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6 DER MANN IM LILA SAMTANZUG
ОглавлениеDa legte sich ein Arm um Luan. Eine behaarte Männerhand packte ihn an der Schulter.
Luan fuhr zusammen. Sein Herz raste vor Angst.
„Ich denke, wir nehmen besser einen anderen Ausgang, wo es weniger Gedränge gibt“, sagte der Mann mit brummig tiefer Stimme und zog Luan einfach zur Seite. Es schien ihn keine Anstrengung zu kosten.
Ängstlich sah Luan zu ihm auf. Nein, der Mann war bestimmt kein Sipo. Er trug einen lila Samtanzug und darunter ein goldenes Hemd, von dem die Knöpfe abzuplatzen drohten, so sehr wölbte sich der Bauch. Der Mann war groß wie ein Bär. Vorne, in der Mitte seines Stirnbands, saß ein amethystfarbener Kristall. Seine Glatze glänzte wie eine Speckschwarte. Nur noch an den Seiten und hinten wuchsen Haare, diese aber so lang, dass er sie mit einem Gummiband zusammengebunden hatte. Der kurz geschorene Vollbart war grau meliert. Luan ließ sich aus der Menge ziehen, folgte dem Mann im Samtanzug. Dieser führte Luan zu dem riesigen Bildschirm zwischen den Verkaufsbuden und dem Ausgang. Ein Snowboarder zeigte in einem Film sein Können. Er jagte einen höllischen Abhang hinunter. „Dank Metagie bin ich fit wie nie“, erklärte der Snowboarder in dem Werbefilm. „Metagie der Müsliriegel für Sportler.“
Der Mann im Samtanzug klappte ein Stück des Bildschirmsockels zur Seite. Nur für Wartungsarbeiten stand darauf. Ein enger Gang mit Notbeleuchtung öffnete sich hinter der quadratischen Klappe. Luan sah nicht, wohin der Gang führte. Wer war dieser Mann? Was wollte er von ihm?
Ohne ein Wort zu sagen, deutete der Mann auf den Gang. Luan sollte hineinklettern. Er zögerte. Er hatte Angst.
Der Mann im lila Samtanzug brummte: „Dort drinnen wirst du keinen Sipo treffen.“
Woher wusste der Mann, dass Luan sich vor den Sipos fürchtete? Warum wollte er ihm helfen? Egal! Luan quetschte sich durch die Wartungsklappe. Ob der Mann im Samtanzug da überhaupt hineinpassen würde? Er versuchte es nicht einmal und drückte die Klappe hinter Luan zu. Das Schloss schnappte ein.
„Wir sehen uns dann bei mir“, hörte er den Mann noch murmeln. Aber wo, das verstand Luan nicht mehr.
Hitze kroch durch den Wartungsgang. Es stank nach Bersol. Große Motoren stampften wie eine Armee. Hier unten lagen die Steuermotoren des Golden Surfers. Luan folgte dem Gang. Metallgitter klapperten unter seinen Schritten. Eine Notbeleuchtung tauchte den Gang in mattgrünes Licht. Wie Riesenschlangen zogen sich Kabel unter dem Bodengitter hindurch. Es wurde immer heißer und enger. Luan konnte nicht mehr stehen. Auf allen vieren musste er jetzt kriechen. Das Muster des Gitters drückte sich in seine Handflächen. Seine Knie taten weh. Das Metallrost wand sich in Kurven und Wellen durch den Untergrund. Es hatte ihm Kerben wie Brandzeichen eingedrückt. Luan wollte raus hier. Es kam ihm vor, als würde er im Kreis kriechen. Alles sah gleich aus. Aber Luan hatte keine Wahl. Nicht einmal sein ceeBand konnte ihm die genaue Position anzeigen. Hier unten hatte er keine Verbindung.
Nach einer halben Ewigkeit stieß er auf eine Treppe, die hinaufführte. Sie mündete in einen Gang, in dem er endlich wieder aufrecht gehen konnte. Bald wurde es heller. Dort vorne beleuchteten Lampen eine silbern polierte Tür. Als Luan auf sie zuging, glitt die Tür wie von Geisterhand auf. Luan trat ein.
Seine Füße sanken in einen weißen Flauschteppich. Luan stand in einem riesigen Wohnzimmer. Es war das altmodischste Wohnzimmer, das Luan jemals gesehen hatte. Der Esstisch schwebte nicht, sondern stand auf vier Beinen. Das orangefarbene Knautschsofa bestand noch aus echten Polstern, nicht aus virtuellem Sitzschaum. Und statt eines Hologramm-Projektors hing ein uralter Flachbildfernseher an der Wand. Museumsreife Lampen mit Glühbirnen tunkten das Wohnzimmer in ein zugegebenermaßen gemütliches Licht, fand Luan. Das Seltsamste aber waren die Autoscooter, die im Raum verteilt herumstanden. Luan hatte keine Ahnung, wo er war.
Da wurde eine Tür mit Schwung aufgerissen. Der Mann im lila Samtanzug trat ein. Nervös strich sich Luan die Haare aus der Stirn.
In der Hand hielt der Mann ein Marmortablett, darauf stand ein Teller, über und über beladen mit Blaubeerpfannkuchen. Sie dufteten köstlich. Auf der linken Schulter des Mannes saß eine Ratte. Die Ratte hatte eine rot gefärbte Irokesenfrisur. Misstrauisch äugte sie auf Luan herab.
„Setz dich, mein Junge, setz dich“, brummte der Mann und deutete auf das Sofa.
„Du magst sicher noch ein paar von den Dingern“, sagte er und stellte den Teller mit mindestens einem Dutzend Blaubeerpfannkuchen auf den kleinen Couchtisch, der in dem flauschigen Teppich zu versinken schien.
Das ließ sich Luan nicht zweimal sagen. Wer Blaubeerpfannkuchen verschenkte, konnte kein schlechter Mensch sein. Luan ließ sich auf das Sofa fallen und fischte nach einem Pfannkuchen.
„Der Weg durch den Wartungsschacht ist vielleicht ein bisschen eng, aber immer noch komfortabler als das Gedränge am Hauptausgang. Zurzeit kontrollieren die Sipos jeden, der hinaus möchte. Sie suchen irgendjemanden. Früher habe ich auch immer den Weg durch den Wartungsschacht genommen. Aber mittlerweile habe ich wohl ein paar Kilo zu viel auf den Rippen.“ Der Mann schüttelte sich und lachte. Die Knöpfe seines goldenen Hemdes vibrierten. Der Zwirn, der sie hielt, sirrte wie eine gespannte Gitarrensaite.
„Schmecken die Blaubeerpfannkuchen, Luan?“, fragte der Mann.
Luan erschrak. Woher kannte der Mann seinen Namen? Er hatte ihn bestimmt nicht zufällig herausgeschmuggelt. Vielleicht war er vom Geheimdienst oder Detektiv und suchte ihn im Auftrag von Mama Berta? Unsicher stopfte Luan ein großes Stück Pfannkuchen in den Mund. Luan wollte Zeit gewinnen, abwarten, was der Mann von ihm wollte. Luan nickte und murmelte etwas wie: „Mmhhm.“
Der Mann griff in die Innentasche seines Sakkos und zog eine Tube Senf heraus, extra scharf. In aller Ruhe schraubte er die rote Kappe ab. Er presste ein wenig Senf heraus und hielt die Tube seiner Ratte hin. „Feines Fresserchen, Rüdiger“, murmelte er, als wäre es das Normalste auf der Welt. Die Ratte mit der Irokesenfrisur stürzte sich auf den Senf und mümmelte an der Tube.
Mit dem roten Senfdeckel in der Hand deutete der Mann auf Luans Handgelenk und meinte: „Cooles Teil.“
Schon wieder ging es um sein ceeBand. Trotzig erklärte Luan: „Das hab ich nicht gestohlen. Ganz bestimmt nicht. Ich habe das ceeBand selbst gebaut. Ich kann so etwas, das müssen Sie mir glauben!“ Blaubeermarmelade lief Luan über das Kinn.
Beschwichtigend hob der Mann die Hände. Die Ratte quiekte. Sie kam nicht mehr an den Senf heran.
„Hatte mir schon so etwas gedacht“, murmelte der Mann und hielt Rüdiger die Tube wieder vor die Schnauze. „Aber du hast Angst, dass die Sipos dir nicht glauben?“, fragte er und zog dabei die Augenbrauen so komisch hoch.
„Weiß nicht, was die von mir wollten. Ich habe das ceeBand wirklich nicht geklaut. Die Mädchen haben mich angeschwärzt. Die mit dem weißen Kristall und ihre Freundin mit den lila Haaren“, sagte Luan. Er fühlte sich unsicher. Hatte er schon zu viel gesagt? Wer war dieser Mann?
Der Mann legte die Senftube auf den Tisch, direkt neben Luans Pfannkuchenteller. Die Ratte huschte über den Ärmel des lila Samtanzugs hinunter und hockte sich zwischen Pfannkuchen und Senf.
Unauffällig schob Luan seinen Pfannkuchenteller zur Seite.
„Brauchst dir keine Sorgen zu machen, Rüdiger mag keine Pfannkuchen“, sagte der Mann und zog seinen dünnen Pferdeschwanz zurecht.
„Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Kalawesi“, sagte der Mann und lachte dröhnend, als wäre ihm ein besonders guter Witz gelungen.
Luan nahm den letzten Blaubeerpfannkuchen vom Teller und biss ab.
„Hast wohl ganz schön Schiss vor den Sipos, dass du einfach mitkommst. Du kennst mich überhaupt nicht. Ich könnte ein Verbrecher sein. Lungern viele hier herum“, sagte Kalawesi und sah Luan scharf an. Kalawesi stand auf und ging um Luan herum, blieb hinter ihm stehen. Er legte seine Hände auf die Sofalehne. Aus den Augenwinkeln sah Luan Kalawesis behaarte Finger.
„Die beiden Mädchen wollten mich drankriegen“, versuchte sich Luan zu verteidigen.
„Ich habe gesehen, wie du den Berg umprogrammiert hast“, sagte Kalawesi lauernd.
Luan biss sich auf die Lippe. Die Blaubeermarmelade auf dem Kinn sah nach Blut aus. Seine Finger trieften vor Fett. Wie konnte Kalawesi das gesehen haben?
„Weißt du, ich bin der Boss vom Lunapark“, sagte Kalawesi sanft. „Mir gehört der Park. Der Golden Surfer ist meine neueste Attraktion. Die Leute lieben ihn, sind ganz verrückt auf den weißen Berg. Meine besten Programmierer haben ihn über Jahre entwickelt, und du spazierst einfach herein und fummelst in dem erstklassig abgesicherten Programm herum. Was bist du für ein Junge?“ Nun wurde Kalawesi immer lauter. Er ging um Luan herum und drückte seinen dicken Zeigefinger auf Luans Brust.
Luan versuchte auszuweichen und schob sich zur Seite. Er schluckte. Der Bissen wollte nicht hinunter. Luan musste husten. Kalawesi patschte ihm seine Hand so fest auf den Rücken, dass er den Pfannkuchen wieder auf den Teller spuckte. Luans Rücken fühlte sich an, als hätte ihn ein Pferd getreten.
„Aber…“, hustete Luan unsicher.
„Nichts aber. Ich dulde keinen Widerspruch“, dröhnte Kalawesi. „Du bist ein verdammter Teufelskerl. Nur keine falsche Bescheidenheit. Ich brauche solche Programmierer wie dich. Hier im Lunapark. Jetzt.“ Dabei donnerte Kalawesi mit der Faust auf den Tisch. Er traf die Senftube und eine große Senfwurst spritzte durch das Zimmer. Rüdiger quiekte aufgeregt und begann den Senf vom Tisch zu lecken.
Luan verstand nicht. Der Chef des Lunaparks wollte ihn als Programmierer anheuern, einfach so? Das konnte doch nur ein Scherz sein.
„Du wirst ordentlich bezahlt. Wenn du fleißig bist, mache ich dich richtig reich“, sagte Kalawesi und legte Luan seine Hand auf die Schulter, als wären sie schon seit Jahren die besten Freunde.
Luan schluckte. Warum hatte ihn Mama Berta von der Kristallfeier ausgeschlossen? Warum nur? Dieser Kalawesi bot ihm den absoluten Wahnsinnsjob an und er konnte ihn nicht annehmen, weil er nicht zur Gesellschaft gehörte, nie dazugehören würde. Und alles nur wegen ein paar Euro, die er sich von der Köchin ausgeliehen hatte.
„Das geht nicht“, murmelte Luan. „Wegen … Es ist wegen der Kristallfeier. Frau Bertowa hat mich ausgeschlossen. Dabei habe ich mir das Geld doch nur geliehen. Ehrenwort.“
Kalawesi lehnte sich zurück und lachte, dass beinahe das ganze Wohnzimmer wackelte: „Das geht nicht, das geht nicht, das geht nicht.“ Dazwischen japste er immer wieder nach Luft. „Wenn ich damals so gedacht hätte, gäbe es heute keinen Lunapark. Hör zu, mein Junge. Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich? Natürlich weiß ich, dass du Luan heißt und von den Häppy Kidz abgehauen bist. Natürlich weiß ich, dass die alte Bertowa dich von der Kristallfeier ausgeschlossen hat, wegen eines Missverständnisses in der Küche. Aber obwohl ich einen lila Kristall trage, interessiert mich das alles nicht. Das ist mir scheißegal. Ich habe in meinem Leben schon genug für RUHL getan. Hauptsache, du kannst gut programmieren. Für den Anfang bekommst du 5000 im Monat.“
„5000?“, stammelte Luan.
„Na ja, für den Anfang. Wenn du dich richtig reinkniest, zahle ich dir auch 10000 oder 20000. In Ordnung? Schlag ein!“, dröhnte Kalawesi und hielt Luan seine Hand entgegen.
Luan konnte sein Glück nicht fassen. Nicht nur, dass er ohne Kristallfeier als Programmierer genommen wurde, nein, Kalawesi bot ihm auch noch wahnsinnig viel Geld. Luan atmete ganz tief durch und griff nach Kalawesis Hand.
Doch im allerletzten Moment zog Kalawesi seine Hand zurück und tat so, als hätte er Luans Hand übersehen.
„Da wäre noch eine Kleinigkeit“, meinte Kalawesi. „Dir ist sicherlich klar, dass du nicht in Mallinport bleiben kannst. Das ist viel zu gefährlich. Wenn dich die Sipos erwischen, lassen sie dich für immer verschwinden, und dann kann ich auch nichts mehr für dich tun.“
Luan hielt seine Hand immer noch ausgestreckt. Jetzt zitterte sie. Dieser Kalawesi machte einen Scherz auf seine Kosten. Das war gemein.
Aber Kalawesi grinste: „Du wohnst mit den anderen in der Schattenstadt. Verstanden!“ Wieder donnerte er seine Faust auf den Tisch.
Luan verstand gar nichts. Er schüttelte den Kopf: „Was ist das, die Schattenstadt?“
Kalawesi lachte: „Kaum jemand kennt sie, aber vielleicht hast du schon einmal von Mallinports verlassenen Nordvierteln gehört?“
„Das waren früher Armenviertel“, wusste Luan aus der Schule. „Aber seit RUHL an der Macht ist, gibt es keine Armut mehr. Jeder hilft jedem. Alle haben die Nordviertel verlassen. Niemand muss mehr in den Nordvierteln leben.“
„So in etwa“, stimmte Kalawesi zu. Er sah belustigt aus. „Als damals die Nordviertel verlassen wurden, standen die meisten Häuser leer. Niemand kümmerte sich um sie. Sie vergammelten, verkamen zu Ruinen. Viele Häuser in den Nordvierteln waren nicht ordentlich gebaut, sondern nur aus Schutt zusammengeflickt. Vor einigen Jahren wurde ein Mann durch ein einstürzendes Haus verletzt und musste ins Krankenhaus.
Nach diesem Vorfall beschloss RUHL, zur Sicherheit aller Bürger die Nordviertel mit einer Mauer abzutrennen, der Dunklen Mauer. Sie ist hervorragend gesichert. RUHL gibt keine Informationen über die Mauer preis. Die allerwenigsten wissen überhaupt von ihr.
Als die Mauer gebaut wurde, blieben nur zwielichtige Gestalten, ein paar Aussteiger und die Garmal-Sammler in den Nordvierteln wohnen. Sie nannten die Nordviertel von nun an Schattenstadt, denn sie lebten im Schatten der Dunklen Mauer. Im Grunde lebt es sich nicht schlecht in der Schattenstadt. Man hat seine Ruhe und die Sipos lassen sich dort nicht blicken.“
Umständlich drückte Kalawesi noch etwas Senf aus der Tube und hielt ihn der Ratte hin. Er schien Luans Neugier zu spüren und ließ sich besonders viel Zeit. „Das ist genau der richtige Ort für Menschen, die Schwierigkeiten mit RUHL haben oder ungerecht behandelt wurden, so wie du“, fuhr er endlich fort. „Ohne Kristallfeier hast du in Mallinport keine Chance. Vier oder fünf Jahre würde das vielleicht noch gut gehen. Die Leute würden glauben, du bist noch keine 17 Jahre alt. Aber dann wäre es damit vorbei. Jeder würde wissen, dass du nicht zum Kristallfest zugelassen wurdest. Du wärst kein Mitglied der Gesellschaft mehr, sondern ein Schmarotzer. Niemand würde dich unterstützen und Zeit deines Lebens würden die Leute dich wie einen Schuhabstreifer behandeln.“ Kalawesi runzelte die Stirn und sah aus, als würde er sich Sorgen um Luan machen.
Luan schluckte. Er hatte plötzlich so einen Klumpen im Hals.
„Meine Teams arbeiten und leben in der Schattenstadt“, fuhr Kalawesi fort. „Dort sind sie ungestört. Ich schreibe ihnen nicht vor, was sie zu tun und zu lassen haben. Das interessiert mich nicht. Ihre einzige Aufgabe ist es, neue Attraktionen für den Lunapark zu entwickeln.“
„Wie komme ich in die Schattenstadt, wenn sie hinter der Dunklen Mauer liegt?“, sorgte sich Luan.
„Ich habe da so meine Tricks, dich rauszubringen.“
„Und wieder zurück nach Mallinport?“, bohrte Luan nach. Er wollte nicht in die Schattenstadt. Wenn irgendetwas schiefging, konnte ihm dort draußen niemand helfen. Was waren das für Menschen, die dort freiwillig lebten? Luan fühlte sich, als würde Kalawesi ihn bei Tauwetter auf eine Eisscholle setzen. Es war doch nur eine Frage der Zeit, bis er unterging.
Kalawesi strich in kreisrunden Bewegungen über seinen Bauch. Das goldene Hemd spannte sich und schimmerte im weichen Licht wie eine Weihnachtskugel. Er ließ sich viel Zeit bis er antwortete: „Zurück nach Mallinport, das ist viel schwieriger. Du kannst nicht einfach am Wochenende nach Mallinport fahren. Das geht nicht. Aber wenn du einige Jahre gut gearbeitet hast, besorge ich dir einen Kristall. Einen roten Kristall. Und dann bringe ich dich zurück nach Mallinport. Du kannst dein Leben als ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft genießen. Das verspreche ich dir.“
Luans Gefühle wechselten sich ab wie Wüstensturm und Eisregen. Begeistert glühte sein Gesicht. Ein Traumjob als Lunapark-Programmierer, unglaublich viel Geld und ein roter Kristall, das klang nach wunderschönem Märchen. Aber im nächsten Moment jagte ein Schauer aus Eissplittern über seinen Rücken. Wenn ihn Kalawesi überhaupt nicht zurückholen würde? Konnte er Kalawesi trauen? Er kannte den Mann doch gar nicht. In der Schattenstadt würde niemand ihn beschützen. Keiner würde wissen, dass er dort wäre.
Kalawesi schien Luans Zögern zu bemerken. Er scheuchte Rüdiger vom Tisch und beugte sich zu Luan. Freundschaftlich legte er Luan die Hand auf die Schulter: „Du bist wirklich begabt, mein Junge. Ich kenne niemanden, der so schnell den Computer des Golden Surfers geknackt hat. Bodin könnte dich gut in seinen Teams gebrauchen.“
Wie unter Starkstrom zuckte Luan zusammen: „Bodin, Marc Bodin?“
Kalawesi lächelte und lehnte sich zurück: „Sicher, Marc Bodin. Er leitet meine Programmiererteams in der Schattenstadt. Er ist der technische Kopf des Lunaparks. Kennst du ihn?“
Die letzten Eissplitter des Zweifels schmolzen im Wüstensturm. Luan konnte es nicht glauben: „Sie meinen Marc Bodin, den genialen Programmierer? Er wäre dort mein Chef und ich könnte ihn vielleicht einmal treffen?“
„Natürlich wirst du ihn sehen und ihm die Hand geben und mit ihm sprechen. Marc ist ein cooler Typ, ein guter Kumpel. Er wird dir gefallen.“ Kalawesi schmunzelte. „Nun, was hältst du von meinem Angebot? Ich denke, das Team der Schattensurfer ist genau richtig für dich. Die Schattensurfer brauchen einen wie dich. Meine Programmierer arbeiten in verschiedenen Teams. Ich habe festgestellt, dass ein wenig Wettbewerb zwischen den Teams die Ergebnisse verbessert.“
Luan riss seine tintenblauen Augen auf. Für Marc Bodin würde er überall arbeiten. Das war absoluter Wahnsinn. Vor einer halben Stunde hätte er noch jeden für verrückt erklärt, der ihm das erzählt hätte.
Kalawesi hielt Luan die Hand hin. Luan schlug ein und sein allergrößter Wunsch ging in Erfüllung, einfach so, ohne dass er etwas dafür tun musste.
Luan verdrängte darüber nachzudenken, wieso Kalawesi trotz seines lila Kristalls Menschen in der Schattenstadt für sich arbeiten ließ und woher er einen roten Kristall für Luan nehmen würde. Luan war plötzlich egal, dass es verboten war, in die Schattenstadt zu reisen und eigentlich unmöglich, zurückzukommen.