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2. Naturkatastrophen Im Schatten von Pompeji

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Wie heißt die Stadt in Griechenland, die 426 v. Chr. von einem schweren Erdbeben mit nachfolgendem Tsunami verwüstet wurde? Die Antwort lautet: Orobiai. Wer diese Antwort sofort parat hat, darf für sich zu Recht einen Expertenstatus reklamieren. Wie heißen die beiden Städte in Italien, die 79 n. Chr. durch den verheerenden Ausbruch des Vesuv verschüttet wurden? Wer die Antwort auf diese Frage weiß, erntet keine Lorbeeren, sondern darf sich höchstens damit rühmen, in der historischen Allgemeinbildung nichts Entscheidendes versäumt zu haben. Pompeji und Herculaneum sind gewissermaßen die Synonyme für die antike Naturkatastrophe schlechthin. Jedoch war dieses Ereignis, so gravierend es auch gewesen ist, nicht die schlimmste Naturkatastrophe, die es in der Antike gegeben hat. Erst die besonderen Umstände verhalfen Pompeji und Herculaneum zu jener Prominenz, die dafür verantwortlich ist, dass sich heute regelmäßig Ströme von Touristen aus aller Welt durch diese beiden Städte ergießen. Verpackt unter einer dicken Schicht aus Lava und Bimsstein, harrten die verschütteten Städte jahrhundertelang der Wiederentdeckung, die dann im 18. Jahrhundert erfolgte, zu intensiven archäologischen Forschungen führte und dem modernen Besucher das einmalige Erlebnis beschert, sich in einer Stadt zu bewegen, die fast noch genauso aussieht wie in jenen verhängnisvollen Tagen im August des Jahres 79 n. Chr.

Orobiai hingegen blieb diese Popularität versagt. Der Ort befand sich an der Nordwestküste von Euboia und war in der Antike wegen seines Apollon-Orakels auch überregional bekannt. Als die Katastrophe hereinbrach, flüchteten viele in die Berge, doch nicht wenige Menschen kamen ums Leben. Von der Siedlung blieb kaum noch etwas übrig. Lange Zeit lag die Stätte brach, bis in byzantinischer Zeit an dieser Stelle eine neue Siedlung entstand. Touristen kommen nicht hierher, um der Katastrophe von 426 v. Chr. zu gedenken, sondern um sich an den Badestränden von Rovies, wie die moderne Siedlung heißt, zu vergnügen.

Der Vesuv, Pompeji und Herculaneum haben die anderen Naturkatastrophen der Antike in den Schatten gestellt. Ohne dass man ihnen deswegen einen Vorwurf machen kann, verdecken sie den Umstand, dass es in der Antike massenhaft Naturkatastrophen gegeben hat. Vulkanausbrüche, Erdbeben, Tsunamis, auch Überschwemmungen waren gewissermaßen an der Tagesordnung. Der mediterrane Mensch hatte mit der Katastrophe zu leben, sie gehörte gleichsam zu seiner alltäglichen Erfahrung – wie es in vielen Regionen der Mittelmeerwelt, vor allem in Italien, Griechenland und der Türkei, auch heute noch der Fall ist.


Schauplatz einer der bekanntesten Naturkatastrophen der Antike: Herculaneum, im Hintergrund der Vesuv, der 79 n. Chr. auch Pompeji zerstörte

Über viele dieser Katastrophen liegen in den Quellen nur lapidare Informationen vor. Häufig werden sie von den antiken Historikern und Chronisten nur en passant erwähnt, stehen also gar nicht im Mittelpunkt dessen, was sie eigentlich sagen wollen. Nie hätte man erfahren, dass es 64 n. Chr. in Neapel ein – allerdings wohl nicht allzu schweres – Erdbeben gegeben hat, wäre nicht zeitgleich Kaiser Nero im dortigen Theater aufgetreten, um seine Gesangskünste zum Besten zu geben. Der Biograph Sueton (Nero 20,3) berichtet, dass während der Vorstellung durch das Erdbeben die Mauern des Theaters ins Wanken gerieten, der Kaiser jedoch ungerührt weitersang. Der Historiker Tacitus (ann. 15,34) kennt eine etwas andere Version: „Als alle Zuschauer weggegangen waren, stürzte das Theater in sich zusammen, ohne einen Menschen zu verletzen.“ Das Erdbeben ist Nebensache, der Auftritt des Kaisers die Hauptsache. Und auch ein Ausbruch des Aetna auf Sizilien wäre auf ewig im Dunkel der Katastrophengeschichte verborgen geblieben, hätte Sueton (Cal. 51,1) nicht verraten, dass der römische Kaiser Caligula, der zwischen 37 und 41 n. Chr. regierte, einen Besuch in Messina eiligst abbrach, weil ihm „der Rauch aus dem Gipfel des Aetna und sein Rumoren Furcht einflößte“. Bei den Griechen verhielt sich dies nicht anders, wie sich an vielen Beispielen demonstrieren ließe. Wenn die Katastrophen in diesen Zusammenhängen also nur eine marginale Rolle spielen, so gibt es auch keine Möglichkeit, Näheres über sie herauszufinden.

Katastrophen in der Antike

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