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Groß Pankow und die Prignitz

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Die Gemeinde Groß Pankow übertreibt etwas mit ihrem Namen. Genau genommen, müsste sie mit ihren 3982 Einwohnern Klein Pankow heißen, denn der Berliner Bezirk Pankow weist 394 816 Einwohner auf und ist deshalb das eigentliche Groß Pankow.

»Aber wir liegen auch an der Panke«, lautet der Einwand aus der Prignitz.

»Nun, unsere Panke ist immerhin ein Flüsschen von 29 Kilometern Länge und eure von der Quelle hinter Kuhsdorf bis zur Mündung in die Stepenitz nur ein Bach, der noch nie richtig vermessen wurde«, entgegnet daraufhin der drittgrößte Hauptstadtbezirk.

Als ich kurz vor Weihnachten 1945 Groß Pankow zum ersten Mal betrat, war es noch ein kleines Dorf, heute zählen zu Groß Pankow 18 Ortsteile und 39 Dörfer. Da wir Kinder mit unseren Müttern im Krieg evakuiert wurden, hatte ich zuerst eine Zeit lang in Steinau an der Oder, unweit von Liegnitz, verweilen dürfen, dann in Zieko in der Nähe von Coswig in Sachsen-Anhalt und schließlich in Groß Pankow, gelegen zwischen Perleberg und Pritzwalk. Warum waren wir ausgerechnet hierher gekommen? Weil ein Teil des Reichpostzentralamtes, in dem mein Vater als Techniker beschäftigt war, nach Groß Pankow, und zwar in den Tanzsaal des Gasthauses »Zettgries«, ausgelagert worden war. Meine Mutter und ich bekamen zwei Zimmer im Gehöft des örtlichen Reichsbauernführers Martin Blumenthal zugewiesen. Der war Mitglied in der NSDAP, aber kein überzeugter Nationalsozialist, weshalb er sich auch gut mit meinem Vater verstand, der als Mitglied des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold ausgewiesener Gegner des NS-Regimes war. Ich war damals nicht einmal sieben Jahre alt, und Martin Blumenthals Tochter Edith wurde meine erste Freundin, mit der ich sogar in einem Bett schlafen durfte.

Gleich hinter der Scheune der Blumenthals lag das Schloss beziehungsweise Herrenhaus der Familie Gans zu Putlitz, das auch heute noch dort zu finden ist. Edith geriet immer ins Schwärmen, wenn sie von ihren Besuchen dort sprach. Mit einer der adligen Töchter ging sie in dieselbe Klasse – leider nicht mit mir, denn ich war an die vier Jahre jünger als sie. Die Dorfschule, heute die Grundschule Juri Gagarin, war wegen uns vielen Flüchtlingskindern aus Berlin und Hamburg so überfüllt, dass eine »Willkommensklasse« im zweiten Gasthaus des Orts eingerichtet werden musste.

Das einst so stattliche Haus von Martin Blumenthal mit viel Schinkel an der Fassade verfällt heute zunehmend, dafür hat die Riesengemeinde Groß Pankow nun ein ansehnliches Rathaus bekommen.

Im Mai 2016 war ich wieder einmal vor Ort, kutschiert wurde ich von meinem Freund Volker, einem gebürtigen Brandenburger. Zuerst suchten wir nach dem Herrenhaus. Sein Wappen fasziniert mich, seitdem ich es zum ersten Mal sah. Auf ihm ist eine auffliegende goldbewehrte silberne Gans vor rotem Hintergrund abgebildet. Ebenso in den Bann gezogen hat mich als Junge der komische Name des Schlossherrn: Waldemar Gans Edler Herr zu Putlitz. Der ließ mich nicht mehr los, und gut sechzig Jahre später habe ich Gustav Gans (1821–1890) in einem Kriminalroman der Reihe Es geschah in Preußen auftreten lassen. Wiedergegeben habe ich die Szene, die in den Erinnerungen von Wolfgang Gans Edler Herr zu Putlitz, erschienen unter dem Titel Unterwegs nach Deutschland, wie folgt beschrieben wird:

Von ihm wurde seit Großvaters Zeiten bei uns in Laaske immer als haarsträubender Skandal die Geschichte erzählt, wie während des regnerischen Sommers von 1852 in Retzin die Ernte nicht eingefahren werden konnte, weil Onkel Gustav die Scheune dazu benutzte, um darin eine heute vergessene Oper »Rübezahl« seines Freundes, des Komponisten Friedrich von Flotow, zum ersten Male aufzuführen.

Ja, Gustav Gans, Gutsbesitzer, Schriftsteller, Theaterintendant und als Politiker sogar Mitglied des Preußischen Herrenhauses, befreundet mit allen Dichtern seiner Zeit von Emanuel Geibel über Gustav Freytag bis zu Franz Grillparzer, war eine herausragende Persönlichkeit.

Angemerkt werden muss, dass Retzin heute ebenso zu Groß Pankow gehört wie die Gemarkungen Kuhsdorf, Kuhbier, Horst und Wolfshagen, während Laaske der Stadt Putlitz zugerechnet wird.

Das Rittergut Groß Pankow war seit Urzeiten im Besitz der Familie Gans zu Putlitz. Waldemar Gans Edler Herr zu Putlitz ist am 2. Mai 1945 beim Einmarsch der Roten Armee ums Leben gekommen, während ich nur eine posttraumatische Belastungsstörung erlitt, als meine Mutter zwei Meter neben mir vergewaltigt wurde.

In Groß Pankow ist Elisabeth Gans Edle Herrin zu Putlitz aufgewachsen, die Mutter des deutschen Mediziners, Kunstsammlers und Genealogen Bernhard von Barsewisch, der am 18. April 1935 geboren wurde. Unmittelbar nach Kriegsende flüchtete die Familie nach Westdeutschland. Von Barsewisch studierte zunächst Biologie, später Humanmedizin an den Universitäten in Hamburg und West-Berlin. 1960 legte er das medizinische Staatsexamen ab, fokussierte sich dann auf die Augenheilkunde, um 1978 außerplanmäßiger Professor in München zu werden. Nach der Wiedervereinigung zog es ihn zurück in seine alte Heimat. 1991 kaufte er das Gutshaus Groß Pankow, um darin eine hochangesehene Augenklinik unterzubringen.

Nebenbei: Auch Edith Blumenthal hat eine interessante Biografie. Sie heiratete einen der Lehrer der oben erwähnten Dorfschule, Herbert Szuks, der später zu einem der führenden Meeresbiologen der DDR wurde. Auf deren Trawlern reiste er um die halbe Welt, um die gefangenen Fische auf Parasiten zu untersuchen. Edith und Herbert haben in Güstrow gewohnt, aber Edith ist nach der friedlichen Revolution noch oft nach Groß Pankow gefahren, um eine Entschädigung für die Felder ihres Vaters zu fordern, die die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft vereinnahmt hatte.

An dieser Stelle muss ich auch noch einmal auf ihren Vater, Martin Blumenthal, zu sprechen kommen, der ein solch typischer Märker war, dass er eigentlich auf einer Briefmarke hätte verewigt werden müssen. Martin Blumenthal war für die Unterbringung der aus den deutschen Ostgebieten eintreffenden Flüchtlinge zuständig. Und als wir ihn einmal verzweifelt beten sahen und uns nach dem Grund dafür erkundigten, antwortete er: »Heute kommt Herr Kackstein, um alles zu kontrollieren.« Ich konnte damals nicht fassen, dass jemand tatsächlich so heißen sollte. Erwähne ich den Namen heute, unterstellen mir meine Gesprächspartner meist, er sei meiner Fantasie entsprungen, aber einen bekannten Nationalsozialisten namens Richard Kackstein hat es wirklich gegeben. Er war Bauer im nahen Kuhbier, trat schon 1920 der NSDAP bei, wurde SA-Mann und Sturmbannführer und saß als Abgeordneter seiner Partei im Preußischen Landtag und im nationalsozialistischen Reichstag. Im Frühjahr 1933 übernahm er außerdem im Kreis Ostprignitz Ämter als Kreisbauernführer und als Kreisleiter.

Zurück zu Groß Pankow: In Groß Pankow kann man hervorragend baden gehen. Die beiden wichtigsten Flüsse, die die Prignitz zwischen Pritzwalk und Perleberg durchziehen, sind die rund 29 Kilometer lange Dömnitz und die bereits oben erwähnte Stepenitz. Dieser Nebenfluss der Elbe entspringt auf einem Höhenzug nahe Meyenburg, fließt über 84 Kilometer reizvoll durchs Flachland und zählt zu den saubersten Wasserläufen Deutschlands. Man kann viele weitere Details über die Stepenitz nachlesen, nur nicht, dass ich im Juli 1946 als absoluter Nichtschwimmer um ein Haar in ihr ertrunken wäre – wie auch kurz zuvor im Dorfteich von Groß Pankow. Beide Male hat mich Edith gerettet.

Den Dorfteich konnten wir bei unserem Besuch im Jahr 2006 nicht mehr finden. Ich vermute, dass man ihn meinetwegen zugeschüttet hat. Nichtschwimmer bin ich in gewisser Weise mein Leben lang geblieben. Ich habe zwar aus meiner Bremer Zeit den Frei- und Fahrtentrinker, aber ich habe niemals eine Urkunde für den Frei- und Fahrtenschwimmer erlangt, nicht einmal das Seepferdchen habe ich.

Es sei noch hinzugefügt, dass man nach Groß Pankow am besten mit dem Auto über die B189 oder per Bahn mit dem Prignitz-Express, der Regionalexpresslinie RE6, gelangt. Auf dem Pankower Bahnhof trieb ich mich in den Jahren 1945 bis 1947 in jeder freien Minute herum, um die ankommenden Züge zu erwarten, den abfahrenden hinterherzuwinken und dem Stationsvorsteher bei der Arbeit im Stellwerk zuzuschauen. Das hat mich für mein Leben geprägt und zum Eisenbahnnarren werden lassen. Gern haben wir Kinder auch Markstücke auf die Schienen gelegt und gewartet, bis ein Zug sie platt gefahren hatte.

Nach Lindenberg reisten wir 2006 über Kyritz. Immer wieder wurden wir auf der Bundesstraße von zuckelnden Treckern ausgebremst, und immer wieder verfuhren wir uns auf der Suche nach dem optimalen Umweg. Nebel lag über der weiten Landschaft, und es nieselte leicht. Es war Ende Mai, doch das Wetter war herbstlich. Erst als Volker Lindenberg in sein Navigationsgerät eingab, fanden wir den richtigen Weg. Die grüne Landschaft wurde welliger. Menschenleer war es in diesem verzauberten Land.

Mit Lindenberg verbinde ich die Schmalspurbahn. Noch interessanter als die eben erwähnte normalspurige Hauptbahn war für mich als Junge die Schmalspurbahn zwischen Pritzwalk und Vettin. Die fuhr auch am Groß Pankower Nachbarort Kuhsdorf vorbei. Dort hielten die männlichen Jugendlichen beider Dörfer und wir evakuierte Jungen aus den bombardierten Großstädten oft einen nicht ungefährlichen Wettbewerb ab: Wer kann bei Annäherung eines Zugs länger ausgestreckt auf dem Gleis liegen, möglichst noch wie bei Karl May mit einem Ohr auf der Schiene? Tote gab es keine, aber tobende Eltern und Lehrer.

Von den vielen Schmalspurbahnen in der Prignitz ist bis heute nur noch der »Pollo« erhalten geblieben, die als Museumsbahn betriebene Schmalspurbahn zwischen Mesendorf und Lindenberg mit Halt in Brünkendorf und Vettin.

Als wir Lindenberg 2016 erreichten, konnten wir keine Dampflok bestaunen, denn es war Donnerstag, und die Museumsbahn verkehrt nur am Wochenende. So blieb uns nur der Besuch des Prignitzer Kleinbahnmuseums, das Einstecken eines Prospekts und der Kauf einer CD von einem Dampflokeinsatz.

Als wir Hunger verspürten, empfahl man uns die Gaststätte von Bernd Lamprecht ein Stückchen weiter an der Hauptstraße. Die Preise dort sind für Berliner Verhältnisse unglaublich niedrig. Es mundete uns trefflich, um es mit den Worten meiner Schmöckwitzer Oma auszudrücken, denn die Mutter des Wirts kochte selbst. Der plauderte munter mit uns, klagte über die strukturschwache Region und trug auf Plattdeutsch Gedichte über den Pollo vor. Es war ein Erlebnis!

Zwar konnten Volker und ich nicht mit der musealen Kleinbahn fahren, aber wir konnten eine museale »Großbahn« besichtigen, also eine, die nicht auf Schmalspurgleisen verkehrt, sondern auf der Normalspur. Als Junge war ich begeistert davon gewesen, dass zwischen Kuhbier und Pritzwalk die Gleise der Nebenbahn nach Putlitz direkt an der Chaussee entlangliefen. Wenn dort ein Zug entlangdampfte, war das für mich wie eine Weihnachtsbescherung. Bis zum 29. Juli 2016 fuhr dort die RB70 mit den Zwischenhalten Laaske, Jakobsdorf (Prignitz), Groß Langerwisch, Kuhbier und Pritzwalk West. Betrieben wurde sie von der Hanseatischen Eisenbahn. Der dieselgetriebene zweiachsige Schienenbus, im Volksmund Ferkeltaxi genannt, stammte von der Waggonfabrik Uerdingen und war, wie uns der Lokführer auf unserer Reise 2016 verriet, im Jahre 1956 gebaut worden. Das merkte man ihm auch an, und da die Schienen im verkrauteten Gleisbett nicht unbedingt ICE-Standards entsprachen, fürchtete ich um meine Bandscheiben, obwohl wir meist nur dreißig Stundenkilometer fuhren. Wir saßen ganz vorne und genossen den Blick auf die Strecke. Es wurde eine herrliche Fahrt durch Wälder und Felder und über die Prignitzer Prärie. Ich zahlte für Hin- und Rückfahrt 5,40 Euro. Den Fahrschein sah ich mir jedoch erst zu Hause an. Sofort rief ich aus: »Horst, du heißt nicht nur so, du bist auch einer!« Die Strecke gehörte zum Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, und ich hätte mir den Fahrschein sparen können, da ich eine 65-plus-Monatskarte hatte.

Über Pritzwalk ist aus meiner Sicht nicht viel zu berichten. Am 15. April 1945 ist hier ein Munitionszug nach einem Fliegerangriff explodiert, und wir haben den Knall bis nach Groß Pankow gehört. Eine andere Erinnerung an Pritzwalk verdränge ich gern: Hätte meine Mutter im Sommer 1945 im hiesigen Krankenhaus keine Abtreibung vornehmen lassen, könnte ich mich heute mit einem deutsch-russischen Halbbruder über vieles Putin’sche unterhalten.

Von Pritzwalk nach Groß Pankow sind es nur rund 13 Kilometer, und diese Fahrt genoss der kleine Horst früher ganz besonders, weil die Strecke durch das Dorf mit dem schönen Namen Kuhbier führte. Ich sah im Geiste die Kühe Bier trinken und amüsierte mich köstlich darüber. Deshalb wollte ich auch 2016 unbedingt dort entlangfahren, denn unzählige Male hatte ich auf der Chaussee von Kuhbier nach Groß Pankow mit Edith einen Leiterwagen gezogen und geschoben, um den Arbeitern das Mittagsessen aufs Feld zu bringen, wo die im Ernteeinsatz gewesen waren. Aber Volkers Navigationssystem führte uns auf eine neue Schnellstraße, auf der wir erst nach vielen Kilometern wieder umkehren konnten.

Auf dem Areal zwischen Groß Pankow und Kuhsdorf waren wir Bauern- und Evakuierungskinder auch tätig gewesen. Dort haben wir in den Wäldern Martin Blumenthals Pilze und Beeren gesammelt und die Kühe am Abend von der Weide in den Stall getrieben. Ich fand das alles herrlich! Gehasst habe ich nur das nach Luggendorf hin liegende Gurkenfeld, wo wir Kinder allerlei Arbeiten zu verrichten hatten, denn fast jeden Abend gab es Schmorgurken zu essen – und die konnte ich gar nicht ausstehen. Besser schmeckte da der Knieperkohl.

Auf den Mohnfeldern haben wir die reifen Kapseln geöffnet und uns die graublauweißen Körner in den Mund rieseln lassen. Wenn mich heute jemand »mohndoof« nennen sollte, kann ich ihn nicht verklagen. Im Sommer 1946 waren Schuhe rare Kostbarkeiten, und wir sind sehr oft barfuß gelaufen, auch bei schlechtem Wetter. Hatten wir furchtbar kalte Füße, wärmten wir sie in frischen Kuhfladen auf.

Zur Leichtathletik bin ich auch durch meine Zeit in Groß Pankow gekommen. Unser Bauer besaß damals große Plantagen mit prächtigen Kirschbäumen, und da die grünen Netze noch nicht erfunden waren, mit denen man heute die reifen Früchte vor Staren und anderen Vögeln schützt, mussten wir Kinder um das Anbaugebiet herumlaufen und dabei Topfdeckel aufeinanderschlagen, um die Tiere zu vertreiben.

Groß Pankow verdanke ich zudem meine Allergien, die sich zu einer chronischen Lungenerkrankung entwickelt haben, denn wir mussten auch beim Dreschen helfen, und die damaligen Dreschmaschinen bliesen unfassbar viel Feinstaub in die Luft. Mein Leiden – Husten und Fieber – wurde deshalb auch als Drescherkrankheit bezeichnet.

An kulturellen Sehenswürdigkeiten sind die Schlösser beziehungsweise Herrenhäuser Wolfshagen und Laaske und das Königsgrab von Seddin zu nennen, außerdem das nahe Zisterzienserkloster Marienfließ und das Klosterstift Heiligengrabe sowie die Städtchen Perleberg und Putlitz. Aber der Reihe nach …

Wir machen in Teilen die »Gänsetour« – so heißt das in der Prignitzer Touristik – und fahren von Groß Pankow nach Wolfshagen, wobei wir Horst – die Ortschaft – rechts liegen lassen.

Beim Eintreten ins Schlossmuseum Wolfshagen müssen wir dem Werbeprospekt zustimmen: So hat ein märkisches Gutshaus von innen ausgesehen. Außerdem wird uns bestätigt, dass Wolfshagen an der Stepenitz liegt. Neu in unseren Bildungskanon fügen wir ein, dass die Familie Gans zu Putlitz aus der Altmark eingewandert ist und zum ersten Mal 1178 urkundlich erwähnt wurde. Ab 1147 hat sie beim Wendenkreuzzug die Prignitz kolonisiert und in Putlitz eine alte slawische Burg übernommen. Nach 1945 hat das Gutshaus als Flüchtlingsunterkunft gedient, zur DDR-Zeit wurde es als Schule genutzt, und 1995 wurde es zum Museum.

Vom Schloss Wolfshagen ist es nicht weit bis zum Königsgrab von Seddin, einem etwas mehr als sechzig Meter langen und zehn Meter hohen Grabhügel aus der Zeit um 800 v. Chr. Hier soll der legendäre König Hinz bestattet worden sein.

Reist man mit dem Auto über die B5 an, die vor dem Autobahnbau für alle West-Berliner der einzige Weg war, um durch die DDR nach Hamburg zu gelangen, kann man im Raum Groß Pankow schnell alle Orte aufsuchen, die wichtig sind. Zu nennen ist hier das bereits mehrfach erwähnte Laaske, heute Teil der Stadt Putlitz, wo Wolfgang Gans Edler Herr zu Putlitz, der »rote Baron« der DDR, aufgewachsen ist. Die Liste all derer zu Putlitz, die hier gelebt und gewirkt haben, ist lang, mir hat sich nur der Name Gödula Margarethe zu Putlitz eingeprägt, weil der so herrlich verschroben ist. Im stattlichen Schloss waren nach 1945 zunächst Geschlechtskranke und dann Waisenkinder einquartiert, bevor es zu einem Feierabendheim wurde. 2004 hat es ein Hamburger Unternehmer gekauft, der dort nun ab und an seine freien Tage verbringt.

In der Umgebung von Groß Pankow finden wir aber auch viel Christliches, so das Zisterzienserkloster Marienfließ und das Klosterstift Heiligengrabe. Das Kloster Marienfließ, heute ein Altenpflegeheim der Diakonie, ist von den Edlen Herren Gans zu Putlitz gestiftet und ab 1230 von Zisterzienserinnen geleitet worden. Sein größter Schatz ist eine Reliquie, die einen Tropfen des Bluts enthalten soll, das Jesus am Kreuz vergossen hat. Otto IV. hatte sie aus Palästina mitgebracht. Nach dem Tod des Kaisers fiel sie Johann Gans in die Hände, der mit dem Bau an der Stepenitz einen sicheren Aufbewahrungsort für das Kleinod schaffen wollte. Aber das Kloster hatte auch noch einen anderen Zweck: Adlige Damen, die nicht zu verehelichen waren, sollten hier ein sicheres Zuhause finden.

Das Klosterstift Heiligengrabe wurde 1287 von jenem Markgrafen Otto IV. gegründet, der einem meiner Bücher seinen Namen gegeben hat: Otto mit dem Pfeil im Kopf. Die Klosteranlage, kaum mehr als zehn Kilometer von Pritzwalk entfernt, ist mit ihren dunkelroten Backsteinbauten, etwa der Heiliggrabkapelle, für jeden ein Labsal, der die modernen Berliner Bauwerke um den Hauptbahnhof und den Potsdamer Platz scheußlich findet. Als ich zur DDR-Zeit einmal mit Freunden in Heiligengrabe war, sind wir mit der Äbtissin ins Gespräch gekommen, und es stellte sich heraus, dass sie mir mit einiger Wahrscheinlichkeit im nahen Groß Pankow Religionsunterricht erteilt hatte. Damals war sie noch Pfarrerin gewesen. Irgendjemand hat mir später erzählt, sie sei Ingeborg-Maria Freiin von Werthern gewesen.

Noch ein letztes Mal möchte ich auf das kleine Dorf Groß Pankow der Jahre 1944 bis 1946 zurückkommen. Ach, was war das für das Hinterhofkind Horst Bosetzky für ein herrliches Vergnügen gewesen, bei Martin Blumenhagen vorn auf dem Kutschbock seines Pferdefuhrwerks zu sitzen, wenn wir nach Perleberg fuhren, um Onkel Fritz zu besuchen! Rund 19 Kilometer hatten wir auf einer echten brandenburgischen Chaussee zurückzulegen, und Autos, denen auszuweichen gewesen wäre, gab es damals kaum bis gar nicht.

Perleberg an der Stepenitz war und ist eine Perle, denkt man an Marktplatz, Jacobikirche, Rathaus, Gottfried- Arnold-Gymnasium und Gänsebrunnen. Mich, der ich jahrelang in Bremen gelebt habe, entzückt natürlich ganz besonders der Perleberger Roland, der seinem Pendant an der Weser in nichts nachzustehen scheint. Ob er von Angela Merkel und Eva-Maria Hagen, die in ihrer Kindheit für einige Jahre in Perleberg gelebt haben, auch so bewundert worden ist? Oder von der weltberühmten Opernsängerin Lotte Lehmann, die hier 1888 zur Welt gekommen ist?

Da Groß Pankow nun einmal im Reiche der Edlen Herren zu Putlitz lag, möchte ich dieses Kapitel auch mit ihnen schließen. Höre ich den Namen, erinnere ich mich zuerst an Kaspar Gans zu Putlitz (1360–1429), der, als Raubritter verteufelt, mit den Quitzows, den Bredows und den Rochows zusammen verhindern wollte, dass die Mark Brandenburg unter die Herrschaft der Schwaben, also der Hohenzollern fiel. 1411 hatte König Sigismund den Nürnberger Burggrafen Friedrich VI., einen Hohenzollern-Spross, zunächst als Verweser, dann als Kurfürsten und Markgrafen in Brandenburg eingesetzt. Der Burggraf nahm den Titel Friedrich I. an und setzte sich bis 1414 erfolgreich gegen den aufsässigen brandenburgischen Adel durch, weil er über die besseren Waffen verfügte, beispielsweise über eine neumodische Kanone, die »Faule Grete«, die die Festungen der Aufständischen in Schutt und Asche legte.

Johann Gans zu Putlitz (1430–1518) hat es auf der Berliner Siegesallee zum »Seitendenkmal« des Markgrafen Otto II. gebracht. Und selbstverständlich haben wir in Berlin eine Putlitzstraße, bis 1999 trug sogar der S-Bahnhof Westhafen diesen Namen.

Von der Burganlage in Putliz ist nur der Turm erhalten geblieben, und nachdem wir den bei unserem letzten Besuch in Augenschein genommen hatten, stiegen wir wieder ins Auto und fuhren zurück nach Berlin.

Streifzüge durch meine Heimat

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