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Oranienburg

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Oranienburg ist für mich fast ein Jahrzehnt lang ein Ort der Sehnsucht gewesen, denn als ich 1982 nach Frohnau gezogen war, lag es zwar recht nahe, aber schier unerreichbar hinter Stacheldraht und Grenzsperren. Die S-Bahn fuhr nur bis Frohnau, und nördlich des Bahnhofs war der stillgelegte Bahndamm ein beliebter Spazierweg mit freiem Blick in die grünen Weiten der DDR. Meine Ost-Berliner Verwandten belehrten mich, dass der Ort O-Burg hieße, wie man auch KW für Königs Wusterhausen sage. Ich nenne Oranienburg manchmal Bötzow und werde dann angesehen, als hätte nun auch mich die Altersdemenz gepackt.

Der Ort, eine slawische Siedlung, wurde im Jahr 1216 als Bothzowe erstmals urkundlich erwähnt. Nachdem die Christen das Gebiet erobert hatten, bauten sie in Bötzow, so der »eingedeutschte« Name, eine Burg, die der brandenburgische Kurfürst Joachim II. später zu einem Jagdschloss umbauen ließ. Fünf Generationen später, im Jahre 1650, schenkte der berühmte Große Kurfürst die Domäne Bötzow seiner Gattin Louise Henriette, die dem Hause Oranien entstammte, und ließ an alter Stelle ein neues Schloss in holländischem Barock errichten: Oranienburg.

Nachdem während des 19. Jahrhunderts die Chemische Produkten-Fabrik das Gebäude genutzt hatte und später ein Lehrerseminar hier eingezogen war, musste das Schloss ab 1933 als SS-Kaserne herhalten. Die militärische Nutzung dauerte nach dem Ende der NS-Diktatur an: Nun machten sich die Rote Armee sowie in der DDR-Zeit die Kasernierte Volkspolizei und die Grenztruppen im Schloss breit. Heute ist der älteste Barockbau in Brandenburg Museum und Kulturstätte. In den 1990er-Jahren durfte ich hier einmal zu einer Lesung verweilen.

O-Burg liegt an einem See – aber nicht, wie man denken sollte, am Oranienburger See, sondern am Lehnitzsee. Der hat die Form eines Magens, erstreckt sich über 2,3 Kilometer in Nord-Süd-Richtung und ist mal 250, mal 400 Meter breit.

Am südlichen Ende des Sees fließt die Havel weiter Richtung Elbe, und S- und Regionalbahn überqueren den Fluss auf einer mächtigen Brücke. Unter der kann man auf einem schmalen Weg an der hier kanalartigen Havel entlanggehen. Ein schützendes Gitter gibt es nicht, und unter der Kaimauer scheint in der Dunkelheit der Hades zu lauern. Dorthin wurde ich einmal vom RBB beordert, damit mich Uwe Madel für seine Fernsehsendung Täter – Opfer – Polizei interviewen konnte. Mich packt heute noch die Angst, wenn ich daran zurückdenke.

Steigt man in Lehnitz aus der S-Bahn, kann man von seinem südlichen Zipfel aus fast ganz um den See herumwandern. An seinem nördlichen Ende mündet er in die Havel-Oder-Wasserstraße, und mit Blick auf die Lehnitzschleuse kann man den Kanal auf einer Brücke überqueren. Die L273 wird hier zur O-Burger Magistrale, der Bernauer Straße, zur DDR-Zeit Straße des Friedens. Auf ihr erreicht man nach wenigen Hundert Metern die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen. Oranienburg kann sich glücklich schätzen, dass sein Name meist zuerst mit dem Schloss assoziiert wird – und erst dann mit dem Konzentrationslager. Unzählige Menschen sind hier gequält worden, wie etwa Jurek Becker, oder ermordet, wie der Hitler-Attentäter Georg Elser. Gott, was wäre der Welt an Schrecken und Elend erspart worden, hätte er am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller sein Werk vollenden können!

Am Ufer des Lehnitzsees kann man im »Eiscafé Dietrich« einkehren und versuchen, die dunkelste Epoche deutscher Geschichte zu verdrängen. So ganz wird das aber nie gelingen, zumal in und um O-Burg regelmäßig nicht explodierte Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden werden, die aufwendig entschärft werden müssen. Weil hier viele Chemie- und Rüstungsbetriebe ansässig waren, war die Stadt ein vorrangiges Ziel der Luftangriffe der Alliierten. Es soll Berliner geben, die sich wegen der ständig gefundenen Blindgänger weigern, nach O-Burg zu fahren.

Wagt man den Ausflug dennoch und steigt an der Enthaltestelle Oranienburg aus der Berliner S-Bahn, sticht einem sofort der riesige Komplex des Gymnasiums F. F. Runge ins Auge. Gleich nach der Wiedervereinigung sind hier auch etliche sitzengebliebene Schüler aus den Nordberliner Ortsteilen Frohnau und Hermsdorf untergekommen. Weil es damals in Brandenburg nur 12 Schuljahre gab, in West- Berlin aber noch 13, konnten sie dann im selben Jahr ihr Abitur machen wie ihre ehemaligen Klassenkameraden.

Rechts vom Gymnasium beginnt die Willy-Brandt-Straße. Gehen wir die hinunter, können wir unter Umgehung der Hauptstraße über den Louise-Henriette-Steg den Schlossplatz erreichen. Ganz hier in der Nähe muss der Ort gelegen haben, an dem mein Ost-Berliner Freund und Kollege Jan Eik und ich gleich nach der friedlichen Revolution gemeinsam lesen sollten. Die Gastgeberin machte es sich leicht und bat uns, als wir vorn am Lesetisch nebeneinander Platz genommen hatten, uns doch bitte selbst vorzustellen. Auf mich zeigte sie zuerst. Und so sagte ich: »Mein Name ist Jan Eik, eigentlich Helmut Eikermann, geboren am 16. August 1940 in Berlin, und ick jloobe, det hört man ooch. Eigentlich bin ich Diplomingenieur für Informationstechnik, seit 1987 aber freiberuflicher Autor. Ich hoffe, Sie kennen meine beiden Kriminalromane hier.« Die lagen vor uns auf dem Tisch, und ich brauchte sie nur hochzuheben. »Das lange Wochenende, Verlag Neues Leben, Berlin 1975, und Poesie ist kein Beweis, 1986, erschienen in der DIE-Reihe.«

Danach stellte sich Jan Eik als Horst Bosetzky vor. Zu unserem Entsetzen durchschaute lange Zeit keiner, was da gespielt wurde.

Fällt das Wort Oranienburg, dann rufen viele sofort: »Ah, Eden!« Gemeint ist dabei aber nicht Rolf Eden mit seinem Berliner Nachtklub, sondern die Oranienburger »Gemeinnützige Obstbau-Siedlung Eden«, 1893 gegründet und ausgerichtet auf naturnahes und gesundes Leben.

Eine möglichst nachhaltige Genesung mit der Option auf ein gesundes Leben versuchte auch die Lungenheilstätte am Grabowsee zu gewährleisten, an welche ich als Lungenkranker sofort denken muss. An ihren Zäunen haben wir nach der Wiedervereinigung bei unseren Ausflügen von Frohnau aus oft gestanden. Bis 1995 war sie noch russisches Lazarett, dann begann sie langsam zu zerfallen. Heute wird die Anlage gern als Filmkulisse genutzt.

Auch Friedrichsthal sollte man besuchen und sich den Malzer Kanal mit seinen Schleusen ansehen. In der Friedrichsthaler Kirche wirkte der spätere evangelische Bischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Kurt Scharf von 1933 bis 1945 als Pfarrer.

KW und O-Burg – diese DDR-Kürzel haben sich in meinem Gedächtnis derart festgesetzt, dass ich zu raten beginne, als mein Cousin Curt mir sagt, seine Tochter sei in SPO. »Sperenberg-Ost oder Spremberg-Ost?«

»Nein, Sankt Peter-Ording.«

Streifzüge durch meine Heimat

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