Читать книгу Die Reise in einem Cocktailshaker - Iko Andrae - Страница 12

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Costa da Morte – Stürme in den Rias

An unserem Stegplatz entwickelten wir eine fast hysterische Energie, räumten auf, lüfteten die Polster und nahmen Kontakt auf zu den Leuten am sich langsam belebenden Steg. Ganz nebenbei fingen Lothar und ich zwei Meeräschen, die in großen Schwärmen um unser Boot schwammen. Mit Toastkrümeln angefüttert und vom Toast am winzigen Haken überlistet, zappelten zwei davon binnen Minuten an der Schnur.

Sofort lernten wir auch die ersten Fahrtensegler kennen, Tine und Frank aus Hamburg, die mit ihrem Boot Stina vor Anker lagen und am Steg vorbei kamen, als ich gerade mit den Meeräschen posierte. Sie schienen mein Anglerglück nicht so zu würdigen, wie ich es erwartet hätte. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: nicht alle Meeräschen dieser Welt teilen das paradiesische Leben ihrer Artgenossen in den sauberen Prielen an der Nordseeküste. Bei uns auf den Inseln als Delikatesse hoch gehandelt, schwimmen die meisten ihrer Spezies in den südlichen Ländern in dreckigen Hafenbrühen und ernähren sich mitunter aus stinkenden Kloaken. Zum Glück war ich zu diesem Zeitpunkt noch unwissend. Unsere beiden Meeräschen schmeckten einfach köstlich.

Nach dem Ende unserer erfolgreichen Überfahrt schwebten wir auf einer Wolke aus Glück und 94 Stunden Schlafmangel. Der anfänglich etwas deprimierende Eindruck von La Coruna bestätigte sich überhaupt nicht. Die Stadt entpuppte sich als eine pulsierende und schöne Metropole. Am ersten Abend liefen wir einem mir sehr bekannten Sound hinterher. Highway to Hell, ein Song von AC/DC, dröhnte über die Dächer der Altstadt und ich konnte nur hoffen, dass er nicht uns gewidmet war. Die Australischen Meisterrocker spielten im Stadion am Hauptstrand. Bis uns die Augen zufielen saßen wir an den belebten Straßen und waren wie berauscht vom Leben. Für die Spanier schien der Tag erst um 22.00 Uhr zu beginnen. Noch gegen Mitternacht waren viele Familien mit kleinen Kindern unterwegs.

Maret und verbrachten ich den kommenden Tag hauptsächlich dösend am Strand. Vor der Kulisse massiger Hochhäuser und den vielen ultraschicken und sonnengebräunten Menschen fühlten wir uns fast wie an der Copa Cabana. Bald schon mussten wir uns von Lothar verabschieden. Plötzlich waren wir wieder zu zweit, doch mit Tine und Frank waren die ersten Gleichgesinnten aufgetaucht, die unsere Weggefährten auf dem weiteren Wegen um den Atlantik werden sollten.

Für die folgenden Wochen hatten wir noch keine genaueren Pläne geschmiedet. Die Kanarischen Inseln wollten wir bis Oktober erreichen. Dafür hatten wir noch zwei Monate Zeit. Nach ein paar Tagen intensivem Nichtstuns waren unsere Batterien wieder voll und wir bereit für neue Taten. Die Wetteraussichten schienen jedoch alles andere als rosig, West-Südwest, fünf Beaufort mit Schauerböen. Über die Biskaya war in den vergangenen Tagen ein gewaltiges Sturmtief hinweggezogen, der Rest des Hurrikans Ivan.

Als wir aus der Bucht von La Coruna fuhren, war die Dünung immer noch meterhoch. Mit Mühe kreuzten wir an der Halbinsel Malpica vorbei und dem schwer atmenden Ozean entgegen. Natürlich blieb es nicht bei den fünf angekündigten Windstärken, es blieb auch nicht bei sechs. West-Südwest sechs bis sieben Beaufort, damit wurde es komplett ungemütlich. Wie schon damals vor Borkum stand ich beim Segelwechsel knietief im Wasser und schrie wütend gegen die Elemente. Tine und Frank waren längst über alle Berge. Ihre Stina, eine 12m lange Slup, Holzbau, traditioneller Riss, ein wunderschönes Boot, war natürlich viel schneller und bei diesen Bedingungen angenehmer zu segeln als unsere Balu.

Am Abend erreichten wir Lage, was auf Galizisch wie Latsche ausgesprochen wird, eine Kleinstadt an der Nordwestecke Galiziens. In dem Fischerstädtchen wollten wir auf Freunde aus Oldenburg warten, die mit dem Fahrrad in dieser Ecke Spaniens unterwegs waren.

Hinter dem Molenkopf des kleinen Hafens warfen wir unseren Anker. Ein Schwell aus Südwest drückte mächtig in die Bucht und ließ die ankernden Segelyachten rollen. Der Wind legte noch zu. Für den morgigen Tag waren neun Beaufort angesagt, Sturm.

Bordtagebuch Mittwoch 11.August - „Ein kleiner Junge in einer Siedlung am Rande des Ortes zeigt uns einen Weg hinauf zu einer Kapelle. Hier oben bekommt man nicht nur göttlichen Beistand, sondern kann auch die gesamte Ria de Corme y Lage und den offenen Atlantik überblicken. Tosend brechen sich die Wellen an der wild zerklüfteten Felsküste. Wie gut, dass wir nicht dort draußen sind! Am Abend sitzen wir mit den Oldenburgern vor einem kleinen Restaurant am Hafen, von dem aus wir ganz nebenbei auch unsere Balu im Auge behalten können. Nacheinander werden uns Köstlichkeiten dieser Region aufgetischt, Pimientos al Padron, Mini-Paprika in Salzkruste geröstet, Navajas, Schwertmuscheln, Pulpo, Sardinas fritas, Rotwein. Später regnet es so heftig, dass unsere Plätze unter den Sonnenschirmen geflutet werden.

Als wir zu Balu zurückkehren wollen, ist unser Dinghy verschwunden. Wir hatten es am Steg der Marina festgebunden. Anfangs kann ich es gar nicht glauben, aber unsere Anna ist nirgends zu finden. Da stehen wir im strömenden Regen und können nicht mehr zurück auf unser ankerndes Zuhause. Hätten wir das Schlauchboot doch nur angeschlossen! Während ich aufgeregt den Steg auf und ab laufe, klopft Maret bei einem spanischen Motorboot, auf dem noch Licht zu sehen ist. Der Skipper und seine Frau holen uns in die Kajüte und bieten sofort Wasser, Wein, Essen an. Es könnte ein netter Abend werden, doch uns ist jetzt gerade nicht danach. Der Skipper ruft die Polizei, die auch gleich zu kommen verspricht. Kurze Zeit später ruft von draußen jemand ins Boot, dass unser Dinghy am anderen Ende des Hafens liegt, direkt am Ende des Molenkopfes. Zwei Polizisten kommen vorbei, fahren mit uns auf die andere Hafenseite und tatsächlich, da liegt es an den großen Steinen der Mole. Alles ist dran, nichts kaputt. Ein Angler hat es dort festgemacht. Gerettet! Was für ein Glück haben wir da! Hätte der Wind ein wenig südlicher geweht, unser Beiboot würde jetzt auf dem offenen Atlantik treiben.“

Bordtagebuch Freitag 13.August - Lage – Camarinas - „Heute wieder ein Segelerlebnis zum Abgewöhnen! SW 6-7, Regen, hohe Wellen, Maret heult vor Wut. Unseren Zielhafen Finistere geben wir auf und nach nur 15 Meilen fällt der Anker in Camarinas. Tine und Frank geben uns Trost. Auch denen ist es nicht besser ergangen. Wenn die beiden weiter gesegelt wären, hätten wir restlos an unserer Befähigung für eine solche Segeltour gezweifelt und wären nach Hause umgekehrt! Dann hätten wir nicht hierher gehört. Was soll man eigentlich noch alles aushalten?“


Costa Da Morte

Regen, Sturm, Kälte, unsere Stimmung war wieder einmal auf dem Tiefpunkt. Ab Spanien wird alles gut, so hatte es geheißen. Stattdessen empfing uns Galizien mit dem kältesten und regenreichsten Sommer seit 75 Jahren. Aber wir gaben nicht auf und hangelten uns langsam an der Costa da Morte entlang immer weiter nach Süden.

Von Camarinas aus fuhren wir mit dem Bus nach Santiago de Compostela. Wir besuchten die berühmte Kathedrale des heiligen Jakob vom Felde. Tausende Pilger waren hier. Überwiegend ältere Menschen mit langen Wanderstöcken bevölkerten die Gassen der engen Altstadt. In der Kathedrale herrschte ein Gedränge wie auf einem Hauptbahnhof zur Stoßzeit. 2004 war ein sogenanntes heiliges Jahr und damit auch die Erklärung für den Ansturm auf diese spirituelle Ereignisstätte des Christentums. Nach einer Verfügung des Papstes Calixto II aus dem 12. Jahrhundert werden Pilgern, die Santiago in einem heiligen Jahr besuchen, alle Sünden vergeben.

Zurück in unserer Ria ließen wir uns am nächsten Morgen von Böllerschüssen aus dem Schlaf knallen. Die Fiestas an dieser Küste begannen pünktlich um 7.00 Uhr und endeten erst kurz vor dem nächsten Sonnenaufgang.

Den brüchigen Fassaden einiger alter Häuser an der Seefront von Camarinas sah man an, dass hier lange Zeit bittere Armut herrschte. Die Abwässer gingen immer noch ungeklärt in den Hafen. An einem dicken Rohr roch es übel, dort schlürften Hunderte von Meeräschen eine ölige und stinkende Brühe. Der Appetit darauf war uns nun restlos vergangen!

Auf einem Aushang wurden Fischer für die Entenmuschelfischerei gesucht, 620€ Verdienst im Monat. Nicht eben viel für einen so lebensgefährlichen Knochenjob. Die Entenmuscheln werden von den Fischern in der Brandungszone von den Felsen gesammelt. Das geschieht oft unter Einsatz des Lebens, denn die Percebeiros werden mit Leinen am umspülten Felsen abgeseilt und müssen mit langen Stangen die muschelförmigen Krebstiere unter der Wasserlinie vom Felsen kratzen. Jeweils 4kg ist das Tagessoll eines Muschelfischers. In großen Kisten werden die Percebes nach Madrid und Paris verfrachtet, wo sie für viel Geld in den besten Restaurants angeboten werden.

Aus einem Internetcafe in Camarinas schrieb ich an unsere Freunde: „Die Küste Costa da Morte trägt ihren Namen wirklich zu recht. Sie ist wild zerklüftet, tosende Brandung bricht sich an ihren Felsklippen. Da touristisch wenig erschlossen, trifft man überwiegend nur auf einheimische Urlauber.

Hier in Camarinas lagen gestern noch viele gefrustete Segler, die teilweise schon seit einer Woche eingeweht waren. Heute Vormittag sind ein paar Wagemutige aufgebrochen, obwohl das Wetter nicht wirklich besser geworden ist. Hier in den Rias liegen alle vor Anker, wir auch. Irgendwo ist immer ein Dinghy von Boot zu Boot unterwegs, um Informationen auszutauschen. Hauptthema ist natürlich das Wetter. Alle warten sehnsüchtig auf den portugiesischen Norder, der zu dieser Jahreszeit mit einer fast hundertprozentigen Wahrscheinlichkeit weht, aber eben nur fast 100%. Viele werden von Portugal aus weiter nach Madeira segeln. Das wird auch für uns der nächste große Sprung, vor dem wir ein wenig Bammel haben, aber Bammel, das haben wir inzwischen gelernt, den haben alle. Und genervt vom vielen Wind aus immer der falschen Richtung sind auch alle. Also ist es eigentlich ganz nett, so ein bisschen, wie damals mit meinen Eltern auf dem Campingplatz in Schillig während eines verregneten Sommers. Nur sind die Pfützen hier viel, viel größer und Delfine gab es früher nur im Vorabendprogramm und nicht vor dem eigenen Bug.“


Delfine ums Boot ...

Die Reise in einem Cocktailshaker

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