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Die Lieder waren eine Revolution

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Wir sitzen seit einer halben Stunde in Konrads Arbeits- und Musikzimmer. Der Neufundländer liegt auf meinen Füßen. Von Zeit zu Zeit streichle ich seinen Kopf, was er besonders gern mag. Wir haben uns schnell angefreundet.

Konrad reicht mir die Hand. »Um es hochoffiziell zu machen: Ich heiße Konrad, was dich nicht sonderlich überraschen wird.«

»Hans-Georg«, sage ich und schlage ein. Der Chardonnay gluckert in die Gläser. Wir stoßen an. Konrad fragt, ob er ein paar Schallplatten auflegen soll.

»Richtige LPs?«, frage ich.

Man sieht ihm den Stolz an. »Alles originale Alben aus der guten alten Zeit. Wenn wir in der Bravo vom Erscheinen eines neuen Albums erfuhren, das eine Woche später in den Handel kam, waren wir nicht zu halten. Die Platte gab es natürlich nicht hier in Neustadt. Da war nur das Elektro-Fachgeschäft von Griese, das heute noch existiert. Doch beim alten Griese, genauer muss es natürlich beim uralten Griese heißen, fand die Beatles-Revolution nicht statt. Der hatte ein Dutzend Platten im Schaufenster, von Rudolf Schock, Johannes Heesters, Freddy Quinn und natürlich Heintje. Also mussten wir nach Ahrensberg oder gleich mit der S-Bahn nach Hamburg.«

Es klingelt an der Haustür. Der Neufundländer blafft, macht aber keine Anstalten, den Wachhund zu spielen. Konrad kehrt zurück. »Auf unseren Pizza-Service können wir stolz sein. Wenn unsere Stadtverwaltung so termingerecht arbeiten würde … die Abteilung Chronik natürlich ausgenommen. Also: Prost. Aber noch mal zu Sonntag, Die Sache mit George Harrison war eine geile Nummer. Und dann wir beide, wie wir Let It Be gesungen haben. Werde ich dir nie vergessen. Aber ich seh, du wirst ganz hippelig. Dich drückt die Chronik, wie du mir erzählt hast. Du willst, dass die Geschichte von Traugott und Brenda zu ihrem Recht gelangt, kannst die Geschichte in der Chronik aber nicht groß ausbreiten.«

Ich nicke. Konrad schenkt Wein nach. Er sieht mich erwartungsvoll an.

»Ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht«, sage ich. »Die Beatles haben in meinem Leben eine entscheidende Rolle gespielt. Dabei begreife ich bis heute nicht, warum meine Eltern sich so über die vier aufgeregt haben. Ich sehe meine Mutter noch die Zeitung lesen, draußen in unserem Garten, als plötzlich ein Aufschrei ertönt.

Da sind vier englische Musiker, die sich die Haare wachsen lassen. Das war der Auftakt zum Weltuntergang. Am liebsten hätten meine Eltern mir verboten, diese Musik zu hören. Aber das war nicht möglich. Die schlichten, eingängigen Lieder waren eine Revolution, und Revolutionen haben es nun einmal an sich, dass sie nicht zu stoppen sind. Sonst sind sie keine Revolutionen, allenfalls Rebellionen.

Ich habe den vier viel zu verdanken. Sie haben mir nichts Geringeres als Freiheit gebracht, keine politische Freiheit, sondern Lebensfreiheit. Ihr Auftreten, ihr Aussehen, die sich konsequent weiterentwickelnde Musik, diese anspruchsvolle Liedkultur – das waren unsere Waffen gegen die Generation unserer Eltern, mit denen zumindest ich mich im mentalen Dauerkriegszustand befand. Unsere Eltern waren durch die Zeitumstände verbogen worden. Sie wollten Vorbilder sein, hatten aber überhaupt nicht die Fähigkeit dazu, weil man ihnen selbst jegliche Vorbilder genommen hatte. Sie wussten genau, wie man zu leben hatte, was sich gehörte und was nicht. Und das sollte ich durch ihre Erziehung in mich aufnehmen. Wichtiger als irgendein Schulbuch war die Lektüre von Benimm-Büchern, beispielsweise des beliebten Lebenshilfebuches Der gute Ton. – Die Beatles haben es möglich gemacht, dass wir unseren eigenen Weg gehen konnten.«

»Das hast du schön gesagt, wir sollten alles in Ruhe erörtern, gerade das mit der Revolution. Jetzt zu deinem Anliegen. Du willst etwas über meine Mutter erfahren. Dass ich da ein Wörtchen mitreden will, wirst du verstehen. Ich bin auch nur deswegen dafür, über ihr Leben etwas zu erzählen, weil so viele widerliche Dinge über sie verbreitet wurden, dass ich mich zu einer Art Gegendarstellung gezwungen sehe.

Natürlich benötigt man Quellen für so ein Unternehmen. Früher befanden sich die Briefe der beiden im schriftlichen Nachlass. Doch wir hatten einen Wasserschaden, und infolge dessen ist viel beseitigt worden. Meine Ex-Frau Paula hat damals einiges mitgenommen, um nicht zu sagen: geklaut. Ich vermute einmal, dass sie die Briefe hat. Ich kann auch vieles erzählen, was mir von meinen Eltern später mitgeteilt wurde. Die gute Nachricht vorweg: Traugott Busch ist mein leiblicher Vater, auch wenn ich ihn lange Zeit Onkel genannt habe …«

Die Beatles, Marx und warme Kuhmilch

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