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5.

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Der Altbau hatte eine hohe Tordurchfahrt auf einen großen Hof, der vor einigen Jahren «entkernt» worden war, um eine Tiefgarage für mehrere anliegende Häuser zu buddeln. Auf der dünnen Bodenschicht, die das Dach bedeckte, wuchs ein kümmerlicher Rasen. Holm spekulierte jedes Mal in Gedanken, was der Architekt sich ausgedacht und der Bauherr an diesen Plänen geändert haben mochte.

Er schloss die wuchtige Doppelflügeltür auf. Für einen Junggesellen war die Altbauwohnung mit den hohen, großen Zimmern und der gipsverzierten Decke überdimensioniert. Aber der Vormieter hatte sie unter immensen Kosten renovieren lassen, zwei Monate bevor seine Firma ihn Knall auf Fall versetzte; Holm stieg in seinen Mietvertrag ein und hatte bei den Verhandlungen das feste Gefühl, der Vermieter hätte gerne kräftig zugelangt. Aber sobald er den Beruf seines Gegenübers erfahren hatte, traute er sich nicht mehr. Warum er keine Ausflüchte ersonnen und Holm die Wohnung zu einer Quadratmeter-Miete überlassen hatte, die geradezu an Bestechung grenzte, blieb ihm ein Rätsel.

Von den sechs Zimmern hatte er nur zwei vollständig eingerichtet, sein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer. In einem dritten Zimmer stand nur sein Schreibtisch. Von Büchern und Bildern hielt er nicht viel, Fremde hätten die Wohnung wohl als kahl bezeichnet, aber bis jetzt hatten nur wenige Menschen sie betreten. Vor neunzehn Monaten war er in die Stadt «kommandiert» worden; so musste man es wohl nennen. Hier kannte er niemanden. Und seine Fähigkeit wie sein Wunsch, neue Bekanntschaften zu schließen, waren gleichermaßen beschränkt.

Dass er allein hauste, trug bei den Kollegen zu seiner Unbeliebtheit bei, und noch mehr, dass er keinerlei Erklärungen abzugeben pflegte. Nach der Grundausbildung hatte er sich, damals Schutzpolizist auf einem ruhigen Revier, in ein junges Mädchen verliebt. Während er die Hochzeit plante, ließ sie sich von ihren Freundinnen beeinflussen: Wie man bloß einen Schupo heiraten könne! Sie löste die Verlobung. In einem der wenigen Wutanfälle seines Lebens hatte er ihr ein paar Ohrfeigen geklebt und war gegangen. Seitdem lebte er allein, und wenn er für ein paar Wochen eine neue Freundin hatte, vermied er es, sie in seine Wohnung zu holen.

Von seinen Eltern hatte er ein Mietshaus, das dringend vom Keller bis zum Dach renoviert werden musste, und ein kleines Häuschen am Stadtrand von Osnabrück geerbt. Das Mietshaus verkaufte er, pokernd wie ein ausgebuffter Makler, an eine Versicherungsgesellschaft, die ihre Verwaltung erweitern musste. Für das Einfamilienhaus fand er ebenfalls einen Käufer, der das große Grundstück teilen wollte und entsprechend zahlte. Mit dem Geld wusste Holm nichts anzufangen; zwei Jahre lag es auf einem Sparkonto, bis er im Zuge einer Ermittlung einen Banker kennenlernte, der ihn gut beriet. Seit der Zeit hatte er das Kapital nicht mehr angerührt, nicht einmal die Zinsen und Dividenden aufgebraucht. Finanziell hätte er sich einiges leisten können, aber er war, ohne es zu merken, sparsam, wenn nicht geizig geworden. Eine Ausnahme bildete nur seine Plattensammlung. Er sammelte, anfangs quer durch den Garten, wechselte mehrfach seinen Geschmack, stieß dann Jazz und Schlager und Volksmusik ab. Zurzeit eroberte er sich gerade die Wiener Vorklassik.

Als Schüler war er fünf Jahre brav, wenn auch widerwillig, zum Klavierunterricht gegangen. Vor einigen Jahren hatte ihn einmal das Gefühl gepackt, er müsse noch etwas aus seinem Leben machen, und eine Folge dieses dumpfen Gefühls war der Kauf eines gebrauchten Klaviers. Sechs Monate übte er verbissen, dann verflog das Gefühl der Unzufriedenheit. Er verkaufte das Klavier und behielt die Noten. Abends saß er oft mit einer Flasche Wein und Kopfhörern in einem bequemen Ohrensessel.

Ab und zu quälte ihn das Gefühl der Einsamkeit. Doch es wurde nie so stark, dass er Dummheiten beging und sich Frauen kaufte. Freunde hatte und vermisste er nicht. Viel mehr als die Kollegen, die ihm misstrauten, weil er sich von ihnen fernhielt, hing er an seinem Beruf. Doch auch das behielt er für sich.

Brummelnd inspizierte er seinen Kühlschrank, fand nichts, was seinen Appetit anregte, und marschierte hungrig in seine Stammkneipe.

In der «Kupferkanne» winkte er dem Wirt zu und verkroch sich auf seinen Stammplatz an einem winzigen Zweiertischchen in einer engen Nische. Wenn er den Stuhl drehte, saß er mit dem Rücken zur Wand und hatte einen ungestörten Blick auf das ganze Lokal. Irgendwie hatte er sich angewöhnt, immer am Rande zu sitzen, immer nur halb dabei.

Marlies, die Tochter des Wirts, brachte ihm unaufgefordert ein großes Bier. «Guten Abend, Herr Holm.»

«’n Abend, Marlies. Ich hab Hunger. Gibt’s noch was Ordentliches?»

«Ich kann Ihnen ein Schnitzel mit Salat machen.»

«Gebucht.»

Die «Kupferkanne» war eine richtige Nachbarschaftskneipe. Die meisten Gäste kannten sich, Fremde kamen selten und wurden stillschweigend ignoriert, und Holm gehörte erst seit Kurzem richtig dazu. Frauen konnten hier verkehren, ohne angemacht zu werden, es gab nie Krach und ganz selten Betrunkene. Der Wirt führte mit sanfter Hand ein strenges Regiment. Abwechslung in das biedere Publikum brachten nur die Lehrer und Lehrerinnen des Schulzentrums, das drei Straßen weiter lag, und - sehr selten - die Schüler der Fachhochschule für Kunst und Gestaltung auf der anderen Seite des Parks. Wie exotische Schmetterlinge fielen sie ein, vom Stammpublikum heimlich bestaunt und demonstrativ geschnitten. Sie bestellten Pernod und Kir Royal, redeten zu laut und zu schnell und bildeten, sobald sie wieder davongeschwirrt waren, Gesprächsstoff für den Rest des Abends. Von einigen war Holm überzeugt, dass sie Rauschgift nahmen, aber die Kneipe betrachtete er als privates Gelände ohne dienstliche Verpflichtungen, zumal die «Kupferkanne» sauber war.

Der Wirt hatte, von Marlies alarmiert, einigen Typen Hausverbot erteilt, nachdem sie beim versuchten Dealen ertappt worden waren; seitdem hatte er keinerlei Last mit Kiffern oder Süchtigen.

«So, Ihr Essen. Guten Appetit.»

«Danke, Marlies.»

Einmal sank der Geräuschpegel so auffällig ab, dass Holm unwillkürlich hochschaute. Unter der Tür stand eine Brünette, für die man tatsächlich eine halbe Minute Konzentration aufbringen konnte. Groß und schlank, von jenem Typus, den einer mal mit «Beine bis zum Hals» beschrieben hatte, weiche Locken bis auf die Schultern, große, fast zu große Augen für das schmale, tiefbraune Gesicht, und ein Mund, dessen Unterlippe eine Spur zu füllig war, sodass ein einzelner schneller Blick nicht entscheiden konnte, ob sie nun lockte oder schmollte. Sie steckte in einem hellbeigen Overall, der weit genug war, etwas zu raten übrig zu lassen, und eng genug, eben das herauszufordern. Ihr Gesicht war nicht im landläufigen Sinne schön oder hübsch. Dafür war es nicht so leicht zu vergessen. Holm blubberte vergnügt. Sie wusste, dass sie angestarrt wurde, das nahm sie hin und verbat sich gleichzeitig jede billig plumpe Annäherung. Der geschulte Beobachter hatte den massiven Goldarmreifen und die schlichte Uhr registriert; sie trug sonst keinen Schmuck, weil sie es nicht nötig hatte, und die Umhängetasche sah nach nichts denn nach einem atemberaubenden Preis aus.

Mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln schaute sie auf die Uhr, ging dann an die Theke und setzte sich so, dass neben ihr Hocker frei blieben. «Eine Portion Kaffee», bestellte sie, unterschlug das «Bitte», nickte dafür aber freundlich. Holm konnte sie ungestört im Profil beobachten, verkniff es sich aber, weil er nicht dabei ertappt werden wollte. Einmal drehte sie den Kopf in seine Richtung und musterte ihn flüchtig; sie hatte dunkelbraune Augen, die sehr kühl wirkten.

«Hat’s geschmeckt?»

«Danke, gut, Marlies. Ich krieg noch ein großes Bier.»

«Ist schon in Arbeit.»

Nach zwanzig Minuten bat die Brünette um das Telefon. Die Nummer suchte sie aus einem kleinen Lederbüchlein heraus, tastete so fix, dass Holm anerkennend schmunzelte, und legte energisch los: «Guten Abend, hier ist Annegret Marquardt ... wie bitte? Ich warte seit zwanzig Minuten in der <Kupferkanne> ... was sagten Sie? <Kupferkessel>? ... nein, Sie müssen sich irren, ich bin mit Ihrem Mann in der <Kupferkanne> verabredet ... nun ja, es ist nicht Ihre Schuld. Vielen Dank und guten Abend.» Als sie auflegte, kaute sie auf der Unterlippe, schob dann das Telefon weg und drehte sich entschlossen zu Holm um: «Entschuldigen Sie bitte die Störung, kennen Sie ein Lokal namens <Kupferkessel>?»

«Hier in der Stadt?», fragte er amüsiert.

«Ja, ich denke doch», erwiderte sie verwundert.

«Es gibt nämlich zwei <Kupferkessel>. Eine Kneipe in der Innenstadt, am Iffland-Theater, und ein Restaurant draußen in Wirksen.» «Ach du meine Güte», schnurrte sie entgeistert. «Was mache ich jetzt?»

«Am besten rufen Sie an», schlug er vor, und weil er einen spöttischen Unterton nicht ganz unterdrücken konnte, presste sie verärgert die Lippen zusammen. Mit Hilfe des Telefonbuchs fand sie beide Nummern heraus und begann zu telefonieren, erkundigte sich nach einem Gast namens Harald Dromberg und erfuhr im Wirksener «Kupferkessel», dass der Herr das Lokal vor wenigen Minuten verlassen habe - mit der Bitte, dies möglichen Anrufern doch mitzuteilen. Diesmal bedankte sie sich sehr höflich beim Wirt, zündete sich eine Zigarette an und grübelte, unschlüssig, was sie jetzt tun solle. Holm räusperte sich, sie drehte wieder den Kopf. Weil sie ihn jetzt offen anschaute, hob er die Schultern und sagte leichthin: «Pech. Sehr ärgerlich für Sie?»

Eine ganze Weile blieb ihr Gesicht ausdruckslos. Endlich zuckte es in ihren Mundwinkeln: «Das weiß ich eben nicht. Das Ehepaar sucht ein Haus, ich hab eines an der Hand, das ich schon seit Langem nicht an den Mann bringe - vielleicht wär’s ja was geworden.»

«Sind Sie Maklerin?», fragte er so unverhohlen neugierig, dass sie es ihm nicht übelnehmen konnte. Erheitert stellte sie eine Gegenfrage: «Sie suchen nicht zufällig eine stilvolle Villa, zwölf Zimmer, zwei Garagen, viertausend Quadratmeter naturbelassener Garten?»

«Nein, aber was heißt naturbelassener Garten?»

«Total verwildert.» Ihr Lachen war ansteckend, und Holm war ehrlich beeindruckt: «Großartig. Und was bedeutet stilvoll?»

«Altmodisch. Um nicht zu sagen: renovierungsbedürftig.»

«Man lernt nie aus. Die zwölf Zimmer sind aber real?»

«Nun ja, es sind Zimmer. Über die Größe ist damit nichts gesagt.» Ihr Seufzer klang nicht ganz echt. «Klappern gehört zum Handwerk, und die Konkurrenz ist hart. Wenigstens kann ich mir jetzt einen Wein gönnen.» Während sie bestellte, kehrte sie Holm den Rücken zu, und er wusste nicht, ob sie die Unterhaltung fortsetzen wollte. Aber nach dem ersten Schluck drehte sie sich wieder halb zu ihm um: «Dass Sie kein Haus brauchen, war Ihr letztes Wort?»

«Leider, ja.»

«Schade.» Sie hatte eine angenehme Stimme, sehr hell und klar. «Ich heiße übrigens Annegret Marquardt.»

Im Sitzen deutete er eine Verbeugung an: «Angenehm. Arno Holm.»

«Holm? Arno Holm?», wiederholte sie überrascht. «Moment, einen Augenblick bitte, dann kenne ich Sie - ich habe Ihren Namen ... jetzt fällt der Groschen - Sie sind Kriminalrat.»

«Donnerwetter, richtig. Woher kennen Sie meinen Namen?»

«Von Friedrich dem Großen.»

«Wie bitte?»

«Sagen Sie bloß, Sie hätten den Spitznamen noch nicht gehört! Friedrich Duhmen. Seines Zeichens Chefredakteur des <Tageblatts>.»

Er musste lachen. Ein treffender Spitzname. Duhmen war groß, massig, laut und von der Überzeugungsgewalt einer Dampfwalze, dazu dickfellig wie ein Rhinozeros und so rücksichtsvoll wie ein Elefant. Im Gefolge des «Die Polizei muss doch eine gute Presse haben» war Holm ein paarmal mit ihm zusammengetroffen, aber zu mehr als kühler Freundlichkeit hatte sich Holm nicht durchringen können.

«Ich bin beeindruckt, dass sich der Große Friedrich meinen Namen überhaupt gemerkt hat.»

«Sie haben eben Eindruck auf ihn gemacht.»

«Guten oder schlechten?»

«Darüber wollte er sich nicht näher auslassen.» Sie rutschte von ihrem Hocker. «Darf ich mich zu Ihnen setzen?»

«Mit Vergnügen.»

Es wurde noch ein angenehmer Abend. Sie konnte witzig sein und sogar spotten, doch nicht andeutungsweise machte sie den Versuch, mit ihm zu flirten, und auch er vermied jede Anspielung. Einen Ring trug sie nicht, aber er konnte sich schlecht vorstellen, dass eine Frau wie sie nicht einen Freund hatte. Umso mehr überraschte sie ihn vor der Tür der «Kupferkanne».

«Rufen Sie mich einmal an? Ich würde mich freuen.»

«Gern. Kommen Sie gut nach Hause.»

Kurz vor Mitternacht blinkte die Telefonlampe. Notgedrungen hatte er sich die Anlage einbauen lassen, weil er mit aufgesetzten Kopfhörern regelmäßig das Telefon überhörte. Vergrätzt schaltete er die Kassette ab und ging an den Apparat: «Holm.»

«Duhmen hier, guten Abend, Herr Holm.»

Er lachte auf: «Wenn man vom Teufel spricht ...»

«Häh?»

«Wir haben eine gemeinsame Bekannte, das heißt, ich habe sie erst heute Abend kennengelernt, Annegret Marquardt.»

«Marquardt, Marquardt - ach, Sie meinen diese langbeinige Sexbombe?»

«Eben die.»

«Hat sie Ihnen ein Haus angedreht?»

«Nein, mein Bedarf ist zurzeit gedeckt.»

«Bleiben Sie standhaft! Das Biest ist geschäftstüchtiger, als es aussieht.»

«Ich werde mir Mühe geben.»

«Gut. Herr Holm, ich rufe wegen des Wendel-Falles an - nee, off the record, nix zum Schreiben -, aber ich möcht schon wissen, was vorgefallen ist. Ist die kleine Wendel wirklich so fürchterlich zugerichtet worden?»

Einen Augenblick lang zögerte er. Instinktiv hätte er den neugierigen Journalisten zum Teufel geschickt, wenn da nicht die Anweisung von oben wäre. Der Schmusekurs. Kooperation, meine Herren! Also seufzte er: «Ja, sehr schlimm. So was ist mir in meiner ganzen Zeit noch nicht untergekommen.»

«Das arme Ding.» Duhmen war längst nicht so kaltschnäuzig, wie er tat.

«Kennen Sie Sara Wendel?»

«Seit ihrer Taufe. Der Vater ist ein großer Musiker, Oboist. Hat gut daran getan fortzulaufen, obwohl er sehr an seiner Tochter hing - na, das steht auf einem anderen Blatt. Der Name des Kindes bleibt also geheim?»

«Ja, die Polizei wird ihn nicht herausgeben.»

«Und von den Tätern fehlt jede Spur?»

Wieder zögerte er. Alles in ihm sträubte sich dagegen, einem Fremden Informationen zu geben, noch dazu einem Redakteur. Aber die Führung des Präsidiums hatte in ihrer Weisheit anders entschieden. «Es gibt Spuren, aber mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit werden wir die Täter nicht fassen. Die sind längst über alle Berge.»

Der Chefredakteur schnaubte: «Gut zu wissen. Passen Sie auf, Herr Holm, ich habe Mutter Wendel heute Nachmittag fast eine Stunde an der Strippe gehabt. Todesstrafe, Standgerichte, Arbeitslager mit Prügel zum Frühstück und Prügel abends zum einfachen Becher Wasser mit einem Stück verschimmelten Brots. Sie drehte völlig durch.»

«Wir kennen sie, Herr Duhmen.»

«Hoffentlich.» Duhmens Stimme wurde plötzlich drängend. «Ich bin weiß Gott konservativ und in manchen Fragen voller Stolz reaktionär. Aber was diese Frau anleiert, wird gefährlich. Haben Sie gelesen, was sie vorige Woche erklärt hat? <Vor deutschen Gerichten findet permanente Rechtsbeugung aus Feigheit und Humanitätsduselei statt.> Richterbund und Anwaltsverein heulen vor Empörung, aber ich sage Ihnen, solche Sätze bleiben haften.»

Holm angelte nach seinen Zigaretten. Duhmen wollte etwas loswerden, das war offenkundig, und wenn der Informationsfluss ausnahmsweise einmal in beiden Richtungen erfolgte, sollte es ihm nur recht sein.

«Zuerst wollte sie einen Aufruf veröffentlichen und als Mindeststrafe für Diebstahl das Abschlagen der rechten Hand propagieren. Darauf schlug ich vor, Ehebruch durch öffentliche Steinigung zu ahnden.» Dabei lachte er, dass der Hörer schepperte. «Das hat sie etwas abgekühlt, aber nur vorübergehend. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie gerade ihre Rüstung entrostet und das Schwert schleift.»

«Irgendetwas in dieser Art», stimmte Holm geduldig zu.

«Sie ist gefährlicher und einflussreicher, als man ihr zutraut.»

«Nun, ich sitze nicht im Küchenkabinett meines Präsidenten, aber ich vermute doch stark, dass er es auch weiß.»

«Ihr Präsident ist ein hervorragender Waschlappen, der denkt nur kurzfristig taktisch und zuallererst immer an seine Stellung. Aber hier geht’s um mehr. Sie wissen so gut wie ich, dass innere Sicherheit kein objektiver, sondern ein subjektiver Tatbestand ist. Redet man der Öffentlichkeit nur lange genug ein, der Alltag werde immer unsicherer, gibt’s eines Tages eine böse Reaktion.»

«Sicher. Aber im Moment muss sich die Wendel zurückhalten. Denn was immer sie jetzt predigt - alle, auf die es ankommt, wissen doch, warum sie so redet.»

«Im Moment, ja! Aber Ingeborg Wendel ist rachsüchtig. Und außerdem wage ich nicht zu beurteilen, wo sie gefährlicher ist, auf der Bühne oder hinter den Kulissen.»

«Einverstanden. Aber warum erzählen Sie mir das alles, Herr Duhmen? Die richtige Adresse wäre doch der Polizeipräsident.»

Das dumpfe Röhren hatte nur entfernte Ähnlichkeit mit einem Lachen, und Holm musste den Hörer vom Ohr weghalten: «Ich hatte den Eindruck, dass Sie noch ein Bulle der alten Schule sind, grob und hart und unfreundlich genug, auf ein gutes Image zu schei... hm, zu pfeifen. Gute Nacht, Herr Holm.»

Danach stellte er die Kassette nicht wieder an. Duhmens letzte Bemerkung hatte ihn nicht beleidigt, er war tatsächlich einer von der alten Sorte, aber er hatte gelernt, seine wahre Meinung hinter höflicher Unverbindlichkeit zu verbergen. Natürlich wusste er - was ihn nicht bedrückte -, dass seine Leute ihn für heimtückisch hielten und ihm deswegen aus dem Wege gingen. Während der Lehrgangsmonate auf der Polizeiakademie in Hiltrup hatte er sehr deutlich registriert, wie die Mehrheit der Kollegen ihn schnitt. Dagegen hielt er die wenigen, die seine Bekanntschaft suchten, bewusst auf Distanz, weil er ihre Dummheit nicht ertragen konnte, mit der sie ihre Ablehnung der «Freund-und-Helfer-Polizei» demonstrierten. Um Härte zu beweisen, übten sie sich in verbaler Brutalität, statt verbindlich zu sprechen und energisch zu handeln. Alberne Leute, die stolz die Riesenbeulen auf ihren brummenden Schädeln vorführten, nachdem sie wieder einmal gegen eine Wand gelaufen waren. Da hielt er persönlich es lieber mit dem alten Roosevelt: «Sprich sanft und habe einen großen Stock zur Hand.»

Also Duhmen hatte ihm einen Wink gegeben! Ob der Riese ähnlich dachte und schon etwas mehr wusste?

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