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Neuruppin und Fehrbellin

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Es ist ein Skandal, dass sich Neuruppin nicht Fontanestadt nennt, hat doch Heinrich Theodor Fontane hier am 30. Dezember 1819 das Licht der Welt erblickt. Beide Eltern, der Apotheker Louis Henry Fontane und seine Ehefrau Emilie, waren hugenottischer Herkunft. Aufgewachsen ist der kleine Theodor in der Karl-Marx-Straße, Haus Nummer 84, das heute nach ihm benannt ist und noch immer eine Apotheke beherbergt. Ist man zu Gast in Neuruppin, sollte man deshalb zunächst die Löwen-Apotheke aufsuchen.

Ich war so oft in Neuruppin, ob zu Wanderungen, Familienausflügen oder Lesungen, dass ich es nicht mehr aufzuzählen vermag. Im Winter 1994, als mein Buch Mord und Totschlag bei Fontane erschien, saß ich sogar auf dem Fontane-Denkmal und schaute ehrfurchtsvoll zu meinem Vorbild hinauf.

Neuruppin hat aber nicht nur Theodor Fontane hervorgebracht, die Liste seiner berühmten Söhne und Töchter ist lang. An dieser Stelle seien nur diejenigen genannt, die für mich selbst von großer Bedeutung sind:

- Mit Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) wird man in Berlin und Brandenburg überall konfrontiert. Nicht nur seine eigenen Bauwerke erinnern an ihn, sondern auch die unzähligen Fassaden, die seinem Stil nachempfunden wurden.

- Gustav Kühn (1794–1868), Buchdrucker und Herausgeber von Bilderbogen, hat mich schon als Kind mit seinen Vorläufern des Comics erfreut.

- Paul Carl Beiersdorf (1836–1896), Apotheker und Firmengründer der Beiersdorf AG, erfreut mich heute noch mit seiner Nivea-Creme.

- Carl Großmann (1863–1922), Serienmörder, hat mich angeregt, Die Bestie vom Schlesischen Bahnhof zu schreiben.

- Klaus Schwarzkopf (1922–1991), Schauspieler, spielte den Professor Kolczyk in der Verfilmung meines Romans Einer von uns beiden.

- Eva Strittmatter (1930–2011) war eine der Großen in der Schriftstellerzunft und insbesondere in der DDR hochgeehrt.

- Uwe Hohn (* 1962) ist nicht nur ein herausragender Speerwerfer (Weltrekord mit 104,80 Metern), in der Fernsehreihe Außenseiter Spitzenreiter ist es ihm auch gelungen, ein Streichholz 30,68 Meter weit zu werfen.

Vergessen sollten wir auch nicht, dass Friedrich der Große (1712–1786) von 1732 bis 1740 als Kronprinz Friedrich Kommandeur der Neuruppiner Garnison gewesen ist und Georg Heym (1887–1912) in Neuruppin das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium besucht und hier seine ersten Gedichte geschrieben hat. Möglicherweise war auch Abend am See unter ihnen:

Leis kommt die Nacht auf Dämmerwegen.

Du fühlst im Waldsee ein heimliches Regen.

Der Abendwind rauscht durch das Rohr so eigen

In des Sternengeflimmers tanzenden Reigen.

Still ruhn die Wogen in dem Silberschein

Des Monds, der sich erhebet wolkenrein.

Es öffnen die Seerosen ihren Silberkranz.

Ein nie geahnet Glück sie erfüllet ganz.

Damit haben wir eine wunderbare Überleitung zum Ruppiner See, den ich mit meiner Wandergruppe unzählige Male umrundet habe. Als Ausgangspunkt diente uns dabei immer sein südliches Ende, in dessen Nähe Wustrau gelegen ist. Im altem Wustrauer Gutshaus ist Hans Joachim von Zieten 1699 geboren worden, dem Fontane 1847 das Gedicht Der alte Zieten gewidmet hat. Die erste Strophe beschreibt den General anschaulich:

Joachim Hans von Zieten,

Husarengeneral,

Dem Feind die Stirne bieten,

Er tat’s wohl hundertmal;

Sie haben’s all erfahren,

Wie er die Pelze wusch

Mit seinen Leibhusaren

Der Zieten aus dem Busch.

Zu Beginn von Zietens Karriere deutete nichts darauf hin, dass der Mann aus Wustrau neben Seydlitz einmal der berühmteste General Preußens werden sollte. Bei Beförderungen wurde er übergangen, und der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. urteilte über ihn: … ist gar klein und von schwacher Stimme für das Commandiren. Zieten nahm daraufhin erst einmal einen zeitweiligen Abschied vom Militär. Wieder zurück, scheiterte er ein zweites Mal, aber im Siebenjährigen Krieg kam seine große Zeit. Er starb schließlich nicht auf dem Schlachtfeld, sondern 1786 in Berlin, wo er sich in der Kochstraße 61/62 ein Haus gekauft hatte.

Ich habe von Hans Joachim von Zieten zum ersten Mal erfahren, als ich ein Bild von ihm im Zigarettenbilderalbum meines Vaters entdeckte. Das zeigte ihn in Sanssouci an der Tafel Friedrichs des Großen. Angeblich soll er bei diesem Besuch im Schloss eingeschlafen sein. Friedrich der Große verhinderte jedoch, dass man ihn aufweckte: Lasst ihn schlafen, er hat lange genug für uns gewacht.

In meiner Jugend bin ich oft durch die Neuköllner Zietenstraße gegangen, heute Werbellinstraße.

Einmal fuhren wir mit der RE6 von Spandau eine knappe Stunde bis Wustrau-Radensleben, liefen nach Wustrau, bestaunten dort das Zieten-Schloss, besuchten das Brandenburg-Preußen Museum und marschierten dann am östlichen Ufer des Ruppiner Sees entlang, wobei wir die Ortschaften Karwe, Gnewikow und Wuthenow passierten. Ob hier Fontanes Schach von Wuthenow zu Hause war? Auf dem Seedamm überquerten wir den Ruppiner See und nahmen Kurs auf den Bahnhof Rheinsberger Tor, nicht ohne vorher den herrlichen Seeblick an der Klosterkirche Sankt Trinitatis genossen zu haben. Ich dachte an Lisa, meine ältere Tochter, und stieß einen Seufzer aus, denn sie hatte einmal beim Erlernen der deutschen Sprache statt Seeufer laut Seufer gelesen.

Ein anderes Mal sind wir von Neuruppin nach Norden gewandert und am Molchow-, Tetzen- und vorbei am Zermützel- zum Tornowsee gelaufen. Sofort fühlte ich mich an den Zermützel-, den Schermützel- und den Scharmützelsee erinnert, diese bringt der Berliner gerne durcheinander.

Neben Neuruppin gibt es auch ein Alt Ruppin, ein Ortsteil von Neuruppin, und zudem die Ruppiner Schweiz, deren Name auf das leicht Hügelige der Landschaft anspielt.

Was ist noch erwähnenswert? Die Fontane Therme vielleicht oder der Hinweis, dass man vor dem Besuch der Stadt das Buch Der Pate von Mario Puzo lesen sollte, denn seit 2004 macht Neuruppin Schlagzeilen durch Korruption und Vetternwirtschaft und hat bereits Spitznamen wie »Märkisches Palermo«, »Klein Palermo« und »Korruppin« verliehen bekommen. Nur beim Fußball macht Neuruppin mit seinem MSV immer wieder positive Schlagzeilen. Sollte die Mannschaft einmal gegen Hertha BSC spielen, werde ich mir das nicht entgehen lassen.

Südlich an das Neuruppiner Gebiet grenzt Fehrbellin, das ich auf keinen Fall unerwähnt lassen darf, kennt doch ein jeder die Schlacht bei Fehrbellin und Kleists Prinz von Homburg sowie den Ausruf des Titelhelden: Träum ich? Wach ich? Leb ich? Bin ich bei Sinnen? Die Brandenburger besiegten die Schweden am 28. Juni 1675 am Hakenberg, und viele Historiker deuten dieses Ereignis als den Ausgangspunkt für den Aufstieg Brandenburg-Preußens zur europäischen Großmacht. Auf dem Hakenberg steht deshalb auch ein Denkmal, eine Siegessäule, 1875 bis 1879 erbaut, 36 Meter hoch und gekrönt von einer Bronzeviktoria.

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