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Cornwall - die erste Nachtfahrt

Vor unserem Törn über die Biskaya wollten wir wenigstens einmal eine Nachtfahrt unter kontrollierbaren Bedingungen ausprobiert haben. Die Distanz zwischen Dartmouth und Falmouth betrug 63 Meilen. Geschätzte elf Stunden Fahrt hatten wir eingeplant. Fünf Stunden mit, vier Stunden gegen und wieder zwei Stunden mit dem Strom. Mit Hilfe des Reeds Nautical Almanac konnten wir die etwas komplizieren Tidenzeiten genau berechnen. Nach einem ausgiebigen Abendessen und letzten Bier im örtlichen Pub verließen wir unseren schönen Ankerplatz. Wieder hielten wir respektvollen Abstand zur Küste.

Das Wasser plätscherte bald schon ruhig am Bug, die Sterne blinkten vom Himmel. Nur ein paar Fischerboote und Fähren zogen in den folgenden Stunden an uns vorbei. Die Leuchtfeuer von Salcombe und dem Eddystone Rock südlich von Plymouth ließen wir an Steuerbord. Weit draußen am Horizont leuchteten schwach die Lichter der Tanker und Frachter auf dem Weg in den Ärmelkanal. Während meiner nächtlichen Wache kauerte ich draußen in der Plicht, den Blick meistens achteraus gerichtet und machte alle zehn Minuten meine Runde. Alles war in bester Ordnung. Die triradiale Genua 2 und das Großsegel brachten uns gut voran. Unsere Windsteuerungsanlage funktionierte hervorragend, auch bei schwachem Wind. Mehr als drei Beaufort hatten wir nicht, dafür kamen diese wie bestellt aus Südost. Aus den beiden Seekojen hinter den knallgelben Leesegeln aus Markisenstoff an Backbord und Steuerbord kam unruhiges Atmen und Geraschel. Maret und Lothar konnten wohl nicht einschlafen. Da hörte ich plötzlich gleich neben dem Rumpf ein lautes Schnaufen. War das etwa ein Delfin oder vielleicht sogar ein Wal?

Glücklich, müde, jedoch mit einer leicht gereizten Grundstimmung erreichten wir am nächsten Morgen den großen Fjord des River Fal. Da war mir am frühen Morgen irgendetwas über die Leber gelaufen. Ich hätte lieber direkt vor der Stadt geankert, aber wir wollten ja Proviant für eine Woche auf See bunkern. Also war es ratsam, in eine Marina zu gehen. Als wir uns der Hafenstadt Falmouth näherten, saß ich eine Weile schweigend auf dem Vorschiff.

In der Falmouth Marina wuselten wir noch zwei Tage lang am Boot herum. Nach Wochen ewigen Suchens fanden wir endlich den Hauptschuldigen für die Luft im Bauch unserer Balu. Der Wasserabscheider lag höher als der Dieseltank und das System zog durch den Anschluss der Kraftstoffleitung am Wasserabscheider Luft. Da reichten schon ein paar Luftbläschen täglich, um uns wochenlang das Leben schwer zu machen. Mit Teflontape war es dann ein Leichtes, den Anschluss zu dichten.

Die Falmouth Marina lag ein Stück den Fluss hoch am südlichen Stadtrand. Hinter der Marina erstreckte sich eine etwas farblose Vorstadt, graue Reihenhäuser, soweit das Auge reichte, Kulminationspunkt der Mittelmäßigkeit. Kleine Vorgärten und Straßen, auf denen während unseres Aufenthalts kaum ein Mensch zu sehen war. Über allem schwebte der für Britanniens Straßen typische Teer-Duft. Der Asphalt hier roch schon immer anders als bei uns zu Hause. Am Ende einer der langweiligen Straßen fanden wir einen Pub und einen Imbiss. Lothar bekam dort seine Portion regionaler Spezialitäten, eine geballte Ladung Fish & Chips. Wir waren längst geheilt von solchen Gelüsten. Vom nahegelegenen Supermarkt karrten wir drei Einkaufswagen voll Lebensmittel zum Boot, die wohl auch für eine Atlantiküberquerung gereicht hätten. Lothar war ganz versessen darauf, auf der Biskaya am Ende einer jeden Wache ein Gläschen Wein zu trinken. Also wanderten auch noch 10 Flaschen Rotwein an Bord.

Vom Marinabüro aus konnten wir unsere Mailkontakte pflegen und benachrichtigten vor unserem ersten großen Sprung noch einmal unsere Freunde und Familien. Der Nachtwächter, ein eher gemütlicher Mensch, ließ uns nach Büroschluss ins Office. Seit über 10 Jahren war er hier beschäftigt und fand seinen Job nach wie vor super. Jeden Abend um 20.00 Uhr begann seine Schicht. Bis 6.00 Uhr in der Frühe zog er seine Runden. Sehr stolz war er, dass in diesen Jahren noch nichts wirklich passiert war.

„Ja, ist das denn nicht furchtbar langweilig?“, fragte ich staunend. „Niemals,“ versicherte er mir im Brustton der Überzeugung.

Mir gegenüber saß ein schwedisches Pärchen. Sie kamen kurz nach uns in die Marina, beide in Blaumänner gekleidet. Wir machten uns zuerst ein wenig lustig über sie, weil die Blaumänner natürlich hypercool aussahen, aber völlig unpassend für die See waren. Auch sie arbeiteten seit Tagen an ihrem Boot und wirkten nicht besonders entspannt dabei. Außer einem freundlichen Nicken hatte sich zwischen uns noch nichts abgespielt. Überhaupt hatten wir bis dato noch keinen Kontakt zu Leuten, die das Gleiche vorhatten, wie wir. Dass wir Malin und Johann, so hießen die beiden Schweden, sechs Wochen später auf der Insel Porto Santo wiedertreffen und Freundschaft mit ihnen schließen würden, konnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Wir alle waren viel zu busy!

Einen Tag vor der Abfahrt wurden noch einmal alle Reffvorrichtungen im Groß und in der Fock auf ihre Funktionalität überprüft. Das vierte Reff im Groß war unsere Alternative zum Try-Segel. Knapp acht Quadratmeter Segelfläche blieben damit noch stehen. Wir hofften inständigst, es niemals benutzen zu müssen. 200 Liter Wasser bunkerten wir, 65 im stationären Haupttank, den Rest in 10l-Kanistern, die unter den Salonkojen und in den Backskisten verschwanden. Mit 90 Litern hatten wir genug Diesel, um 3/4 der Strecke nach La Coruna notfalls auch unter Motorkraft hinter uns zu bringen.

Nach Abschluss unserer letzten Vorbereitungen ankerten wir in einer Bucht im wunderschönen River Fal. Sanft und grün lagen die Hügel Cornwalls mit ihren vielen Steinwällen vor unsere Bug. Maret mixte uns einen karibischen Planters Punch. Vom Serrano wurde fleißig abgehobelt. Maret und ich gingen baden. Das Wasser am westlichen Zipfel Europas war ganz schön kalt. Ein paar Grad mehr durften es ruhig noch werden bis zur Karibik.

Hier am Ankerplatz war es auch Zeit für ein erstes Resümee. Lothar nannte uns alte Seebären, so fühlten wir uns aber noch lange nicht. Mit wie vielen Handicaps waren wir gestartet. Das lange sehr stürmische Wetter, die vielen kleinen Baustellen am und im Boot, das langsame Vorankommen, unsere Ängste vor schwerwiegenden Fehlern und die fehlenden Langfahrterfahrungen, all das ließ uns oft an uns und unserem Vorhaben zweifeln, wenn nicht gar verzweifeln.

Wie oft mussten wir uns noch vor gar nicht so langer Zeit gegenseitig motivieren, doch immer noch ein kleines Stück weiter nach Westen zu segeln. Der moralische Tiefpunkt am Ijsselmeer lag erst knapp drei Wochen zurück, eine heulende Maret im Vorschiff und ein sich betrinkender Iko am Kartentisch, ein weinerliches Lamento in die Tastatur seines Laptops hämmernd. Damals hielt ich ein Aufgeben wirklich für möglich. „Bis Falmouth schaffen wir es noch und dann schauen wir weiter“, so lautete danach unser Minimalkonsens.

Wenn es einen Ort gab, an dem Maret und ich noch hätten umdrehen können, dann war es wohl dieser westliche Außenposten Europas. Aber hier und jetzt umkehren? Die Nadel auf dem Kompass unserer Pläne, Träume und Hoffnungen zeigte ganz klar Richtung Süden. Was hatte unsere Einstellung verändert? War es nur die Rückkehr des Sommers? Reichten ein paar wunderschöne und sonnige Segeltage an der englischen Kanalküste, um die Stimmung so grundlegend zu bessern?

Vor unserer Abfahrt konnten wir den bevorstehenden Törn immer nur als großes Ganzes betrachten, wie einen riesigen Berg, den es zu bezwingen galt. Inzwischen versuchten wir, unser Vorhaben in kleinere Etappen zu unterteilen, flachere und erklimmbare Höhenzüge.

Jetzt standen wir vor dem nächsten und bisher spannendsten Kapitel unserer Reise. Wir hatten uns intensiv vorbereitet, waren motiviert bis in die Haarspitzen und gingen an die kommende Aufgabe mit viel Respekt, aber auch einer kleinen Portion Angst.

Die Reise in einem Cocktailshaker

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