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8. Zu den Maßstäben und Werten
ОглавлениеGanz auf der Linie des reformwilligen – von vielen kirchlichen Amtsträgern inzwischen vergessenen oder im restaurativen Sinne ›uminterpretierten‹ – Zweiten Vatikanischen Konzils28 bekräftigt die katholische Theologin Lydia Bendel-Maidl die Mündigkeit der individuellen Person. Aufgrund seines Gewissens nämlich und aufgrund seiner unmittelbaren Beziehung zu Gott hat jeder Einzelne »teil an einer letzten Verbindlichkeit und Würde«, die von der Kirche unbedingt »zu achten ist (…), selbst im Fall des Irrtums«.29
Das eigene Gewissen also ist die höchste Instanz, der Maßstab meines Verhaltens. Allerdings ist das Gewissen nicht bloß ein vages Gefühl. Vielmehr bedarf das Gewissen der ›Schulung‹, der stetigen Justierung mit Herz und Verstand. Anders gesagt: Die subjektive Gewissensbildung muss sich an bestimmten, überprüfbaren, Kriterien orientieren.
Sinnvoll und absolut angebracht ist somit die Frage: Welche Voraussetzungen müssen in einer guten, in einer ethisch verantworteten Partnerbeziehung erfüllt sein? Ein mit mir befreundeter Jesuitentheologe und Priesterseelsorger gab mir vor Jahrzehnten die folgenden Beurteilungshilfen: Eine intime Beziehung ist gut, wenn sie auf wechselseitiger Liebe beruht, wenn sie für beide Partner eine Glücksquelle ist, wenn sie keinem anderen schadet und wenn die Gottesbeziehung darunter nicht leidet, sondern eher gestärkt wird.
Diese vier Kriterien, die stets neu zu überdenken sind, nehme ich als Seelsorger und geistlicher Begleiter sehr ernst. Ich habe sie mir verinnerlicht und um einen weiteren Punkt noch ergänzt: Eine Paarbeziehung – oder auch eine Seelenfreundschaft30 – finde ich besonders gut, wenn die Hoffnung auf das ewige Leben, wenn die Vorfreude auf den Himmel durch die liebevolle Beziehung der Partner noch vergrößert und neu beflügelt wird.
An dieser Stelle scheint mir eine Zwischenbemerkung erforderlich: Sofern die genannten Kriterien für eine gute Partnerbeziehung erfüllt sind, dürfen auch gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht diskriminiert werden. Man kann solche Beziehungen nicht rundherum verurteilen und als ›Todsünde‹ betrachten. Denn die zuständigen Natur- und Humanwissenschaften belegen ja zweifelsfrei: Es gibt unterschiedliche sexuelle Prägungen.
Jeder Mann und jede Frau muss – wie Wunibald Müller betont – seine/ihre Prägung entdecken und zu dieser Prägung auch stehen.31 Besonders die katholische Kirche wird mit gleichgeschlechtlich geprägten Menschen in Zukunft anders umgehen müssen als bisher: vor allem dann, wenn es sich um Paare handelt, die wechselseitig Verantwortung übernehmen und folglich in einer durchaus eheähnlichen Beziehung leben.
Zurück zur Gewissensbildung: Ob jedes der oben genannten Bewertungskriterien in einer (gleich- oder gegengeschlechtlichen) Paarbeziehung erfüllt ist, wird nicht immer leicht zu beurteilen sein. Es kann da auch Irrtümer und Selbsttäuschungen geben. Sensibilität, selbstkritische Feinfühligkeit, gewissenhaftes Nachdenken sind also angesagt. Aber diese Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit sollten nicht umschlagen in übertriebene, in krank machende Ängstlichkeit.
Schließlich dürfen wir nicht vergessen: Zur Realität des Lebens und jeder Partnerbeziehung gehört auch die Möglichkeit des Versagens und des Schuldigwerdens. Aber auch in diesen Fällen wird es – bei gutem Willen aller Beteiligten – gangbare Wege geben, Wege zu einem neuen Beginn. Denn bei Gott ist Barmherzigkeit und reiche Erlösung (vgl. Ps 130,7)! Freilich sollten auch wir barmherzig sein. Paarbeziehungen – und überhaupt Beziehungen jeglicher Art – können nur gelingen, wenn wir bereit sind, einander von Herzen zu vergeben und immer wieder einen neuen Anfang zu wagen.