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9 ZU VIEL WASSER

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Luan hörte ein Lachen am Ende des Gangs. Er ging darauf zu. Geschirr klapperte. Dort mussten die anderen sein. Luan griff nach seinem ceeBand. Es gab ihm Sicherheit, den glatten gebogenen Bildschirm zu spüren. Hellblaues Licht glimmte für einen Moment zwischen seinen Fingern auf.

Statt einer Tür sah Luan nur sich selbst, wie er näher kam. Ein Vorhang aus verspiegeltem Licht hing vor dem Eingang. Luan wusste, er konnte einfach hindurchgehen. Vorsichtig streckte Luan als Erstes eine Hand hindurch. Sie glitt durch den Spiegel wie durch Luft. Luan tastete mit seiner Fußspitze nach dem Licht und dann machte er einfach einen großen Schritt.

Luan trat in einen Raum, der die Form einer riesigen Kartoffel hatte. Mit sonnengelben Wänden sah er ziemlich gemütlich aus. Um einen runden Tisch saßen fünf Jugendliche. Auf der anderen Seite des Raums schwebten Flauschsofas sanft über dem Boden. Die fünf blickten ihn an und lachten. Nicht, dass sie ihn ausgelacht hätten. Nein, es war ein freundliches Lachen, aber es musste komisch ausgesehen haben, wie Luan so zaghaft durch den Lichtvorhang gestiegen war.

Pablo stand auf. Sofort war Nacho neben ihm und hechelte Luan begeistert an.

„Guten Morgen, du Schlafmütze“, sagte Pablo augenzwinkernd und zeigte auf die anderen. „Willkommen bei den Schattensurfern. Das ist Nele, unsere

beste Programmiererin. Sie weiß auf alles eine Antwort und hat immer eine Meinung, auch wenn man sie gar nicht darum gebeten hat.“

„Idiot!“, zischte das Mädchen mit strohblonder Igelfrisur. Pablo lachte nur. Neles T-Shirt leuchtete in dem gleichen Hellblau wie ihre viereckige Brille.

„Und hier haben wir Emil. Emil hackt sich in jeden Server“, fuhr Pablo fort. Ein kleiner Junge sah von seiner Müslischüssel auf und blickte Luan schüchtern an. „Hallo“, sagte Emil mit piepsiger Stimme. Emil konnte nicht älter als zwölf oder höchstens dreizehn Jahre sein.

„Die Zwillinge heißen Chris und Nick“, sagte Pablo und stellte sich hinter sie. Jeder der Zwillinge war doppelt so breit wie Emil. Auf ihren Tellern türmten sich Omelett-Berge. Die Zwillinge glichen sich beinahe zum Verwechseln, wäre da nicht Chris’ Lockenkopf gewesen. Nicks Haare waren glatt wie Schnittlauch.

„Hallo, ich heiße Luan. Ich freue mich, bei euch zu sein“, sagte Luan.

„Setz dich!“, meinte Pablo und schob Luan auf einen freien Stuhl. „Was möchtest du frühstücken?“

Die Tischplatte bestand aus einem gläsernen Bildschirm und zeigte die herrlichsten Frühstücksgerichte. Luan tippte auf ein besonders dickes Marmeladenbrot und eine Astroschaummilch, nicht so klebrig.

„Frühstückt Marc Bodin nicht mit uns?“, fragte Luan, der es kaum erwarten konnte, sein Idol zu treffen.

Die fünf lachten und kichernd meinte Nele: „Heute leider nicht. Ach übrigens, der Präsident hat unser gemeinsames Mittagessen auch abgesagt.“

Nick prustete Orangensaft über den Teller. Luan verstand nicht. Was war daran so lustig? „Ich meine, Marc Bodin arbeitet doch hier? Kalawesi hat mir erzählt, dass Marc Bodin der Chef ist.“

„Richtig, Marc ist hier der Chef, aber nicht nur von den Schattensurfern, sondern von allen Teams. Deshalb frühstückt er nicht mit uns“, sagte Chris.

Zischend öffnete sich eine Klappe im Tisch. Luans Sandwich und die Astroschaummilch fuhren heraus. Die Astroschaummilch duftete köstlich. Luan nippte daran. Sie war herrlich süß und klebte kein bisschen. So mochte er sie am liebsten.

„Und ihr fünf programmiert die ganzen Attraktionen für den Lunapark? Ich dachte, ihr seid viel mehr.“

Die Zwillinge schüttelten sich vor Lachen, Emil kicherte und Nele grinste ihn an, als wäre er nicht ganz richtig im Kopf. So allmählich ging Luan das Lachen auf die Nerven. Er konnte schließlich nicht wissen, wie die Dinge hier liefen, und Fragen sollten doch erlaubt sein.

„Für wen hältst du uns denn?“, polterte Chris, nachdem er seinen Lachanfall beendet hatte und stopfte noch eine riesige Gabel Omelett in den Mund. Mampfend fuhr er fort: „Denkst du, wir sind so eine Art Genies, Wunderkinder, Superstreber! Du vielleicht! Aber wir bestimmt nicht!“

„Hört auf“, fuhr Pablo dazwischen. „Luan kann es ja nicht wissen. Kalawesi biegt sich die Wahrheit gerne ein wenig zurecht, wenn es für ihn nützlich ist. Oder er lässt Dinge weg.“

„Was meinst du?“, bohrte Luan nach. Er hatte wieder dieses komische Gefühl.

„Also, Kalawesi lässt hier in der Schattenstadt mehrere Teams für sich arbeiten. Wir haben keine Ahnung, ob es zwei oder zwanzig sind. Das ist Kalawesis Geheimnis. Er wünscht nicht, dass die Teams untereinander Kontakt haben. Wir kennen die anderen nicht. Kalawesi schürt die Konkurrenz, um das Beste aus jedem Team herauszuholen. Wer gut ist, steigt in seiner Gunst auf. Die anderen bestraft er mit langweiligen Aufgaben.“

„Und das Geld“, warf Luan ein. „Kalawesi hat mir 5000 im Monat versprochen – für den Anfang.“

Pablo lachte trocken „Ja, ja die Sprüche kennen wir alle. Aber in der Schattenstadt brauchst du kein Geld. Hier kannst du dir sowieso nichts kaufen. Also hebt Kalawesi das Geld für dich auf. Du bekommst es zusammen mit deinem roten Kristall, wenn Kalawesi dich nach Mallinport zurückholt.“

„Klingt doch vernünftig“, versuchte Luan Kalawesi zu verteidigen.

Nele schüttelte den Kopf. „Bisher hat Kalawesi noch keinen von den Schattensurfern nach Mallinport zurückgeholt.“

Emil aß still sein Müsli, wobei er die Rosinen sorgfältig zur Seite schob und dort in einem Quadrat anordnete. Sieben mal sieben Rosinen.

Jetzt war Chris aufgestanden und stellte sich vor Luan. Er drückte ihm den Zeigefinger auf die Brust: „Damit du es ganz genau weißt. Zurzeit haben wir die Aufgabe, die Toilettenspülung im Lunapark zu verbessern. 200000 Liter Wasser werden dort jeden Tag verbraucht. Wir sollen den Wasserverbrauch halbieren, trotzdem müssen alle Toiletten sauber gespült werden.“

Luan schluckte. Er wollte neue Fahrgeschäfte erfinden, nicht Toiletten programmieren.

„Wer einen Job vergeigt, bekommt eine Scheißaufgabe“, sagte Chris und funkelte Nele ärgerlich an. „Toiletten programmieren! Igitt!“

Nele schlug mit der Faust auf den Tisch: „Wenn du nicht immer mit deinem …“

„Hört endlich auf“, drängte sich Pablo dazwischen. Nacho bellte. „Das hatten wir doch schon geklärt. Wir kommen nicht weiter, wenn wir uns dauernd streiten. Wir müssen zusammenarbeiten.“

„Was ist denn passiert?“, wollte Luan wissen.

„Wir hatten da ein kleines Problem mit der Schneckenachterbahn“, erklärte Pablo, „Wir sollten ein Fahrgeschäft für kleine Kinder erfinden.“

„Und Nele meinte, es müsste ganz langsam fahren und mit echtem Schneckenschleim“, giftete Chris.

„War auch ziemlich echt“, fauchte Nele zurück.

„Wunderbar echt! Marc Bodin ist auf dem Schneckenschleim ausgerutscht“, schimpfte Chris. „Und die Achterbahn fuhr so langsam, dass selbst die Babys während der Fahrt eingeschlafen sind.“

Pablo pochte auf den Tisch: „Hört endlich auf zu streiten.“

„So schlimm ist das mit der Toilettenprogrammierung auch nicht“, meinte Emil ganz leise und sah sich versichernd um. „Wenn wir ein gutes Ergebnis abliefern, bekommen wir vielleicht eine zweite Chance für die Schneckenachterbahn.“

„Genau, Emil hat recht, lasst uns endlich mit der Arbeit anfangen“, sagte Pablo und Nacho bellte so begeistert, als wollte er auch programmieren.

Eine Klappe im Tisch öffnete sich und die Kinder schoben ihr Geschirr hinein.

„Wo arbeiten wir?“, wollte Luan wissen.

„Na hier“, sagte Nick, der sich zum ersten Mal zu Wort meldete, und zeigte auf die flauschigen Sofas. „Du kannst auch in dein Zimmer gehen. Aber wir sitzen meistens hier zusammen. Das macht mehr Spaß.“

Chris sprang mit Anlauf auf ein Sofa. Es schaukelte wie ein Schlauchboot im Sturm. Nele setzte sich auf das Sofa, das am weitesten entfernt stand und drehte sich mit dem Rücken zu Chris. Die Schattensurfer zogen Computer aus den Fächern des Couchtischs. Pablo reichte Luan einen nagelneuen hellgrünen Blitzmaster.

„Hier, der gehört jetzt dir“, sagte er.

„Mir?“, Luan konnte es nicht fassen. Er berührte die raue Oberfläche des Blitzmasters. Er kannte den Blitzmaster nur aus der Werbung. Niemand bei den Häppy Kidz hätte sich einen Blitzmaster leisten können, nicht einmal die Bertowa. „Ein Blitzmaster, das ist der absolute Wahnsinn.“

„Wenn du einen neuen Computer brauchst, musst du nur Bescheid sagen. Mit Computern ist Marc nicht kleinlich. Hauptsache, das Ergebnis stimmt“, sagte Chris und warf wieder einen bösen Blick auf Nele.

Vor Aufregung zitternd faltete Luan den Blitzmaster auf. Mit dem berühmten Zackenblitz sprang das Hologramm aus dem Rechner und schwebte wie eine Lichtwolke darüber. Luan drehte mit der Hand die Lichtwolke und startete das Projekt zur Verbesserung der Toilettenspülung.

Luan wollte sehen, was Nele und die Jungs bisher programmiert hatten. Er verstand schnell, worum es ging. Was hatten die fünf denn da gemacht? Das sah aber komisch aus. Doch Luan nahm sich vor, erst einmal nichts zu sagen. Er wollte ganz sicher sein, das Projekt zu verstehen, jedes noch so kleine Detail. Er wollte keinen Fehler machen, schon gar nicht am ersten Tag. Die Stunden verrannen und die Schattensurfer hingen über ihren Computer-Hologrammen. Ab und zu stand einer auf, holte sich ein Getränk oder etwas zu knabbern. Chris und Nick quatschten miteinander und Pablo verschwand mit Nacho nach draußen. Nur Luan bewegte sich kein bisschen. Konzentriert las er jede Zeile des Progammcodes durch.

Und mittlerweile war sich Luan ganz sicher. So konnte man die Aufgabe nicht lösen. Niemals würde man auf diesem Weg den Wasserverbrauch halbieren. Unmöglich.

Er musste es den anderen sagen. Sie durften nicht noch mehr Zeit verschwenden. Luan räusperte sich. „Ich denke, so klappt es nicht“, sagte er zögernd. „Nach meiner Berechnung können wir durch eure Idee höchstens 25% des Wassers einsparen. Unser Ziel werden wir nicht erreichen.“

Nun funkelte Chris ihn giftig an: „Du Wunderknabe, das wissen wir selbst. Emil hat es auch schon ausgerechnet. Aber wir sparen wenigstens etwas Wasser ein. Das ist besser als nichts.“ Nick stimmte seinem Bruder zu. „Ganz genau 25%“, strahlte Emil stolz.

„Was schlägst du denn vor?“, fragte Nele und wandte sich neugierig an Luan. „Was sollen wir deiner Meinung nach tun?“

Luan kratzte sich am Kopf. Er hatte da so eine Idee. „Wir könnten“, meinte er zögernd, „das Wasser zwischendurch reinigen. Dann würden wir dasselbe Wasser öfter verwenden und sparen Unmengen. Viel mehr als geplant. Für die Toilettenspülung brauchen wir kein Trinkwasser.“

„So ein Quatsch“, moserte Chris. „Wenn das Kalawesi hört, rastet er völlig aus. Zuerst der Schneckenschleim und jetzt das dreckige Wasser. Wenn Kalawesi schlechte Laune hat, steckt er dich kopfüber ins Klo.“

„Eine Minikläranlage, das ist kein Hexenwerk“, sagte Nele und klickte sich gleich durch die verschiedenen Technologien. „Das gereinigte Wasser sieht kein bisschen dreckig aus.“

„Klingt ganz vernünftig. Warum nicht“, meinte Pablo. Auch Emil stimmte zu. Nick pflichtete ihm wortlos bei und schließlich gab Chris nach: „Na gut, von mir aus, wenn ihr meint. Hauptsache, wir sind schnell mit diesem bescheuerten Toilettenprojekt fertig.“

Den ganzen Nachmittag glühten die Rechner-Hologramme. Selbst dieses lausige Toilettenprojekt machte Luan viel mehr Spaß als alle Arbeiten bei den Häppy Kidz. Die Schattensurfer waren in Ordnung und Pablo mochte er richtig gern.

Spät am Abend hatten sie eine komplette Minikläranlage geplant und die Wasserspülung für alle Toiletten des Lunaparks neu programmiert.

„Und ab damit“, sagte Chris erleichtert, als er das ganze Projekt an Marc Bodin schickte. Das Hologramm der Kläranlage schien vom Computer eingesaugt zu werden und verschwand darin.

„Ich muss noch mit Nacho hinausgehen“, sagte Pablo. „Kommst du mit, Luan?“

„Ja, gerne.“ Luan freute sich. Sein Kopf rauchte noch vom Nachdenken.

Im Hof lagen verrostete Metallteile herum. Alte Motoren lehnten an einem Tank. Die Scherben zersplitterter Bildschirme glitzerten wie Eiskristalle im Mondlicht. Es sah aus wie auf einem Schrottplatz, fand Luan. Begeistert schleppte Nacho Dosen, Flaschen und Drähte an.

„Lass das“, schimpfte Pablo. Doch das verstand Nacho nur als Aufforderung, weitere Schätze zu suchen.

Die Ausfahrt mündete in eine kleine Straße. Häuserruinen lagen links und rechts. Der Teerbelag auf der Straße war wie von Pockennarben durchbrochen. Kein Gehsteig. Luan musste aufpassen, nicht zu stolpern. Ob hier noch jemand wohnte?

Plötzlich sprang Nacho zur Seite. Luan zuckte ängstlich. Es war nur eine Ratte, die quiekend über die Straße flitzte.

„Deine Idee mit der Minikläranlage war ziemlich cool“, sagte Pablo.

„Danke“, freute sich Luan und fand es den richtigen Moment, um zu fragen: „Meinst du wirklich, dass Kalawesi uns belogen hat?“

Pablo zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht?“

„Wie lange lebt ihr schon in der Schattenstadt?“

„Ein Jahr, Nele ein wenig kürzer und die Zwillinge waren schon hier, als ich gekommen bin.“

„Kalawesi hat nicht versprochen, dass wir den roten Kristall sofort bekommen. Weißt du, was das heißt? Ein roter Kristall! Wenn du ein richtiges Genie bist und deine ganze Kraft für RUHL einsetzt, kannst du den roten Kristall vielleicht mit 25 bekommen. Aber niemals früher. Viele Menschen erreichen ihr ganzes Leben lang keinen roten Kristall“, redete sich Luan in Fahrt.

„Möchtest du noch zehn Jahre in der Schattenstadt leben? Mir dauert das zu lange.“

„Hauptsache, ich darf überhaupt wieder zurück. Wann ist mir egal. Bei den Häppy Kidz würde ich gar keinen Kristall bekommen.“

Pablo hob einen Stock von der Straße auf und warf ihn. Nacho raste hinterher. Luan fühlte sich so frei wie noch nie in seinem Leben.

Die Schattensurfer

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