Читать книгу Braunschweig via Paris - Ida Bauer - Страница 13

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Wie immer in solchen Momenten befinden sich Engel und Teufel auf meinen Schultern. Scheiß der Hund drauf…ich mache kehrt in Richtung Auto…quatsch, quatsch, quatsch…was tue ich denn hier? Der ganze Dünnschiss, die Aufregung und das Stylen wären dann für die Katz gewesen. Nee, hier geblieben befahl ich mir selbst…du hast nichts, aber auch rein gar nichts zu verlieren Lander…also ran an das Pimmelchen. Ich mache insofern wieder kehrt, schmeiße die Fluppe weg und gehe mit butterweichen Knien los. An der Ecke luchse ich vorsichtig ums Mauerwerk, um zu schauen, ob er schon da ist. Puuh, Gott sei Dank noch nicht. Mir ist es immer furchtbar peinlich, auf jemanden zu zugehen, weil ich der hundertprozentigen Überzeugung bin, dass derjenige sofort meine X-Beine bemerken muss. Nun aber los…hocherhobenen Hauptes betrete ich unten das Foyer. Dankbar bemerke ich, dass die Heizung angestellt war und ich nahm erst mal mit meinem durchgefrorenen Arsch darauf Platz.

Fünf Minuten hat er noch…ich würde weitere zehn warten und dann verpisse ich mich. Wenn ich etwas außer Ungerechtigkeiten hasse, dann ist es Unpünktlichkeit. Ich stelle meine Handtasche neben mir ab und überlege, ob ich noch eine rauche…verwerfe den Gedanken aber gleich wieder, weil das echt Kacke aussieht, falls er dann reinkommt. Verdammt noch mal…ich bin zu nervös, um zu sitzen. Deshalb stehe ich auf und schaue mich ein wenig um…viel ist aber nicht zu sehen oder die Nervosität schlägt mir auf die Sehnerven. Ich habe den Gedanken noch nicht ganz zu Ende gebracht, da geht hinter mir die Tür auf und bevor ich mich ganz umgedreht hatte, rauscht jemand mit dem Satz: <<Na, ist kalt heute? Vergiss deine Handtasche nicht>>, an mir vorbei. Wieder musste ich mich um 180 Grad drehen, um zu schauen, ob es mein Date oder ein Fremder ist. Es war Marcel…wie er leibt und lebt…denke ich…aber was ist das denn für eine beschissene Begrüßung nach all den vertrauten Telefonaten?

Etwas perplex schnappe ich mir meine Handtasche und folge ihm in den Aufzug. Da standen wir nun und beglotzten uns gegenseitig. Er sah irgendwie anders aus als auf dem Foto…was sollte eigentlicher dieser verschissene Zottelbart in seiner Fresse? Den hat er doch aufm Foto nicht gehabt…da sah ja Brad Pitt in den einem Film mit seiner Rotzbremse besser aus. Ruhig bleiben Blondi, den kann ich ihm ja nach einer durchvögelten Nacht abrasieren, denke ich mir.

<<Hast Du gut hergefunden?>>, fragte er mich.

<<Ja, klar. Ist gleich um die Ecke von mir>>, antwortete ich. Das „PING“ des Fahrstuhls signalisierte uns, dass wir oben angekommen waren. Wir stiegen aus und schwenkten gleich nach rechts in den Raucherbereich.

Ich zog meinen Mantel aus, stopfte den Schal in den Ärmel und setzte mich auf ein sehr tiefes, bequem aussehendes Lounge-Sofa. Sehr bequem, aber auch sehr unvorteilhaft für sämtliche Fettröllchen, die sich in dieser Haltung deutlich sichtbar machen und die ich unfreiwillig zu diesem Date mitbringen musste. Marcel setzte sich mir gegenüber und studierte gleich die Karte.

Na, der muss ja Kohldampf haben…oder er weiß nicht, was er sagen soll. Ich vertiefe mich auch in die Karte und beobachte ihn aber zwischendurch immer wieder über den Kartenrand.

Mein Darmgrummeln machte mich darauf aufmerksam, dass ich vielleicht nicht grade das Fettigste vom Angebot wählen sollte. Er dagegen legte die Karte schon wieder weg und schaute mich erwartungsvoll an. Ich tat so, als ob ich noch nicht wüsste, was ich nehmen soll…doch stattdessen versuchte ich verzweifelt, meinen Unterleib zu ignorieren, der sich meinem Willen jedoch widersetzte, indem er immer kräftiger rebellierte. Mein Innenleben machte sich mit aller Naturgewalt selbstständig und ich versuchte vollkommen cool auszusehen. Kann sich eigentlich irgendjemand auf dieser Welt vorstellen, wie schwierig sowas ist???

Doppelt cool legte auch ich die Karte auf den Tisch und sagte <<Ich bin etwas unschlüssig, im Grunde hab ich noch gar keinen Hunger.>>

<<Du bist doch wohl nicht etwa eine von den Frauen, die im Restaurant im Salat rumstochern?>> fragte er mich ungläubig.

<<Hallöchen, sehe ich etwa wie ne Magersüchtige aus? Dafür esse ich viel zu gerne, wie man sieht. Und des Weiteren muss ich zugeben, dass ich ein wenig aufgeregt bin und deshalb unter Durchfall leide. Genau genommen seit 3 Tagen>>, grinste ich verlegen. Mein Darmgrollen bestätigte dies auf sehr auffällige Art und Weise… wie peinlich.

Marcel gab beim Kellner seine Bestellung auf und ich nahm einen Saft anstatt einer Cola, verträgt sich vielleicht besser mit der Scheißerei, dachte ich mir im Geheimen. Der Kellner verschwand und wir schauten uns dämlich an. Was sagt man denn nun??? Des Weiteren war die Musik unglaublich laut.

<<Und? Tiste geäuscht?>> fragte er mich über den Tisch hinweg. Tiste geäuscht? Was in aller Welt meinte er? Habe ich das richtig verstanden? Was meinte er mit „Tiste geäuscht“? Wie immer, wenn ich etwas nicht richtig verstanden habe, lächelte ich erst mal und keck und versuchte krampfhaft zu überlegen, was er denn wohl meinte. Leck mich am Arsch, die Musik ist aber auch laut und mein Tinnitus trägt auch nicht grade dazu bei, jemanden unter diesen Umständen besser zu verstehen.

<<Wie bitte? Du musst etwas lauter reden, ich habe das eben nicht richtig verstanden>>, musste ich dann peinlicherweise zugeben.

<<Ich fragte eben, ob Du enttäuscht bist?>>, wiederholte er etwas energischer. Was soll denn diese Frage jetzt??? Ich meine, selbst, wenn ich es bin, was soll man denn darauf antworten? Ja, bin ich, weil Du sowas von Scheiße aussiehst??? Oder – ja, bin ich, weil du zehn Jahre älter aussiehst wie auf dem Foto??? Das macht doch keine Sau…Vielleicht ist jetzt aber die beste Gelegenheit, ihn auf seinen Möchte-Gern-Zottel-Bart anzusprechen.

Doch aus meinem Mund kam feige ohne nach zudenken <<Ich? Wieso sollte ich denn enttäuscht sein?>>

Im Innersten klatschte ich mich selbst gegen die Wand…doof, doof, doof bin ich und blöde noch dazu. Kann man doch nebenbei erwähnen, dass er auf dem Foto viel besser aussah als mit dem Kratz-Woll-Ekzem in der Fresse.

Schließlich hat er mich gefragt und da muss man mit einer ehrlichen Antwort rechnen. <<Komm doch zu mir rüber auf das Sofa hier, dann müssen wir uns nicht so anschreien und ich verstehe Dich besser>>, warf ich etwas mutiger hinterher.

Er ließ sich nicht zweimal bitten, nahm sein Kram und setzte sich neben mich. Huch…hätte ich vielleicht nicht tun sollen…denn das Zottlige sprang mir sowas von ins Auge, das mir schlecht wurde bei dem Gedanken, dass dieses Stück eventuell mal zwischen meinen Schenkeln hängen könnte.

<<Also…irgendwie siehst Du anders aus als auf dem Foto! Warum hast Du denn plötzlich diesen Bart?>>, versuchte ich aus ihm raus zu bekommen.

<<Weil ich es gut finde und die Schnauze voll hatte vom Rasieren. Findest Du, es steht mir nicht?>>

Ähm, och…hm…Dreckskacke…warum passiert mir immer sowas? Wie soll ich denn bei einem ersten Date solch dämliche Fragen ehrlich beantworten und dann nicht blöde sitzen gelassen zu werden, weil ich jemanden beleidigt habe? Wie komme ich denn aus der Nummer jetzt wieder raus? Er schaute mich erwartungsvoll und fragend an. Reagiere Lander, reagiere einfach und diplomatisch. Pah, ich und Diplomatie…zwei Welten prallen aufeinander. Entweder ist meine Schnauze schneller als mein Hirn oder ich denke, ehrlich währt am Längsten. Gott sei Dank kam grade der Kellner und brachte Marcels Essen. Ich hatte also noch einen kleinen Moment vom lieben Gott geschenkt gekriegt, um mir was Sinnvolles einfallen zu lassen.

<<Naja, wenn Du mich so fragst…Du erinnerst mich an Tom Hanks in Cast away, als er jahrelang auf einer einsamen Insel war, kein Rasierzeug hatte und mit einem Ball namens Wilson sprach, damit er nicht wahnsinnig wurde. Ganz ehrlich gesagt? Ohne den Vollbart kommt dein Gesicht besser zur Geltung!>> Boa ey, wenn das nicht diplomatisch von mir war, dann heiße ich nicht mehr Lander. Kritisiert und gleichzeitig geschickt ein Kompliment eingefügt. Innerlich lobte ich mich und klopfte mir selbst anerkennend auf die Schulter…was bin ich nur für ne Gute, hihi.

<< Das liegt ja immer im Auge des Betrachters und ich fühle mich aktuell damit sau wohl>>, antwortet er mit einem leichten Lächeln. Ja aber, Du siehst Scheiße aus damit, lag mir auf der Zunge, jedoch zügelte ich mich im letzten Moment. Stattdessen antwortete ich gut erzogen und tolerant <<Dann ist ja alles in bester Ordnung, denn wichtig ist ja, dass Du dich wohl fühlst.>> Er pflichtete mir bei und fragte, ob ich nicht doch was von dem herrlich duftenden Essen probieren möchte und ich entschied mich, seine lecker duftende Knoblauchpaste mit einem Stück frischen Brot zu probieren (knutschen fällt heute also schon mal flach, jedenfalls scheint er es nicht vorzuhaben, wenn er sich mit Knoblauch vollstopft).

Mmh, schmeckt das geil…ich merkte, was ich doch für einen Hunger hatte und überlegte, ob ich mir nicht doch was bestellen sollte. Genussvoll steckte ich mir Stück für Stück in den Mund und ließ es mir auf der Zunge zergehen. Als Dankeschön für diese leckere Nahrung bekam ich von meinem Darm ein warnendes Geräusch zu hören. Hör mit Fressen auf, ermahnte ich mich gedanklich, das geht sonst nicht gut. Ach fuck, ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gesponnen, da ging es mit Darmkrämpfen auch schon los. Nicht jetzt lieber Gott, bitte nicht jetzt. Da sitzt ein Typ neben mir, den ich näher kennen lernen möchte und der steht bestimmt nicht auf Blähungen und Durchfall.

Braunschweig via Paris

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