Читать книгу Streifzüge durch meine Heimat - Horst Bosetzky, Uwe Schimunek - Страница 14
Ferch und der Schwielowsee
ОглавлениеFerch ist ein hügeliges Dorf am Schwielowsee. Hier auf einer Endmoräne, den Fercher Bergen, hatten nahe Verwandte meiner ersten Ehefrau, Onkel Bertie und Tante Biene aus Leipzig, ihre Datsche, und da waren wir einige Male zu Besuch. Onkel Bertie war »Verdienter Erfinder« – beispielsweise hat er eine Notbremse für Rolltreppen erfunden – und als ehemaliger Mittelstreckenläufer Gegner des Meisterläufers Otto Peltzer, der sogar den großen Paavo Nurmi besiegt hatte. Darüber haben wir beim Spaziergehen immer viel geplaudert. Anschließend haben wir meist mit unseren Kindern im Strandbad Ferch gebadet und in einem Restaurant am Seeufer gespeist.
Ferch hat zusammen mit Lienewitz einen eigenen Bahnhof, der vom Bahnhof Potsdam aus mit der RB23 in rund einer Viertelstunde zu erreichen ist. Man muss nicht lange durch den prächtigen Wald gehen, um zu den beiden Lienewitzer Seen zu gelangen. Dort kann man trefflich schwimmen und baden. Einmal haben wir bei unseren Ausflügen einen Frosch gerettet, der sich im Schlund einer Schlange verklemmt hatte. Ein andermal bin ich mit meinem Freund Peter Heinrich in dieser Gegend gewandert, und als wir wieder in Ferch waren, haben wir uns vor lauter Jucken die Arme blutig gekratzt – beim Betreten des Forsts hatten wir die Warnung vor dem Eichenprozessionsspinner übersehen. Deshalb konnten wir die Fercher Obstkistenbühne, ein bekanntes Theater, auch nicht mehr besuchen.
Kommt man auf den Schwielowsee zu sprechen, müssen Theodor Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg (Band 3, Havelland) zumindest mit folgenden Sätzen zitiert werden:
Der Schwielow ist gutmütig, so sagten wir; aber wie alle gutmütigen Naturen kann er heftig werden, plötzlich, beinahe unmotiviert, und dann ist er unberechenbar. Eben noch lachend, beginnt ein Kräuseln und Drehen, nun ein Wirbel, ein Aufstäuben, ein Gewölk – es ist, als führe eine Hand aus dem Trichter, und was über ihm ist, muß hinab in die Tiefe … Es gibt ganze Linien, wo die gescheiterten Schiffe liegen.
Fontane wurde auf seinen Wanderungen von einem Fährmann aus Caputh begleitet und hat auch den gleichnamigen Ort besucht, der am Templiner See gelegen ist, aber mit dem Schwielowsee durch einen an die fünf Kilometer langen Kanal verbunden ist, den Caputher Gemünd.
Der Name Caputh wird meist mit Albert Einstein und dem »Fährhaus« assoziiert, da dieser in seinem Caputher Sommerhaus von 1929 bis 1932 einen großen Teil jedes Jahres verbracht hat. 1931 hat er seinen Sohn Eduard dorthin mit folgendem Vierzeiler eingeladen:
Sei ein gutes faules Tier,
Streck alle Viere weit von Dir.
Komm nach Caputh, pfeif auf die Welt,
Und auf Papa, wenn Dirs gefällt.
Im »Fährhaus« kann man wunderbar speisen und dabei beobachten, wie die Wagenfähre zwischen dem Caputher und dem Geltower Ufer hin- und herpendelt.
Auch der Ort Petzow liegt am Schwielowsee. Dort gibt es nicht nur ein bewundernswertes Schloss und eine guterhaltene Schinkelkirche, sondern ebenso die Villa Berglas. Zur DDR-Zeit firmierte sie von 1955 an und bis zur Wiedervereinigung als Schriftstellererholungsheim »Friedrich Wolf«, in dem in- und ausländische Schriftsteller arbeiten und sich erholen konnten. 1985 weilte hier mein Leipziger Freund und Kollege Steffen Mohr, und ich besuchte ihn dort, um mit ihm unser gemeinsames Werk zu besprechen, den ersten und letzten deutsch-deutschen Kriminalroman: Schau nicht hin, schau nicht her. Der Titel ist einem Schlager von Marika Rökk entlehnt, die wir als pubertierende Knaben sehr geschätzt haben: »Hoch die Rökk!« Damals glaubten wir noch an die Legende, dass die Schauspielerin einst Besitzerin der Villa gewesen sei. Diese Mär ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass der erste Eigentümer nach dem Ersten Weltkrieg der Filmbranche angehört und den Namen Siegmund Jacob getragen hatte und bei den Rökk-Filmen meist Georg Jacoby Regie führte, der spätere Ehemann der Sängerin.
Wie auch immer, Steffen und ich siedelten unsere Geschichte an der vermeidlichen Rökk-Villa an, und wir stellten unsere Romanhandlung dort auch nach. Steffen musste die Leiche spielen. Er tat das bühnenreif, und ich fotografierte ihn dabei mit meiner Polaroidkamera – zweimal, denn jeder von uns beiden sollte ein Foto mit nach Hause nehmen, um alles authentisch beschreiben zu können. Da unser Projekt von der Stasi aufmerksam verfolgt wurde, erschien uns das als der sicherste Weg. Doch argwöhnische Nachbarn haben uns aus lichter Höh beobachtet und die Leiche für echt gehalten. Und schon war die Volkspolizei alarmiert … Da blieb uns nur die Flucht – und das Marika-Rökk-Lied zu Ende zu singen:
Schau nicht hin, schau nicht her,
Schau nur grade aus,
Und was dann auch kommt,
Mach dir nichts daraus.