amme störte sie.
„Wo is’n Gustla,“ frug sie in ihrer abgehetzten Manier.
„Ich wer bei ‘m bleiben. — Geh du in die Küche und hilf dr Anna.“
Und als die Amme kaum hinausgequirlt war, polterte das Dienstmädchen mit der Frage herein:
„Soll ich ‘n s ganze Rindfleesch druffsetza?“
„Nein, die Hälfte. Hack’s bei der großen Knoche weg. Das andre leg ein zum Sauerbraten.“
Dann war sie wieder allein.
Draußen fegte der Wind durch die Gassen, der unbändige Wind des Herbstes. Er riß den Leuten die Rede von den Lippen und lief lachend damit fort. Die Wimmerlaute lastgepeinigter Räder versetzten ihn in höchstes Entzücken, daß er sich hinter Häuserkanten tanzend drehte und ihnen nachäffte. Er warf mit Blättern und Sand um sich und schrie ungeschlachte Laute in offene Hausthore.
Das große Griebelsche Haus brummte in seinen Lärm und man wußte nicht, ob aus Ärger oder vor Behagen.
„Das geht ja tolle um,“ dachte Leonore und erhob sich, um nach dem Knaben zu sehen.
Der aber schlief fest, die kleinen Fäustchen gegen die roten Wangen gedrückt.
Bei dem Anblick empfand sie eine Freude, als lege ein weicher Schleier sich wohlthuend über ihren ganzen Leib.
Sie rückte einen Stuhl zum Wagen und langte sich ihr Strickzeug herbei . . . .. Schlingen auf Schlingen hüpften von der glänzenden Nadel — traumhafte Kreislein, die sich lautlos zu einer unendlichen Kette in ihr spannen: . . . .. es ist ein schöner Hügel in einer gesegneten Weite. Die Wünsche blühen wie stille Blumen. Die Blätter der Bäume regen sich sacht. Das goldene Licht tropft von ihnen und sanfte Bäche trinken es mit glänzenden Augen.
Einmal hörtest du ein Lied hinter dem Hügel. Das ist lange her.
Nach Jahren kommst du wieder und sitzest und lauschest.
Alles ist wie immer.
Nur das Lied fehlt.
Aber du bist nicht traurig; denn es hat doch einmal dir geklungen dort hinten und hängt noch immer stumm, mit seiner unnennbar süßen Geberde in der Luft um dich — über den stillen Blüten — den sachten Bäumen — den glänzenden Augen der sanften Bäche — — — traumhafte Kreislein, die sich zu einer unendlichen Kette in ihr spannen: — — — und der Knabe schlief tief.
* * *
Dann kam die Mutter.
Ihre Augen hatten den großen, starren Blick der Sorge.
Leonore erhob sich, ging ihr einen Schritt entgegen, küßte sie still auf die Stirn und lachte froh, so: besorge dich nicht. Dann fiel sie ihr in mädchenhafter Anmut nochmals um den Hals. Diese Umarmung dauerte lange, und ihr stummes Umfangen hatte das Wesen der Offenbarung eines tiefen Geheimnisses.
Plötzlich kam jache Glut über sie, und von ihren Lippen stürzten sich fiebernde Küsse. Dazwischen hauchte die Scham ihres Bekenntnisses: „Mutter! — Mutter! — Liebe, allerliebste Mutter!“
Als sie sich endlich von ihrem Halse losrang, standen ihre glänzenden Augen voll Thränen.
„Nä ha, Lordl!“ konnte die Alte endlich hervorbringen.
„Ach Lordl! — Lordl! — Siehst de; aber der spricht halt immer Lor—la!“
„Das is doch egal.“
„Nein, wenn’s egal wär, da, da . . . wärsch eben egal, da . . .“
„Na ja, solche Tommheit! — Aso is! — Was håst de nu heite wieder mit ’m gemacht!?“
„Was denn?“
„Nu hä, verstell dich nie erscht. Er hat . . . er is doch . . .“
„Er? — er!! — Natürlich. ‚Er’ lauft zur Schwiegermutter wie ein Junge: de hå‘n mrsch Pfadla weggenumma!“
„Nu här åber uf! Wås wellst de denn? — Sol a etwa nie zur Mutter giehn, sol a etwa zu fremda Leita?“
„Ach!“
„Ja, dås is keene Årt nie. Du warscht arm wie a leeres Kuchabrat un er hått‘ålls.“
„Aber wenn ich dir sage, er hat mich geärgert.“
„Wie denn? — Na, wie denn, hä? — Ja, da weeßt de kee Stäubla! Der? dich ärgern? — Du mein! Kee Wåsser kånn der nich betrüba!“
„Här auf Mutter! ‘s is zum Verricktwer’n. Das verstehste nich, merk dirs, das versteh ich blos, ich ganz alleene, denn ich bin sei Weib.“
Bei den letzten Worten richtete sie sich auf und eine tiefe Röte stieg ihr ins Gesicht.
Die Mutter dachte an die „heißen Nerven“ und lenkte ein.
Bald glitt das Gespräch in jenem seichten, sanften Fahrwasser dahin, von dem es getragen wird, wenn Frauen über alles reden.
Darüber erwachte Gustav. Sogleich riß ihn die Mutter aus dem Wagen und wiegte ihn in stürmischer Freude in den Armen:
„Das Tind wird Hungerle haben! — Was für ein Duschele es ufsperrt — ha! — ausdeschlaft? — — — Wie ein Terke . . . wie ein Terke . . . mir . . . mir . . . wart, wart Dustele . . . mir wer’n den Kerl amål aufpacken, daß er sich ausstrabeln kån.“
„Aber nich ganz auspacken, Mutter, er kennde sich erkälten.“
„Ach ‘s is jå wårm hier . . . a muß doch a wing sich ausziehn! — Sieh’ch amål, wie a sich streckt, was fir a langer Kalle dås is!“
„Jesses, aber Mutter, was denkt ‘r denn?“
Leonore ward glührot und deckte eine Windel auf seinen entblößten Unterleib.
„Åber Mädl, du bist doch seine Mutter!“
„Nein, das geht nich, Mutter, nein!“
„Nu mein Gott ‘och a, du bist doch jetze verheirat’t.“ Und sie zog mit Gewalt die Unterlage wieder fort.
Da verließ Leonore flüchtend die Stube.
Die Mutter stand vor einem Rätsel. Ihr Gesicht war tief bekümmert. Langsam, wie eine mühselige, schwere Arbeit, verrichtete sie das Einbetten des Kindes.
„Dås weeß dr Himmel, wås met dem Mädel håt. As, aso . . . nä . . . aso was! . . . Dås weist nie gut. Ich möchts åber um ålls eo der Welt wessa, vo‘ wem die a Kop håt! . . . Mei Mån? . . . nä! . . . oder ich? Du mein och a! . . .“
Sie redete noch immer vor sich hin, als Leonore mit der Amme wieder hereintrat.
Stumm legte die alte Marseln dieser den Knaben in die Arme, und als sie ihrer Tochter die Hand zum Abschied reichte, gab sie ihr ein Zeichen, mit auf den Flur zu kommen.
Als sie draußen standen, ergriff die Alte hastig die Hände des jungen Weibes und indem sie tief in ihr Gesicht schaute, sagte sie in gedämpfter Härte:
„Du, Lordl, bet‘, bet‘! — Das is a biese Fleckla, å dem de stiehst. Bet‘, daß du’s iberkemmst.“
„Mag sein, ich kann nie, Mutter, dås nie; iberhaupt wenn jemand derbei is,“ antwortete sie entschieden.
Bekümmert ging die Alte.
Trotzdem war Leonore in kurzer Zeit wieder in der ruhigen, verhaltenen Stimmung, in den weichen Armen eines verborgenen Liedes.