Читать книгу Die Reise in einem Cocktailshaker - Iko Andrae - Страница 15

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Nazaré - in einer fremden Welt

Nazaré liegt leidlich geschützt in einer Meeresbucht an der rauen Westküste Portugals. Unser Vorhaben, direkt vor der Altstadt zu ankern gaben wir schnell auf, als wir den Schwell bemerkten, der dort an den weißen Strand rollte. Eine Marina fanden wir weiter südlich im Porto da Pescar, dem Fischereihafen, einer riesigen Ödnis mit vielen kleinen und mittelgroßen Fischerbooten, einem Bootsschuppen, einer Auktionshalle, dem Marina Office und einem kleinen Supermercado.

Michael, der englische Hafenmeister, kam uns auf dem Steg entgegen und wies Balu einen Liegeplatz zu. Der starke Norder und eine Strömung von bis zu vier Knoten hier im Hafen machten das Anlegen etwas kompliziert, aber es funktionierte gut.

„Well done, lovely“ tönte es aus dem vollbärtigen Mund des knorrigen Seebären.

23 Stunden hatte der Törn von Viana do Castello nach Nazaré gedauert, unsere erste Nachtfahrt zu zweit. „Hat Spaß gemacht und ist doch mehr, als einfach nur gutgegangen! Machen wir noch mal, oder?“

Am Steg liefen uns Maria und Mikey in riesigen, scheinbar festgewachsenen Schwimmwesten entgegen, Bernd Mansholt stiefelte hinterher. Was für eine Überraschung! Die Nis Randers lag nicht in der Marina, sondern an einer schmutzstarrenden Kaie des Fischereihafens. Wir verabredeten uns mit ihnen nach unserem Einklarierungsprozedere am Supermercado, es sollte dort ein gutes Grillmenü geben.

Vorerst saßen Maret und ich jedoch im Marina Office, wo Michaels Frau unser gutes Englisch lobte, charming lady. Im Obergeschoss des Hafenamtes mussten wir dann in einem dunklen und halligen Flur an einem wackeligen Tisch vor einen martialisch anmutenden Zöllner treten. Der Beamte, hohe, schwarze Lederstiefel, die Knarre am Halfter, nahm schweigend unsere Papiere entgegen. Maret saß ihm gegenüber auf einem engen Plastikstuhl. Ich stand die ganze Zeit daneben. Von der Decke leuchtete eine schwache Neonröhre. Im Nachbarraum lief ein Fernseher. Drei weitere Zöllner verließen das Nachbarzimmer, ebenso martialisch muteten sie an. Als die drei Offiziere kurze Zeit später mit wohlriechenden Grillspießen, Gemüse und Salat zurückkehrten, löste sich die Spannung augenblicklich. Grinsende Gesichter, hier und da ein Joke übers Essen. Uns wurden die Pässe zurückgereicht. Wir waren erlöst.


Trockenfisch in Nazaré

Mit den fünf Mansholts saßen wir in der prallen Mittagssonne an einem riesigen, ausgedörrten Platz, auf dem ein Denkmal an die Errichtung des neuen Fischereihafens vor wenigen Jahren erinnerte. Das monströse Denkmal wirkte ein wenig ironisch auf dem leeren Platz, denn man suchte vergebens nach großen, repräsentativen Gebäuden. Den kleinen Supermercado konnten die Planer ja wohl nicht gemeint haben.

Wir speisten an billigen Plastiktischen, saßen auf billigen Plastikstühlen. Als Servietten wurden Papierhandtücher aus dem praktischen Klospender gereicht. Der Wind wehte schließlich auch den letzten Sonnenschirm davon. Das Licht gleißte. Die Grillspieße, auf einer alten Radfelge geröstet, Pulpo, Pescar, Pimientos und Zwiebeln, schmeckten hervorragend. Louis vom Supermercado tänzelte um uns herum und war sichtlich bemüht, keinen seiner Gäste ohne ein zufriedenes Lächeln gehen zu lassen. Nach dem Essen legten wir uns schlafen und wurden mehrfach von einer Sirene der Fischereikooperative geweckt, die immer dann ertönte, wenn ein Fischer am Kai anlegte.

Wo waren wir hier gelandet? Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, an einem fremden Ort, in einer anderen Welt angekommen zu sein. Diese hier hatte nur wenig mit der zu tun, die mir vertraut war. Die dunklen Fischer standen am nächsten Morgen zu zehnt im kleinen Supermarkt, tranken Bier nach der langen Nacht auf See, glotzen auf den Fernseher, brüllten sich in ungewohnter Lautstärke an und machten Späße mit Louis, der mir Brötchen verkaufte. Den Typen sah man die harte Arbeit und das raue Leben auf See an. Ihre Gesichter waren schroff und zerfurcht. Die dünnen Beine steckten in hohen Gummistiefeln, die Hände waren schwielig. Um sie herum roch es nach Fisch.

Wie die Fischer dort so standen, erinnerten sie mich an einen Artikel, den ich gerade in einer alten Ausgabe der Zeit über den millionsten Gastarbeiter in Deutschland vor genau vierzig Jahren gelesen hatte. Der Zimmermann Armando Rodriguez de Sa aus Portugal wurde 1964 feierlich auf dem Kölner Hauptbahnhof begrüßt. Das Foto zeigte den etwas verunsichert dreinblickenden Mann aus dem damaligen Armenhaus Europas. Abgereist war er in Canas de Senhorim, gerade zwei Autostunden nordöstlich von Nazaré entfernt. Man hatte ihm bei seiner Ankunft im fernen Alemana ein Moped überreicht. Wie hatte er sich wohl gefühlt, als er vor 40 Jahren in ein fremdes Land kam. Wie sehr hatte sich auch hier das Leben seither verändert.

Am nächsten Vormittag saßen die Zöllner vor dem Supermercado um den Grill. Grüßend liefen wir an ihnen vorbei und schlenderten den langen, gelben Strand entlang nach Nazaré. In dem Seebad war noch einiges los, obwohl die Saison sich auch in diesen Breiten langsam zum Ende neigte. An der Uferpromenade trafen wir ein paar ältere Frauen. Jede von ihnen hielt ein Schild hoch, „a alugar, zu vermieten“. Wie Zeugen Jehovas standen sie schweigend in der Gegend herum und nicken freundlich lächelnd, als ich ihr Angebot ausschlug. Alle trugen Kopftücher. Einige waren schwarz gewandet, andere wieder trugen schwere, bunte Röcke, die ganz lustig abstanden, ganz wie die Reifröcke im Rokoko.

Nazaré, bereits in der Antike gegründet von phönizischen Händlern, kleine Hafenstadt an der Westküste Portugals und heute ein moderner Ort mit allem, was zu einem Touristenort so dazu gehört. Das Leben muss sich in den letzten 20 Jahren rapide geändert haben. Nur die alten Leute, strickend, sinnierend, lächelnd, stillsitzend, oder wie Zeugen Jehovas vor den glitzernden Geschäftsfassaden herumstehend, wirkten merkwürdig fremd in ihrer neuen Umgebung.

Vorbei an großen Gestellen, auf denen Tiraden aufgeschlitzter Sardinen fein säuberlich am Strand zum Trocknen ausgebreitet waren, liefen wir zur Altstadt. Hinter der ersten Häuserreihe erschloss sich ein Labyrinth enger Gassen, das so verwinkelt war, dass man sich verlaufen konnte. Ich sprach eine Gruppe älterer Damen an, ob ich sie fotografieren dürfte. Eine abfällige Handbewegung verriet, dass sie wenig überrascht waren. Höchstwahrscheinlich wurden sie dauernd angesprochen, als wären sie längst zu einer Staffage geworden.

In einem Schaufenster fand ich Schwarzweißaufnahmen vom Strand aus den 60er Jahren. Fischerboote im Sand liegend, der Ort ohne Porto Pescar, Fischkörbe hochgetürmt auf Köpfen lachender Frauen.

Am frühen Abend warteten wir an der Markthalle auf den Bus zurück zum Hafen. Eine Frau schwebte aus dem Schatten der Dämmerung an uns vorbei, sie trug Schalen auf ihrem Kopf, balancierte sie elegant über die Straße und verschwand in der Finsternis einer Seitengasse. Im Bus saßen unsere alten Bekannten, die Fischer. Für sie begann schon bald eine weitere, lange Nacht draußen auf See.

Von Nazaré aus ging die Fahrt weiter nach Süden. Lissabon war unser eigentliches Ziel, aber eine weitere Nacht so dicht unter der Küste wollten wir der vielen Stellnetze wegen nicht segeln. In einem Tagestörn war die Strecke jedoch nicht zu machen obwohl der Norder konstant weiter mit 6 Windstärken wehte und uns kräftig vorantrieb. Irgendwo im Norden musste ein Sturm durchgezogen sein, denn die See war in den letzten Tagen merklich unruhiger geworden. Trotzdem war es ein guter Segeltag mit knallblauem Himmel über und einer knallblauen See unter uns.

Einen Zwischenstop planten wir hinter einer kleinen Felsinsel nördlich der Halbinsel Penice. Unser Revierführer hatte uns neugierig gemacht. Berlenga war ein ehemaliges Piratennest und stand heute komplett unter Naturschutz. In der halbwegs geschützten Bucht südlich der Insel sollte ein Landfall möglich sein, aber der Schwell dort war einfach zu mächtig und der Ankergrund mit 17m für unsere knapp bemessenen 30m Ankerkette zu tief.

Wir benötigten also unbedingt noch zusätzlich 20m, um uns auch solche Plätze wie diesen erschließen zu können. Es war schade, dass wir hier nicht bleiben konnten. Auf der Leeseite, in der Nähe eines Forts, lag eine dänische Ketsch mit circa 50 Fuß Länge. Selbst dieser große Segler rollte in der Dünung, dass einem ganz schwindelig wurde. Die Inselkante war durchsetzt von kleinen Grotten, Scharten, Geröllhalden und dem unüberhörbaren Kreischen der Seevögel im Getöse der Brandung. Traumhaft! Wir drehten ein paar Runden und zogen schließlich weiter nach Penice. Inzwischen hatte der Wind soweit zugenommen, dass Balu nur unter Fock noch über 6 Kn lief.

Im großen Fischereihafen von Penice erwartete uns ein übler Gestank nach verfaultem Fisch. Höchstwahrscheinlich wurden hier die Reste einfach in den Hafen gekippt. Wie schon in Nazaré ertönte bis spät in der Nacht die Sirene der Fischauktionshalle.

Am nächsten Morgen war der Norder eingeschlafen. Auf der Strecke bis Cascais in der Mündung des Tejo ließen wir die Maschine mitlaufen. Bei wenig Wind und einer Dünung von vier Metern fielen die Segel in jedem Wellental ein und knallten, dass der Mast in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Das war nicht nur für uns nervenaufreibend, sondern auch sehr schlecht für das Rigg. Die Fahrstuhlfahrten, vier Meter hoch und vier Meter abwärts, konnten wir am Echolot ablesen. Bestes Wetter, um seekrank zu werden. Erst kurz vor dem Cabo do Roca an der Tejomündung surfte Balu schließlich in den Böen eines aufziehenden Gewitters unserem Ziel Cascais entgegen.

Außer unsere Freunde von der Stina und der Nis Randers trafen wir hier endlich auch Reinhard, den Einhandsegler aus Flensburg. Wir hatten schon viel von ihm gehört und waren ihm unbekannterweise bereits am Rheindelta begegnet. Reinhard war mit seiner 50 Jahre alten Dreamer unterwegs, seinem „Nudelholz“, wie er es liebevoll nannte, einer 8,20m kurzen, geklinkerten Holzslup. Auch er gehörte von nun an zu unserer Atlantik-Karawane.

Am Ankerplatz vor der schönen Seebadkulisse des mondänen Badeortes lernten wir im Laufe der nächsten Tage noch weitere Fahrtensegler kennen, die Mannschaft der Eclipse aus Holland, ein Berufstaucher mit Frau und neugeborenem Kind, Jean und die Hongkong-Lady aus Frankreich auf der Yena und David, einen englischen Einhandsegler aus Colchester.

Wir konnten schon jetzt feststellen, dass es unter den Fahrtenseglern aus dem United Kingdom die wenigsten in unserem Alter gab. Die meisten Skipper waren ältere Semester. Die jüngsten Fahrtensegler kamen aus Skandinavien, die meisten Familien mit Kindern an Bord aus Frankreich. Das Arbeitsrecht in Skandinavien unterstützt Auszeiten, das Schulsystem in Frankreich erlaubt elterlichen Unterricht an Bord. Mit seinen 45 Jahren war David aus Colchester eine Ausnahme von der Regel, er hatte nach einem psychischen Zusammenbruch die Reißleine gezogen und war mit seiner etwas altersschwachen Maren nach Süden geflüchtet.

Von Cascais aus fuhr in schöner Regelmäßigkeit eine Bahn in die Hauptstadt Lissabon. Nur 20 Minuten später stand man bereits im Zentrum der Unterstadt, der Baixa. Gleich beim ersten Besuch besorgten wir uns in einer Ferreteria direkt am Hauptbahnhof 20m Ankerkette.

Auf dem Gelände der Weltausstellung von 1996 war mein klarer Favorit das riesige Meerwasseraquarium, das auf jeden Fall einen Besuch lohnt. Dort fanden wir auch jene völlig verrückte Spezies wieder, die wir schon auf der Biskaya gesichtet hatten, Mola Mola, den Mondfisch.

Wir warfen uns in den bunten Trubel der Unter- und Oberstadt und liebten es, uns an belebten Plätzen niederzulassen und einfach die irrsinnig vielen Menschen zu beobachten, die eiligen Schrittes von A nach B liefen, oder an Haltestellen auf ein Fortkommen warteten.

Irgendwie, dachte ich, befinden sich alle Menschen auf einer Reise. Loskommen, unterwegs sein, ein Ziel haben, ankommen. Was war mein Ziel? Der Atlantik? Die Karibik? Die Reise selbst? Maret und ich? Ich? Wie schnell sich die Passanten in Lissabon bei Ihrer Reise bewegten, machte mich ganz schwindelig.

Ziellos ließen wir uns durch die Gassen der Metropole treiben. Den gekachelten Fassaden in den Häuserschluchten sah man ihre Jahre an. In einer ruhigen Straße in der Bairro Alto, der Oberstadt, kamen wir an mehreren Fado-Kneipen vorbei und bestellten spontan einen Tisch für den nächsten Tag, unserem letzten vor dem Aufbruch nach Madeira. Das schwarz-weiße Bandfoto im Aushang wirkte anrührend altertümlich.

Fado ist der Gesang, das Wehklagen aus dem tiefsten Inneren der portugiesischen Seele, der portugiesische Blues, eine eher getragene und traurige Angelegenheit. Das Klischee besagt, dass Spanier und damit auch der Flamenco eher temperamentvoll, die Portugiesen und mit ihnen der Fado eher melancholisch sind. Wir fanden, dass im direkten Vergleich ein Stück Wahrheit darin liegt.

Die Regeln an einem Fadoabend sind recht simpel. Ein Vorsänger oder eine Vorsängerin gibt ein paar Strophen vor, meistens geht es um die tragisch verlaufende Beziehung zu einer Person des jeweils anderen Geschlechts, oder um soziale Missstände, oder um Sausade, den allgemeinen Weltschmerz. Er oder sie wird dabei atmosphärisch getragen begleitet von einer Gitarre und einer Fado-Mandola. Ist ein Vorsänger am Ende seines Wehklagens angelangt, gibt er den Ball weiter an einen Sänger oder eine Sängerin aus dem Publikum. So kann es eine ganze Nacht dauern, nur unterbrochen vom Applaus, die Dauer hängt ganz vom Wehklagepotential des Publikums ab.

Die Reise in einem Cocktailshaker

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