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George hat Geburtstag [AUS KONRADS AUFZEICHNUNGEN]

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Zweimal habe ich versucht, Konrad Adelstorff telefonisch zu erreichen. Fehlanzeige. Dann bin ich in der Mittagspause hinübergegangen in die Bahnhofstraße Nr. 6 und habe an der Gartenpforte geklingelt. Keine zehn Sekunden später stand mir ein riesiger Neufundländer gegenüber, und ich war froh, dass der hohe Gartenzaun uns trennte.

Der Hund hatte eine Engelsgeduld, blickte indifferent mal auf das Straßengeschehen, mal auf mich, als wollte er mir die Entscheidung überlassen, ob er gefährlich sei oder nicht.

Ich wusste aus den Akten, dass ich es bei diesem Besuch mit Hilde zu tun hatte, der Nachfolgerin von Paula. Fast schien es mir, als ob sie ein wenig Mitleid empfand, denn sie fügte bedauernd hinzu, ihr Mann sei ein vielbeschäftigter Musiker, der mehr die Zukunft als die Vergangenheit im Blick habe. Im Büro ärgerte ich mich darüber, dass ich nicht nachgehakt hatte, um herauszufinden, wo und wann Konrad Musik machte.

Kurz nach Feierabend klopfte es dreimal kurz und einmal lang. Henry Petersen wollte mir mitteilen, dass der Kulturausschuss einen Bericht von mir erwarte, in dem ich über den Stand meiner Forschungen berichtete. Er legte mir die neueste Ausgabe des Landboten auf den Tisch. Doch mein Blick fiel nicht auf den gelb markierten Bericht über mich und meine Arbeit, sondern auf eine Anzeige über Ahrensbergs lange Nacht. Die fand wie jedes Jahr im Lindenhof statt. Musikalische Schätze von gestern sollten auch dieses Mal gehoben werden. Dazu gab es Tanz und Vergnügen bis weit nach Mitternacht. Konrad Adelstorff und seine Band würden auftreten.

»Nicht das da unten sollen Sie lesen, den Bericht über Ihre Tätigkeit wollen die hören. Ob Ihnen danach noch nach Wein, Weib und Gesang zumute ist, lasse ich mal dahingestellt. Die erwarten Ihre Anwesenheit, ich natürlich auch. Danach haben wir erstmal Ruhe. Die Wahlen sind im nächsten Frühjahr. Da kommen wir ganz groß raus.«

Meine Frau hatte keine Lust mitzukommen. Ich kriegte nur zu hören, ich wäre zwanzig Jahre lang nicht mit ihr zum Tanzen gefahren, da frage sie sich wirklich, was mich jetzt dorthin ziehe.

Der Andrang war gewaltig. Konrad hatte in Norddeutschland einen Namen und galt als vorzüglicher Interpret von Beatles-Songs. Aber auch die Stones, Deep Purple, Ten Years After und die frühen Hits von Udo Lindenberg gehörten zu seinem Repertoire. Als Experte für Popkultur war er regelmäßig im NDR zu hören. Als Bob Dylan 2016 den Nobelpreis für Literatur erhielt, hat er das kompetent kommentiert.

Ich kenne Konrad Adelstorff nur vom Pressefoto. Vor langer Zeit sind wir uns mal begegnet, ich glaube, es war im Rathaus anlässlich einer Vernissage. Doch inzwischen hat er lange graue Haare, die er zu einem Zopf gebunden hat. Er trägt eine auffällig große Brille, als suche er Schutz vor unerwünschten Begegnungen. Im Unterschied zu seinen Eltern neigt er zur Fettleibigkeit.

Die Stimmung ist gut. Ich entdecke, dass jemand, der neben ihm sitzt, Anstalten macht aufzustehen. Ich drängle mich vor und setze mich frech auf den Stuhl. Konrad, der gerade mit jemandem spricht, dreht sich zu mir um und sagt kurz angebunden: »Besetzt!«

»Nur eine kurze Frage an den Beatles-Experten. Ich habe nämlich einen Musikwunsch, den Sie mir hoffentlich erfüllen können.«

»Kommt drauf an«, antwortet er schon etwas verbindlicher.

»In anderthalb Stunden hat George Harrison Geburtstag. Das ist doch die Gelegenheit, reinzufeiern. Meine Musikwünsche für diesen Abend sind folglich While My Guitar Gently Weeps und My Sweet Lord. Old Brown Shoe wäre auch nicht schlecht.«

Konrad staunt, sieht mich einige Sekunden fragend an. Ich stelle mich kurz vor: Schreiber, Hans-Georg. Nun platzt es aus ihm heraus: »Mensch, so was hast du in der Birne! Das ist ja phänomenal. Darauf backen wir einen.«

Er reicht mir die Hand, und ich habe für einen Augenblick das Gefühl, in das Gesicht seines Vaters zu sehen.

Er greift zum Mikrofon, um eine Durchsage loszuwerden: »Liebe Leute, in knapp einer Stunde feiern wir einen bedeutenden Geburtstag. Unser Freund Hans-Georg Schreiber hat mich eben drauf aufmerksam gemacht, dass der morgige Tag der Geburtstag von George Harrison ist. Hans-Georg hat mir auch verraten, welches Lied er sich wünscht, nämlich While My Guitar Gently Weeps. Wir brauchen viele Gäste, die mitsingen. Den Text findet ihr online.«

Die Sache wird ein voller Erfolg. Um 23.59 Uhr schallt der Countdown aus hunderten von Kehlen. Um null Uhr steht der ganze Saal musikalisch in Flammen. Konrad sitzt am Flügel und hämmert in die Tasten. Der Gitarrist leistet ganze Arbeit. Der Schlagzeuger ist einfach unschlagbar.

Als die Uhr auf eins zuläuft und die ersten Gäste den Saal verlassen, kommt Konrad auf mich zu. »Hans-Georg, ich möchte dir ein Bier spendieren. Ich habe immer gedacht, ich wäre im Hamburger Umland der Beatles-Experte weit und breit. Nun stelle ich mit Freude fest, es gibt noch andere Freaks in der Szene. Wir müssen uns unbedingt austauschen. Ich plane ein Beatles-Konzert im Herbst, am liebsten wäre mir Neustadt, aber die rühren sich nicht.«

Ich grinse ihn an. »Ich werde Montag mal mit dem Chronisten der Stadt sprechen. Den kenne ich gut. Der ist auch für Kulturveranstaltungen zuständig.«

»Hör bloß auf, mit dem habe ich mal telefoniert. Der gehört zu den Ahnungslosen dieser Erde.«

Ich grinse noch immer.

»Oh, Scheiße!«, ruft er. »Tut mir wirklich leid. Aber bei den schlechten Lichtverhältnissen und meinen noch schlechteren Augen. Du warst vor einiger Zeit im Landboten. Die Genossen wollen, dass dein Buch über die Stadt endlich fertig wird. Also, wenn du Hilfe brauchst. Ich kenne die doch alle.«

Er blickt auf die Uhr. »Einen Song spielen wir noch. Hast du eine Idee?«

»Let It Be. Das passt jetzt am besten.«

»Abgemacht, aber wir müssen uns unbedingt wiedersehen.«

»Ich würde gern zu dir kommen, aber dein Hund mag mich nicht, und mit deiner Frau bin ich nicht handelseinig geworden.«

»Dann warst du der Typ, der etwas über meine Mutter wissen wollte? Ich habe ja prinzipiell nichts dagegen. Ich will nur vermeiden, dass noch mehr Scheiß über sie geschrieben wird. Du bist also herzlich eingeladen. Wann hast du Zeit?«

»In dieser Woche, Mittwochabend, gegen 17 Uhr. Aber keinen großen Aufwand.«

»Wir können was beim Pizza-Service bestellen. Bier und Wein habe ich im Keller.«

Die Beatles, Marx und warme Kuhmilch

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