Читать книгу Die Reise in einem Cocktailshaker - Iko Andrae - Страница 14

Оглавление

Portugal - alte Geschichten auf See

Unsere Weltkarte war bald um einen weiteren weißen Fleck ärmer, denn nur 30 Meilen waren es vom spanischen Baiona bis zum portugiesischen Viana do Castello am Rio Lima. Unterwegs zog unsere Albin Ballad unter gut gefüllten Segeln und ausgebaumter Genua II an der Segel schlagenden und dahinrollenden Luna aus Burg auf Fehmarn vorbei. Als wir in den Hafen von Viana einliefen, wurden wir von der stehenden Hitze dort förmlich erschlagen. Zum ersten mal empfing uns drückende Hitze! Maret war sofort begeistert und sah die Dinge völlig anders als ich. Ich hoffte auf baldige Abkühlung. Die Marina am Rio Lima war relativ neu, schlicht, sauber und in Ordnung. Balu bekam einen Platz zwischen kleinen Fischerbooten, was sich bereits am nächsten Morgen als fatal erweisen sollte, denn die Pescadores begannen ab etwa 3.00 Uhr in der Frühe unter lautstarkem Palaver, ihre Boote für den Fang klar zu machen.

Hier in Portugal sollte nun das große und gefürchtete Einklarieren bei Zoll und Immigration beginnen. Die Portugiesen nähmen es mit den Bootspapieren sehr genau, hieß es in unserem Revierführer, „The Atlantic Coast of Spain and Portugal“. Wir waren gespannt, denn bislang hatten wir unsere Papiere noch nirgendwo vorzeigen müssen.

Im riesigen, neuen Marinagebäude saß sehr verloren ein kleiner Mann in einem Rollstuhl und jappste in der Hitze. Er schien verständlicherweise etwas missgestimmt und war für keinen Spaß zu haben. Englisch radebrechend fragte er mich aus, wobei ich oft nachfragen musste, da ich ihn nur sehr schwer verstand. Stoisch hackte er meine Angaben in seinen Computer, Name des Bootes, Länge des Bootes, Breite, Tiefgang, Anzahl der Masten, Anzahl der Rümpfe, Bootstyp, Besegelung, Art des Riggs, Baujahr, Farbe des Rumpfes, Baumaterial des Rumpfes, Höchstgeschwindigkeit, Heimathafen, Motorennummer, Art der Maschine, Typ der Maschine, Hersteller der Maschine, Stärke der Maschine, Name des Kapitäns, Name des Eigners, Namen der Crew, alle Passnummern, Adressen, geladene Fracht, zu verzollende Güter, Waffen an Bord, Haustiere. Ich war erschlagen von so vielen Fragen, doch nahm es mit Humor. Auf diese Weise erfuhr ich Dinge über mich und das Boot, die ich selbst niemals zu erfragen gewagt hätte!

Nicht nur unser Revierführer, auch Frank hatte uns vorgewarnt. Er war vor vielen Jahren bei Stinas erster Tour nach Portugal einmal nachts vom ankernden Boot gezerrt worden, weil er und Tine nicht korrekt einklariert hatten. Eine ganze Nacht lang wurde er von augenscheinlich betrunkenen Zöllnern in schmutzstarrenden Unterhemden verhört und dann ohne erkennbares Zeichen einfach wieder vor die Tür gesetzt. Brav beantwortete ich also dem schwitzenden Mann im Marinabüro jede noch so merkwürdig anmutende Frage und verkniff mir oberschlaue Bemerkungen jeder Art.

Die Stadt Viana do Castello war schön anzuschauen bot aber im Vergleich zur Nachbarstadt Baiona wenig Überraschendes. Zu unserer Verwunderung wurden hier, nur ein paar Kilometer vom immer etwas übernächtigten Spanien entfernt, die Bürgersteige bereits um 19.00 Uhr hochgeklappt. So schlenderten wir, vorbei an schicken Renaissance-Giebeln, durch fast menschenleere Gassen und ließen uns von kleinen Moskitos zerstechen. Die Mücken hatten hier die Oberhand und machten uns auch in den kommenden Nächten zu schaffen, befanden wir uns doch in einer brackigen Flussmündung und nicht mehr in einer Meeresbucht mit salzigem Seewasser.

Weit und breit war kein Supermercado mehr geöffnet. So traf es sich gut, dass die Crew der Luna uns zu sich einlud. Bei den drei Extremnordatlantikbezwingern in spe kochte es sich hervorragend und wir halfen kräftig mit, die Whiskyvorräte an Bord zu dezimieren. Mit einer Mixtur aus Bewunderung und entsetztem Kopfschütten sprachen wir ausführlich über die abenteuerliche Pläne, auf dem Weg von den Kanaren in die Karibik auch noch den Sengal anzulaufen, die Kapverden zu besuchen und dann auf dem Rückweg von der Karibik bis Neufundland und über Grönland zurück in die Nordsee zu segeln. Das alles in einem Jahr. Wahnsinn! Mir kam schon unser Programm viel zu lang vor!

Wegen der Mücken und der frühaufstehenden Fischer hielt es uns nicht lange in Viana de Castello. Mit der Genua II und doppelt gerefftem Groß bei sechs Windstärken von schräg achtern surften wir weiter nach Süden. Unsere Fahrt entlang der portugiesischen Küste mit dem endlich voll erblühten Norder im Rücken ging jedoch nicht wirklich geradeaus, sondern glich eher einem Slalom durch ein Meer unzähliger kleiner Fähnchen, die Stellnetze in der Tiefe markierten. Zum Glück trieben die Netze nicht an der Oberfläche, sonst wäre es ziemlich gefährlich gewesen, hier auch nachts durchzurauschen.

Aus dem Törn von Viana do Castello nach Süden wurde eher unfreiwillig unsere erste Nachtfahrt zu zweit. Spätestens, als wir von weitem die hässlichen Schlote an der Mündung des Douro sahen, machten wir die Seekojen klar. Die Marina von Leixoes an der Douromündung war geschlossen, eine Pipeline war geplatzt, der ganze Hafen verölt. Diese Info erhielten wir per SMS von der Stina, die trotz der Sperrung dort vor Anker lag. Die Aussicht auf einen öligen Ankerplatz machte nicht gerade Lust auf einen Stop. Damit ließen wir aber auch die alte Hafenstadt Porto aus, die nur wenige Meilen flussaufwärts lag.

Ich war schon einmal dort, 1986 mit ein paar Freunden in einem alten R4. Wie gerne hätte ich diese Stadt der gekachelten Häuser und Portwein getränkten Kopfsteinpflaster im alten Viertel der Weinhandlungen von noch einmal von See aus besucht. Mit dem Sonnenuntergang kam der Mond fast voll am östlichen Horizont hervor und erleuchtete die See silbrig glänzend. Leider verschwand in Küstennähe mit dem Sonnenuntergang auch meistens der Wind.

Bordtagebuch Sonntag 29. August – „Ich übernehme das Kommando gegen Mitternacht Höhe Aveiro. Die Stadt südlich von Porto liegt an einer großen Lagune in der man wunderbar ankern können soll, doch mitten in der Nacht in ein unbekanntes und flaches Tidengewässer zu fahren, wollen wir nicht riskieren.

Am Himmel über mir funkeln die Sterne wie wild und der Mann im Mond grinst freundlich. Es ist keine schwere Entscheidung, einfach weiter zu segeln. Wir dürfen bloß nicht gegen die Fähnchen fahren! Auch als wir unseren Abstand zur Küste vergrößern, kollidieren wir ab und zu mit den Stellnetzbojen. Ich stiere leicht paralysiert nach vorne und halte Ausschau, doch habe es fast aufgegeben, den Dingern auszuweichen. Man sieht sie immer erst im letzten Augenblick.

Der Wind hat sich schlafen gelegt und das Wummern der Maschine lässt auch mich dösen. Ich falle in Sekundenschlaf-Attacken, aus denen ich mit kleinen Adrenalinstößen wieder hochschrecke. Die Angst, dass eine Bojenleine sich in der Schraube verfängt, ist größer als meine Müdigkeit. In den Dämmerzeiten spielt sich in meinem Hirn ein Rollback ab, das Leben per Daumenkino. Ich denke an meine Eltern, dieses Jahr hätten sie Goldene Hochzeit, mein Vater, sieht er mich von dort oben? Schließlich kehre ich in meinen Gedanken zurück in das Portugal des Jahres 1986.

Aveiro - Eine Taverne unter freiem Himmel. Fisch und Berge von Muscheln. Ein freundlicher Wirt und seine entzückende Tochter. Wir in einer Art chaotischer Euphorie nach der langen Fahrt durch Frankreich und Spanien. Viel Regen und Nebel in Galizien und dann endlich hier die Sonne, der viele Wein, die große Tafel, die Soldaten spät nachts, das Gezeche bis in den frühen Morgen, das üppige Trinkgeld an die bildhübsche Tochter. „It´s ok“, sagen wir zu Abchied und werfen ihr sehnsüchtige Blicke hinterher. Und dann noch die Disco zum Schluss, Leben wie zum Abschuss freigegeben. Wir fünf suhlten uns in unserem ersten richtigen Trennungsschmerz. Was hatten wir gelitten. Die Nächte durften einfach nicht enden. Der nächste Morgen kam und die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel auf unsere zertrümmerten Schädel. Wir flohen von einem Ort zum nächsten und hinterließen immer lautstark unsere Spuren und mussten immer spätestens dann weiterziehen, wenn man begann, dem Ort unsere Anwesenheit anzusehen. Immer auf der Flucht vor dem Regen und vor dem Chaos, das wir meinten zuhause gelassen zu haben, das man uns aber ständig ansah. Wir trugen es mit uns herum, wie Scheiße am Schuh.“

Als der Mond am westlichen Horizont hinter einer schwarzen Wolkenwand verschwindet, wird es am östlichen Himmel dämmrig hell. Die Wolkenwände vor dem Mondlicht am westlichen Himmel wirken bedrohlich dunkel. Ist das Nebel oder ein Regengebiet? Feuchtigkeit klebt am ganzen Schiff. Für einen kurzen Augenblick kriechen die Dämonen der Nacht von hinten den Nacken hoch. Die Sicherheitsleine habe ich eingepickt. Was wäre, wenn ich jetzt von Bord ginge? Maret schläft und niemand würde es bemerken. Wie oft schnelle ich selbst während meiner Freiwache aus der Koje hoch, wenn ich ein komisches Geräusch höre und bin erst beruhigt, wenn ich Maret im Cockpit sitzen sehe.

Ein starker Kaffee um halb sieben macht den Kopf klarer. Die Sonne geht vor einem rosa Himmel auf und die Welt ist sofort wieder in Ordnung. Sogar die dunklen Wolken verlieren ihre düsteren Schatten und verschwinden im Licht. Ich fühle mich fast ausgeschlafen und lasse Maret liegen. Als sie übernimmt, mache ich Frühstück. Großes Frühstück! Ich habe einen Bärenhunger nach dieser Nacht.

(Die Erlebnisse und Gefühle dieser Nacht habe ich in meinem zweiten Cocktailshaker-Song verarbeitet, „When the night comes“)

Die Reise in einem Cocktailshaker

Подняться наверх