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2.

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«Hallo, Sie, junge Frau!»

In dem Treppenhaus hallte seine Stimme laut wider. Mischa keuchte, die Schweißtropfen liefen ihm in den Kragen, als sei ein Wasserhahn aufgedreht. Warum war der verdammte Teppich auch so dick und schwer, dass er sich einfach nicht rechtwinklig knicken ließ? An jedem Absatz mussten sie ihn hoch über das Geländer stemmen, um die Kurve zu kriegen.

«Würden Sie uns bitte die Tür aufhalten?»

So recht wusste sie nicht, ob sie die «junge Frau» als Kompliment oder Hohn nehmen sollte, und starrte ihn aufgebracht an, aber nach kurzem Zögern drückte sie die Haustür in den Schnapphalter. «Vielen Dank.»

Die letzten Stufen abwärts waren beinahe eine Erleichterung, weil es geradeaus ging. Als Juke rückwärts auf den Bürgersteig trat, rempelte er einen Passanten an.

«Passen Sie doch auf!»

«Entschuldigung», rief Mischa eilig.

Juke hatte sich umgeblickt, zischte plötzlich scharf und bekam sein Kleiner-Junge-Gesicht, wie immer, wenn ihn die Angst packte. «Polente, Mischa!»

«Scheiße! - Nein, nein, nicht stehen bleiben, du Arsch.»

Mühsam reckte er sich hoch. Carlo hatte den Lieferwagen in der zweiten Reihe geparkt, in solchen Sachen hatte er die Ruhe weg: «Macht doch jeder. Nur keine Aufregung.» Jetzt stand hinter ihrem Transporter ein Streifenwagen; einer der uniformierten Beamten rüttelte an den verschlossenen Türen, der andere hatte schon Block und Kugelschreiber gezückt, steckte aber beides weg, als Mischa und Juke heranwankten, quer über den Bürgersteig. Mehrere Fußgänger, die stehen bleiben mussten, murrten und schimpften sofort.

«Einen Moment bitte!», japste Mischa und gab dem vor Angst schlotternden Juke ein Zeichen, ganz langsam den Teppich abzulegen; hoffentlich machte der Blödmann jetzt keine Dummheiten und hielt die Rolle nicht so schräg, dass die anderen Sachen herausrutschten.

«Herr ... Herr ... Wacht...meister ... wir ...» Vor Erschöpfung und Anspannung keuchte er.

«Mann, so geht das aber nicht», brummte der blonde Beamte, «ihr blockiert die ganze Straße.» Sein schwarzhaariger Kollege kam zurück und schaute finster auf den Teppich hinunter. Er hatte die dunklen, schnellen Augen und den verkniffenen Mund der Jähzornigen.

«Ja, tut ... uns leid.» Mischa hätte gerne mehr geredet, die beiden Bullen abgelenkt, besänftigt, den Zerknirschten gespielt, aber er rang zwischen jedem Wort nach Luft. «Doch dieser ... Teppich ... vierter Stock ... der wiegt wie Blei.»

Der Schwarze stülpte die Lippen vor; sein Kollege schien das weichere Herz zu haben: «Na schön, aber beeilt euch!»

Mit zitternden Fingern schloss Mischa die Hecktür auf, klappte und verriegelte die beiden Flügel. «Erich Kummer & Co. Teppiche. Reinigung und Reparatur.» Ein schönes Schild. Rote, schwarz gefasste Buchstaben auf weißem Grund, darunter eine riesige Telefonnummer. Etwas diskreter: «Eildienst - Anruf genügt.»

Neugierig schielte der Blonde in den Wagen. «Donnerwetter», staunte er fast ehrfürchtig.

«Ja, heute lohnt es sich wieder», antwortete Mischa hastig. Wenn jetzt bloß Juke nicht durchdrehte! Gleich hatten sie es doch geschafft, Carlo und Bremmel mussten selbst sehen, wie sie fertig wurden, sie konnten einfach nicht auf die beiden warten, der schwarzhaarige Polizist würde es nicht dulden, in der kurzen Ruhepause hatte der Teppich sein Gewicht verdoppelt. Mischas Stöhnen war echt, am liebsten hätte er die Bullen um Hilfe gebeten - doch dann war es so weit, die Rolle lag mit dem einen Ende fest im Wagen auf den anderen Teppichrollen. Juke schob aus Leibeskräften, er trat zurück, stemmte das durchhängende Mittelteil hoch, drückte ebenfalls, die Rolle glitt mit Tempo in den Wagen, es sah richtig professionell aus. Juke klinkte schon den linken Türflügel aus, Mischa donnerte den rechten zu ...

«So, und nun haut mal ganz schnell ab!», befahl der Schwarze in einem Ton, der keine Widerrede duldete.

Juke zitterte bis in die Fußspitzen, weiß wie ein Laken. «Mann, war das knapp - so ein Pech - was machen wir jetzt bloß? - Carlo und Bremmel ...» Seine Stimme schraubte sich in die Höhe.

«Nun halt doch mal die Schnauze!» Mischa hatte den Wagen noch nie gefahren, das war Carlos Aufgabe, der alles steuern konnte, was mehr als ein Rad besaß. Zum Glück hatte er wie üblich den Schlüssel vor den Sitzen versteckt - was sollte er jetzt tun? Im Augenblick schleppten Carlo und Bremmel gerade die Kiste mit der Beute aus der Wohnung 111/2 die Treppen hinunter. Und wenn diese verfluchte Streife nicht gleich weitergefahren war? Wenn die beiden Polizisten Carlo und Bremmel beobachteten, wenn die beiden vergeblich warteten? Und auf den Lieferwagen ... Er trat in die Bremse, dass es ihn gegen das Steuerrad warf, kurbelte aus Leibeskräften und bog ohne Blinken nach rechts ab. Er musste es riskieren, einmal um den Block herumzukutschieren, vielleicht konnte er doch ...

«Mensch, nun gib doch Gas!» Jetzt flippte Juke aus; so geschickt er war, wenn er ein Schloss öffnen musste, so unbrauchbar war er, wenn kühles Blut gefordert war.

«Schnauze!» Ein Unfall fehlte ihnen gerade noch, so ein kleiner Schrammer an einem der geparkten Autos, damit die Leute auf sie aufmerksam wurden. Die Straße war ohnehin eng genug, die Autos standen halb auf dem Bürgersteig, und trotzdem blieb nur eine schmale Gasse - wenn ihm jetzt ein Wagen entgegenkam, war er geliefert. Rückwärts beherrschte er den Karren auf keinen Fall - nach rechts in die nächste Seitenstraße, der Motor heulte laut, als Fahrer bekleckerte er sich nicht mit Ruhm. Er wagte nicht zu schalten, der Karren bockte und schlingerte auf dem Kopfsteinpflaster, rechts und noch einmal rechts, beinahe hätte er einem Motorradfahrer die Vorfahrt genommen, da lag schon das Haus vor ihnen. Carlo und Bremmel standen neben der Haustür, zwischen sich die große, auffällige Kiste mit den beiden Tragestangen. Und Carlo, der Großkotz und Gemütsathlet, stopfte sich in aller Ruhe eine Pfeife, liebevoll und umsichtig, als sei jetzt nichts wichtiger als eine gut ziehende Pfeife. Die Fußgänger mussten um sie und die große Kiste einen Bogen schlagen, alle schauten dabei halb verärgert, halb erheitert auf den Riesenkerl Carlo, der so demonstrativ Arbeiterdenkmal spielte. Vor Erleichterung lachte Mischa laut los. Natürlich gab es immer noch keine Parklücke, er musste wieder in der zweiten Reihe anhalten. «Los, raus, schließ die Seitentür auf!»

«Was soll ich ...?»

«Raus! Die Seitentür!» Zornig rammte er dem Kleinen den Ellbogen in die Seite. Juke schwankte von dem hohen Sitz herunter und fiel beinahe auf die Steinplatten, als die Beifahrertür aufschwang. Carlo biss fest auf die Pfeife und bückte sich wie Bremmel nach der Kiste. Mischa sprang auf seiner Seite auf die Straße, um den Fahrersitz für Carlo frei zu machen, und lief vorn um den Lieferwagen herum. Dann passierte alles entsetzlich schnell. Carlo und Bremmel wuchteten gerade die Kiste in das Wageninnere, als eine laute Männerstimme rief: «He, Sie, warten Sie mal!»

Jukes Kopf fuhr herum, ein junges Paar lief eilig auf sie zu, Mischa hielt verblüfft inne, was wollten die denn? Carlo knallte die Seitentür ins Schloss und hastete um den Wagen herum auf seinen Fahrersitz. Dann schaltete Juke schnell und falsch. «Bullen!», kreischte er mit einer Lautstärke, die ihm keiner zugetraut hätte, und stürzte Hals über Kopf davon, einfach weg, nur fort!

«Halt! Stehen bleiben! Polizei!»

Mischa stand noch wie angewurzelt neben der rechten Tür, das durfte doch ... und dann griff Bremmel, dieser Vollidiot, dieser verfluchte Schlägertyp, in die Tasche seines Overalls, riss eine Pistole heraus ...

«Nein!», schrie Mischa noch und versuchte, Bremmel in den Arm zu fallen, aber da krachten die beiden Schüsse schon, die junge Frau segelte auf grotesk langsame Art nach vorn zu Boden, ihr Begleiter warf sich nach rechts an die Haus wand. «Hör auf!», brüllte Mischa, Bremmel schüttelte seinen Arm einfach weg, zielte, der Mann rollte sich zur Seite, hatte plötzlich ebenfalls eine Waffe in der Hand und schoss, schoss noch einmal, eine fürchterliche Faust fasste nach Mischas Bein, riss es weg, kippte ihn halb in das Auto, in Carlos Arme. Noch zwei Schüsse, Carlo brüllte wie angestochen, dann wurde Mischa in den Lieferwagen gerissen, der Schmerz in seinem Bein drohte ihn zu töten. Eine Tür knallte, der Wagen hüpfte nach vorn, beschleunigte.

Wie lange sie davonrasten, wusste Mischa nicht. Vor seinen Augen tanzte ein roter Wirbel, in seinen Ohren rauschte es, aber der Schmerz war verrückterweise weg, er spürte gar nichts mehr.

Dann brummte es von irgendwoher, immer lauter und immer bedrohlicher: «Du Idiot, du Vollidiot, du Scheißkerl, du Arschloch, du Drecksau!» Carlo drehte nicht einmal den Kopf, er fuhr wie noch nie, und Mischa starrte ihn fassungslos an, warum beschimpfte ... Dann endlich begriff er, Carlo erregte sich nicht über ihn, sondern über Bremmel, über Bremmel, der wie ein Verrückter geschossen hatte. Geschossen, obwohl sie strikte Anweisung hatten, weder eine Waffe auf die Touren mitzunehmen noch jemals Gewalt anzuwenden. Eine Polizistin angeschossen - mein Gott, was hatten sie angerichtet?

Bremmel sackte in sich zusammen und starrte durch die Scheibe. Seine säuerliche Angst wehte zu Mischa herüber. Carlo raste, er prügelte aus dem Wagen das Letzte heraus, nahm die Kurven wie ein Rennfahrer, überholte ohne jede Rücksicht, zwang andere Fahrer zu Vollbremsungen, schaltete, hupte und brüllte vor Wut, wenn der Lieferwagen schleuderte oder ruckelte oder auszubrechen schien. Vor Mischas Augen stieg ein feiner Nebel auf, der alles verschwimmen ließ, es zog ihm die Augenlider mit unwiderstehlicher Kraft hinunter. Von der Beinwunde kletterte eine unangenehme Taubheit seinen Körper hoch, gefolgt von einem zuerst stechenden, dann beißenden Schmerz. Wenn er in scharf gerissenen Kurven gegen Carlo oder Bremmel kippte, jaulte er auf, ohne es zu hören, die Dunkelheit um ihn herum wurde immer größer. Dann bremste Carlo mit kreischenden Reifen, er flog nach vorn gegen das Armaturenbrett, dass sein Kopf dröhnte, und dankbar ließ er sich in die schwarze Tiefe stürzen.

Als er aufwachte, wusste er nicht, wo er war. Im Bein pochte jetzt der Puls dumpf und hart, aber das war zu ertragen, eine seltsame Mattigkeit erfüllte ihn. Allmählich verzogen sich auch die Nebel. «Nicht bewegen!», befahl eine unfreundliche Männerstimme. «Okay», murmelte Mischa. Er lag auf einer Art Bahre, ein Mann kniete auf dem Boden und wickelte einen Verband um das rechte Bein. Neben ihm stand, weit aufgeklappt, eine schwarze Tasche auf dem ölfleckigen Boden. Jemand hatte seine Hose einfach aufgeschnitten. Die Gegenstände um ihn herum wurden deutlicher. Er bemerkte die schon erstarrende rote Flüssigkeit rings um die Bahre, erst jetzt dämmerte ihm, er müsse stark geblutet haben.

Offenbar befanden sie sich in einer alten, großen und hohen Fabrikhalle. Die Scheiben unter dem Dach waren zerbrochen, überall lag Gerümpel herum, Schrott, Eisenträger, herausgebrochene Ziegelsteine, rostige Maschinenteile. Zwischen den gesprungenen Bodenplatten wuchs Moos. Schräg rechts von ihm stand der Lieferwagen. Mehrere Männer luden aus und verstauten die Beute in anderen Autos; zwei entfernten die Klebefolien und montierten die Nummernschilder ab, wobei sie immer wieder einem Trupp in die Quere gerieten, der mit riesigen Schwämmen und Besen flüssige Seife auftrug, die zwei junge Burschen in Plastikeimern heranschleppten. Fast hätte Mischa gelacht, aber dann fiel ihm ein, warum sie das taten, wegen der Spuren und Fingerabdrücke. Alle trugen Handschuhe, sie arbeiteten und schufteten lautlos, aber sichtbar gehetzt.

«So, fertig», brummte der Mann, der sich an seinem Bein zu schaffen gemacht hatte. «Hast du Schmerzen?»

«Nein, es geht.»

«Schwein gehabt, mein Junge. Ein glatter Durchschuss, am Knochen vorbei. Ein bisschen roten Saft verloren, aber sonst bist du in Ordnung.» Dabei richtete er sich auf. «Dann mal los!» Er pfiff auf zwei Fingern, zwei Männer kamen gelaufen. «Ab mit ihm in den Wagen.»

Kräfte hatten die Kerle, aber sonst keine Ahnung; sie stellten ihn mit so viel Schwung auf die Beine, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb.

«Mensch, passt doch auf, ihr Toffel!», schrie der Mann empört. «Soll die Wunde wieder aufplatzen?!»

Vorsichtiger trugen sie Mischa in einen Campingwagen, und das Letzte, was er noch sah, war ein Schaumgebirge. Aus zwei Schläuchen prasselte Wasser gegen den blauen Lieferwagen, der wohl noch nie so gründlich gereinigt worden war, und zwar äußerlich wie innerlich. Dem Boss war er noch nie begegnet, aber eines hatte er schon gelernt: Der Boss achtete auf alles. Was mochte mit Bremmel passiert sein?

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