Читать книгу Sammelband 4 Horst Bieber Krimis: Zeus an alle / Was bleibt ist das Verbrechen / Moosgrundmorde / Nachts sind alle Männer grau - Horst Bieber - Страница 19

6.

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Holm schaute kurz bei Stolle und Cordula Matthies herein. Das Kommissariat lief schon wieder auf Hochtouren, aber beide winkten enttäuscht ab: «Nichts Neues.» Die kleine Hoffnung, die Täter in einer Ringfahndung sofort zu fassen, hatte sich nicht erfüllt. Also versuchten sie es nun mit der üblichen Routine. Cordula Matthies wie Stolle würden nichts übersehen, und die einzige wichtige Entscheidung musste er verantworten: «Wir behandeln den Waldsaum und den Ebertdamm getrennt.»

Ohne Überraschung stimmten sie zu.

«Das behalten wir aber vorläufig für uns. Ich möchte etwas Verwirrung stiften.» Nach einer Pause fügte er hinzu: «Auch mit Blick auf unsere Informanten.»

Stolle blinzelte: «Das verstehe ich nicht ...»

«Mord, Notzucht, schwere Körperverletzung von einer Bande - das muss doch einigen unserer Kunden schwer im Magen liegen.» Cordula Matthies schaltete schneller als ihr direkter Vorgesetzter Wilfried Stolle, und wieder einmal verließ Holm die Abteilung mit dem Gefühl, eigentlich personelle Konsequenzen anordnen zu müssen. Doch dann griente er: In diesem Falle müsste er der Oberkommissarin mit äußerstem Takt einige Kleidervorschriften machen.

Um neun Uhr wurde er zu Waldeck gerufen. Mit Waldeck war er dienstlich wohl immer gut ausgekommen, aber nie recht warm geworden. Zwischen ihnen hatte sich das hanseatische Du eingebürgert, das Siezen plus Vorname, aber damit war genau die Hälfte der Distanz überwunden, die Kriminaloberrat Peer Waldeck zu jedermann wahrte. Der große, hagere Mann mit dem faltigen Gesicht und bedrohlich dichten Augenbrauen liebte keine Vertraulichkeiten, und obwohl keiner im Präsidium ihm eine Gemeinheit nachweisen konnte, war er allgemein unbeliebt und an vielen Stellen gefürchtet.

«Rein mit Ihnen, Arno!», brummte Waldeck. Er hatte einen scharfen Blick und beherrschte die Technik, sehr unfreundlich zu lächeln. «Habe ich was ausgefressen?» Holm nahm sich einen Stuhl, gespannt darauf, was Waldeck von ihm wollte. Normalerweise kümmerte sich der Oberrat nicht um laufende Fälle, sondern griff nur ein, wenn es Ärger zu geben drohte. Das jedenfalls wurde ihm immer rechtzeitig zugetragen. Sein gehässiger Spitzname im Haus lautete «Das Ohr».

«Nicht, dass ich wüsste. Aber es gibt Krach, und Sie bekommen einen Teil davon ab.» Waldeck grinste ohne Wärme. «Sie übernehmen die Leitung einer Sonderkommission Hehlerei.»

Wie vom Donner gerührt, starrte Holm seinen Vorgesetzten an. Eine SoKo Hehlerei? Das durfte doch nicht wahr sein! Was sollte denn dieser Blödsinn? Die Täter vom Waldsaum und vom Ebertdamm hatten doch längst das Weite gesucht, die würden doch nicht im Traum daran denken, hier in der Stadt zu bleiben oder hier ihre Ware abzusetzen. Ware, an der Polizistenblut klebte. Die Zeitungen hatten sich doch heute Morgen regelrecht überschlagen.

Offenbar verriet seine Miene, was er dachte. Denn Waldeck runzelte die Stirn: «Moment, Arno. Ich weiß selbst, dass wir einen Deckel für den Brunnen zimmern, nachdem das Kind ertrunken ist.»

«Das scheint mir eine echte Freudsche Fehlleistung zu sein, Peer. Das Kind ist doch nicht ertrunken, sondern vergewaltigt worden.»

«Natürlich. Die Wendel hat sich wie eine Furie aufgeführt ...»

«Ich habe gestern Abend mit Duhmen telefoniert.»

«Ja, er und die Wendel kennen sich gut. Die verehrte Abgeordnete hat zuerst den Minister angerufen und ihm die Hölle heiß gemacht. Sie will die Täter haben, ob tot oder lebendig. Der Minister ist klug genug, diese gefährliche Parteifreundin zu Recht zu fürchten, hat ihr versprochen, alles Menschenmögliche zu veranlassen, und hat sie dann an Nockl verwiesen.»

«Na prima!» Dr. Andreas Nockl war Staatssekretär im Innenministerium, ein so intelligenter und erfahrener wie eigenwilliger Beamter, der sein Haus und, wie es allgemein hieß, auch seinen Minister fest im Griff hatte.

«Nockl musste nun etwas unternehmen.» Waldeck lachte kratzig. «Vernünftigerweise hat er mit dem Landeskriminalamt angefangen. Das LKA weigert sich aber schlankweg, die Einbrecher zu jagen.»

«Ach nee! Und mit welcher Begründung?»

«Keine Kapazität frei.»

«Behauptet das LKA.»

«Sagt Anselm.»

Holm musterte seinen Vorgesetzten zweifelnd. Bodo Anselm war Abteilungsleiter im Landeskriminalamt, ein ruhiger, tüchtiger und zuverlässiger Mann, der erst spät von der Schutzpolizei in die Kripo und von dort ins LKA übergewechselt war. Anselm kannte also die Nöte und Sorgen der Polizei aus eigener Anschauung. Allein ihm war zu verdanken, wenn die über Jahre aufgestaute Missstimmung zwischen örtlicher Polizei und LKA verringert worden war. Wenn Anselm erklärte, sie könnten keine Leute abstellen, musste man das wohl akzeptieren; Anselm war der Letzte, der sich vor unbequemen Aufgaben auf Kosten der Präsidien drückte.

Unvermittelt begann Waldeck zu schmunzeln. «Ich muss Ihnen ja wohl erzählen, was man mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hat, damit Sie nicht in alle Messer laufen. Gestern Nachmittag war Parteivorstandssitzung. Die Wendel tauchte unerwartet auf und putzte den Minister vor versammelter Mannschaft herunter. Der konnte der gramgebeugten Mutter schlecht die Meinung geigen und lud seinen Ärger bei Nockl ab. Den packte die kalte Wut, Sie kennen den Staatssekretär ja, de la Motte wurde telefonisch abgeduscht und abgebürstet, der reichte seinen Zorn weiter nach unten, tja, der Schneeball rollte, wuchs zur Lawine, und heute Morgen fand in aller Herrgottsfrühe eine Krisensitzung statt. Das Ergebnis ist Ihnen bekannt: Sie leiten eine Sonderkommission Hehlerei.»

«Wieso ausgerechnet ich?»

Waldeck beachtete die Frage nicht: «Das LKA unterstützt Sie mit einer Gruppe von Spezialisten.»

«Wie bitte? Ich denke, die haben keine ...»

«Elektronik-Spezialisten, Arno. Stubenhocker mit Computern.»

«Was soll ich denn mit denen?»

«Eine kluge Frage, die ich an Ihrer Stelle nicht zu laut stellen würde.» Müde und angewidert schnaufte er. «Mensch, Arno, jetzt wird Wind gemacht, alles eingesetzt, Elektronik, modernste Technik, Wissenschaft, viel Wirbel, großer Einsatz - bitte, bitte halten Sie jetzt den Mund und reden Sie nicht über Ergebnisse ...»

«Und das alles nur, weil die Tochter einer Landtagsabgeordneten von drei Einbrechern vergewaltigt worden ist!»

Zu Holms Verwunderung antwortete Waldeck nicht sofort, sondern starrte an ihm vorbei, die Augenbrauen drohend zusammen gezogen. In solchen Momenten empfahl es sich, geduldig zu warten, bis der Oberrat für sich entschieden hatte, welche Informationen - oder Vermutungen - er preisgeben wollte. Dass er sich nie vollständig in die Karten gucken ließ, war ein gewichtiger Grund für seine Unbeliebtheit.

«Nein», begann der Oberrat plötzlich sehr leise. «Nein, nicht nur wegen Sara respektive Ingeborg Wendel. Gut, die Frau ist gefährlich und kann eine Debatte auslösen, die im Moment kein Politiker führen will.» Unwillkürlich dachte Holm an sein Telefongespräch mit Duhmen. «Aber da steckt mehr dahinter, darauf verwette ich meine Pension. Was? - Nein, das weiß ich nicht, ich würd’s gerne wissen, das habe ich dem Präsidenten deutlich verklickert, doch der will sich nicht die Finger verbrennen.»

«Die Schnauze ... meinen Sie doch.»

Waldeck lachte lautlos auf: «Er ist ein Waschlappen.»

«Denselben Ausdruck gebrauchte Duhmen gestern Abend.»

«So? Das verwundert mich nicht. Die Journaille weiß mehr, als wir uns vorstellen - und einige von uns hoffen. Na, wie auch immer, das Spielchen wird nicht hier im Präsidium inszeniert.»

«Das heißt im Klartext: Man setzt mich auf einen Schleudersitz und verschweigt mir, wer wann die Rakete zünden darf.»

«So ist es, Arno. Um zehn Uhr beim Direktor.»

*


DER DIREKTOR DER KRIMINALPOLIZEI hatte sich in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Embonpoint zugelegt. Er war ein guter Polizist gewesen, bis er in zweiter Ehe eine sehr viel jüngere Frau heiratete, die vom Ehrgeiz zerfressen wurde. Dank ihrer Hilfe oder Antreiberei machte er Karriere und verlor die Freundschaft seiner früheren Kollegen. Der Klatsch wollte wissen, dass seine Frau sich einen Jüngeren ausgeguckt hatte, der noch mehr Zeit für eine noch größere Karriere vor sich hatte; mit übermäßigem Essen kompensierte er wohl seinen Frust. Sein Desinteresse für das, was in der Kriminalpolizei ablief, grenzte schon an Dienstverweigerung. Holm hatte ihn anfangs für schlicht faul gehalten, sein Urteil aber bald korrigiert. Der «Dicke», wie er allgemein und respektlos genannt wurde, hatte sich allen Schneid so weit abkaufen lassen, dass er mittlerweile jede Entscheidung fürchtete. Das laufende Geschäft erledigte sein Stellvertreter, ein aalglatter und ehrgeiziger Mittvierziger.

Raimond de la Motte, Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, war das genaue Gegenteil des Direktors: schlank, drahtig und von nervöser Geschäftigkeit. Den dritten Mann kannte Holm nicht; er stellte sich mit «Klaus Schultheiß» vor und verschanzte sich hinter geduldiger Gelassenheit.

«Sie haben von Ihrem Glück schon gehört?», legte de la Motte los; auch er beachtete den Direktor nicht weiter, der sich bequem in seinem Sessel zurücklehnte und mit dem Fall demonstrativ nichts zu tun hatte.

«Ich weiß nicht, ob man da von Glück sprechen kann.»

«Aber Sie übernehmen die SoKo?»

«Bleibt mir etwas anderes übrig?»

Selbst auf diese Provokation reagierte der Direktor nicht, sondern glänzte in schönster Unverbindlichkeit. De la Motte verzog kurz und verächtlich den Mund: «Gut, klären wir die Fronten. Natürlich hat Ingeborg Wendel einen ziemlichen Wirbel veranstaltet. Natürlich will der Minister sie ruhigstellen. Natürlich müssen wir für die Öffentlichkeit etwas tun. Natürlich erwarten Ihre Kollegen, dass der Mörder einer Polizistin gefasst wird. Aber das alles ist nur ein drei- oder vierfacher Anlass, wirklich einmal die organisierte Hehlerei aufzurollen.»

«In einer Stadt, aus der die Täter vom Waldsaum und Ebertdamm Hals über Kopf geflohen sind.»

«Wer weiß?» Für den Bruchteil einer Sekunde schien de la Motte mit seinen Gedanken nicht bei der Sache, dann beugte er sich vor: «Wo man mit dem Saubermachen anfängt, ist doch gleichgültig.» Er schien zu glauben, was er sagte, und Holm schwieg. «Sie bekommen hundertzwanzig Mann zusätzlich ...»

«Für wie lange?»

«Vorerst vier Wochen. Plus einer Gruppe aus dem LKA unter Leitung von Herrn Schultheiß, die Ihnen die gesamte Elektronik bereitstellt. Denn Zweck dieser SoKo ist auch - das möchte ich ausdrücklich betonen, Herr Rat - das Sammeln von strukturellen Daten.»

Beim Wort «Struktur» verspürte Holm immer ein leichtes Bauchgrimmen.

«Alles Gerät zur Überwachung und Dokumentation.»

«Alles?», konnte sich Holm nun nicht verkneifen zu spotten, und de la Motte errötete: «Im Rahmen der Gesetze und Rechtsprechung.»

«Aha!» Er beobachtete aus den Augenwinkeln Schultheiß, der sich ein winziges Grienen gestattete. «Keine Untergrund-Agenten?»

«Nein. Ich wiederhole ausdrücklich - nein!»

«Ich brauche Informationen. Wie viel Geld habe ich für den Kauf?»

«Wir stellen Ihnen zwanzigtausend zur Verfügung. Abgerechnet wird wie üblich.»

«Aha. Sollte sich die SoKo an die gestrigen Täter heranrobben, wird die Frage nach Straferlass oder Strafmilderung gegen Aussage auftauchen.»

«Woher wollen Sie das jetzt schon wissen?»

«Aus den bisherigen Ermittlungen. Da Zeugen fehlen, wird es darauf ankommen, eine Bande aufzubrechen, also einen herauszupicken.»

«Das müssen Sie mit dem Staatsanwalt ...» Er hatte «auskungeln» sagen wollen, verschluckte das Wort aber im letzten Moment und hustete, holte sogar ein blütenweißes Taschentuch hervor und putzte sich überflüssigerweise die Nase.

«Ich hab schon verstanden», erlöste Holm ihn nach einer bewusst langen, peinlichen Pause. «Wo werden wir untergebracht?»

Weil er sich direkt an den Direktor gewandt hatte, musste der widerwillig antworten: «Im neuen Anbau bekommen Sie den großen Vortragssaal.»

«Gut. Ich brauche einen Vertreter aus der Schutzpolizei.»

«Wen wollen Sie?»

«Ich glaube, Herr Direktor, das müssen Sie bestimmen.» Einen Moment war er ehrlich verärgert, weil alle zu deutlich zeigten, dass sie mit der Sache nichts zu tun haben wollten. Wenn irgendetwas schiefging, würden sie ihn alle schadenfroh im Regen stehen lassen. Der Direktor blinzelte heftig. Damit hatte er nicht gerechnet, und so viele Gedanken hatte er an die SoKo bisher nicht verschwendet. Das Beste, was sich von ihm sagen ließ, war wirklich, dass er seinen Dezernaten keine Knüppel zwischen die Beine warf.

Schultheiß räusperte sich: «Ich würde Hauptkommissar Lincke vorschlagen. Wir benötigen ohnehin einen Verbindungsmann, der den Einsatz der Zivilfahnder und der Reviere koordiniert.»

Jetzt musste Holm an sich halten. Lincke war eine gute Wahl, ohne Zweifel, aber es passte ihm nicht, dass sich ein fremder Mann aus dem LKA einmischte. Der Direktor strahlte breit: «Sind Sie einverstanden, Herr Holm?»

Unwillig nickte er: «Gut. Mit Lincke lässt sich arbeiten.»

De la Motte kicherte; er hatte genau verstanden, was sich vor seinen Augen ohne Worte abgespielt hatte. «Die Organisation bleibt Ihnen überlassen. Material und Leute können Sie bei Anselm direkt oder über Schultheiß anfordern. Wenn es irgendwelche Schwierigkeiten geben sollte, was ich aber nicht glaube, wenden Sie sich ruhig an mich.»

Der Direktor stemmte sich ächzend auf die Füße: «Damit wäre ja alles geklärt, nicht wahr? Ich danke Ihnen, meine Herren.» Die Runde löste sich sehr schnell auf, Holm und Schultheiß blieben vor der Tür stehen und sahen sich ausdruckslos an.

«Ich muss dem zuständigen Mann beibringen, dass die Oberste Heeresleitung ihn übergeht.»

«Ich verstehe. Wir bauen also weiter auf, drüben im Anbau.» Schultheiß winkte flüchtig mit der Hand, und Holm zählte heimlich erst bis zehn, bevor er leise vor sich hin fluchte.

Auf dem Weg ins Dezernat Einbruch begann er zu rechnen. Wenn sie einen Hehler rund um die Uhr überwachen wollten, brauchten sie drei Schichten. Jede Schicht bestand aus zwei - nein, besser drei Mann. Einer musste immer mal gerade auf den Topf oder Kaffee kochen - oder sich die Nase putzen. Nein, vier Mann: Einer wurde bestimmt durch den Papierkrieg absorbiert. Denn was immer sie an Funkgeräten bekamen: Die mussten nun tatsächlich immer besetzt sein. Also zwölf Mann pro Hehler. Reserve, Krankheiten, unvorhergesehene Zwischenfälle - fünfzehn. Wenn er die Hälfte der ihm zur Verfügung gestellten Leute auf die direkte Beobachtung verteilte - vier Hehler. Verdammt wenig. Tag und Nacht mussten Zweiergruppen bereitstehen, um mögliche Hehlerkunden zu verfolgen, Personen zu kontrollieren, Identitäten festzustellen. Angenommen, jede Schicht konnte zwei Paare einsetzen: vier Hehler mal drei Schichten mal zwei Gruppen gleich vierundzwanzig Zivilfahnderpaare, achtundvierzig Mann. Reserve für Sonderaufgaben - das waren seine zweiten sechzig Mann. Dazu musste rund um die Uhr eine Funk- und Einsatzzentrale besetzt sein: Wer stellte die Kräfte dafür? Wer stellte sicher, dass alle Gruppen, Fahnder und Zentrale wirklich dauernd Kontakt zueinander hatten? Wer brachte alle Ergebnisse zu Papier? - Staatsanwälte liebten, Richter bestanden auf Papier.

Außerdem - die reine Überwachung der Hehler nutzte wenig. Sie mussten ein System ersinnen, die Einbruchsmeldungen mit den beobachteten Leuten zu verknüpfen. Das würde Schultheiß überlassen bleiben. Wie ließen sich die Personen-, Sach- und Milieukenntnisse der Reviere für ihre Arbeit nutzen?

Er schleuderte immer langsamer. An sich machte ihm Organisieren Spaß, aber hoffentlich bekam er die richtigen Leute. Hoffentlich zog Schultheiß mit am selben Strang. Und hoffentlich stimmte, dass sie wirklich das modernste Gerät erhielten.

In Gedanken hatte er eine lange Liste angefertigt, als er bei Siebold anklopfte.

«Herein.»

«Guten Tag, Herr Siebold.»

Hauptkommissar Siebold saß hinter seinem Schreibtisch und klappte langsam eine Akte zu. Wie immer herrschte in seinem Zimmer peinliche Ordnung, was darüber hinwegtäuschte, dass sein Kommissariat hoffnungslos überlastet war. Die Aufklärungsrate für Haus- und Wohnungseinbruch sank ständig, weil die einzelnen Beamten immer mehr Fälle bearbeiten mussten. Seit Siebold vor einem Jahr den Kampf um mehr Planstellen endgültig verloren hatte, mied er den Umgang mit den anderen Kollegen. Das ging so weit, dass er ohne Erklärung bei den Konferenzen fehlte und sich rundweg weigerte, Entschuldigungen zu erfinden.

«Ich muss Ihnen etwas sehr Unangenehmes verklickern, Herr Siebold.»

«Mich kann nichts mehr erschüttern.»

Hinterher schüttelte Siebold den Kopf und zwinkerte ungläubig, machte aber seinem Spitznamen «Der Fels» insoweit Ehre, als er keinen Ton sagte. Seine Schweigsamkeit war im Präsidium so sprichwörtlich wie seine Sturheit, an ihm hatten sich schon viele die Zähne ausgebissen, Vorgesetzte, Rechtsanwälte und Einbrecher. Holm wusste genau, dass er dem Eisengrauen mit dem Vollbart wohl Befehle erteilen konnte, aber keine Befehle durchsetzen würde, wenn Siebold nicht mitspielte. Und die Tatsache, dass ihm eine Sonderkommission vor die Nase gesetzt worden war, würde seine Kooperationsbereitschaft nicht erhöhen. Also faltete Holm die Hände und wartete; ab und zu schielte er auf seine Armbanduhr. Nach drei Minuten grunzte Siebold: «Schnapsidee.»

«Nicht auf meinem Mist gewachsen.»

Wieder verstrichen zwei Minuten, dann knurrte Siebold: «Meinetwegen. Aber meine Leute machen nicht mit.» Und weil Holm fragend die Augenbrauen hob, griente der Fels kurz: «Gute Gelegenheit, Überstunden abzubummeln.»

Auch das gehörte zu seinem Ruf: Er verlangte Unmögliches von seiner Mannschaft, aber sorgte für sie.

«Gut. Wie viel berufsmäßige Hehler haben Sie auf Ihrer Liste?»

Der Eisengraue holte wortlos einen Schlüsselbund aus der Tasche und nestelte an einem Schloss, legte liebevoll ein schwarzes Heft auf den Tisch und brummte: «Elf.»

«Das ist zu viel. Ich bekomme Personal, um vier Hehler rund um die Uhr überwachen zu können. Sieben müssen wir ausschalten.»

«Und wie?»

«Einschüchtern. Das sollen Sie für mich besorgen. Stunk machen, Haus- und Geschäftsdurchsuchungen, Festnahmen, Anzeigen. Sie haben da ziemlich freie Hand.»

«Aha! Auch Rückendeckung?»

«Ja. Wir haben eine Kollegin verloren und werden fies. Oder auch mal ruppig. Anweisung von ganz oben. Die Polizei, dein Feind und Henker. Ich bring’s über meine Beziehungen schon unter die richtigen Leute.»

Statt einer Antwort nuschelte Siebold nur: «Albern.»

Holm wollte nicht widersprechen. Natürlich war’s albern. Die Leute, die sie suchten, waren entweder längst abgehauen oder würden sich still verhalten, bis Gras über die Sache gewachsen war. Mit einiger Sicherheit waren sie überall anzutreffen, nur nicht bei gewerbsmäßigen Hehlern.

Siebold musterte ihn ausdruckslos: «Wirklich albern.»

«Ich hab mir sagen lassen, dass man Sie nicht bekehren kann, weder mit Argumenten noch mit Anweisungen.»

Der Bart zuckte: «Tja, Herr Rat, so ist das.»

Aber er verstand sein Handwerk, und in den Stunden, die sie kreuz und quer durch die Stadt fuhren oder liefen, gewann Holm den Eindruck, dass Siebold mehr als einmal daran gedacht hatte, wie er’s wohl anstellen würde, sollte ihm eine SoKo Hehlerei angeboten werden. Nicht einmal musste er sein schwarzes Heft zu Rate ziehen, und am frühen Nachmittag, bei einem Bier in der Feuerwehrklause, wurde der Fels für seine Verhältnisse geradezu gesprächig. «Hat keinen Sinn, nur eine bestimmte Gruppe dichtzumachen. Das Geschäft muss ja weitergehen, also: Der kleine Dieb muss absetzen können, der große, die Bande und der Abstauber. Jedem muss ein Abnehmer bleiben, sonst geht die ganze Blase für vier Wochen auf Urlaub.»

«Ausgenommen die Süchtigen, die für den Stoff weiter anschaffen müssen.»

«Richtig. Mit denen werden Sie viel Last haben.»

Holm schmunzelte bei dem Ton: «Mit den Süchtigen oder mit unseren Leuten?»

«Kommt darauf an.» Der Fels verstummte. Holm hatte von den Auseinandersetzungen gerüchtweise gehört. Die Rauschgiftfahnder waren schon einmal bereit, bei einem Einbruch beide Augen zuzudrücken, wenn sie sich ausrechneten, durch die Beute an die größeren Dealer heranzukommen. Für sie war es so logisch wie notwendig, die Quelle zu verstopfen. Siebold verfolgte andere Interessen: Er musste etwas gegen die Einbrüche unternehmen, die erschreckend zunahmen und mit immer größerer Dreistigkeit, seit einiger Zeit sogar mit wachsender Brutalität gegenüber Mietern und Hausbewohnern durchgeführt wurden.

«Ich bin mit allem einverstanden, Herr Siebold.»

«So?»

«Wir wollen den Begriff Hehler nicht so eng fassen. Ein Dealer, der Aufträge für Einbrüche verteilt, fällt doch sicher unter diese Definition.»

«Gut. Dann überwachen wir für jede Gruppe einen Hehler und setzen die anderen unter Druck.»

«Wollen Sie nicht doch in die SoKo kommen?»

«Nein.» Siebold fletschte plötzlich die Zähne, was nicht nur kleinen Mädchen Furcht einjagen konnte: «Überwachen ist nicht meine Sache, Herr Rat.»

Sie schauten sich ungeheuer ausdruckslos an, zwei Pokerspieler, die voneinander wussten, dass jeder einen Satz Asse im Ärmel hatte, und deswegen notgedrungen ehrlich spielten.

Auf der Rückfahrt ins Präsidium begann der Fels aus heiterem Himmel zu klagen: «Ich verstehe manchmal die Welt nicht mehr, Herr Holm. Haben Sie sich die letzte Kriminalstatistik angesehen?»

«Sicher. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Papier.»

«Gut. Da behaupten unsere Politiker, die Kriminalität wachse und wachse, die Polizei müsse verstärkt werden, wir brauchten neue Gesetze, Sodom und Gomorrha bräche über uns herein. Und was sagt die Statistik wirklich?»

«Dass die Zahl der Gewaltverbrechen abnimmt.»

«Sehen Sie! Und welche Altersgruppe begeht die meisten Delikte?»

«Bis dreißig, Herr Siebold, ich weiß, was ...»

Wenn der Fels reden wollte, hinderte ihn niemand daran: «Und von denen haben wir in der Bundesrepublik immer weniger, was unseren Rentenminister ja zu Recht beunruhigt. Und welche Verbrechensarten nehmen zu? Auto, Einbruch, Rauschgift, organisierte Kriminalität.»

«Sie haben Wirtschaftsverbrechen vergessen.»

«Ach was! Sollen die doch ihre Gesetze vernünftig formulieren, damit nicht jedes Cleverle zum Betrug geradezu eingeladen wird. Und wenn die Industrie bessere Autos bauen würde und die Versicherungen darauf bestehen würden, dass die Autoradios besser gesichert würden, gingen diese Zahlen auch runter. Rauschgift - okay, da hab ich auch kein Rezept. Aber warum zum Teufel kann ich für Einbruch nicht mehr Personal bekommen? Warum löscht man nicht da, wo’s besonders heftig brennt?»

Holm überlegte sich die Antwort sorgfältig. Natürlich hatte der Fels recht, aber was er wollte, rüttelte an den Festen des Beamtenrechts und des geheiligten Stellenkegels, und wie jede Großorganisation war auch die Polizei intern mehr als konservativ.

«Vielleicht ergibt sich aus der Arbeit der SoKo ein überzeugendes Argument für Ihren Wunsch, Herr Siebold.»

«Argumente liegen bereits genug auf dem Tisch.»

«Vielleicht fehlt’s an Oberkellnern, die sie in die richtige Küche tragen?»

Zwei Minuten überdachte der Fels diese Antwort, und endlich stahl sich ein winziges Lächeln in seine Mundwinkel: «Schultheiß macht in der Tat einen sehr vernünftigen Eindruck.»

«Kennen Sie ihn?»

«Hm, ja. Er kommt aus der Kripo, ist mit achtundzwanzig ausgestiegen und hat Jura und Informatik studiert. Ich war sein letzter Chef.» Unwillkürlich kollerte Holm; die Welt war immer kleiner, als man dachte. Hoffentlich waren Siebold und Schultheiß friedlich auseinandergegangen. Der Fels hatte seine Gedanken gelesen: «Ich komm gut mit ihm aus.»

«Prima. Mein Stellvertreter soll Lincke werden.»

«Noch besser.» Siebold grunzte, dass der Wagen dröhnte.

*


IM KONFERENZSAAL WURDE bereits heftig gewerkelt. Gut ein Dutzend Männer und Frauen stellten Geräte auf, zogen Kabel, rückten Schreibtische, installierten Telefone und Funkgeräte. Offenkundig machten sie das nicht zum ersten Mal, das Chaos verriet Planmäßigkeit, und Holm, der einen Moment erschrocken die Luft angehalten hatte, registrierte automatisch, dass niemand Anweisungen gab. Also schien jeder zu wissen, was er zu tun hatte, und am meisten imponierte ihm, dass der Herr dieses Durcheinanders in aller Seelenruhe Kaffeetassen aus einer schon bereitstehenden Warmhaltekanne füllte. Nach dieser Demonstration von Ruhe und Überblick beschloss er, Schultheiß nicht hineinzureden.

«Tag, Chef.»

«Tag, Schultheiß.»

Siebold und Schultheiß gaben sich nicht die Hände. Dafür griff sich der Fels sofort eine Tasse, schlürfte und brummte: «Dass Sie’s weit gebracht haben, merkt man an der Qualität des Kaffees.»

Ihre Besprechung dauerte keine fünf Minuten, weil Lincke fehlte. Er hatte angerufen, er müsse erst seinem Stellvertreter die laufenden Geschäfte übergeben. Beim Herausgehen zeigte Schultheiß beiläufig auf einen abseits stehenden Schreibtisch: «Für Sie, Herr Holm», und er griff sich die Mappe mit der Dienstanweisung, abgezeichnet vom Präsidenten. Auf der Fahrt las er die drei Seiten, und während der Lektüre beschlich ihn ein merkwürdiges Gefühl. Was ihm an Material und Mitarbeitern zugestanden und an Vollmachten eingeräumt wurde, überstieg weit das Maß dessen, was anderen Sonderkommissionen je zugebilligt worden war. Wenn er alle Rechte ausschöpfte, setzte er große Teile des gültigen Organisationsschemas zeitweise außer Kraft. Was folgerichtig auch hieß: Konflikte mit allen Ressorts. Er überlegte und tippte dann Schultheiß auf die Schulter: «Fahren Sie mal rechts ran!»

Als der Wagen stand, reichte er die Blätter nach vorn: «Ich denke, Sie beide sollten das mal lesen.»

Hinterher wollte keiner etwas sagen, Schultheiß mit undurchdringlicher Miene, der Fels spürbar aufgebracht, aber zu erfahren, mit seiner Wut direkt herauszuplatzen. Nachdenklich faltete Holm die Blätter wieder zusammen und entschied leise: «Ich werde davon, wenn irgend möglich, keinen Gebrauch machen.»

Der Fels atmete tief durch. Seinem Gesicht war wenig anzusehen, aber Holm spürte, dass sein Zorn verflog. Schultheiß kniff für einen Moment die Augen zusammen; er schien enttäuscht.

Dank Siebolds Kenntnissen hatten sie sich schnell entschieden. Alpha, ihr erstes Objekt, besaß einen Second-Hand-Shop in der Kurlandstraße. Es war ein altes, etwas schäbiges Bürogebäude am Rande der Altstadt, sehr tief und sieben Stockwerke hoch. Durch Umbau war eine Art Ladenpassage entstanden, mit je drei Geschäften links und rechts. Alphas Laden lag ganz hinten, zur Rückseite hinaus, und besaß einen Hinterraum, von dem eine eigene Tür auf den Hof führte. Dieser Hof war für ihre Zwecke wie geschaffen - länglich, beide Längsseiten mit Garagen zugebaut. Die eine Schmalseite war bis auf die Einfahrt zugemauert, die andere bestand aus den Rückfronten der Häuser und wurde nur von zwei Türen unterbrochen, eine für Alphas Hinterzimmer, das wohl als Lager für verfängliche Sachen diente, und die zweite als Zugang zum Treppenhaus des Nachbargebäudes. Genau in der Mitte über den beiden Türen war eine sehr starke Leuchte angebracht, um den Garagenbesitzern nachts Licht zu bieten. Hinter den Garagen erhoben sich die Brandmauern von Geschäftshäusern. Nachträglich hatte man kleine Fenster für Toiletten oder Flure durchgebrochen, und ganz oben, im sechsten Stock, auch zwei größere Fenster für ein Büro, das jetzt leer stand. Eine Kamera konnte von dort oben die Türen überwachen, und Siebold nickte grimmig: «Das wissen wir, Alphas Kunden kommen nachts über diesen Hof.»

«Warum nicht von vorn, durch die Ladenpassage?»

«Da wird abends ein Scherengitter runtergelassen.»

«Dann brauchen wir also nur eine Nachtüberwachung?»

«Nein. Auch die Tageskunden kommen an seine Hintertür, entweder über den Hof oder durch das Nachbarhaus.»

Holm griff zum Telefon. Zwei Tage später war der Mietvertrag für das Büro perfekt, und nach einigem bürokratischen Ärger setzte sich auch eine Reparaturkolonne in Marsch, um die verwahrlosten Räume und Toiletten instand zu setzen.

Beta führte seinen Trödelladen in der Kanalstraße. Das ganze Viertel war im Krieg zerbombt und in den fünfziger Jahren als sozialer Wohnungsbau im Einheitsstil wiederaufgebaut worden - vier Stockwerke, Rotziegel und Rotklinker. Nummer 15 fiel etwas aus dem Rahmen. Der Eingang war ein zurückspringendes Viereck, zur Straße hin offen. Links führte eine Tür in einen Buchbinderladen, der mit immergrünen Pflanzen so vollgestellt war, dass er an ein Beerdigungsunternehmen erinnerte. In der Mitte lag die eigentliche Haustür, und rechts war der Eingang zum Beta-Laden. Es war ein lang gestrecktes Lokal mit zwei kleinen Räumen zur Rückseite, Büro und Toilette, aber ohne Türen und mit fest vergitterten Fenstern. Unter einem Vorwand erkundigten sie sich bei der Wohnungsgenossenschaft: Beta besaß nur einen winzigen Keller und musste die meiste Ware in seinem Geschäft stapeln.

Auch diesmal war ihnen das Glück hold. Auf der anderen Straßenseite, genau gegenüber dem Eingang, stand im ersten Stock eine Zweizimmerwohnung leer, die sie anmieten konnten. Holm sorgte dafür, dass dort sofort ein junges Paar einzog, Gardinen und Sonnenschutz an den beiden Fenstern zur Straße anbrachte und das elektronische Gerät in den Umzugskartons hinaufschmuggelte. Der abkommandierte «Ehemann» von der Schutzpolizei griente ziemlich unbehaglich. Seine «Frau» war eine ranghöhere Kriminalbeamtin und für ihre energische Unfreundlichkeit berüchtigt. Vom ersten Tag an bekamen sie viel «Besuch»; die Mitbewohner sollten sich an oft wechselnde Gesichter gewöhnen.

Gamma bereitete ihnen Kopfzerbrechen. Sein Geschäft «An und Verkauf» lag in einem alten Geschäftshaus am Altmarkt. Es war ein langer Schlauch, mit den Schmalseiten zur Straße und zum Hof, der glücklicherweise keinen Ausgang besaß, sondern ein besserer Lichtschacht war, vielleicht sechs mal sechs Meter groß, eingefasst von fast drei Meter hohen Mauern. Gammas Büroraum hatte wohl eine Tür in dieses gefängnisartige Viereck; sie blieb aber meistens verschlossen. Die Ware wurde durch die Ladentür von der Straße angeliefert. Eben diesen Eingang zu überwachen, machte Mühe. Sie suchten lange und mussten sich dann für ein Gebäude entscheiden, das auf der anderen Seite des Altmarkts lag, fast sechzig Meter von Gammas Glastür entfernt.

Der Techniker Schultheiß schüttelte sorgenvoll den Kopf. Das war an der Grenze des technisch Machbaren. Dann tauchte eine andere Schwierigkeit auf. Auf dem Altmarkt standen drei große Bäume, und zum Schluss blieb ihnen nur ein einziger Raum, von dessen Fenster es einen ungestörten Blick auf Gamma gab.

«Muss Gamma sein?», zweifelte Holm, aber Siebold bekräftigte: «Muss sein! Sie werden sehen: der interessanteste Kerl der Branche.»

«Hoffentlich.» Die hier postierten Überwachungsteams würden es am ungemütlichsten haben.

Wie zum Ausgleich war Delta ideal gelegen, ein freistehendes, sehr kleines einstöckiges Einfamilienhaus, etwas erhöht über der Straße. Zur Haustür führten fünfzehn Stufen hinauf. Auf dem Straßenniveau waren zwei große Garagen in den Hügel hineingebaut; offenbar gab es von dort einen direkten Durchgang in den Keller des Hauses. Die Kipptore beider Garagen waren sehr massiv und ferngesteuert. Delta erhielt häufig Besuch, der seinen Wagen in der rechten Garage abstellte. Das Tor schloss sich unmittelbar hinter ihm, und wenn er Diebesbeute bringen sollte, konnte sie ungesehen ausgeladen werden.

Auf der anderen Straßenseite hatte sich ein jetzt pensionierter Hauptmeister ein kleines Häuschen gebaut. Ein Gaubenfenster bot freien Blick auf Deltas Haus und Garagen, und der Pensionär war Feuer und Flamme, als Siebold, Schultheiß und Holm ihn aufsuchten. Seiner Frau gefiel es weniger, das sah man ihr an, aber sie spielte mit und versprach, gegen Entgelt die Überwachungsmannschaft zu verpflegen und in der Nachbarschaft als entfernte Verwandte auf längerem Besuch auszugeben.

Lincke trug Uniform, als wolle er den Unterschied zur Kripo herausstreichen, und weil im Konferenzsaal unvermindert aufgebaut und gearbeitet wurde, zogen sie sich zu viert in Holms Zimmer zurück.

«Vielen Dank, dass Sie diese Aufgabe übernehmen wollen, Herr Lincke.» Holm holte die private Cognacflasche und vier Gläser aus dem Schreibtisch.

«Selbstverständlich stehe ich zur Verfügung, Herr Rat.»

«Nein, Herr Lincke, Sie sollen nicht zur Verfügung stehen, sondern den wichtigsten Teil dieser Aktion übernehmen.» Der Hauptkommissar blinzelte überrascht, sagte aber nichts. «Ohne die Reviere können wir gar keinen Erfolg haben, das wissen Sie so gut wie wir alle. Zum Wohl.» Sie tranken sich schweigend zu, jeder beobachtete jeden. «Ich werde Ihnen erzählen, aus welchem Anlass diese SoKo eingerichtet wurde und warum sie den Anlass nicht aufklären kann.» In Schultheiß’ Gesicht zuckte es kurz, aber er senkte den Blick, als Holm ihn wie zufällig musterte. «Deswegen müssen wir nicht nur Hehler überführen, sondern in erster Linie beweisen, dass sich bestimmte Probleme lösen lassen. Oder besser: lösen ließen, wenn wir alle so flexibel wären, wie wir jetzt in der SoKo sein müssen.»

Ganz langsam stellte Lincke sein Glas ab, an dem er nur genippt hatte. Er konnte schlecht verbergen, dass er Zeit zum Nachdenken brauchte, aber Holm wollte ihm so viel Bedenkzeit einräumen, wie er benötigte. Um ihm die Entscheidung zu erleichtern, holte er die Anweisung heraus: «Lesen Sie das bitte! Wir werden von den Vollmachten so wenig Gebrauch machen wie eben möglich. Bitte.»

«Danke, Herr Rat.» Lincke las gründlich, studierte die Blätter ein zweites Mal, bevor er kaum merklich die Mundwinkel verzog: «Einverstanden, Herr Holm, ich mache mit.»

Sie hatten alle den Wechsel vom «Herrn Rat» zum Namen mitbekommen, doch nur Holm hatte genau registriert, dass Lincke dabei Schultheiß so scharf wie unfreundlich betrachtet hatte.

*


EINE STUNDE HOCKTE er stumm an seinem Küchentisch und rekapitulierte geduldig alles, was heute vorgefallen war. Das Puzzle ging nicht völlig auf, entweder fehlten noch einige Teile, oder er hatte etwas missverstanden. In Lincke täuschte er sich nicht, das war ein aufrichtiger und geradliniger Mann, der sich nicht für eine Schweinerei hergeben würde. Bei Schultheiß war er nicht so sicher, wo der Charakter aufhörte und der Ehrgeiz begann.

Manchmal bedauerte er, keinen Menschen zu haben, dem er seine Probleme anvertrauen konnte. Aber er hatte sowieso selten Probleme.

Um 21 Uhr suchte er die Telefonnummer von Annegret Marquardt heraus. Sie nahm auch sofort ab: «Herr Holm! Wie schön, dass Sie sich melden.»

«Hoffentlich störe ich nicht.»

«Überhaupt nicht. Wie geht’s Ihnen?»

«Mittelprächtig. Viel Arbeit, wenig Freizeit, viel Ärger, wenig Freude. Wie’s halt einem Polizisten so geht.»

«Glauben Sie denn, der frustrierte Hüter von Recht und Ordnung würde ein Glas Wein mit mir trinken? Ich hab auch einen Grund, ich habe die stilvolle Villa mit dem naturbelassenen Garten an den Mann gebracht.»

«Herzlichen Glückwunsch! Und wo begießen wir Ihren Erfolg?»

«Hätten Sie Lust, zu mir zu kommen? Ich muss noch zwei Anrufe abwarten, die unter Umständen bares Geld für mich werden.»

«Unter diesen Umständen ... ich mache mich auf den Weg.»

«Fein, ich freue mich. Bis gleich.»

Als er den Hörer auflegte, schnitt er eine Grimasse. Neben Magengeschwüren und Schlafstörungen zählte Misstrauen zur Berufskrankheit des Polizisten. Und bei allem gesunden Selbstbewusstsein schätzte er seine Fähigkeiten, Frauen zu beeindrucken, eher bescheiden ein. Damit hatte er sich bis jetzt eine Menge Enttäuschung erspart.

Um den Antoniusweg zu finden, musste er den Stadtplan zu Rate ziehen. Die Neuenfeldsiedlung lag im Süden der Stadt, bescheidene Einfamilienhäuschen und Reihenhäuser, ruhige Sackgassen, viele Bäume, viel Grün, ein winziges Bächlein und große Kinderspielplätze. Es roch förmlich nach glücklicher Kleinfamilie, und das einzig Positive, das er zu konzedieren bereit war, hatte mit der Wärme zu tun, die zwar auch hier draußen zu spüren war, aber nicht jene stickige Schwüle mitbrachte, die über der Innenstadt lastete. Hier raschelten sogar die Blätter unter dem Hauch einer Brise.

Nummer 12 glich seinem Nachbarn wie ein Ei dem anderen; er klingelte und musste warten, dann wurde die Tür aufgerissen, eine Frau rief noch «Kommen Sie herein!», und sofort war sie schon wieder verschwunden. Er folgte ihrer hellen Stimme. Das Zimmer war als Büro eingerichtet, ein Metallschrank für Hängemappen, ein Computer mit Bildschirm und Drucker, eine elektrische Schreibmaschine, ein kleines Kopiergerät. Sie saß vor dem Schreibtisch, die Füße auf die Kante hochgelegt, hatte ein gequältes Gesicht aufgesetzt und warf ihm eine Kusshand zu. «Nein, Herr Berghaus, so geht’s wirklich nicht. Das Angebot ist seriös, der Kunde versteht was vom Fach, er bietet achthunderttausend und keine Mark mehr ... ja, ich weiß wohl ... Herr Berghaus, achthunderttausend sind ein guter Preis ... nein, der Kunde will vor Notarabschluss ein Gutachten wegen der Feuchtigkeit ... ich weiß, es war nur ein kleines Leck, aber es sieht ... nein, damit müssen Sie rechnen.» Gepeinigt verdrehte sie die Augen und deutete mit einer Hand zur Tür, formte mit den Lippen das Wort «Küche» und unterbrach erneut den Redeschwall des Anrufers: «Herr Berghaus, Sie haben selbst eingeräumt, dass die Dielen nie aufgenommen worden sind, um den Wasserschaden zu begutachten ...»

Holm formte mit zwei Fingern das V-Zeichen und suchte die Küche. Das Haus war klein, aber für eine alleinstehende Frau völlig ausreichend. In der Küche standen auf einem Tablett eine Weinflasche, an der Tropfen hinunterliefen, zwei Gläser und zwei Schalen mit Nüssen und Mandeln bereit. Er zog Schubladen auf, fand einen Korkenzieher und öffnete die Flasche. Als er in das Arbeitszimmer zurückkehrte, hatte sie die Stirn in finstere Falten gelegt. Der Mann redete wie ein Wasserfall, es quäkte pausenlos aus dem Hörer.

Holm brachte ihr ein Glas, sie hob es stumm hoch, und nach dem Zutrinken setzte er sich so, dass er sie beobachten konnte. Heute trug sie einen weiten Leinenrock, der hochgerutscht war und ein Paar tatsächlich endlos langer Beine enthüllte, dazu ein dunkelblaues Oberteil mit aufgesetzten Taschen und weißen Kanten und Säumen. Ihre Haare standen wild ab, als sträubten sich selbst die Locken, während sie notgedrungen zuhörte. Sie balancierte ihre Sandalen auf den großen Zehen.

Endlich fiel sie ihm energisch ins Wort: «Gut, Herr Berghaus, Sie bestimmen die Musik. Ich werde es noch einmal versuchen, aber ich sage Ihnen jetzt schon, der Kunde geht nicht höher. Und ohne Gutachten läuft gar nichts - nein, über die Kosten dafür haben wir uns noch nicht verständigt ... schön, wie Sie meinen. Guten Abend, Herr Berghaus.» Sie knallte den unschuldigen Hörer auf den Apparat, stieß ein wütendes «Ufff» aus und schwang die Füße auf den Boden. «Guten Abend, Herr Holm, tut mir leid, dass ...»

«Macht nichts», tröstete er verschmitzt. «Geschäft ist Geschäft, und Wein ist Wein.»

«Es ist zum Auswachsen. Eine schöne Jugendstilvilla, klein, aber unverfälschter Stil. Dieser Berghaus ist Witwer und war zu seinen Kindern gefahren. Nachbarn hatten die Schlüssel, um nach dem Haus zu sehen, sind aber das erste Mal nach zwei Wochen in das Haus gegangen. Wasserrohrbruch, kein großes Leck, aber kein Aas weiß, wie viel Wasser in das hölzerne Tragwerk gesickert ist. Nun will Berghaus gegen seine Nachbarn klagen. Geld für die Reparatur hat er nicht - na ja, ich will Sie nicht mit meinen Sorgen langweilen. Zum Wohl, Herr Holm.»

«Der Wein ist wirklich ausgezeichnet.»

«Ab und zu kann ich mir etwas leisten.» Weil es noch angenehm warm war, setzten sie sich auf die Veranda. Diese Berghaus-Villa war nicht ihr einziger Problemfall, eigentlich gab’s nur schwierige Objekte, und wenn sie einmal Käufer und Verkäufer zusammengebracht hatte, wurden die sich sofort einig, ihre Courtage zu drücken. Günstige Hypotheken sollte sie beschaffen, Architekten zum Nulltarif. Scheußliche Bauten sollten, wegen der Steuervorteile, unter Denkmalschutz gestellt werden. Oder gerade der war aufzuheben, um abreißen zu dürfen. Holm hörte ehrlich interessiert zu. Wie viele Mieter besaß er keine gute Meinung von Maklern, was er freilich für sich behielt, aber mit einigen Geschichten ließ sie ihn in seiner Auffassung zumindest schwankend werden.

«So, nun hab ich die ganze Zeit gequatscht. Nun will ich mal wissen, was ein Kriminalrat so treibt.» Er lachte unfroh, sie bekam den Unterton mit und setzte eilig hinzu: «Entschuldigung, ich will Sie nicht aushorchen, und wenn Sie aus dienstlichen Gründen schweigen müssen ...»

«Keine Sorge, so geheimnisvoll ist meine Arbeit nicht. In erster Linie sitze ich am Schreibtisch und lese Akten.»

«Wirklich? Und so selbst - wie nennt man das? - recherchieren, so wie die Kommissare im Fernsehen?»

«Ach du meine Güte!» Er seufzte ehrlich betrübt. «Gestehen Sie bloß noch, Sie seien auch ein Schimanski-Fan.»

«Nein, von dem nicht. Auf der anderen Seite», sie kicherte boshaft, «er wirkt sehr männlich.» Die kleine Herausforderung amüsierte ihn, und deshalb schilderte er seine Tätigkeit bewusst nüchtern. Die laufenden Fälle erwähnte er mit keinem Wort, obwohl sie, als die Flasche leer war, direkt forschte: «Haben Sie was mit diesen schrecklichen Fällen zu tun, mit diesem Tod einer Polizistin? Und mit diesem Einbruch, bei dem ein junger Mann von den Tätern so schwer zusammengeschlagen worden ist?»

«Indirekt, ja», räumte er gleichmütig ein. «Die Fälle werden in meiner Abteilung bearbeitet.»

«Wissen Sie, was ich mir manchmal so denke? Man sollte diese Hehler verfolgen. Wenn die Einbrecher ihre Beute nicht loswürden, müsste es doch weniger Einbrüche geben.»

«Das wäre zwecklos, Hehler wachsen nach wie das Unkraut», berichtigte er. «Es ist ein kleines Risiko und ein großes Geld.»

«Wirklich? Ich werde den Beruf wechseln.»

Darauf lachte er nur, insgeheim froh, dass sie das Thema nicht weiter verfolgte. Als es kühl wurde, verabschiedete sie ihn, nicht unfreundlich, aber so energisch, dass er doch beeindruckt war.

«Sehen wir uns wieder?», fragte er vor ihrer Haustür.

«Sobald Sie wollen und ich Zeit habe», antwortete sie heiter.

Sammelband 4 Horst Bieber Krimis: Zeus an alle / Was bleibt ist das Verbrechen / Moosgrundmorde / Nachts sind alle Männer grau

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