Читать книгу Streifzüge durch meine Heimat - Horst Bosetzky, Uwe Schimunek - Страница 18

Brandenburg an der Havel und der Beetzsee

Оглавление

Viele verstehen nicht, warum Brandenburg an der Havel als Wiege und Keimzelle der Mark nicht deren Landeshauptstadt ist und warum Brandenburg an der Havel so einen umständlichen Namen hat und nicht einfach Brandenburg-Stadt genannt wird wie etwa Mexiko-Stadt.

Früher, als ich in Hannover meine Ausbildung zum Industriekaufmann absolvierte, fuhren die Interzonenzüge nach Berlin noch über Magdeburg und Brandenburg an der Havel. Vom Zugfenster aus bekam ich einen guten Eindruck von der Stadt, und da beschloss ich, sie einmal zu besichtigen.

Ich habe Brandenburg an der Havel dann sogar öfter besucht, mal mit der Familie, mal mit der Wandergruppe, mal allein zu einer Lesung. Vom Berliner Bahnhof Zoologischer Garten braucht man mit dem RE1 nur um die fünfzig Minuten bis nach Brandenburg. Ich habe dagegen fünfzig Tage gebraucht, um in Otto mit dem Pfeil im Kopf zu erzählen, wie im Jahr 1150 nach dem Tod des Hevellerfürsten Pribislaw-Heinrich das Land durch einen Erbvertrag an den Markgrafen Albrecht der Bär gefallen ist, der den aufmüpfigen Slawenfürsten Jaxa von Köpenick besiegte und 1157 die Mark Brandenburg begründete.

Alle Baudenkmäler der Stadt zu beschreiben – die Domkirche St. Peter und Paul, die Domklausur, die St.-Katharinen- und übrigen Kirchen, die mittelalterliche Stadtmauer der Alt- und der Neustadt, die vier erhaltenen Stadttortürme und das Altstädtische Rathaus – ist Sache der Reiseführer. Ich möchte jedoch erwähnen, dass es seit 1474 einen Roland in Brandenburg an der Havel gibt, so wie ja auch in Perleburg einer steht. Das versetzt mich als zeitweiligen Bremer natürlich in Entzücken.

Als ich Brandenburg an der Havel wieder einmal mit meinem Freund Volker bereise, mahnt er mich: »Von dir als Schriftsteller erwartet man, dass du bei allen Orten, von denen du in deinen Streifzügen berichtest, auf die Kollegen eingehst, die dort gewirkt haben.«

Ich mache mich kundig und stoße auf Namen wie Hans von Held, Julius von Voß, Heinrich Ludwig Bolze, Elisabeth Goedicke und Jean Wiersch, von denen ich noch nie zuvor etwas gehört habe. Nur Friedrich de la Motte Fouqué kenne ich. Selbstverständlich sind mir auch berühmte Söhne der Stadt wie Theodor Hosemann (1807–1875), der Maler, Illustrator und Karikaturist, nach dem eine Straße im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg benannt worden ist, der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik Kurt von Schleicher (1882–1934) und unser geliebter Loriot bekannt. Eine Größe der deutschen Geschichte, die in Brandenburg an der Havel lebte, ist jedoch vielleicht noch viel legendärer als sie alle zusammen: der Barbier Johann Friedrich Andreas Bollmann (1852–1901), genannt Fritze Bollmann. Bollmann hatte insgesamt elf Kinder, von denen jedoch viele starben. Da er in eine finanzielle Notlage geriet, flüchtete er sich in den Alkohol. Lief er betrunken in der Stadt umher, wurde er häufig von Kindern geärgert und verspottet. Beim Angeln nahe der Dominsel – und nicht auf dem Beetzsee – stürzte er aus seinem Kahn, worauf die Kinder der Stadt das berühmte Spottlied auf ihn dichteten:

Zu Brandenburg uff ’m Beetzsee

Ja da liegt een Äppelkahn,

Und darin sitzt Fritze Bollmann

Mit seinem Angelkram.

Fritze Bollmann wollte angeln,

Doch die Angel fiel ihm rin,

Fritze wollt se wieder langen,

Doch da fiel er selber rin.

Fritze Bollmann schrie um Hilfe,

Liebe Leute, rettet mir,

Denn ick bin doch der Fritze Bollmann

Aus der Altstadt der Barbier.

Und die Angel ward jerettet,

Fritze Bollmann, der ersoff …

Tatsächlich ist Fritz Bollmann aber nicht beim Angeln ertrunken, sondern verarmt im Städtischen Krankenhaus verstorben.

Den Breitlingsee konnte ich bei meinen Fahrten vom D-Zug aus ebenfalls sehen, und vom Beetzsee habe ich durch die Fritze-Bollmann-Lieder erfahren. Der Obere Beetzsee und der Riewendsee waren mir dagegen lange Zeit unbekannt. Beide liegen nordöstlich von Brandenburg und sind durch ein sich dahinschlängelndes Fließ, genannt der Sträng, miteinander verbunden. Auf dem Beetzsee habe ich einmal eine Dampferfahrt unternommen, und im Hotel »Bollmannsruh« am Oberen Beetzsee haben wir gut gespeist. Westlich der Stadt sind noch der Plauer und der Mösersche See zu finden.

Sehr lobenswert finde ich, dass es in Brandenburg an der Havel noch eine Straßenbahn gibt. Auf dem meterspurigen Netz verkehren drei Linien mit einer Streckenlänge von fast 18 Kilometern. Leider ist im Herbst 2002 die an die sechs Kilometer lange Strecke nach Kirchmöser wegen Brückenschäden eingestellt worden.

Auch für mich West-Berliner war Kirchmöser schon immer ein Begriff, zum einen wegen des Reichsbahnausbesserungswerks Brandenburg-West und zum anderen, weil hier viele erfolgreiche Ruderer zu Hause waren. Nicht zu vergessen ist auch der Fußballverein BSV Stahl Brandenburg, der in der Tabelle der DDR-Fußball-Oberliga auf dem 22. Platz zu finden war.

»Wir müssen zurück nach Berlin!«, ruft die Gefährtin meines Lebens. »Wir sind um 18 Uhr am Brandenburger Tor verabredet.«

Also zurück nach »Berlin an der Spree, an der Havel, an der Dahme, an der Panke, an der Wuhle, am Tegeler Fließ und am Neuenhagener Mühlenfließ«. Hoffentlich beschließt der Senat endlich, Berlin den ihm gebührenden Städtenamen zu verleihen.

Streifzüge durch meine Heimat

Подняться наверх