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IV.

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Inhaltsverzeichnis

Das Leben traf Leonore immer ganz ratlos. Sie schlug wohl mit den Flügeln ihres Wollens; aber das Schicksal kam dann und führte sie ganz wo anders hin, wie einen Vogel, den ein Wetter verschlägt. Dann pochte ihr das Herz in angstvoller Neugier, während sie den Wind des Geschickes in den Segeln ihres Wesens fühlte.

„Heiråta, Mutter?“ frug sie und schüttelte langsam den Kopf, denn sie begriff nichts.

Ein milder Abend lag in dem Bäckerladen, und die gelben Regale, die bis an die Decke reichten, glommen stumpf durch das lichte Dunkeln.

Die Mutter saß hinter dem Ladentisch. Das Mädchen lehnte mit aufgestützten Armen darauf.

„Heiråta . . . .“ wiederholte sie ganz zaghaft.

„Nu ja, du bist doch zwanzich.“

„Åber warum?“

Damit stand sie auf und ging durch den schmalen Raum von der Thür bis zu den Mehlballen an der gegenüberliegenden Wand, ein paar mal.

Die Mutter aber lachte überlegen und schwieg eine Weile.

„Bist du ihm nie gutt?“ frug sie dann.

Leonore stand still und sah sinnend zu Boden.

„Gutt? . . . gutt? . . . .“ und langsam zog sie ihre mageren Schultern in die Höhe: „Ja!“ zweifelnd, unwissend.

Das Abendläuten wachte sanft auf mit dem hohen Singen der kleinen Glocke und dehnte sich dann zu langsamen, feierlichen Atemzügen mit dem vollen Brausen schwerer Glocken.

Beide horchten auf mit gefalteten Händen. Endlich verschwand das Geläut mit einem schwachen Zittern in der Luft.

„Ich dächt’, der Mensch mißt auch Glocka hå’n ein sich,“ begann Leonore wieder.

„Wozu dn dås?“

„Åch, ich weeß eigentlich sälber nie warum; åber ‘s is mr halt aso . . . . . . . nischt thutt leita ein mr . . . .. un warum gråde mich?““

„Dås is halt aso eim Leben. — Håt dei Våter nie mich auch geheirat‘t?“

„Ja, du und dr Våter!“

„Nu, wie is dr denn Mädl?“

„Wenn denn?“

„Wenn er kommt.“

„Da kommt er eben.“

„Und wenn er geht?“

„Auch aso.“

„Nischt weiter? — Nischt? — Auch nischt vo Freede, dåß er gieht?“

„Warum sellde ich mich denn freen? – . . . nä . . . . nischt . . . es mag tomm sein: åber deswejen sagte ich eben vrhin, eim Menscha kennde ‚s doch auch Glocka hå’n“?“

„Nach, komm, Mädl; ich dächt, es thutt schon leita ein dir un . . .“ Die Ladenklingel rührte sich. Ein Käufer trat ein, und die Mutter mußte abbrechen.

Leonore ging durch die andere Thür hinaus.

* * *

Aber die Mutter irrte sich doch. Es waren in dem Mädchen eben wieder einmal jene rätselhaften Schwingungen wach geworden, die aus einer inneren Ferne herbeiwandelten und das Verlangen nach Düften mitbrachten, auf welche ein robustes Leben verzichten muß. Aber alles das hatte nichts zu thun mit dem Verhältnis zu Griebel, ja nicht einmal mit i h r e m Leben. Sie entstanden aus dem Wiederschein ihr selbst verborgener Ideenverbindungen und gingen dann störend durch ihr sichtbares Dasein, welches sie marionettenhaft lebte, ohne jeden Unterton.

Wenn sie sich erhoben, dann schrumpfte ihr alles zusammen, was sie kannte und durchgemacht hatte. Und eine Enge, ein Unfrieden erfüllten sie. Es kam ihr vor, als hänge sie in der Luft. Wie auf weichendem Grunde ging sie, verscheucht, zaghaft, ohne Zweck.

In solchen Stimmungen pflegte sie in die Kirche zu gehen. Das heilte sie wieder zur Ruhe.

Die hohen, dämmernden Bogen; das bunte, ungestört-feierliche Licht; dieser ganze unirdische, fremde Duft, der aus allem floß; diese Maßlosigkeit, nach der alles ausgriff: gab ihr den Glauben an sich zurück, das Gefühl einer großen Macht.

Dann that ihr das Leben nicht mehr weh. Denn ihr Inneres hatte äußeren Halt gewonnen. Nicht durch eine klare Formulierung ihres katholischen Bekenntnisses, sondern dadurch, daß ein breiter, schweigender Strom aus einer inneren Unräumlichkeit ungehemmt in eine äußere sich ergoß.

Zwischen diesen beiden verschimmernden Weiten ging sie mit ängstlicher Neugier und Scheu den unbegreiflichen Pfad ihres Lebens.

An seinen Seiten standen wie Häuser: Stände, Tugenden, Laster, Lebensalter, Träume, Hoffen, Liebe, Ehre, Lehren. Die Menschen gingen ein und aus in diesen Häusern, redeten eine Sprache, deren tiefsten Sinn sie nicht verstand; lachten und ärgerten sich, waren glücklich und verkümmerten.

Sie kannte nichts genau, als nur die Mutterliebe. Dann stieg ein lauter Ton von fester Erde aus ihr und flutete in sie zurück. Das war die einzige Herrschaft in ihr, obwohl auch sie nur einen kleinen Teil ihres unentdeckten Wesens umfaßte. Aber diesem Gebot neigten sich auch alle verhüllt wirkenden Mächte ihrer Seele.

Und da die Mutter es wollte, ließ Leonore sich von Joseph Griebels bebender Hand in das Haus der Ehe tragen. Ein Zittern schüttelte während dessen ihren Leib und ihr Herz.

Davon wuchs das Beben der Männerhand.

Da spürte Leonore, daß ihr eine Macht über den Mann innewohne.

Sie genoß diese vorübergleitende Empfindung wie eine unerklärliche Wollust.

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Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

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