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Im Hanseatischen Hof [NACH DEM BRIEFWECHSEL TRAUGOTT-BRENDA]

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Es waren ungewöhnlich warme, wenn nicht heiße Oktobertage, als Traugott in der Tür auftauchte und in den Garten blickte. Brenda schien ihn zunächst nicht gehört zu haben. Sie stand unter dem Apfelbaum, pflückte und probierte die herrlichen Früchte. Auch für Traugott nahm sie jetzt einen Apfel vom Baum und überreichte ihn ihm mit einem anmutigen Lächeln.

»Kann ich Sie kurz sprechen, Fräulein Adelstorff?«

Brenda sah ihn ernst an. »Mit kurz werden wir wahrscheinlich nicht auskommen, Herr Busch. Sie werden mich im Laufe des Gesprächs fragen, ob ich Ihre Frau werden will. Sie werden mir erklären, warum ich zu diesem Zweck in die katholische Kirche eintreten müsse, der ich vor einigen Jahren immerhin mit gutem Gefühl den Rücken gekehrt habe. Die von Adelstorff seien immerhin alter schlesischer und damit katholischer Adel gewesen, werden Sie mir erklären. Sie werden mich wahrscheinlich mit dem Umstand zu überzeugen suchen, dass wir beide jungfräulich in die Ehe gehen werden. Ich erinnere mich, wie Sie in einem früheren Gespräch sehr stolz darauf waren, dass Ihre zukünftige Frau einen unberührten Mann ehelichen werde (was ja heute eher ungewöhnlich ist). Sie haben das in der Beichte auch bekräftigt, wie sie mir vertraulich gestanden haben. Das Gebot der Keuschheit ist ein wichtiger Grundsatz in Ihrem Glauben. Ich bewundere Sie, dass Sie derart glaubensfest sind. Aber gerade deshalb müssen wir es bei Freundschaft belassen.«

Traugott zitterte und schwieg.

»Ich kann das nicht glauben«, murmelte er schließlich. »Es hängt – so befürchte ich – wohl doch mit dem Dingsda zusammen. Sie haben ja recht, dass keine Frau so etwas ertragen mag. Was ist denn so schlimm daran, wenn ich mir die Disziplin abringe und unberührt in die Ehe gehe? Ich bin nun einmal so erzogen. Ich hätte zur Hure gehen können, aber da hätte ich mir womöglich nur eine Krankheit eingefangen. Gott hat uns Gesetze aufgegeben. Warum sollen wir nicht nach seinen Geboten zusammenleben?«

Sie nickte ihm zu. »Haben Sie schon einmal eine nackte Frau gesehen?«

Traugott schluckte. »In Frankreich, vor sechs Jahren. Die Résistance hatte drei Frauen beschuldigt, mit den Deutschen zusammengearbeitet zu haben. Sie waren brutal hingerichtet worden und wurden – so wie Gott sie erschaffen hatte – kopfüber aufgehängt.«

Sie schwiegen, bis Brenda sagte: »Ich mache jetzt vielleicht einen großen Fehler. Aber ich möchte Ihnen zeigen, wie ich wirklich bin, und dass mich der Dingsda überhaupt nicht stört. Ich lade Sie für heute Abend ein. Ich habe frei und führe Sie dorthin, wo ich arbeite und mein Geld verdiene. Dort wo wir hinfahren werden, bezahlt der Herr für die Dame. Deshalb werde ich Sie mit einigen Scheinen ausstatten. Und Sie haben hoffentlich noch ihren Anzug im Schrank, den Sie für die Prüfung getragen haben. Eine Krawatte ist ebenfalls erforderlich …«

KONRAD ÖFFNET EINE WEITERE FLASCHE

Er schenkt nach. »Ehrlich gesagt, nun kommt für mich der verrückteste Teil der Geschichte. Vater hat sie mir erzählt, später auch im Beisein meiner Mutter. Beide haben sich köstlich amüsiert, während Vater doch Zweifel kamen, ob das alles nicht anders hätte verlaufen können. Je älter er wurde, desto mehr trauerte er einer anderen, nicht gelebten Vergangenheit nach. Es sei am Ende doch lächerlich gewesen, woran man gescheitert sei. Und all das ließ sich nur bedenken, wenn man diesen verrückten Abend und die dazugehörige Nacht nicht aus dem Auge verlor, wobei – das sei vorweggenommen – Brenda mit hohem Einsatz spielte.«

Brenda trug ein dunkles seidenes Sommerkleid. Sie fuhren in den Hanseatischen Hof, wo an diesem Abend nicht viel los war. Traugott bestaunte die vier, fünf Sportwagen, die vor dem Haus parkten. Ganz aufgeregt wurde er, als ihnen im Eingang ein bekannter Schauspieler den Vortritt ließ und sogleich fröhlich ausrief: »Die liebe Brenda! Wie schön, dass Sie uns den Abend vergolden.«

Brenda machte die beiden Herren miteinander bekannt. An der Bar, wo sie zwei Cocktails bestellte, wurde sie ebenfalls freundschaftlich begrüßt. Allerdings wunderte man sich über den armamputierten jungen Mann an ihrer Seite, den man hier noch nie gesehen hatte.

Kurz darauf stellte sich Reeder Hinrichs zu ihnen. Brenda ließ es sich nicht nehmen und sagte: »Wenn Sie erlauben: Gymnasialprofessor Busch.«

Hinrichs strahlte gutgelaunt, machte eine kleine Verbeugung und sagte trocken: »So weit habe ich es leider noch nicht gebracht, gebe aber zu, dass Reedereiprofessor irgendwie was hätte. Doch wie ich sehe, sind wir Leidensgenossen.«

Er trat zwei Schritte zurück und schlug mit seinem kostbar gearbeiteten Krückstock zweimal kräftig gegen sein rechtes Bein, was einen stumpfen Knall erzeugte. »Da können Sie sich nun aussuchen, was schlimmer ist: Arm dran oder Bein ab.« Er lachte meckernd über den altbekannten Kalauer.

Brenda schlug vor, eine Runde Billard zu spielen. Außerdem habe sie noch nicht viel im Magen. »Womit möchten Sie beginnen?«

Traugott zögerte und meinte, ein kleines Abendbrot wäre gut.

»Dann müssen Sie mich stilgerecht einladen. Geld haben Sie ja genug.«

Das Fünf-Gänge-Menü wurde nach draußen auf die Terrasse verlegt, von wo man einen herrlichen Blick auf die herbstbunte Parkanlage hatte. Das Abendrot spiegelte sich in der glatten Wasseroberfläche. Traugott genoss die Atmosphäre, die laue Luft, die Ruhe, den fast vollen Mond, der sich aus den Baumwipfeln hervorarbeitete. Lästig waren allenfalls die Mücken, die vom See herüberkamen.

In der Bar wurde getanzt. Dabei ging es recht freizügig zu. Intimitäten wurden zur Schau gestellt. Traugott, der kein guter Tänzer war, dachte: So tanzen keine Ehepaare. Sie gingen noch einmal zur Bar zurück, bestellten zwei weitere Cocktails.

»Kommen Sie mit«, sagte Brenda und wies in Richtung Treppe. »Ich zeige Ihnen mein Büro.«

Im Flur und im Treppenhaus irritierten Traugott die Aktfotos und die erotischen Werke alter Meister.

»Sind die echt?«, wollte er wissen.

Brenda lächelte milde. »Leider nein. Es sind Kopien, aber alle haben mit Eros, dem Gott der Liebe und der Sexualität, zu tun.«

Traugott trat näher an eines der Gemälde heran. »Widerlicher alter Wüstling«, begann er seine Kommentierung. »Der Greis macht sich an die pralle junge Schönheit heran, deren Blick allerdings nicht eindeutig ist. Überlegt sie noch, was der Wüstling auf den Tisch zu blättern hat? Die beiden sehen einander nicht in die Augen, aber sie lächeln süffisant, wobei der Wüstling die Schöne zu sich heranzuziehen sucht. Die zögert noch, ob sie sich ihm überhaupt hingeben soll.«

Brenda lachte. »Wir sollten öfter in die Kunsthalle fahren. Sie haben einen Blick für die Dinge.«

»Nun verraten Sie schon, was ich übersehen oder fehlgedeutet habe. Aber ich bin noch längst nicht fertig. Im Hintergrund sieht man eine zweite Frau, vor allem aber hängt der Blick an der brennenden Stadt. Ich vermute, wir sehen das untergehende Troja. Dann sind unser Liebespaar im Vordergrund Menelaos und Ehefrau Helena. Er ist alt geworden und will endlich nachholen, wozu zehn Jahre keine Gelegenheit bestand. Doch die zwielichtige Ehefrau überlegt noch, ob sie an alte Zeiten anknüpfen soll.«

»Bravo, mein lieber Busch. An Ihnen ist ein Kunstkritiker verloren gegangen, oder ein versierter Kriminalkommissar. Wünschen Sie die Auflösung des Rätsels?«

»Auf jeden Fall.«

»Nun, die Geschichte, die hier erzählt wird, stammt aus Ihrer Bibel und ist in meinen Augen kaum jugendfrei zu nennen. Es geht um nichts Geringeres als Inzest. Lot kann mit Frau und Töchtern aus Sodom und Gomorrha fliehen, während die Mutter auf der Flucht zur Salzsäule erstarrt. Lot vegetiert mit seinen gebärfähigen Töchtern im fernen Gebirge. Was fehlt, sind Männer. Das Geschlecht droht auszusterben. Da beschließen die beiden Frauen, den Vater abends betrunken zu machen und mit dem schlafenden Alten zu kopulieren. Die Bibel nennt das: sich zu ihm zu legen.

Gesagt – getan. O biologisches Wunder! Neun Monate später werden zwei Knaben geboren, aus denen neue Stämme hervorgehen werden, die Moabiter und die Ammoniter. Die Preisfrage für jeden Maler ist nun, darzustellen, ob …«

»… ob das überhaupt geht, den Alten so besoffen zu machen, dass er von dem Geschlechtsakt nichts mitbekommt.«

»Das Gemälde wurde 1537 von Albrecht Altdorfer gemalt. Otto Dix, ein von den Nazis verfolgter Künstler, hat das Thema 1939 aufgegriffen. Doch das sollten wir ein andermal betrachten. Leider habe ich nur eine sehr schlechte Reproduktion davon.«

Traugott staunte über die Großzügigkeit, die überall vorherrschte. »Wozu brauchen Sie zwei Telefone?«, wollte er wissen.

»Mit dem roten Apparat erreiche ich alle Mitarbeiter innerhalb des Hauses. Mit dem andern kann ich in der ganzen Welt herumtelefonieren.«

Sie schloss ein Zimmer auf, schaltete das Licht ein. Ein schwacher rötlicher Schein lag über allem, die laue Luft schien stillzustehen.

Es klopfte. Der Kellner brachte Sekt. »Danke, Jean, wir wollen nicht mehr gestört werden.«

Dann wandte sie sich dem Freund zu, der gerade einen Liebesakt aus der Antike bestaunte.

»Willst du Sekt?«, fragte sie. »Wir können ihn auch nachher trinken.«

Durch Traugotts Körper ging ein Vibrieren. Er dachte: Sie hat dich geduzt, und das in dieser sündhaften Sphäre. Was passiert, wenn sie sich vor dir auszieht und nackt vor dir steht?

Sie fuhr ihm mit der Hand über den nassen Rücken, zog ihm das Jackett aus und streichelte den Dingsda. Sie küsste ihn, streifte ihr Kleid ab, das zu Boden glitt. Gleich darauf zog sie ihn auf das breite Bett, wo sie sich bis in die Morgenstunden miteinander beschäftigten.

Die Beatles, Marx und warme Kuhmilch

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