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Der Aufstieg [LANDESARCHIV: PERSONALAKTE T. BUSCH / BRIEFWECHSEL BRENDA-TRAUGOTT]

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Busch bestand auch das zweite Examen mit Bravour. Die Schulbehörde, die ein Abwandern in andere Bundesländer auf jeden Fall vermeiden wollte, unterbreitete dem fertigen Lehrer mehrere Angebote, mit der Aussicht, schnell nach der Besoldungsgruppe A 14 befördert zu werden. Besonders dringend war die Wiederbesetzung einer Stelle mit genau den Fächern, die auch Traugott unterrichtete, und zwar in Ahrensberg. Der jetzige Kollege war mit Anfang vierzig an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung gestorben, und die Schulleitung bat händeringend um einen Nachfolger, da auch Abiturklassen zu betreuen waren.

Kaum hatte Traugott die Zelte in Ahrensberg aufgeschlagen, schrieb er einen langen Brief an meine Mutter und bat um Erlaubnis, sie zu besuchen. Er habe das Verlangen, seinen Sohn kennenzulernen. Der Brief ist ein gelungenes Stück Prosa, eine wundervolle Liebeserklärung, geschrieben in dem Bewusstsein, dass diese Liebe nicht erfüllbar war.

Der kleine Konrad, also ich, raste durch die Wohnung und auf die Terrasse, denn der Onkel hatte ein großes Spielzeugauto mitgebracht.

Als Rosalie für einen Augenblick in die Küche ging, sagte Traugott: »Du siehst wunderbar aus, Brenda. Man möchte dich als Mutter haben.«

Sie lächelte ein wenig erschöpft. »Du wärest auch kein schlechter Vater. Nun bist du Onkel und darfst uns so oft besuchen, wie deine Zeit es erlaubt. Und bevor du zu deinem Lieblingsthema kommst und fragst, ob wir mit dem Geld auskommen, sage ich dir: Es ist mein Kind, und deshalb zahle ich dafür. Es gibt so viele Frauen, die sich und ihre Kinder durchbringen müssen, und das, weil die Väter gefallen, verschollen oder abgehauen sind.«

Traugott nickte. »Aber als Onkel habe ich die uneingeschränkte Erlaubnis, Geschenke mitzubringen. Unser Kleiner wird irgendwann einen Roller oder gar ein Fahrrad brauchen. Auch über die Anschaffung einer elektrischen Eisenbahn sollten wir ernsthaft nachdenken. Alles beginnt mit der Spurweite … Da möchte ich schon ein Wörtchen mitreden.«

Er trat dicht an Brenda heran. »Ich würde euch gern nach Hagenbeck einladen. Da spielen wir dann kleine glückliche Familie.«

Buschs Karriere verlief reibungslos. Nach dem zweiten Examen wurde er Assessor im Ahrensberger Gymnasium und schon bald Beamter auf Lebenszeit. Schnell stieg er zum stellvertretenden Schulleiter auf. Dieser Aufstieg hing damit zusammen, dass viele ältere Kollegen politisch vorbelastet waren und nach dem Krieg nicht mehr befördert wurden.

Tagtäglich stellte Traugott sein Organisationstalent unter Beweis. Er war für den Stundenplan zuständig, ebenso für Vertretungen. Er war sowohl mit dem Haushalt als auch mit den periodischen Berichten an das Ministerium befasst. Das alles erledigte er bei vollem Stundendeputat. Krank meldete er sich nie. Er war an Ort und Stelle, wenn er gebraucht wurde. Das kam bei Kollegen und Eltern gut an. Bei den Schülern galt er als streng, aber gerecht. Auch Sinn für Humor wurde ihm nachgesagt.

Der amtierende Direktor, ein kleiner fetter Mann, dem das Wirtschaftswunder kulinarisch zu Kopf gestiegen war, meinte einmal gegenüber einem Behördenvertreter: »Man merkt, dass er Kompaniechef war. Er kann Menschen führen.«

Traugott war jetzt Mitte dreißig. Vor fünf Jahren hatte er seine Cousine Dorothea geheiratet. Beide kannten sich von Kindheit an, beide wollten dem familiären Dunstkreis im Raum Münster entfliehen und waren froh, in der Nähe Hamburgs unterzukommen.

Dorothea war eine inzwischen namhafte Konzertpianistin und entsprechend viel unterwegs. Dass die Jungvermählten sich nicht oft sahen, empfanden sie nicht als Nachteil, konnten sie doch ihren beruflichen Neigungen und Verpflichtungen umso intensiver nachgehen. In Ahrensberg kauften sie ein Haus. Das Geld dafür hatte Dorothea mit in die Ehe gebracht. Sie hatte nie gefragt, ob Traugott irgendwelche Beziehungen oder Liebschaften vor der Ehe gehabt hätte. Er verwies, wenn das Gespräch unerwartet diese Richtung einschlug, stets darauf, seine Behinderung hätte irgendwelche Eskapaden dieser Art unmöglich gemacht.

Dorothea vertrat felsenfest die Auffassung, die Behinderung ihres Mannes sei dafür verantwortlich, dass aus der Beziehung noch keine Kinder hervorgegangen seien. Traugott widersprach nicht und beließ sie in ihrem Glauben, zu dem auch die feste Annahme gehörte, Kinder könne man am besten bei Vollmond zeugen.

1960 wurde die Neustädter Direktorenstelle vakant. Der bisherige Schulleiter war seinem Posten nicht gewachsen. Er war mit Gesetzen und Vorschriften nicht vertraut, leistete sich Formfehler, unter anderem, weil er Termine nicht einhielt, und nur der Umstand, dass zu dieser Zeit die Verwaltungsgerichte längst nicht so häufig angerufen wurden wie in späteren Jahrzehnten, verhinderte eine ernsthafte Beeinträchtigung des Schulklimas. Als der Mann nicht mehr zu halten war, wurde er befördert und ins Ministerium berufen, wo er mit Schulentwicklungsfragen betraut wurde. Seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört.

Traugott erhielt an einem kühlen Märzabend 1961 den Anruf aus der Kreisstadt, das Gymnasium werde einen neuen Leiter bekommen, der bisherige Direktor werde nicht an seinen Schreibtisch zurückkehren. Traugotts Name fiel sofort, und in allen Parteien gab es weitblickende Leute, die ihn gern als künftigen Direktor sehen wollten.

Dagegen stand das unumstößliche Gesetz, dass die Schulleiter im Land der Christdemokratischen Partei anzugehören hätten. Als man ihm deshalb einen Parteibeitritt nahelegte, winkte er ab, mit der Bemerkung, dass es wichtigere Kriterien gäbe, die Kompetenz eines Kandidaten auszuloten, als der CDU anzugehören. Als das am nächsten Tag im Neustädter Landboten nachzulesen war, sanken Buschs Aussichten, das Amt zu bekommen, rapide.

Der Bürgerblock Neustadt an der Bille (BNB), eine einflussreiche politische Vereinigung, hatte sich wieder einmal durchgesetzt. In ihr sammelten sich bedingungslose Anhänger Adenauers und seiner Politik. Sowohl in der Landes- als auch in der Kommunalpolitik waren sie zum bestimmenden Faktor geworden. Wer sich ihnen in den Weg stellte, zog meist den Kürzeren.

Doch im Fall Busch wendet sich das Blatt über Nacht, denn inzwischen steht alles im Zeichen des Bundestagswahlkampfes. Überregionale Presseorgane, darunter der Spiegel, stellen Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel unbequeme Fragen. Der lässt sich den Fall Busch vortragen, und mit einem Mal ist Traugott der Kandidat mit den größten Aussichten. Der BNB-Vorsitzende Osswald soll daraufhin gebrummelt haben: »Den schnitzen wir uns zurecht, wäre ja nicht der Erste.«

Sieben Wochen vor Beginn der Sommerferien wird Traugott in sein neues Amt eingeführt. Als er verschiedenen Presseorganen des Landes ein ausführliches Interview gewährt, wird den ersten Politikern bewusst, dass sie möglicherweise einen Wolf im Schafspelz gekürt haben.

Oberstudiendirektor Busch holt weit aus, nennt die Bundesrepublik ein pädagogisches Entwicklungsland, das immer mehr den Anschluss an die modernen Nachbarstaaten verliere. Dass die Studienbedingungen miserabel seien, habe sich inzwischen herumgesprochen. Dass es um das westdeutsche Schulwesen nicht besser bestellt sei, werde der Öffentlichkeit mehr und mehr bewusst. Er werde deshalb in Kürze einen bekannten Erziehungswissenschaftler nach Neustadt einladen, der allen interessierten Bürgern schonungslos darlegen werde, wie tief der Karren im Dreck stecke.

Das ist ganz nach dem Geschmack der Pressevertreter, bahnt sich hier doch ein handfester Streit an, und das mitten im Wahlkampf.

Kurz darauf packt der Neue ein Problem an, das vor zehn Jahren schon für Zündstoff gesorgt hat und das keiner mehr auf der Tagesordnung sehen möchte. Busch kommt auf die baulichen Mängel seiner neuen Wirkungsstätte zu sprechen, ein Thema, das ihn ab jetzt nicht mehr loslassen wird. Dort, wo einst eine preußische Garnison untergebracht war, in dem mehrstöckigen grauen Kasten aus der wilhelminischen Epoche, wo alles nach Stechschritt, Drill und Gehorsam riecht, will Busch keine Kinder mehr erziehen. Ihm schwebt ein moderner, heller Schulbau vor, der neue Generationen von aufgeklärten Staatsbürgern hervorbringen soll.

Kaum gewählt, ordnete Busch im Beisein eines Bausachverständigen eine Begehung des Gebäudes an. Was er demonstrieren wollte, fiel schnell ins Auge. Die Bausubstanz war marode, bestimmte Räume für einen längeren Aufenthalt nicht mehr geeignet. Die Lichtverhältnisse in den Klassenräumen waren katastrophal. Im Keller, wo Kunst unterrichtet wurde und sich eine Werkstatt befand, waren die Wände nicht nur feucht, sondern stellenweise nass. Die gesamte Elektrik entsprach den baupolizeilichen Vorgaben kaum noch.

Der Aufschrei der Zuständigen war groß. Landes- und Kommunalpolitiker liefen Sturm gegen das Gemäkel. Auch sie hatten das Thema bisher geschickt verdrängt. Deshalb konterten sie: Fünfzig Jahre habe der Bau seine Zwecke erfüllt. Und nun kam Zieten aus dem Busch und stellte Altbewährtes in Frage. Der neue Direktor – lautete ein Vorwurf – überschreite seine Kompetenzen, gehe überdies leichtfertig mit Steuergeldern um, habe sein Bausachverständiger doch 900 DM gekostet, was allein ein Skandal sei.

Der Schulmeister konterte schnell und wirkungsvoll. Die oppositionellen Kräfte blamierten sich, als der Landbote einige Tage darauf auf der ersten Seite verkündete: Gutachten des Bausachverständigen aus eigener Tasche bezahlt.

Busch wird gefeiert, vor allem sorgt er für heftige Debatten im Kreistag, wo es inzwischen mehrere Abgeordnete gibt, die seinen Vorschlägen aufgeschlossen gegenüberstehen. Sie wollen mehr wissen über die Kosten einer grundlegenden Sanierung des alten preußischen Kastens.

Und ein weiterer Faktor kommt ins Spiel: Die Öffentlichkeit verschafft sich Gehör. Nun ist es nicht mehr egal, unter welchen Zuständen die Kinder unterrichtet werden. Die Politiker müssen erfahren, dass von der öffentlichen Meinung ein letztlich entscheidender Druck ausgehen kann.

Die Beatles, Marx und warme Kuhmilch

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