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Die Liebe allein versteht

dies Geheimnis,

andere zu beschenken

und dabei selbst reich zu werden.

Clemens Brentano

Einführung

Leben heißt immer in Beziehungen leben. Ich lebe, wenn ich in Beziehung lebe zu mir selbst, zu anderen Geschöpfen, zu Gott. Beziehungen aber können gut sein oder auch schlecht. Leben im Vollsinn können wir nur, wenn wir in guten Beziehungen leben. Anders gesagt: Leben im eigentlichen Sinne können wir nur, wenn wir lieben, wenn wir Gott und die Schöpfung, wenn wir bestimmte Menschen und uns selbst wirklich lieben.

Über die Liebe wurde, auch von mir, schon sehr viel geschrieben. Was Liebe eigentlich ist, ist freilich umstritten. Nicht jeder versteht unter Liebe dasselbe. Ob es eine verlässliche, eine wirklich dauerhafte oder gar eine ewige Liebe gibt, ist erst recht eine Streitfrage. Die Beantwortung dieser Frage wird mit persönlichen Erlebnissen und mit der religiösen Einstellung zusammenhängen.

Wer Gott nie wirklich erfahren hat (oder wer meint, dass er Gott nie erfahren hat), wird wohl nicht an die ewige Liebe und nicht an das ewige Leben glauben. Aber auch der Atheist, der Skeptiker, der an keine unsterbliche Seele, an keine Auferstehung der Toten, an keine Art des Weiterlebens glaubt, wird einräumen müssen: Zumindest als literarisches Thema ist die Liebe unsterblich und unerschöpflich. Für mich als Christ allerdings ist die Liebe als solche die belebende Energie, die göttliche Kraft, die unser Leben unsterblich macht.

Warum nun schreibe ich ein weiteres Buch über die Liebe, warum lässt mich dieses Thema nicht los? Die Antwort ist einfach: Es gibt noch so vieles zu sagen! Ich werde nie an ein Ende kommen, alles was über die Liebe geschrieben wird, bleibt immer ein Stückwerk. Aber gerade das macht die Liebe so schön! Sie hört nie auf, unser Leben zu bereichern, zu erneuern, zu inspirieren.

Ich schreibe gern über die Liebe, weil ich vieles erlebt habe und weil es auf diesem Gebiet stets neue Überraschungen gibt. Die Liebe ist das tiefste Geheimnis des Lebens und das tiefste Geheimnis der Lebensfreude. Sie ist die größte Gabe und die größte Aufgabe des Menschen. Für mich jedenfalls kann es nichts Schöneres geben als Liebe zu schenken und dabei auch selbst sehr beschenkt zu werden. Schon so oft habe ich dies an Leib und Seele erfahren. Ich hoffe, dass dies auch künftig so bleiben wird, dass ich in der Liebe noch wachsen werde und dass in der Ewigkeit Gottes diese Liebe zum endgültigen Ziel kommen wird.

1. Die Realität in der Partnerbeziehung

Nun gibt es bekanntlich sehr viele und sehr unterschiedliche Arten der Liebe. Warum schreibe ich als ›Single‹, als zölibatärer Priester ausgerechnet über die Liebe von Mann und Frau? Warum schreibe ich nicht ausschließlich über die Liebe zu Gott bzw. über die Liebe Gottes zum Menschen?

Ich schreibe gerne auch über die Partnerliebe, weil ich als katholischer Pfarrer, als Seelsorger und Konfliktberater ja nicht auf einem anderen Stern lebe. Ich schreibe über die Partnerbeziehung, weil ich viele Ehepaare (oder Paare, die in einer eheähnlichen Beziehung leben) seelsorglich oder privat sehr gut kenne und weil ich als Theologe der Meinung bin, dass die Partnerliebe von anderen Arten der Liebe – etwa der Seelenfreundschaft, der intensiven Nächstenliebe und vor allem der Gottesliebe – zwar zu unterscheiden, aber nicht wirklich zu trennen ist.

Wenn ich über die ›Partnerliebe‹, ihre vielfältigen Aspekte und Dimensionen schreibe, kann es realistischerweise nicht ausschließlich um die Ehe gehen. Zwar weiß ich als Christ um den hohen Wert der sakramental geschlossenen Ehe, die es zu schützen und zu fördern gilt. Als praktizierender Seelsorger weiß ich aber zugleich, dass es alternativ zur Ehe, zur Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, ja nicht nur die Lebensform der Ehelosigkeit (des freiwilligen oder des unfreiwilligen Zölibats) gibt. Nein, es gibt neben der Ehe auch andere Arten der Partnerbeziehung. Es gibt andere, nichteheliche Formen der Liebe von Mann und Frau. Und es gibt auch die gleichgeschlechtliche Paarbeziehung.

Solche Fakten müssen die christlichen Kirchen zur Kenntnis nehmen. Und sie müssen, über Kritik und Klage hinaus, nach hilfreichen Antworten suchen. Außerdem müssen wir uns der Tatsache stellen, dass eine Ehe (bzw. eine andere Form der Paarbeziehung) auch scheitern kann, dass es oft zu Trennungen kommt und anschließend – oder auch schon parallel zur ›offiziellen‹ Beziehung – zu anderen Bindungen.

Die Möglichkeit des nur unzureichenden Gelingens oder des vollständigen Scheiterns besteht freilich nicht nur bei Partnerbeziehungen und intimen Freundschaften. Sie besteht auch im Falle der Ehelosigkeit als frei gewählter Lebensform. Natürlich kann es sein, dass ein Mann oder eine Frau sich für den Zölibat entscheidet und erst später begreift, dass er/sie diese Lebensform nicht wirklich und nicht glaubwürdig realisieren kann. Ist es dann in jedem Fall Untreue, ist es in jedem Fall ein persönliches Versagen, eine Schuld gegenüber Gott und den Menschen, wenn jemand die Konsequenzen zieht und sich neu orientiert?

2. Die grundlegende Gottesbeziehung

Was mich über solche Fragen hinaus berührt und existenziell bewegt, ist die fundamentale, die philosophisch-anthropologische Frage: Hat die liebevolle Partnerbeziehung, trotz ihrer Gefährdung und trotz ihres potentiellen Scheiterns, ihrem eigentlichen Wesen nach eine Bestimmung zur Dauer, zur Verlässlichkeit, zur Nachhaltigkeit? Ja hat die Partnerliebe – sofern sie echt ist und sich auf Erden bewährt – eine Ewigkeitstiefe, eine eschatologische Relevanz?

Einem Jesuswort zufolge wird es in der Ewigkeit Gottes keine Ehe mehr geben (Mk 12,25). Gilt dieser eschatologische Vorbehalt Jesu nur für die Ehe als einer vorübergehenden Einrichtung, als einer kulturgeschichtlich bedingten Institution? Oder gilt dieser Vorbehalt Jesu auch für jede andere Art der Geschlechterbeziehung? Mit anderen Worten: Ist die Partnerliebe, von den Aussagen Jesu her gesehen, in jedem Fall etwas rein Irdisches und folglich Vergängliches? Auf diese, in meiner Sicht wichtigen und theologisch brisanten, Fragen werde ich – ebenso wie auf die Problematik der Scheidung und Wiederverheiratung – in den folgenden Kapiteln ausführlicher eingehen.

Wie gesagt, mein Thema ist nicht nur die Ehe, mein Thema ist die leib-seelische Partnerliebe in ihren vielen Facetten: die Partnerliebe, die sich ausstreckt nach einem menschlichen Du, die sich verschenkt und die selbst aufs reichste beschenkt wird. Diese – durchaus erotische – Liebe hat eine Tiefendimension, die das Nachdenken und die theologische Erhellung verdient.

Die zwischenmenschliche Liebe und somit auch die Geschlechterbeziehung sehe ich in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Gottesbeziehung.1 Wie eng die Gottesbeziehung und die Geschlechterbeziehung miteinander verknüpft sein können, ist seit langem ein Brennpunkt meines theologischen Fragens und Suchens. So zweifle ich nicht daran: In jeder Krise, in jedem Scheitern liegt auch eine neue Chance, eine Möglichkeit der Heilung und des neuen Beginns! Diese umfassende Chance hat – nach dem Zeugnis der Bibel – ihren letzten und eigentlichen Grund in Gott, der die Liebe ist (1 Joh 4, 8).

Wenn eine Freundschaft, eine Liebesbeziehung, eine Ehe zerbricht, kann es einen neuen Anfang geben. Dieser neue Anfang kann, theologisch gerechtfertigt,2 mit einem anderen Partner gefunden werden. Er kann aber, in manchen Fällen, auch mit dem ›alten‹ Partner gefunden werden. Im Vertrauen auf die unbegrenzte Liebe Gottes jedenfalls kann die irdische Partnerbeziehung, durch manche Niederlagen und manche Brüche hindurch, neu gefestigt und neu belebt werden. Ja sie kann verewigt und vervollkommnet werden im Gottesreich!

3. Die Zielbestimmung der Partnerliebe

Es war für mich eine bedeutsame Entdeckung, dass ich mit dieser – die jetzige Welt überschreitenden – Lebensauffassung durchaus nicht allein stehe.3 Zwar schreiben viele Autoren in erster Linie über die Vergeblichkeit, das Elend, das Scheitern der Liebe. Nicht selten wird dieses Scheitern auch dargestellt in der bildenden Kunst. Eine mögliche Rettung aber, eine innere Heilung der Partnerbeziehung scheint in Kunst und Poesie – zumal in neuerer und neuester Zeit – kein häufiges Thema zu sein. Und eine Transzendenz, eine Ewigkeitsrelevanz der Partnerliebe ist erst recht kein bevorzugtes Motiv.

Man kann auch nicht sagen, dass allen, die über die Liebe schreiben (oder sie künstlerisch darstellen), die Frage nach einem göttlichen Grund der Liebe besonders wichtig sei. Immerhin aber ist mir beim Nachforschen in der Kulturgeschichte eine ansehnliche Reihe von – sehr hochrangigen – Vertreter/innen der Weltliteratur, der Schönen Künste und der Philosophie begegnet, die genau um diese eine besondere Frage kreisen: Gibt es einen göttlichen Urgrund, der der zwischenmenschlichen Liebe – die Freundes- und die Partnerliebe mit eingeschlossen – eine letzte Tiefe, ja einen Ewigkeitscharakter verleiht?

Als Christ darf ich glauben: Der Grund und das Ziel jeder Liebeserfahrung ist Gott. Da Gott den Menschen aber »nach seinem Bilde« erschaffen hat (Gen 1,26 f.) und da Gott selbst, in Jesus Christus, Mensch geworden ist, lassen sich göttliche und menschliche Liebe im Grunde nicht trennen. Eben deshalb brauchen ja alle Menschen, auch »Gott geweihte« Priester und Ordensfrauen, ›intime‹ Beziehungen: das heißt menschliche Wärme und Geborgenheit (die es, wie ich aufzeigen will, auch in Seelenfreundschaften geben kann).

Warum aber kann sich die Liebe, gerade auch die Geschlechterliebe, nicht wirklich abfinden mit der Vergänglichkeit? Ist es nur Dummheit und Trotz, nur kindische Unreife, nur fehlende Einsicht in die Endlichkeit des Lebens? Oder hat das Verlangen nach Ewigkeit, nach »tiefer, tiefer Ewigkeit« (Nietzsche),4 einen ganz anderen Grund? Beruht die Liebe, als Sehnsucht nach Unendlichkeit, auf einem heimlichen ›Wissen‹, auf einer Glaubensgewissheit – begründet im Urvertrauen auf Gott, der das Leben »in Fülle« (Joh 10,10) ist?

Was eigentlich ist das Wesen der Liebe von Mann und Frau? Was ist das Wesen der Liebe überhaupt, unabhängig von ihren unterschiedlichen Arten und Formen? Wo kommt die Liebe her, worauf will es mit ihr hinaus? Diese ›Menschheitsfragen‹ stehen im Fokus der folgenden Buchkapitel. Die irdische Liebe also mit ihren vielfachen Begrenzungen, speziell aber die Partnerliebe mit ihren weitreichenden Unzulänglichkeiten ist mein durchgängiges Thema.

Nicht zuletzt aber steht das Ziel, die tiefere Sehnsucht, die himmelwärts gerichtete Grundbestimmung der Liebe im Blickfeld meiner Betrachtungen. Die eschatologische Hoffnung also, die Hoffnung auf Unsterblichkeit auch der Liebe von Mensch zu Mensch – und von Mann und Frau – ist ein wichtiger Beweggrund für meine Überlegungen.

Für immer und ewig?

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