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Ich, Hildegard Frieda Albertina, hatte ihr wenig Freude gemacht, ihr, der Mutter Frieda Auguste. Da waren ewig neue, endlose, zahllose, familienzermürbende Krankheiten, Tropfen- und Tablettenströme. »Hilde ist dauernd krank«, hieß es. Da war meine Angst, wenn sie weg war, da war meine Angst, wenn sie da war, Angst, sie könnte wieder weggehen. Da war das Rumgestehe an Korridortüren, Angst vor Dunkelheit, Angst vor Alleinsein, vor Vergeßlichkeit. Da waren geschwollene Augen und Gerstenkörner, da waren die Gummibeine der Kinderlähmung, gebrochenes Schlüsselbein, das nicht heilen wollte, Rheuma, das sie und mich schlaflos machte. Nasenbein, das zerschlagen, Kiefer, der operiert, Fuß, der mit Rasierklinge zerschnitten, weil Mutter im Kino und um elf noch nicht zurück. Da war Blutarmut und Blutproben, da war die Geisterbleiche im Gesicht, Schatten unter den Augen, und da war das fröhliche Mitleid der Nachbarn. Und war der Strom des Grauens unterbrochen und ich durfte sie besuchen, mal nachmittags bei Siemens, wo sie in der großen Halle tippte, wo vierzig Schreibmaschinen gleichzeitig schnatterten, wo sie tippte, bis die Schokoladen-, Zigarren-, Schuhmacherladenkette begann – dann fiel ich hin. Fiel auf Stufen, schlug Beulen auf Stirn und anderswo, brachte Schande, Rotz und Schmerz, wo stolzes Vorführen erwartet, erwünscht.

»Es ist schon ein Kreuz mit dem Kind«, sagte sie manchmal, wenn Hoffnung sie verlassen. Und den Großen Ball, den einzigen, hatte ich ihr auch verdorben. Vermiest. Im Kaisersaal war’s, in Lichterfelde, Mutters und Stiefvaters erster gemeinsamer – Mutter langes Kleid, Stiefvater im Dunkelblauen, geputzt, erwartungsvoll, sogar im Taxi. Und dann war Fackelzug für Kinder, Lampions in Dämmerung, Kapelle spielt was von Linke, Eltern klatschen, strahlen, sind stolz, gebläht. Ich steh’ da, seh’ auf Fackel, der Zug macht eine Biegung, seh’ Mutter nicht mehr – Panik. Ein Mann kommt, hebt mich aufs Podium, Licht, Tusch. »Hier ist ein Kind verlorengegangen. Wie heißt du denn?« Unten gluckst’s, kichert’s. »Wie heißt du?« Lauter, schärfer. Weiß nicht. Panik. »Na na«, sagt der neben mir, über mir, »is doch nicht so schlimm.«

Mutter zieht mich herunter – »Herrgott noch mal«, sagt sie, »Herrgott noch mal, kannst du nicht aufpassen?«

Die Kinder stoßen sich an, lachen. Die Großen sehen sich an, lächeln. Stiefvater trinkt schnell ein Bier, muß husten, kriegt Asthmafarbe, lila am lilasten. Wir gehn. Keiner sagt was. Fahren mit Bahn nach Hause, im schwarzen, feierlichen Langen.

Und hübsch war ich auch nicht, weiß Gott nicht, keiner fand mich hübsch, außer Großvater. Die Verkäuferin im Buchladen nebenan hatte gesagt: »Du wirst der Tante Hulda immer ähnlicher« – und obwohl ich Tante Hulda liebte, wollte ich ihr nicht ähnlich sein. Und Mutter sagte zum Stiefvater, so nachts in die Finsternis hinein: »Ein Jammer, daß Hilde nicht hübscher ist.«

Und Stiefvater murmelte gestört-verschlafen: »Na ja, aber ganz interessant sieht sie aus.«

Ein Schlag war das. Der letzte ereilte mich, als Lieselotte aus der Mittelschule mit ihrem Freund ins Kino wollte. Sie nahm mich mit, weil ihre Mutter gesagt hatte: »Allein kommt nicht in Frage.« Der Freund brachte einen Freund, einen mit Pickeln und Schwitzehänden, einen, der seine Backe rieb, die Augen verdrehte, seufzte: »Die Rasiererei macht mich noch wahnsinnig.« Als der Film vorbei war, sagten die drei »Wiedersehn«. Sie ließen mich stehen vorm Kino in der Verdunkelung. Sie sagten Wiedersehn und gingen.

Und Mutter war schön, sehr schön. Sie hatte die längsten, schönsten Beine von Schöneberg und die grünsten Augen, war gesund, war schlank, war zäh, war kräftig, war ohne Angst. Ein bißchen enttäuscht vielleicht, enttäuscht, weil sie so eine helle, hübsche klare Stimme hatte und doch keine Sängerin geworden war. Das Geld für die Ausbildung war nicht da, und um Stipendium betteln – nein, dazu war man eben zu stolz, da wurde man lieber nicht das, was man gern geworden wäre. Sie war preußisch-streng erzogen, und noch mit 23 wurde sie von meiner Großmutter gefragt, ob sie das Kleid, das weiße, die Farbe der sanften Unschuld, zu Recht trüge. Sie trug nicht. Denn sie hatte meinen Vater kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick, und meine Mutter liebte ihn wohl immer noch, als sie 35 Jahre nach ihm starb.

Er hieß Hans Theodor, war groß, war wild, war rastlos, war rothaarig – durcheilte Leben, durcheilte Berufe wie Schnellzüge Stationen – gewann Wettschwimmen gegen die Rheinströmung, gewann Fußballpokale, gewann Amateurboxkämpfe.

War verzweifelt.

Ich hätte ihn gern kennengelernt.

Mit 17 bekam er sein EK II – mit 17 ½ sein EK I. Er hatte sich freiwillig gemeldet, war an der Somme, war in Verdun und war einmal im Bordell. Und als der Krieg vorbei war, rissen sie ihm am Anhalter Bahnhof in Berlin die Schulterstücke runter und die Orden ab – was ihm blieb, war die Krankheit. »Geheilt«, sagte der Arzt nach einem Jahr – »hamSe noch mal Glück jehabt.«

Er konnte sich nicht mehr zurechtfinden in dem nach Kohlrüben riechenden Deutschland. Suchte Kriege, suchte Streit – bis er seine Frieda Auguste traf. Sie heirateten. Packten ein, packten aus, zogen hin, zogen her, führten eine Umzugsehe. Manchmal verdiente er, hatte Auto samt Chauffeur, verlor beides, landete in Ulm. Da kam die nächste große, einmalige, alles bisher Dagewesene in den Schatten stellende Chance: Türkei, eigene Fabrik, Unabhängigkeit. Die vermasselte ich. Mein Auftritt fand im Dezember statt. Mein Vater raste durch die Wohnung, schrie: »Ist ihr Blut in Ordnung, Doktor, ist das Blut auch in Ordnung?« Es war.

Einen Monat später fand Mutter die Spritze. Im Flur war ein Hängeboden, auf dem Hängeboden ein Karton, im Karton die Spritze. Sie fragte ihn: Was soll die Spritze?

Sie ist wiedergekommen, die Krankheit von damals. Ich bin in Behandlung, mache mir die Spritzen, sie sagen, es ginge wieder vorbei.

Es ging nicht. Er bekam Fieber, bekam Angina. Ob das eine mit dem ändern zusammenhing, wußten sie nicht, die Ärzte. Er kam ins Krankenhaus. Mutter auch. Sie hatte eine Blinddarmentzündung. Er lag im zweiten, sie im ersten Stock. Nach zehn Tagen schrie er nach seiner Auguste, sie holten den Pfarrer. Der sprach, ihn sanft bei der Hand nehmend: Mein Sohn, sprach er, es ist Gottes Wille, wir müssen den Weg zu IHM finden, ER wird sich unser annehmen in seiner großen Güte, laß uns beten.

Hans Theodor stand auf, würgte den Trostsprechenden, Sanften, bis er bewußtlos war. Schrie und schrie: Ich bin 28 hab’ eine Frau hab’ ein Kind ein sechs Monate altes Kind es ist nicht wahr es ist nicht SEIN Wille kann nicht SEIN Wille sein du lügst … dann fiel er über den bewußtlosen Pfarrer und starb.

Mutter sagten sie es vier Stunden später. Sie hatten sie einfach vergessen. Sie fuhr mit einer Urne und einer Hängematte, in der ich zwischen zwei Gepäcknetzen schaukelte, zurück nach Berlin zu ihren Eltern. Vom Geld war nichts übrig, sie mußte es in Büros, wie vor der Ehe, verdienen. Großmutter und ich gingen regelmäßig auf den Schöneberger Friedhof, und sie sagte zu mir: »Wenn wir das Grab schön gießen, dann wächst Vater vielleicht wieder, wir müssen uns bis zum nächsten Frühjahr gedulden«, aber im Frühjahr sah der Friedhof und das Grab aus wie immer, und Vater war nicht gewachsen, und ich heulte, bis wir wieder zu Hause ankamen.

Als 1933 die Nazis mit Märschen und Getöse in Berlin einzogen und die Kinder kleine Fahnen schwenkten und Heil Hitler kreischten, sagte meine Mutter: »Ein Segen, daß er nicht mehr lebt, ein Segen, daß er nicht mehr lebt.« Er war Sozialdemokrat gewesen und hatte zwischen seinen vielen Berufen sogar einmal im Reichstag gesprochen; aber davor hätte sie wohl nicht so viel Angst gehabt wie vor seiner Unfähigkeit, einem Streit aus dem Wege zu gehen oder still eine Konsequenz zu ziehen; Fanatismus brachte ihn in Rage, und außerdem hatte er nie etwas gegen eine schöne Keilerei.

Mein Stiefvater ging da bedächtiger zu Werke – er hatte mit Herrn Gold ein Geschäft, und als die Nazis ihm nahelegten, in die Partei einzutreten und Herrn Gold abzuschieben, da fragte er still und treuherzig, wieviel es wohl kosten würde, nicht in die Partei eintreten zu müssen, da er doch Asthma hätte und an den sportlichen Veranstaltungen dieser Gemeinschaft nicht teilhaben könnte. Sie sagten geniert, das läge in seinem Ermessen – da zog er die Brieftasche und legte ihnen freundlich eine Mark auf den Tisch. Am nächsten Tag war er auf Ladensuche.

Er hing auch ungern die Fahne heraus, und der Blockleiter mußte ihn immer wieder verwarnen. Endlich kaufte er eine, die nicht größer als ein Kindertaschentuch war, er wurde wieder verwarnt, und der Blockleiter sagte streng, die Fahne müsse dem Schaufenster entsprechend groß sein. Also kaufte er eine dem Schaufenster entsprechende, die hing aber bis auf den Bürgersteig, und die Leute verhedderten sich darin, und bei einem Windstoß deckte sie ganze Familien zu. Wieder kam der Blockleiter und verlangte eine etwas kürzere – mein Stiefvater wickelte den oberen Teil des Fahnentuches über die Stange, so daß das Hakenkreuz auf dem weißen Rund verdeckt war, und nun hatten wir in der Größe eine vorschriftsmäßige, aber eben nur rote Fahne, die zu der damaligen Zeit auch nicht erwünscht war. Es versammelten sich einige Neugierige um den Laden, die wohl fürchteten, die letzten Nachrichten mißverstanden zu haben, und fragten aufgeregt, was die neue Fahne bedeute. Der Unruhe wurde ein herbes Ende durch den bläulich verfärbten Blockleiter gesetzt, der aber Stiefvater nicht anzeigte, sondern mit drohendem »Wenn mir noch einmal etwas vorkommt …« Stiefvaters Stätte stiller Scherze verließ.

Ich trug immer ein kleines Foto von meinem Vater bei mir, er sah traurig und wütend aus mit seinen tiefliegenden, etwas schrägen Augen, seinem eckigen Kinn und dem weichen Mund, ich sah ihn mir immer an, wenn ich Kummer hatte oder wenn ich mich über etwas besonders freute. Mein Stiefvater war eifersüchtig auf meine stille Fotoliebe, und meine Mutter mußte ihn mit einem liebevollen »Sie ist doch nur ein Kind« besänftigen. Als ich größer wurde, sah sie mich manchmal ganz erschrocken an: »Du lachst wie dein Vater, der bellte auch immer so los und lachte, bis ihm die Tränen kamen.« Ich versuchte meine wilde Lacherei zu bändigen, aber manchmal vergaß ich es, und dann guckte Mutter wieder erschrocken. Wurde blaß – ging weg.

Der geschenkte Gaul

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