Читать книгу Die Reise in einem Cocktailshaker - Iko Andrae - Страница 17
ОглавлениеNach Madeira - wir können es auch zu zweit!
Bordtagebuch Freitag 10.September – „Maret und ich sind den ganzen Tag mit Vorbereitungen beschäftigt. Wir kaufen letzte Dinge ein, kochen für zwei Tage vor und machen das Boot wieder seeklar, was bedeutet, die Seekojen aufzubauen, die Vorräte zu verstauen, alle Schränke mit Tüchern auszustopfen gegen nerviges Geschirrklappern und Verrutschen, alle beweglichen Teile anzubändseln, oder ins Vorpiek zu stopfen, die Vorsegel anzuschlagen, die Windfahnensteuerung zu aktivieren, Karten zu studieren, Literatur zu lesen, letzte Wettermeldungen einzuholen, ausgiebig zu schlafen, Essen vorzubereiten, Wasser zu bunkern und Diesel zu tanken.
Tine und Frank sind schon seit gestern unterwegs nach Porto Santo. Sie sind mal wieder schneller als wir und geben das Tempo vor. Reinhard kommt zum zweiten Frühstück, was erst unser erstes ist. Am späten Nachmittag legen wir endlich von der Bunkerstelle an der Marina ab und können den Motor bereits nach wenigen Minuten abstellen.
Mit Einsetzen der Dunkelheit verschwindet der europäische Kontinent im Dunst. Für die nächsten 10 Monate werden wir das Festland nicht mehr betreten.
Bis 60 Meilen vor der Küste können wir noch den Schein der großen Städte an der Tejomündung am östlichen Himmel ausmachen. Danach herrscht fast stockfinstere Nacht, nur die Sterne leuchten hell und klar. Wir wechseln uns im Dreistundenrhythmus ab. In der ersten Nacht stecken wir aus reiner Vorsicht ein Reff ins Groß. Diese vergeht wie im Fluge und ebenso schnell kommen wir voran. Der Wind weht achterlich und stetig mit 4bft aus NNW, unser Kurs beträgt 227 Grad. Wir segeln raumschots, wie der Segler sagt.“
"Bunkern" für unterwegs
Bordtagebuch Samstag 11.September – „Nach einer fast erholsamen Nacht wird am Morgen wieder ausgerefft. Gegen 8.00 Uhr kreuzt eine große Aluyacht unseren Kurs. Sie kommt aus Nordwesten, in der Richtung liegen die Azoren. Wir segeln auf Backbordbug und hätten sogar Vorfahrt, aber das wäre hier draußen eine sehr akademische Sicht der Dinge. Das Boot ändert seinen Kurs nicht und nähert sich bis auf 30m. Die Plicht des Aluseglers ist verwaist, die Mannschaft scheint zu schlafen. Ich stelle mir vor, auch wir würden beide in der Koje liegen. Balu würde bei einer Kollision in jedem Fall den Kürzeren ziehen. Maret schläft noch tief und fest. Es ist ein himmlisches Bild, sie dort unten liegen zu sehen. Eigentlich kann ich nur ihren dunklen Haarschopf ausmachen, den Rest des Bildes nehmen die vielen Kopfkissen ein, mit denen sie sich hinter dem gelben Leesegel eingekeilt hat. Bis zehn Uhr lasse ich sie noch schlafen, dann siegt mein Hunger.
Der Wobbler, den ich in Viana Costello gekauft hatte, ein kleiner, künstlicher Fisch mit angeblich guten aquadynamischen Eigenschaften und ganz traurigen Augen, kommt zu seinem ersten Einsatz. Der leichte Wind scheint ideal. Der Köder der Schleppangel taucht auf einen Meter ab und zieht ganz ordentlich. Wenn ein Fisch beißt, rauscht die Rolle aus. Und tatsächlich surrt es nach etwa einer Stunde und die Rute biegt sich ganz rund. Hilfe, ein Fisch! Und was für einer! Ein Bonito zappelt an der Angel, eine kleine Thunfischart. Noch in der Pütz mache ich ihm den Garaus. Ausgenommen und in Steaks geschnitten, wandert er nur wenige Minuten nach seinem letzten Flossenschlag auch schon in zerlassene Butter und wenig später in unsere hungrigen Mäuler.
Unser Etmal beträgt 137 Meilen, das sind 5,7KN im Schnitt, gar nicht schlecht. Gleichmäßiger Wind aus Nord-Nordwest, 3-4 Windstärken, Kurs Südwest, kaum Welle, Sonne, Wärme, so macht das Segeln Spaß. Auf dieser Tour merken wir endlich, warum wir all die Strapazen der ersten Monate auf uns genommen haben. That’s why we came here!”
Unser Stauplan
Bordtagebuch Sonntag 12.September – „In der Nacht briest der Wind auf, Maret hat Wache und refft ohne meine Hilfe das Groß. Beim Wachwechsel um 3.00 Uhr segeln wir nur noch mit der Genua II. Trotzdem machen wir immer noch über 6 Knoten Fahrt. Am frühen Morgen schläft der Wind wieder ein. Hohe Dünung und wenig Wind. Die Dünung wurde seit Mitte der Nacht immer höher. Vielleicht war dies der Einfluss diverser Seamountains, unterseeische Gebirge, die auf unserer Route aus 5000m Tiefe auf nur 20m Wassertiefe ansteigen. Eine andere Erklärung für das Geschaukel wäre die bereits gestern angekündigte Dünung aus der Irischen See. Dort tobt seit zwei Tagen einer der ersten Herbststürme. „Gale warning für den Ärmelkanal und die Biskaya. Alle Boote im Gebiet Sole sollen sich nach Süden verziehen, oder einen nahen Hafen anlaufen“, so die Empfehlung des deutschen Amateurfunksenders Intermar. Unser Etmal heute: 132 Meilen, das sind 5,5 Knoten im Schnitt.
Maret hat am Abend eine Begegnung mit einer Wasserschildkröte, mir begegnet später, in unserer dritten, mondlosen Nacht auf See nichts, was ich hätte sehen können. Ich hätte aber auch eigentlich gar nichts erkennen können. Geblendet vom hellen Schein der LEDs meiner Stirnlampe kann ich nicht von meinem aktuellen Roman lassen, „Melodien“, von Helmut Krausser. Alle 15 Minuten schalte ich die Laterne aus und schau in die Runde. In den ersten Sekunden bin ich dann noch fast blind. Zum Glück kreuzt schon lange kein Schiff mehr unseren Kurs. Ich würde es bestimmt erst viel zu spät sehen“
Bordtagebuch Montag 13.September – „Morgens um 5.30 Uhr geht nach ewiger Finsternis endlich der Mond als schmale Sichel auf. Unmittelbar auf seiner oberen Spitze sitzt leuchtend hell die Venus. In Wirklichkeit ist es nachts niemals richtig dunkel. Gerade in den mondlosen Nächten leuchten die Sterne manchmal so hell, dass sie einen Schatten werfen. Ein ewiges Licht ist auch unsere Dreifarbenlaterne im Masttop. Zum Glück haben wir nur eine einzige 10-Watt Birne installiert, denn allein diese hat nach nur drei Nächten die Batterie fast leergelutscht. Ich hatte den Fehler begangen, mein Laptop in Cascais mit dem Strom aus unserer Bordbatterie aufzuladen, ohne, dass dabei die Maschine lief. Unser Solarpanel lädt leider nur wenig Strom. Anscheinend steht das Panel nur am Ankerplatz im optimalen Winkel zur Sonne. Hier auf See rollt Balu einfach zu stark in der Dünung und die Segel schatten das Panel zudem meistens ab. Ergo müssen wir uns für die Stromversorgung auf den kommenden, langen Seestrecken etwas einfallen lassen.
Im Laufe des Vormittages lässt der Wind weiter nach. Der Schwell ist hoch, die Segel schlagen. Das macht auf Dauer wahnsinnig! Aber wir lassen uns nicht verrückt machen (oder doch?). Nach stundenlangem Hin und Her bergen wir alles Tuch und machen einen Badestop im badewannenwarmen, tiefblauen Wasser.
Als ich frohen Mutes über die Badeleiter ins Wasser gleite und nur ein Paar Schwimmzüge vom Boot entfernt bin, durchfährt mich eine plötzliche Panikattacke. Was ist denn das? Wasserangst? Tiefenangst? Angst vor Haien? Ich benenne es erst einmal Angst vor Haien, obwohl die Wahrscheinlichkeit, hier draußen einen Hai anzutreffen äußerst gering ist. Mit pochendem Puls traue ich mich nach dem Einseifen nur noch einmal für ein paar Sekunden ins Nass. Mit aufgerissenen Augen suche ich das unendliche Blau nach etwas ab, das aus dem Tintenblau zu mir hochschnellt und mich fressen könnte, doch es kommt natürlich nichts aus der Tiefe.“
Als wir am nächsten Vormittag um die Ostspitze von Porto Santo, der Nachbarinsel Madeiras segelten und langsam der Ankerplatz auf der Südostseite der Insel auftauchte, rollte Stina dort bereits sachte hinter ihrer Ankerkette. Wir waren stolz auf uns, denn wir hatten einen Bann gebrochen und waren unser erstes, langes Seestück zu zweit gesegelt. 432 Seemeilen in 89,5 Stunden. Als Team waren wir unschlagbar! Zugegeben, die Bedingungen waren selten günstig, aber trotzdem hatten wir das Gefühl, dass wir für die kommenden langen Schläge keine Mitsegler mehr brauchten. Wir konnten es auch zu zweit!
Aus der Ferne betrachtet bestand Porto Santo vorwiegend aus braunem Lavaschutt und Geröll. Neben der an der Ostseite der großen Bucht gelegenen Marina dröhnten laute Dieselgeneratoren. Nach Westen erstreckte sich ein ewig langer, gelber Sandstrand. Direkt dahinter entdeckten wir die Dächer eines in Palmen gebetteten Dorfes. Auf diesem öden Eiland wollten wir nun so lange bleiben, bis wir das Gefühl hatten, weiterziehen zu müssen. Nichts und niemand sollte uns mehr hetzen.
Auf nach Madeira