Читать книгу Braunschweig via Paris - Ida Bauer - Страница 8

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Am nächsten Tag wachte ich völlig vernudelt von diesen irren Träumen auf. Ich fühlte mich, als wenn ich der Rasen auf einem Panzertruppenübungsplatz gewesen wäre. Filou war das natürlich völlig egal, der wollte Gassi und die Katze wollte fressen. Also rappelte ich mich widerstrebend hoch, fütterte Cleo, tätigte eine kleine Morgentoilette und zog mich danach an. Ich war noch nicht ganz auf dem Feldweg angekommen, da ging mir Marcel schon wieder durch den Kopp. Das darf doch wohl nicht wahr sein, dass der Typ jetzt schon mehr Zeit in meinem Kopp verbrachte wie ich selbst. Resolut versuchte ich, meine Gedankengänge in andere Richtungen zu steuern. Was sich als sehr schwierig rausstellte, aber nicht als unmöglich. So schlurfte ich also tot müde und körperlich sehr unentspannt übers Feld und beneidete wie so oft Filou, der mit seiner täglichen guten Laune sich an allem erfreute, was die Natur so hergibt. Es sei denn, wir treffen einer seiner „besten“ Freunde, dann ist Polen offen. Aus dem einstmals so freundlichen, liebenswerten und ach so süßen Hund wird eine zähnefletschende beißgierige Mutantenbestie. Ich bin immer wieder erstaunt, wie in so einem kleinen Hundekörper zwei so unterschiedliche riesige Seelen wohnen können. Sollten doch Ähnlichkeiten zum Frauchen bestehen? Er ist wie ich Zwilling vom Sternzeichen her. Nee, ich bin nicht so unausgeglichen und kann den Menschen doch sehr tolerant begegnen. Noch darüber nachdenkend kam ich daheim an, gab Filou sein wohlverdientes Fressen und machte mir ein kleines Frühstück – also Kippe und nen Glas Cola.

Muss damit auch unbedingt aufhören, weil die Hosen zum Verrücktwerden kneifen und nur vom Jammern wird ja bekanntlich nicht dünner. Morgen…Morgen trinke ich bestimmt statt Cola einen Tee und die Fluppe lass ich weg.

Voller Enthusiasmus fuhr ich den Laptop hoch und loggte mich bei kissmrright ein. Wo sind denn hier die verschissenen Posteingänge? Ach ja, hier habe ich ihn und zack – NICHTS… Hä??? Dem schreibe ich gestern sowas Nettes, überwinde all meine Ängste und dann…NICHTS? Arschloch, Wichser, Flachzange. Der weiß wohl nicht zu schätzen, wenn er angenehme Post bekommt! Beruhige dich Ann-Kathrin, es ist früh am Morgen, der hat das bestimmt noch nicht mal gelesen. Sanft fahre ich meinen Atem wieder runter, normalisiere meinen Blutdruck und versuche an was Schönes zu denken…was Schönes…was ist denn gegenwärtig schön? Sex? Kann nicht sein, hab ja keinen. Viel Geld? Geht nicht, hab ja keins. Job? Der ist Bullshit. Verdammt nochmal, es wird doch wohl was Schönes in meinem Leben geben, an was ich jetzt denken kann. Etwas Feuchtes legt sich auf meinen Schenkel und ich schaue runter in Filous wunderschöne rehbraune Augen, der das mit sofortigem Schwanzwedeln begrüßt. Okay, da habe ich was Schönes und brauche nichts mehr suchen. Ich logge mich also wieder aus und verbringe die nächsten Stunden damit, Papiere zu sortieren und das zweite Mal Gassi zu gehen. Es ist nun später Nachmittag…eigentlich könnte ich nochmal gucken, ob er geantwortet hat. Eigentlich! Noch nicht zu Ende gedacht und schon ran ans Läppi, eingeloggt und Posteingang und…

Jaaa, er hat geantwortet, freu freu freu… krieg fast nen Milcheinschuss vor Glückseligkeit. Was schreibt er denn so? Ah ja, hier stehts ja…

Liebe Ann-Kathrin…ich freue mich sehr, dass Dir mein Statement gefallen hat. Ich habe sehr lange dafür gebraucht, um das in Worte zu fassen, was ich fühle. Doch nun zu Dir – magst Du mir nicht ein Foto schicken? Du hast leider keins auf deinem Profil und mich interessiert es schon sehr, wie die Frau aussieht, die den Mut hatte, mir zu schreiben. Bis dahin liebe Grüße Marcel“.

DAS kann ER mal ganz gepflegt abfurzen. Ich schicke dem doch kein Foto zu, wer weiß, was der damit macht. Wenn der mich hässlich findet, dann lacht er sich mit seinen Kumpels bestimmt bei einem Männerabend über mich dusslige Kuh tot und setzt mich danach bei YouTube mit dem Motto – „blond, alt, verzweifelt sucht“ rein.

Andererseits – ich würd`s nicht anders machen, muss ich zu meinem Leidwesen gestehen. Hm, nun gut nachgedacht Superwoman, wie mache ich es am besten, ohne zu viel von mir zu offenbaren? Ich habs…vor langer Zeit habe ich mit meiner Freundin Nina aus Berlin ein Fotoshooting gemacht und da waren ein paar etwas andere Bilder dabei…naja, wie soll man sagen? Witzfotos? Ulknudeln? Unzurechnungsfähige Tussibilder?

Anders kann man wohl schlecht erklären, wie Fotos im Bademantel, verschmierten Lippenstift und Kajal, Kippe im Hals, geknotetem Kopftuch mit integriertem Kochlöffel und Gummistiefel zustande kommen. Wenn er Spaß versteht, dann nimmt er mir so eins nicht krumm und ich bleibe noch etwas inkognito.

Muss ich mal fix die Festplatte dran klemmen und eins raussuchen. Gesagt, getan. Ich wählte eins vorm Herd stehend und im Kochpott rührend, mit verschmierten nuttenroten Lippenstift, König der Löwen Bademantel, Kopftuch und die vermeintliche Fluppe James Dean mäßig im Mundwinkel hängend. „Jo Baby jo, ditte isses“ würde Nina aus Berlin sagen. Nun muss ich mir nur noch überlegen, was ich dazu schreibe. Ich betätige schon mal den Antwort-Button und stelle pikiert fest, dass man dort gar keine Datei anhängen kann. Mist, Mist, Mist.

Denk nach Blondi und zwar intensiv…nach einigem hin und her grübeln, beschloss ich folgendes zu schreiben: „Hi Marcel, ich kann deine Bitte verstehen und würde Dir gerne ein Foto schicken. Das ist hier aber nicht möglich, da man nur eins ins Profil stellen kann. Ich würde mich freuen, wenn ich es an deine private E-Mail Adresse senden kann. Ich habe mich hier nur wegen Dir eingeloggt und möchte so schnell wie möglich wieder raus. Vielleicht könnten wir uns ja weiter über unsere E-Mail-Addis kontaktieren? LG Ann-Kathrin

Das hört sich very good an, denke ich mir so und schicke es ab. Da ich so schnell nicht mit einer Antwort rechne, begebe ich mich in die Küche und bereite mir eins lecker Fresserchen zu. Als die Pizza fertig war, fläze ich mich schön damit aufs Sofa und schaue mir den Hundeprofi an. Ich liebe den Martin Rütter. Der Seelenklempner aller Schwanzwedler. Der Mann, der Frauchen und Herrchen therapiert und die Sprache des Hundes versteht. Der deutsche Cesär Millan und Hundepsychologe vor dem Herrn so zu sagen.

Leider geht die Stunde mit ihm viel zu schnell rum und die Pizza war auch zu schnell alle. Dafür waren die Fettzellen am Rettungsring wieder für mindestens vier Wochen versorgt worden. Jetzt auch scheiß egal, weil ich eh nicht in einem „Beziehungsstatus“ lebe und beim Sex somit auch nicht den Bauch einziehen muss. Insofern schleppe ich meine vollgefressene Plauze raus zum Paffen und inhaliere herzhaft den ekligen Tabakgeschmack. Danach wälze ich mich wieder vor`s Läppi, um nach Antwort zu schauen. Und siehe da…der Herr aller Wörter hat geantwortet. Neugierig öffne ich die Post und lese – „Hi Ann-Kathrin, das können wir gerne so machen. Hier meine E-Mail-Addi, damit Du auch das Foto senden kannst- hiebleid@online.de LG Marcel“.

Kiecke mal, kiecke mal…da ist aber jemand neugierig. Sofort öffne ich mein Mail Programm und fange an zu tippen - bei Betreff schreibe ich ganz locker rein: “ Ich hoffe, Du hast Humor. Lieber Marcel, hier nun wie versprochen das Foto…ich hoffe, Du nimmst es mir nicht übel. LG Ann-Kathrin“.

Auf Senden und wech damit. Ganz souverän versuche ich dann, die Zeit tot zu schlagen und meine Ungeduld im Zaum zu halten, weil ich ja überhaupt nicht auf eine Antwort warte. Nein, tue ich nicht. Dass ich es dann unbewusst doch tue, zeigt mir Outlook nach dem achten Mal aktualisieren mit der Passwortsperre. Fuck… jetzt muss ich den Hobel ganz runterfahren, um das Ding neu zu öffnen. Atmen Ann-Kathrin, atmen nicht vergessen. Klick, runterfahren, warten, neu starten, Passwort, warten bis alles da ist, Outlook öffnen und warten…Habe ich nebenbei schon erwähnt, dass mich das Wort „warten“ wahnsinnig macht?

Ungeduld ist leider eine meiner Haupteigenschaften. Nichts auf dieser Welt geht schnell genug für mich. Aber ich arbeite an mir, weil ich schon selbst gemerkt habe, dass es mich eines Tages entweder in die Klapse bringt oder ich bei passender Gelegenheit deswegen zur Massenmörderin werde. Endlich ist es soweit und das Glück ist mir hold – Antwort von Marcel. Draufklicken und öffnen mit zittrigen Fingern ist gar nicht so einfach wie es sich anhört, aber es hat geklappt.

Liebe Ann-Kathrin, wie ich sehe, hast du Humor. Ich würde mir dieses Outfit gerne zu unserem Kennenlern-Date wünschen. Ist das möglich? LG Marcel“.

Wie geil, wie geil. Er versteht Spaß, eins der wichtigsten Kriterien bei der Männer-Erbsen-Zählerei. Ich schreibe zurück, dass das an sich überhaupt gar kein Problem ist, da ich immer so aussehe hihi. Mutig füge ich meine Telefonnummer hinzu und ob wir nicht mal zusammen spazieren gehen wollen, weil erst mal per Schreiberei viel zu viel missverstanden werden kann und dann finde ich, dass die Stimme desjenigen auch wichtig ist. Sie sollte männlich sein und nicht klingen, wie die eines kastrierten Erdmännchens. Eine Fluppe später wieder Antwort von „Mr.-er-reizt-mich-immer-mehr“. Und die lässt mich fast ausm Stuhl fallen.

Hi Ann-Kathrin, das geht mir dann doch alles etwas zu schnell und ich muss darüber nachdenken. Bitte drängele mich nicht. Wir hören uns. LG Marcel“.

Hä??? Was? Irritiert lese ich es mehrmals durch, ob ich irgendwas übersehen habe, aber ich bin mir keiner Schuld bewusst. Über WAS will er nachdenken? Ob er mich anruft? Vielleicht hätte ich ihm schreiben sollen, wie es geht – man nehme den Hörer, wähle die Nummer, wartet aufs Freizeichen und wenn jemand abnimmt, unterhält man sich. Ich habe doch nicht kundgetan, dass ich in einer Stunde von ihm geheiratet werden will. Dann könnte ich diese Reaktion verstehen, aber so? Die Sendung Galileo hat Recht…Männer haben ein paar Gehirnwindungen weniger und die Vorhandenen funktionieren nicht immer nach Plan. Und was heißt hier drängeln??? Muss ich erst buchweise E- Mails austauschen, damit es zu einem persönlichen Treffen kommt? Ich beschließe, dass Marcel mich ganz gepflegt mal kreuzweise am Arsch lecken kann. Soll er doch nachdenken, bis er wieder jungfräulich in die Kiste springt. Ich werde währenddessen dafür sorgen, dass mein Leben bis dahin unbeschwert, erfolgreich und voller Liebe ist, basta. Ich verspüre eine klitzekleine Nuance von Ärger in mir aufkeimen, ersticke sie aber im Keim. Es ist wie es ist und ich will niemanden ändern. Andererseits schrieb er, dass wir uns hören. Ja, was denn nun? Ich beschließe, diese Sache rigoros aus meinem Kopp zu streichen. Ein Versuch war es schließlich wert und ich bin wahnsinnig stolz auf mich, dass ich überhaupt den Arsch in der Hose hatte, ihn anzuschreiben. Ich bin eine klasse Frau…ich - Ann-Kathrin Lander, bin der personifizierte Traum aller Männer. Und ich glaube ganz fest daran, wenn ich mir das immer wieder einrede, dass ich irgendwann davon selbst überzeugt bin und es auch ausstrahle. Natürlich ohne Arroganz und Überheblichkeit. Einfach nur dieses „Strahlen“ von innen heraus, wo sich alle nach umdrehen. Im Augenblick ist es wohl mehr ein kleines Glimmen am fernen Horizont. Naja, ich übe gegenwärtig noch, aber egal. Strebsam kann ich auch sein. Wenn`s sein muss oder zu meinem Vorteil ist.

Die nächsten Tage vergingen eigentlich wie im Flug. Im Job hatten sich wieder Überstunden angekündigt und die Woche war schneller rum, wie ich gucken konnte. Am Samstagnachmittag saß ich am PC und bespaßte mich selbst, indem ich Videos bei YouTube anschaute. Ich nahm grad einen Schluck Tee und just in diesem Moment klingelte das Telefon. Ohne aufs Display zu schauen, nahm ich rasch ab.

<<Hallo, hier ist Marcel.>>

Ich verschluckte mich zuerst mal gepflegt an meinem Tee und röchelte asthmaähnlich ins Telefon. Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht damit. Nachdem ich wieder atmen konnte, meldete ich mich mit meinem Namen und einem freundlich reingehauchten: <<Hallo Marcel>>

<<Wie geht es Dir?>> fragte er.

<<Mir scheint die Sonne ausm Arsch…Es ist Wochenende und die Maloche ist vorbei>>, antwortete ich unüberlegt.

<<Aha, die Sonne ausm Arsch? Sowas hab ich noch nicht gehört, aber es scheint Dir gut zu gehen. Erzähl mal, wie es dazu kam, dass Du mich durch „Zufall“ dort gefunden hast.>>

Bereitwillig erzählte ich ihm die Wahrheit, wie es dazu gekommen ist. Wir telefonierten zwei Stunden lang und er hatte eine wirklich, wirklich angenehme sonore, manchmal auch etwas erotische Stimme. Er verabschiedete sich zum Schluss mit den Worten, das wir wieder voneinander hören würden. Da kann er seinen kleinen Arsch drauf verwetten, sag ich mir. Klingt ja sehr reizvoll, jedoch scheint er ein bisschen außergewöhnlich zu sein. Ich kann`s noch schlecht beschreiben und denke intensiv darüber nach, was ihn so anders macht. Leider kriege ich es nicht zu fassen in meinem Kopp, aber das Gefühl blieb bestehen.

Ich versuchte danach, das Gespräch Revue passieren zu lassen, um alle Einzelheiten bis aufs Detail auseinander zu nehmen und zu analysieren. Aber ich war während des Telefonats teilweise so aufgeregt, dass ich mich an manche Sachen einfach nicht mehr erinnern konnte. Alzheimer, gepaart mit einer gehörigen Portion Demenz sag ich nur. Drauf geschissen, beruhige ich mich. So wichtige Dinge können beim ersten Gespräch nun auch nicht dabei gewesen sein. Alles weitere werde ich mir einfach beim Telefonieren nebenbei aufschreiben, dann habe ich es immer parat. Denn im Gegensatz zu mir scheint er leider ein Elefantengedächtnis zu besitzen. Der konnte am Ende des Telefonats noch genau einen Satz vom Anfang wiederholen, den er gesagt hat. Absolut nicht gut für eventuelle spätere Beziehungsauseinandersetzungen, weil ich da immer den Kürzeren ziehen werde.

Abwarten und Tee trinken, sagt mein Papa immer. Und so fuhr ich Blutdruck und Kreislauf wieder in den Normalzustand zurück und beschäftigte mich mit meinem Haushalt. Beim Putzen kann man immer so schön Nachdenken und ratzifatzi ist man fertig. Noch besser ist es, wenn man wütend putzt. Dann geht nicht nur die Zeit schnell um, sondern man beseitigt auch Flecke, an denen man sonst verzweifelt hätte. Ich schwinge immer sehr gerne nach einem Streit den Lappen, vorausgesetzt die Versöhnung hat noch nicht stattgefunden. Wenn man sich schon wieder vertragen hat, putzt man nur noch mit halber Kraft und braucht doppelt so lange. Außerdem landet man doch eher im Bett, anstatt zu wienern. Ich meine, mal ganz ehrlich…wenn man mich vor die Wahl stellt – vögeln oder putzen, da muss ich nicht lange überlegen. Erst wird gevögelt und dann zusammen geputzt. Das ist ja wohl mehr als fair, oder?


Braunschweig via Paris

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