Читать книгу Steinreich - Hugo Berger - Страница 18
11-Überholspur-
ОглавлениеEs war schon unglaublich, welche Gedankengänge sich durch mein glücksverseuchtes Gewinnerhirn schlängelten, jetzt, wo mir alle Türen offen standen wie ein Scheunentor. Kaum war ein Kapitel serienreif zur Umsetzung, tauchte schon das nächste Problem auf, das auf eine Lösung wartete. Nicht alle Themen waren angenehm und unkompliziert. Viele davon waren eine Wissenschaft für sich und deshalb Grund dafür, dass ich sie hasste wie eine Seuche.
Die Angelegenheiten mit allem, was sich um Finanzen drehte, gehörten zu diesen eher unangenehmen Themen. Nicht, weil es mich nicht interessierte, sondern weil die Zusammenarbeit mit einer Bank, oder genauer gesagt die mit meinem Banker, ausnahmslos von kritischen Erfahrungen geprägt war. Für mich stand deshalb unverrückbar fest, dass die Bank um die Ecke weder mich noch meine meine Millionen noch einmal zu sehen bekommen würde. Wenn doch, dann wäre es bestenfalls mein Stinkefinger dafür, dass sie mir unaufhörlich zugesetzt haben, dass sie mir für jeden Kram Gebühren abgeknöpft haben, meine Lastschriften nicht eingelöst haben, Kredite verweigert haben -wegen lächerlicher zehntausend Piepen-. Aber was ist das schon? Zehntausend, nichts, einfach lächerlich. Und dann haben sie mir zuletzt sogar noch den Geldhahn zugedreht.
Das alles hatte ich diesem oberspießigen Daniel Ehrlich zu verdanken, der dabei noch so scheinheilig freundlich blieb wie die Politiker auf den Wahlkampf-Plakaten vor den nächsten Kommunalwahlen. Aber das wird nun meine Show, Jungs. Ab nun würden andere Gesetze gelten, nämlich die, die ich mir selber mache, basta. Vielleicht eröffne ich selbst eine Bank. Oder besser doch nicht, nein lieber wollte ich der-Kunde-ist-König-Typ werden. Aber nur ein echter Profi wird die Lizenz bekommen, sich um mein Vermögenspaket zu kümmern. Es war höchste Zeit geworden, dass sich die Dinge endlich zu meinen Gunsten änderten. Darauf wollte ich anstoßen. Nur mit wem?
Es gab Zeiten da waren wir dicke Freunde wie zwei Blutsbrüder, vermutlich unsere beste Zeit als Jungs in unserer Tom-und-Huck-Phase. Manchmal waren wir nur eine Art Zweckgemeinschaft, weil jeder den anderen für etwas gebraucht hat und manchmal sogar richtig und jahrelang verfeindet.
Fix. Groß, schlaksig, kräftiger dunkler Haarwuchs, gutaussehend. Er war anders als ich. Rotzfreche Schnauze, gerissen, immer den entscheidenden Kick schneller als ich. Er war aber auch der Teufelskerl, der meine Crash-Autos wieder zusammenflickten konnte, selbst wenn sie schon reif für den Autofriedhof gewesen waren. Er war der, der immer Ideen hatte, der alles Mögliche organisierte und der die Mädchen besorgte. Gleichzeitig aber auch der gleiche, der sie mir wieder ausgespannte. Fix, Freund, Kumpel aber auch Nebenbuhler und ein ewiger Hurensohn.
Ich dagegen war ich nur der viel zu gutmütige Sündenbock, der die Prügel bekommen hat, wenn wir etwas zusammen ausgefressen hatten. Ich war der, der trotzdem nie nachtragend genug war und nie eine ernsthafte Konkurrenz für ihn. Selbst bei unseren Zerwürfnissen war ich es, der ihm wieder die Hand reichte. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum wir trotz unserer Differenzen -bei denen es immer um das gleiche Mädchen ging- doch immer wieder zusammengefunden haben. Okay, also doch mit ihm saufen … bei meiner nächsten Party.
Ich ließ mich wieder in meine himmlische Gedanken-Hängematte zurückfallen, stellte mir den weißen warmen Sand unter meinen Füßen vor, so weich wie Puderzucker. Mein Kopf war so leicht wie die Flügel eines Schmetterlings, der Wind flüsterte mir zu und meine Zukunftsgedanken rollten weiter wie vom Laufband aus mir heraus.
Zuerst sah ich einen üppigen Palmengarten, dann einen großen ovalen Pool mit schimmerndem smaragdgrünen Wasser, eine ausladende Sonnen-Terrasse und plötzlich stand ich in einem feudal ausgestatteten Haus mit Teppichen, Glasvitrinen, schicken Möbeln, einem tischgroßen Aquarium und einem weißen Flügel in der Mitte des Raumes. So in etwa sollte es aussehen, mein neues Wohlstands-Zuhause. Ob das am Lago Maggiore, an der Cote d`Azur, in Las Vegas oder auf den Bahamas sein sollte, war noch gar so nicht wichtig. Fest stand nur, nie mehr im letzten Hinterhof eines Glasscherbenviertels, in dem es nach Armut und Aussichtslosigkeit stank und der Mief von gescheiterten Existenzen wie wischfeste Farbe an den Wänden klebte. Und nie mehr in einem Kaff, wo jeder deine Schuhgröße kennt und auf die Minute die Uhrzeit nennen kann, wann du das Licht im WC ein und ausgeschaltet hast. Nie mehr direkt am Bahngleis, im nicht beheizten Gartenhaus, in der als Schlafgelegenheit genutzten Garage oder im abbruchreifen Wohnblock, sondern für immer und ewig dem Bruchbuden-Schicksal entfliehen.
In der Wohnung meines Großvaters, in der ich mit ihm bis zu seinem Tod gelebt hatte, war es noch am besten gewesen. Danach ging es nur in eine Richtung, nämlich schnurstracks nach unten. Erst als ich meinen zweiten Beziehungsversuch mit Strapsi einfädelte -und der war viele Jahre später- schaffte ich etwas Ähnliches wie ein kleines wirtschaftliches Zwischenhoch und zusätzlich das, was man als kleine Wohnung bezeichnen konnte. Doch es lag in der Natur der Sache, dass bei einem zum Unglück Verdammten wie mir der Versuch mich mit Strapsi zu beziehen von Vornherein zum kläglichen Scheitern verurteilt gewesen war. Der Einzug kam nicht zustande, die Kaution war futsch.
Meine alte Bude aber, in der ich noch hauste und für die ich eine viel zu hohe Miete bezahlte, wurde das unmittelbare Opfer eines von mir verursachten Wohnungsbrandes. Und weil das immer noch nicht abgrundtief genug gewesen war, folgte darauf der Totalabsturz zum wohnungslosen Tiefpunkt meiner Existenz, so tief und beschämend, dass ich mich nur ungern daran zurückerinnere.
Zumindest hatte ich einige hochprozentige flüssige Freunde und die dazugehörigen Kumpels aus der Suchtklinik gefunden, von denen ich allerlei über das Leben auf der Straße lernen konnte. Drei coole Typen mit reichlicher Erfahrung und guten Beziehungen im Milieu, Weißbier-Hugo, Gamaschen-Ali und Hassan Nakamura. Eine interessante Erfahrung, bis der Winter kam und ich mein provisorisches Bett im Gartenhaus räumen musste.
Die Stimmung in meiner Hängematte war zu herrlich, um das ganze dunkle Kapitel zu rekapitulieren. Es spielte keinerlei Rolle mehr. Irgendwie bin ich wieder aufs Gleis gekommen mit einem Tankstellen-Job und einer bescheidenen Zweizimmer-Wohnung. Selbst mein Führerschein und ich haben wieder zusammengefunden. Der Rest der Geschichte war ein Spießerleben, in dem ich begann, regelmäßig den Lottoschein auszufüllen wie so viele andere. Vielleicht hat es diese Vorgeschichte gebraucht, um mich dahin zu bringen, wo ich nun war.
Ich nippte in Gedanken in meiner Hängematte liegend an einem Mojito mit einem knallbunten Strohhalm und dachte zufrieden lächelnd an meine künftige Villa mit Pool und Meerblick. Das schäbige Innenleben und die Ansammlung des überflüssigen Gerümpels in meiner Bisher-Wohnung konnte ich getrost aus meinen Gedanken löschen. Welch ein beruhigendes Gefühl, so befreiend, einfach himmlisch.
Die geistige Bestandsaufnahme meiner Zukunftspläne wollte kein Ende nehmen, immerhin gab es ein komplettes Leben zu durchdenken und alles das, was auf meiner versäumtes-Leben-Liste noch offen war. Aber dann bohrte sich ein quälender Gedanke in meine Zukunftsvisionen. Was ist, wenn die Leute etwas mitbekommen? Sollte ich mich verstecken, verkriechen, einen Doppelgänger engagieren. Oder sollte ich sofort in ein Hotel oder gleich in eine andere Stadt oder ein anderes Land umziehen?
Die Vorstellung, dass jemand bemerken könnte, dass in meiner Welt etwas Besonderes im Busch war und nach Geld stank, behagte mir ganz und gar nicht. Nein, das Ding musste top secret bleiben, höchste Geheimhaltung. Der Teufel wäre los gewesen. Alle würden etwas von mir haben wollen, und wenn es nur ein paar Geld-Kalorien vom Millionen-Kuchen gewesen wären. Die Nachbarschaft, die Heuchler, die Neider, die Bettler oder Familienmitglieder, die wie Aliens soeben vom Himmel gefallen, sich plötzlich zu meiner Verwandtschaft zählen wollten. Nein, ich wollte mit allen Mitteln vermeiden, dass eine Armee von gierigen Aasgeiern über mich herfällt und an mir nagt wie an einem saftigen Stück Frisch-Fleisch. Hoffentlich hielt Fix dicht. Wieder sah ich sein eigenartiges Grinsen vor mir, aus dem ich mir keinen Reim machen konnte, als ich es ihm erzählte. Vermutlich war es wirklich die einzig vernünftige Option, mich baldmöglichst und unauffällig aus dem Staub zu machen.