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8-Kneipinger-

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Endlich war ich dort, wo ich hin wollte. Meine staubtrockene Kehle bekam das, was dem Rest meiner motorischen Funktionen wieder so etwas wie Leben einhauchte. Und ich war nicht alleine, alles andere als das. Zu meiner Überraschung war beim Kneipinger bereits die halbe Hölle los. Alles, was so ein wahrhaft sündiger Ort zu bieten hatte. Ein krasses Gruselkabinett eigenartiger Halbwelt-Gestalten, der Franz Schwanz, er hatte bereits die vierte Lokalrunde geschmissen, der warme Ossi und ein paar heiße Hasen, die Wuschi-Mausi, die Pamela Lippinger, die Silikon-Uschi und die Irina Vaginarovka. Die Mädels waren gekleidet wie immer, ziemlich wenig und ziemlich locker. In diesem illegalen Gruftikeller ging so richtig die Post ab, schon am hellichten Tag. Das war hier immer so. Hölle und Paradies in einem, die allererste Adresse für Alkoholleichen und solche, die es werden wollten und die Junkies, die in den anderen Kneipen nicht gern gesehen waren. Kurzum dieses unterirdische Etablissement war schlechthin die Institution für die Creme de la Creme des gesellschaftlichen Abschaums.

Ich bin oft und trotzdem hier gewesen, weil der Kneipinger der einzige war, bei dem ich anschreiben lassen konnte. Klar, dass diese Spelunke in keinem Gastroführer zu finden war. Das war ein Geheimtipp in der Szene. Niemand kannte den Namen des Wirtes, Diabolo, Luzifer, Teufelberger, Satan oder Jesus? Das war auch völlig unwichtig, er wurde nur Kneipinger genannt, das reichte. Ich wäre bestimmt nie hier gelandet, wenn meine Kumpels aus der Klinik mich eines Tages nicht hierher geschleppt hätten.

Kurz nach meinem Eintreffen ist noch der makabre Rest der Alkohol-Zombies aufgekreuzt, der Lukas Trinkaus, der Juri Becherovka, der Konrad Biermüller, die andere Hälfte der Hölle mit ein paar weiteren zweifelhaften Gestalten im Schlepptau. Die Hütte war voll, der Alkohol floss wie aus einer Regenwasser-Dusche und ich war mittendrin. Das Kalt-Bad mit meiner Wodka-Flasche war längst Vergangenheit und vergessen wie der Blackout bei der Lotto-Susanne. Ja, jetzt wollte ich am liebsten den Bleifrei anrufen. Jetzt genau war ich in der Stimmung dazu … Aber dann habe ich mir statt dessen doch lieber einen doppelten Gin bestellt. Ich spielte mit der Visitenkarte der Lottoberatungsstelle, Norbert Schlaumann-Armleuchter. Komischer Name, vielleicht konnte ich es auch nicht mehr richtig entziffern, vielleicht war mein Promille-Pegel schon weit fortgeschritten. Egal, achtzehn Millionen mal egal.

Es hätte nur eine Zwei-Mann-Spontan-Party mit Bier und einem ausführlichen und vertrauensvollen Gespräch werden sollen, nur Fix und ich. Der Rest sollte sich dann von selbst ergeben. Immerhin waren wir trotz der Rivalitäten in Bezug auf ein einziges Mädchen über die Jahre dicke Freunde geworden, mal Tom und Huck, dann Tom und Stone und wieder später Fix und Steini. Kein Wunder, wir haben als Sandkastenkinder kiloweise Sand gefressen, wohnten im selben Haus, sind zusammen aufgewachsen, besuchten dieselbe Schule -wenn wir nicht gerade schwänzten- und hatten sogar am gleichen Monatstag Geburtstag. Wir waren total verrückt auf Autos, Formel Eins und die Rolling Stones und blöderweise auch auf das gleiche Mädchen.

Ich hatte meinen Vorsatz, mit Niemandem über das Millionen-Ding zu plaudern, über den Haufen geworfen. Fix war der einzige, mit ihm und keinem anderen. Ich brauchte jemand mit dem ich mich austauschen konnte und dieser Honky-Tonky-Keller war unser konspirativer Treffpunkt, hier und nirgendwo anders. Irgendwie war diese versiffte Spelunke trotz allem immer ein vertrauter Ort gewesen, irgendwie bin ich hier nie aufgefallen und nirgend wo anders konnte ich mit ihm die Millionen-Sau herauslassen, ohne dass es aufgefallen wäre.

Die Reisetasche stand unter dem Tresen, sie war leer. Dafür hatte ich nun ein künftiges Bankkonto, fett beladen wie ein Containerschiff. Doch je länger wie ich auf Fix warten musste, umso mehr plagten mich neue apokalyptische Gedanken von Einbrechern, die meine Kohle klauen wollten, Kidnappern, die mich gegen Lösegeldzahlung entführen könnten, Verwandte und Penner, die mich um Geld anpumpen würden und hypothetische Kreditkartenabrechnungen mit unvorstellbar teurem nicht nachvollziehbarem Kram, den ich angeblich gekauft haben soll.

Unglaublich, aber ich war nahe am Verzweifeln, wie ich mit diesen ganzen neuen Gefahren umgehen sollte, als Fix endlich und viel zu spät eintraf. Er hörte mir zu, sagte mal „hm“ und mal „na ja“ und sein ganzer Kommentar am Ende war ein Grinsen -was immer es auch zu bedeuten gehabt hatte- und sein „Meine Fresse, lass uns saufen!“ Mehr gab es nicht zu sagen, dafür umso mehr zu trinken und übergangslos war die zweite Halbzeit der Kanakenparty voll in Gang gekommen. Fix hatte Recht behalten und meine Sorgen lösten sich mehr und mehr in der rekordverdächten Menge von Gin und Whiskeys auf. Statt in ein tiefgründiges Gespräch vertieften wir uns in den beispiellosen Irrsinn des Hier und Jetzt, bis alles egal war. Danach hatte ich ein paarmal ins Waschbecken gepinkelt und mir die Hände im Pissoir gewaschen.

Das Geschehen wurde immer unkontrollierbarer, die Mädchen immer reizender, eine wie die andere. Wild ausgelassen haben sie alle getanzt und irgendwie war ich mittendrin, mal am Boden, mal auf dem Tisch, mal habe ich nackte Brüste im Gesicht gespürt oder war es das Hinterteil meines Nachbarn, als sich der Barhocker unter meinen Füssen selbständig gemacht hat? Zuerst sind BHs versteigert worden. Kurz darauf hat eines der Girls auf dem Tresen gestrippt, dann hatte ich ein Höschen über dem Kopf und alles hat gebrüllt „ausziehn, ausziehn“. Der Joe-Cocker-Song -you can leave your hat on- plärrte dazu verzerrt aus den Lautsprechern und plötzlich tauchte ein üppiges Mösengebüsch direkt vor meiner Nasenspitze auf. Längst war es klar geworden, dass der Irrsinn keine Grenzen kannte und mein Alkoholkonsum eine neue Rekordmarke erreichen würde. Das war keine Party mehr, das war eine ausgewachsene Wahnsinns-Orgie und noch lange nicht am gnadenlosen Höhepunkt angekommen.

Fix stand plötzlich mit einer Sektflasche auf dem Tresen und schüttelte die Flasche wie einen Cocktail-Shaker. Dann klemmte er sich die gleich explodierende Schampuskanone zwischen die Oberschenkel, ließ den Korken an die Decke knallen und spritzte die Sektsalve gezielt in den Ausschnitt der Silikon-Uschi, dass sich ihre Nippel wie strammstehende Soldaten gegen die Innenseite der Bluse drückten. Wie auf Kommando folgten alle anderen berauscht seinem Beispiel, besessen wie ein ganzer Stall durchgeknallter Feuerwehrhäuptlinge. Jeder spritzte nur noch exzessiv um sich was das Zeug hielt, Gläser klirrten, Barhocker gingen zu Bruch, es roch nach Schweiß, sämtliche Sorten von Alkohol, Kotze, abgestandenem Parfüm und mehr.

Die Geräuschkulisse vermischte sich mehr und mehr in ein schräges Gewummere aus Techno-Beat, Gegröhle, Frauenkreischen, undefinierbaren Sequenzen menschlicher Laute bis nur noch ein akustischer Brei und ein schrilles Pfeifen in meinen Ohren war, das schlussendlich zu einem Piepston verkümmerte. Das ultimative Finale war eine irre Höllenfahrt ins Universum, kreisend, schrill und überirdisch. Die Erdanziehungskraft hat mich zuerst durchgeschüttelt, aber dann habe ich mich endlich von der Schwerkraft befreit. Es wurde auf einmal leicht, federnd, wie ein schwebendes Dahingleiten. Überall konnte ich unbeschreibliches blaues schemenhaftes blinkendes Licht erkennen, als ob ich in einem Raumschiff unterwegs in den Weltraum wäre.

Die nächste Erinnerung waren die außerirdischen Lebewesen. Sie hatten kein Gesicht, nur weiße Kleidung. Sie trugen mich wie einen König mit einer Sänfte ins Nichts. Ich konnte mich plötzlich selbst sehen, ruhig schlafend auf einem Bett, das im Raum schwebte. Dann kam ein neues Licht auf mich zu, außergewöhnlich hell. Es trug mich in eine andere Welt. Eine Art Zwischenwelt? Ich konnte es nicht erklären, nichts davon, was sich in meiner Fantasie abgespielt hatte, es war so unglaublich echt.

Dieser Wahnsinns-Trip war eine völlig neue Erfahrung gewesen, unbeschreiblich intensiv. Angesichts meines persönlichen Alkohol-Weltrekordes hatte ich keine Ahnung, ob und mit welcher krassen Art von Drogen ich abgefüllt war oder ob das alles nur eine Mega-Halluzination gewesen war. Das Ende der Party hatte ich nicht mehr mitbekommen, weder wusste ich wie und ob ich nach Hause gekommen war noch, was nach meinem Ausflug mit dem Raumschiff mit mir passiert war.

Ich kannte meine Blackouts, Filmrisse mit Überlänge, Vierundzwanzigstunden-Auszeiten, das alles war nicht neu, aber das Zeitloch in das ich nach der Party gefallen war hatte eine neue Dimension, so wie ich es noch nie erlebt hatte, nicht einmal annähernd. Das Einzige, was mich im zeitlosen Raum begleitete, war dieses eigenartige Grinsen von Fix.

Steinreich

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