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Bad Freienwalde und Falkenberg / Mark

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Der Name Bad Freienwalde (Oder) ist etwas irreführend, denn die Stadt liegt nicht, wie man annehmen könnte, an der bekannten großen Oder, sondern an der vergleichsweise kümmerlichen Alten Oder am Nordwestrand des Oderbruchs. Da hier das Barnimplateau beginnt, finden wir im Stadtgebiet Höhenunterschiede von bis zu 150 Metern.

Als wir Bad Freienwalde um das Jahr 2005 zum ersten Mal erwandern wollten, trafen wir uns auf dem Marktplatz mit der Stadtpfarrkirche St. Nicolai und dem Rathaus. Von dort gingen wir die leicht ansteigende Uchtenhagenstraße entlang. Die Uchtenhagens sind ein altes Adelsgeschlecht, und ihr Name ist ab 1250 in alten Urkunden zu finden. Beim Wegweiser Fontane-Wanderweg bogen wir nach rechts ab und stiegen zwischen mehreren Grundstücken einige Stufen hinauf. Wir erklommen einem Hang mit Buchen- und Eichenwäldern, und ich habe schnell die Orientierung verloren. Meistens versperrte dichtes Gebüsch den Blick auf die Stadt. Angesteuert haben wir vier Aussichtstürme, und wer mit einem Turm-Ticket alle bestieg, dem wurde ein Turm-Diplom verliehen. Darauf verzichtete ich mit der Begründung, schon ein Diplom zu haben, wenn auch nur das 1968 an der Freien Universität Berlin erworbene für Soziologen.

Den Aussichtsturm auf dem Galgenberg bestieg ich aber doch, und das hinterließ bei mir einen solchen Eindruck, dass ich einen der Protagonisten der Krimi-Reihe Es geschah in Berlin nach ihm benannt habe, nämlich den Assistenten des Kriminalkommissars Hermann Kappe: Gustav Galgenberg. Det is een richtija Berliner, der tut lupenrein berlinern und hat ooch alle Sprüche druff wie etwa: »Wer Jott vatraut und Bretta klaut, der hat ’ne billje Laube.«

Dann entdeckte ich etwas, das mir aus Bayern, Österreich und Holmenkollen gut bekannt ist, das ich aber nie und nimmer im Landkreis Märkisch-Oderland vermutet hätte: Skisprungschanzen. Drei davon gibt es hier im Papengrund, und auf der ältesten Schanze ist Birger Ruud, der Olympiasieger von 1936, den Rekord von sage und schreibe 40,5 Metern gesprungen.

Bad Freienwalde liegt mir auch deshalb am Herzen, weil mein Freund Volker Panecke dort aufgewachsen ist und er mich ins Redaktionskollegium des Jahrbuchs Viadrus geholt hat, das den Untertitel Heimatbuch für Bad Freienwalde (Oder) und Umgebung et Terra Transoderana trägt. Zum siebenhundertsten Stadtjubiläum (1316–2016) wurde das Sonderheft Freyenwaldia herausgegeben, in dem alles Wissenswerte über Bad Freienwalde nachzulesen ist. Spiritus Rector des Ganzen war der Ortschronist und Augenarzt Dr. Ernst-Otto Denk, und ein jeder Besuch in seiner Stadt ist damit ein denkwürdiger.

Zu Bad Freienwalde gehört auch die Ansiedlung Schiffmühle. Dort verweile ich gern, da mich dieser Ort ganz besonders an meinen Lieblingsdichter Theodor Fontane erinnert. Immer wieder lese ich Fontanes autobiografischen Roman Meine Kinderjahre und werde im Folgenden auch mehrfach aus dem 16. Kapitel (Vierzig Jahre später) zitieren. Aber recht eigentlich höre ich Fontane-Texte viel lieber – vorausgesetzt, sie werden so vollendet vorgetragen wie von Gert Westphal –, beispielsweise diese Sätze über Fontanes Vater:

Er wohnte damals, schon zehn oder zwölf Jahre lang, in Nähe von Freienwalde, und zwar in einer an der alten Oder gelegenen Schifferkolonie, die den Namen »Schiffmühle« führte und ein Anhängsel des Dorfes Neu-Tornow war. Vereinzelte Häuser lagen da, in großen Abständen voneinander, an dem träg vorüberschleichenden und von gelben und weißen Mummeln überwachsenen Flusse hin, während sich, unmittelbar hinter der Häuserreihe, ziemlich hohe, hoch oben mit einem Fichtenwalde besetzte Sandberge zogen. Genau da, wo eine prächtige alte Holzbrücke den von Freienwalde heranführenden Dammweg auf die Neu-Tornow’sche Flußseite fortsetzte, stand das Haus meines Vaters.

Und da steht es heute noch, an die 150 Jahre später.

Louis Henry Fontane wurde am 24. März 1796 in Berlin geboren und starb am 5. Oktober 1867 in Schiffmühle. Sein Vater, Theodor Fontanes Urgroßvater, ist unter anderem Kabinettssekretär der legendären Königin Luise von Preußen gewesen. Louis Henry Fontane hat in Berlin das Gymnasium zum Grauen Kloster besucht und in der Leipziger Straße eine Apothekerlehre absolviert, war aber zwischenzeitlich Soldat. Am 2. März 1813 hat er in der Schlacht bei Großgörschen trotz seiner französischen Wurzeln gegen Napoleons Truppen gekämpft hat und ist von einer Kugel getroffen worden, die jedoch in seiner Brieftasche stecken blieb. Später musste er aufgrund von hohen Spielschulden seine Apotheke in Neuruppin verkaufen. Eine Zeichnung von Hellmuth Raetzer zeigt ihn so, wie er im Erinnerungsbuch seines berühmten Sohnes beschrieben wird: Auf dem Kopfe saß ein Käpsel, grün mit einer schwarzen Ranke darum …

Sein Grabstein ist heute von Moosen und Flechten überwachsen. Die Inschrift lautet schlicht und einfach: Louis Hanri Fontane. Weder Daten noch Fakten sind darauf zu finden.

Schiffmühlen sind Wassermühlen. Da die träge dahinfließende Alte Oder alles andere als ein wild rauschender Bach ist, fragt man sich, wie mithilfe ihrer Wasserkraft bis 1770 Mehl gemahlen worden sein soll. Heute ist das kleine Fontanehaus in Schiffmühle ein Museum. Besucht man es, kann man sich das Ende der Kinderjahre bildlich vorstellen:

Als 5 Uhr heran war, mußt’ ich wieder fort. »Ich begleite Dich noch«, und so bracht er mich bis über die Brücke.

»Nun lebewohl und laß Dich noch mal sehen.« Er sagte das mit bewegter Stimme, denn er hatte die Vorahnung, daß dies der Abschied sei.

»Ich komme wieder, recht bald.«

Er nahm das grüne Käpsel ab und winkte.

Und ich kam auch bald wieder.

Es war in den ersten Oktobertagen und oben auf dem Bergrücken, da, wo wir von »Poseidon’s Fichtenhain« gescherzt hatten, ruht er nun aus von Lebens Lust und Müh.

Bad Freienwalde ist mit Falkenberg / Mark wie mit einem siamesischen Zwilling verwachsen. Und auch hier »fontanet« es sehr. Man findet in Falkenberg nicht nur die Villa Fontane, den Fontane-Wanderweg und einen Gedenkstein mit einem Kupferrelief eines Fontanekopfes, auch der Verleger und Sohn von Theodor Fontane, Friedrich, war in dem Ort oft zu Gast. Der Höhepunkt eines jeden Ausflugs nach Falkenberg ist aber das Speisen oder Kaffeetrinken im »Panoramarestaurant Carlsburg«, das schon seit 1838 bekannt und seit 1991 wiedereröffnet ist. Grandios ist der Blick hinunter ins Oderbruch, ein Hochland nach Norden hin bis zur sogenannten Neuenhagener Insel und den bläulich grünen Höhenrücken, die schon zu Polen gehören. Hier muss Joseph von Eichendorff gestanden haben, als er die folgenden Verse gedichtet hat:

Und ich wandre aus den Mauern

Bis hinaus in’s freie Feld,

Hehres Glänzen, heil’ges Schauern!

Wie so weit und still die Welt.

Schon allein das Wort Oderbruch löst bei mir hehre Gefühle aus, denn als Junge ist der Roman Die Heiden von Kummerow von Ehm Welk eines meiner Lieblingsbücher gewesen und das darin beschriebene vorpommersche Dorf Kummerow liegt im Bruch hinterm Berge. Selbstverständlich weiß ich, dass Welk eigentlich das Dorf Briesenbow bei Angermünde gemeint hat, das weit entfernt von der Oder liegt, an die sechzig Kilometer flussaufwärts an der Welse – aber was kümmert mich das?

Steht man auf der hölzernen Terrasse der »Carlsburg« und dreht den Kopf weit nach links, kann man das Schiffshebewerk Niederfinow erkennen. Schaut man nach links unten, blinken dort im Sonnenlicht die Schienen der RB60 (Eberswalde—Frankfurt / Oder), und die blau-weißen Züge der Niederbarnimer Eisenbahn erscheinen so klein wie die einer Modelleisenbahn.

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