Читать книгу Steinreich - Hugo Berger - Страница 16
9-Porsche-
ОглавлениеWeitere Tag-Träume fielen wie Sternschnuppen vom karibischen Abendhimmel, an dem die Zeit still stand und der Moment zu einer Ewigkeit eingefror, während meine Hängematte so dahinschaukelte wie von Geisterhand sanft angestoßen.
Ja, ich konnte mir sogar vorstellen mich wieder zu verlieben. Ohne wenn und aber und auf den allerersten Blick. Eine Schönheit in teuflischem Rot wie ein blanker Wahnsinn? Liebe kann keine Sünde sein, verflucht nochmal. In meinem visionären Traum war es schon passiert.
Meine leuchtenden Augen konnten sich einfach nicht sattsehen an diesen geilen Rundungen, an den perfekten Proportionen, wohin mein gieriger Blick auch fiel. Weich-erotische Übergänge, rassige und zugleich geschmeidige Linien, ein einzigartiges Exemplar menschlicher Vorstellungskraft. Ohne eine einzige Berührung war es glasklar, dass wir beide auf Anhieb ein traumhaftes Gespann sein werden. Es ließ keinen Zweifel offen, das heiße Biest wolles auf die harte Tour. Ich hätte um einen Regenbogen in der Einkaufstüte gewettet, dass es nur auf Vollgas abfuhr und tief am Boden kauernd wie ein gefüttertes Kätzchen schnurrte, wenn es mich im extatischen Geschwindigkeitsrausch in eine andere Dimension katapultierte. Scheiß doch die Wand an, es soll mich ruhig in den Wahnsinn treiben, es wird trotzdem genau das machen, was ich will und nichts anderes.
Meine Vision war so real, dass ich es kaum erwarten konnte, endlich ihr Innenleben in Besitz zu nehmen, mich in das schicke Leder zu zwängen und meine Finger blind tastend über die Instrumente gleiten zu lassen. Und wenn schon, es war eine geniale Vorstellung.
Ich musste dabei sogar an die Weissviel aus der Nachbarwohnung denken, wie sie vor Neugier hinter den zugezogenen Gardinen aus den viel zu engen Klamotten platzten würde, wenn ich mit meiner neuen Eroberung dort aufkreuzen würde. Sie hätte sich ihr Zahnprothesen-Mundwerk zerreißen können wie sie wollte, von mir hätte diese Kanaille kein Sterbenswörtchen erfahren, gar nichts.
Und warum eigentlich nur ein Biest? Ich konnte mir auch zwei davon leisten, ein rotes und ein schwarzes. Die Zeiten, in denen ich meinen Kontoauszug am liebsten im Dunkeln angesehen habe, waren zum Glück vorbei. Jetzt, wo ich achtzehn Millionen Möglichkeiten hatte, waren das nur Peanuts. Benebelt und schwindelig vor Begeisterung an einer jungfräulichen PS-Schönheit auf vier zweihundertfünfziger Pirelli-Breitreifen mit einem Make-up aus Chrom und handpoliertem Hochglanzlack schwebte ich im siebten Porsche-Himmel und sah mich eine Vollgas-Runde auf dem Nürburgring drehen.
Die einen behaupten zwar, Autos seien ganz böse, und doch musste ich zugeben, dass ich die Welt erst später retten wollte. Gerade, weil ich ein ganzes Leben lang damit zu tun hatte, mich selbst zu retten. Das Leben war ziemlich gemein zu mir und mit mir gewesen. Und ich hatte nie etwas, was man auch nur annähernd als Auto bezeichnen konnte. All die Schrottkübel, die ich völlig unangebracht als Fahrzeug bezeichnete, hatten unter dem Gaspedal meines rechten Fußes kein langes Auto-Leben. Stopp, ein einziges war beinahe neu gewesen, als ich es geleast hatte. Leider hatte das keinen Unterschied gemacht und letztendlich erlitt mein BMW das gleiche Crash-Schicksal wie alle seine Vor- und Nachgänger. Aber das war jetzt anders, und wenn nicht, dann stellte das nun auch kein Problem mehr dar. Geld spielte ja keine Rolle mehr.
Abgesehen von meinen eventuellen fahrtechnischen Unwägbarkeiten war die lange Serie meiner stuntreifen Verkehrsunfälle ein echtes Paradebespiel für mein Scheißpech gewesen, das mich jeden einzelnen verdammten Fahrkilometer wie eine Seuche verfolgte, seit ich Autofahrer geworden war. Die einzige ungewollte Einschränkung im Dauerpech dabei war, dass ich jeden einzelnen Crash ohne Krankenhausaufenthalt überstand. Okay ich einigte mich mit mir selber dann auf vorsichtiges Glück im Unglück.
Unvorstellbar, dass der ganze Mist meiner Schlamasselmeier-Laufbahn unwiderruflich hinter mir lag und ich stattdessen in einer imaginären Wolke der Leichtigkeit wie eine Feder dahinschwebte. Wie in Watte gepackt und eingehüllt in ein sphärisches Irgendwas, das sich wie ein flauschiger Bademantel anfühlte, war ich drauf und dran, mich an dieses himmlische Gefühl zu gewöhnen. Ja, ich konnte es nicht treffender ausdrücken, als himmlisch. So himmlisch, als würde ich wie ein Adler über mir selbst kreisen, erfüllt von einem irrsinnigen Gefühl von Freiheit, über mir nur ein helles Licht, das mich wärmte. Alle meine Ängste dagegen waren verschwunden.
Die Hängematte war mein Wolkenbett. Sollte ich überhaupt noch einmal aufstehen oder mich in aller Ewigkeit der Welt dahintreiben lassen? Im Moment schien es so, als könnte ich das mit einem immerwährenden Lächeln im Gesicht tun. Und doch gab es Achtzehn Millionen Gründe, es nicht zu tun.
Unaufgefordert schob sich plötzlich die Bleifrei-Visage in meine Erinnerung. Nicht mit dem Drang ihn anzurufen und mein Sprüchlein aufzusagen. Nein, das war nicht mehr erforderlich. Wenn ich es getan hätte, dann nur, um ihn wissen zu lassen, dass ich seinen mickrigen Tankladen kaufen wollte um ihn plattmachen zu lassen und ihn mit-samt seinen unfähigen Bediensteten in die Wüste zum Sandsackfüllen zu schicken. Zum Glück löste sich das unschöne Bleifreigesicht so schnell in der Helligkeit auf, wie es gekommen war.