Читать книгу Sibirischer Wind - Ilja Albrecht - Страница 10

3

Оглавление

Nachdem Kiran seinen Wagen auf einem nahen Parkplatz abgestellt hatte, lief er am Ufer entlang in Richtung des Tatorts.

Seltsamerweise sah er keine Vertreter der Presse, als er sich an der Absperrung auswies. Offenbar hatte man die Identität des Opfers auf irgendeine Weise bislang geheim halten können. Hinter dem nächsten Gebüsch war ein weiterer Bereich abgesperrt, der von Mitarbeitern der Kriminaltechnik in ihren weißen Overalls fotografiert und abgesucht wurde. Auf einer Bank saß eine Beamtin und schrieb etwas in einen Notizblock. Weiter am Ufer stand ein Mann, etwa Ende dreißig, mit halblangem, leicht strähnigem Haar und Dreitage-Bart. Er trug eine abgetragene Lederjacke, eine teuer aussehende Jeans, schwere Schuhe und zündete sich gerade eine Zigarette an. Das musste Bolko Blohm sein.

»Guten Morgen«, sagte Kiran, als er sich näherte und die Hand ausstreckte. »Kiran Mendelsohn, Fallanalyse und Beratung, Sie sind wahrscheinlich Kriminalhauptkommissar Blohm?«

Der andere musterte ihn kurz, nickte und schüttelte ihm die Hand. »Derselbe. Dann sind Sie also der sagenumwobene Mendelsohn? Wie ich höre, hat man Sie direkt aus dem Urlaub ins Team geholt.«

Kiran nickte. »Oberstaatsanwältin Roellinghoff eben beim Frühstück, um genau zu sein.«

»Coole Frau. Zur Zeit aber eher nervös. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wer hier abserviert wurde. Das wird ein ziemlich übler Fall werden, das ist Ihnen hoffentlich klar?«

»Ich denke schon. Industriemagnat. Diverse potentielle Tätergruppen. Druck von oben ... Ich fürchte, man wird uns kaum in Ruhe unsere Arbeit machen lassen.«

»Könnte man so sagen. Mir ist allerdings nicht ganz klar, warum wir dazu einen Profiler brauchen, sieht ja nicht aus wie die Tat eines geistesgestörten Serienmörders. Es sei denn, morgen liegt der nächste Bonze im Gras.« Er lachte, die Aussicht schien ihm zu gefallen.

Kiran überging diese Flapsigkeit, obwohl er im Grunde ähnlich dachte. Er schaute sich um.

»Was wissen wir über den Tathergang?«

»Nun, das Opfer kennen Sie – Friedrich Lautenschläger, Industrieboss, Stammgast im Kanzleramt, Bewohner der Riesenvilla da hinten. Vor etwa drei Stunden von einer Joggerin gefunden, offenbar beim Spaziergang überfallen worden. Zwei Kugeln in die Brust, eine zwischen die Augen. Profiarbeit, wie es aussieht. Allerdings ist er vorher tätlich angegriffen worden. Die Leiche ist schon bei der Gerichtsmedizin.«

»Profis eliminieren ihre Opfer mit gezielten Schüssen und verschwinden dann umgehend«, sagte Kiran. »Wieso sollte jemand einen alten Mann vorher noch zusammenschlagen?«

Blohm schaute ihn von der Seite an. »Der Mann war verdammt mächtig. Hatte Feinde, Konkurrenten, was weiß ich. Es gibt tausend Gründe, Kerle wie den so über die Klinge springen zu lassen.«

»Sie mögen den Mann nicht?«

»Ich weiß wenig über Lautenschläger«, bekannte Blohm. »Das Wenige, was ich gehört habe, hat mir nicht gefallen. Hat sich zuletzt am Aufbau Ost gesundgestoßen und verdient jetzt Unsummen, indem er Fabriken dort wieder schließt und weiter nach Osteuropa verlegt. Er profitiert, die Industrie profitiert, die Politik profitiert, und die Arbeiter stehen in der Wüste. Ein Arschloch, wenn Sie mich fragen.«

Kiran war überrascht von diesen offenen Worten. Das war keine besonders professionelle Herangehensweise, gleichgültig, wie Recht Blohm mit seiner Äußerung haben mochte. Ihm wurde klar, dass diese Ansicht wahrscheinlich von weiten Teilen der Presse und der Bevölkerung geteilt werden würde. Auf der anderen Seite standen die Mächtigen dieses Landes, und im Niemandsland dazwischen mussten sie beide den Täter finden und das schnell.

»Die Kollegin da hinten ...«

»Kriminalkommissarin Alenka Motte«, antwortete Blohm etwas verkniffen. Offenbar hatte er eine Antwort auf seine Tirade erwartet. »Sie und ein Kriminaloberkommissar Enzo Moretti sind uns als Team zugeteilt. Moretti befragt gerade die Nachbarschaft.«

Kiran war inzwischen zum eigentlichen Tatort gegangen. Blohm folgte und beide versuchten, an den weiß gekleideten Gestalten vorbeizuschauen und zu erkennen, was geschehen war. Schließlich fragte Kiran einen der beiden Beamten.

»Schon was gefunden?«

Der Mann schaute hoch und ließ den Fotoapparat sinken. »Wenig Spuren bislang. Das Opfer ist wohl auf diesem asphaltierten Uferweg gelaufen. Erst hier rund um den Fundort finden sich Spuren eines Kampfes, die meisten vom Opfer. Er ist getaumelt, ein paarmal hingefallen, hat sich aufgerappelt und ist dann rückwärts hier ans Ufer gefallen. Wahrscheinlich als er erschossen wurde. Keine Hülsen. Die Fußspuren im Staub sind alle durcheinander und verwischt, wir haben aber einen sauberen Fußabdruck weiter rechts, Sportschuh Größe 44, also nicht von der Zeugin. Das ist alles.«

»Gute Arbeit«, sagte Kiran. Vielmehr würden sie wohl auch nicht finden.

Der Mann lächelte und fotografierte weiter. Kiran tat so, als bemerke er Blohms spöttischen Seitenblick nicht.

»Ein Schuhabdruck, klasse«, sagte Blohm. »Und die Joggerin ist unsere einzige Zeugin.«

»Wir müssen auch die Villen am gegenüberliegenden Ufer abklappern«, antwortete Kiran.

»Meinen Sie, irgendjemand hat so früh da drüben durch ein Fernglas gesehen?«

»Keine Ahnung, aber die Neugier der Menschen ist grenzenlos, vor allem in dieser Gegend. Das kann dieser Moretti erledigen. Mal sehen, was die Zeugin gesehen hat«, sagte Kiran.

Sie gingen zur Bank hinüber, während Blohm auf dem Handy Moretti anrief und ihn anwies, seine Befragung der Anwohner auf sämtliche Villen in Sichtweite auszudehnen. Moretti schien protestieren zu wollen, doch Bolko unterbrach ihn kurzerhand und wies ihn an, sich Unterstützung bei der Dienstelle Wannsee zu holen. Dann klappte er das Handy mit einem leichten Grinsen zu. Alenka Motte war inzwischen aufgestanden und kam auf sie zu.

Kiran kannte Alenka von der Akademie. Eine junge, durchtrainierte und etwas gefühlskalt anmutende Frau. Hinter den unbewegten Gesichtszügen verbarg sich jedoch ein messerscharfer Verstand. Sie war stets hochkonzentriert und bei der Sache, was Kiran seinerzeit schnell für sie eingenommen hatte.

Alenka begrüßte Kiran. »Guten Morgen, Herr Mendelsohn. Schön, endlich mal mit Ihnen arbeiten zu dürfen«, sagte sie lächelnd.

»Guten Morgen, Frau Motte, freut mich auch. Die Zeugin – was konnte sie aussagen?«

»Nicht viel. Kam angelaufen, hat zuerst die Füße des Opfers an der Böschung gesehen, dann genauer nachgeschaut und sich erstmal übergeben. Dann hat sie uns angerufen, das war um 6.57 Uhr.«

»Mir schleierhaft, wie man derart früh freiwillig durch die Gegend rennen kann«, meinte Blohm. »Sonst irgendwas? Hat sie irgendjemanden gesehen?«

»Nein, niemanden. Sie war ja in Bewegung. Sie war bei der Vernehmung noch ziemlich aufgelöst. Wir werden sie in der Zentrale noch einmal befragen und in Ruhe alles mir ihr durchgehen. Vielleicht war der Mörder gerade erst fertig, als sie ankam.«

Kiran schüttelte skeptisch den Kopf. »Sehr gut gedacht, obwohl ich bezweifle, dass sie den Täter gesehen hat. Wer immer das hier getan hat, hätte eine dazukommende Zeugin ebenfalls beseitigt. Sehen sie zu, dass Sie sie befragen, bevor ihr das klar wird. Danach wird sie wohl eine Weile im Schockzustand sein, die Arme. Immerhin hatte sie viel Glück. Vergessen Sie nicht, ihr auch das zu sagen, Alenka.«

»Ich habe schon gehört, dass Sie eher was von einem Psychiater haben sollen«, meinte Blohm mit leichtem Spott.

»Keine Aussage ist erledigt, bevor nicht jeder Aspekt der Aussage beleuchtet, alle Fragen gestellt und die Zeugen beraten wurden«, unterbracht ihn Alenka in belustigtem Dozententon. »Mendelsohn, Grundlagen der psychologischen Fallbearbeitung, Kapitel zwei.«

»Das wissen Sie noch?«, fragte Kiran. »Ist immerhin auch bei Ihnen schon ein paar Jahre her.«

»Sicher, bestimmte Dinge brennen sich ein. Anders als die Mehrzahl meiner männlichen Kommilitonen habe ich den Sinn dieser Regel auch begriffen.«

»Na prima, wenn wir dann wieder an die Arbeit gehen wollen? Sie gehen mit der Zeugin in die Zentrale und können sie dort nach Herzenslust therapieren. Ist die Familie Lautenschläger zu Hause?«, fragte Blohm.

Alenka sah ihn mit hochgezogenen Brauen an und nickte, lächelte Kiran kurz an und ging dann zum Einsatzwagen.

»Und wir begeben uns in die Welt der Reichen und Mächtigen«, sagte Blohm. Er deutete auf die Villa im Grünen und setzte sich in Bewegung. Kiran warf noch einen Blick auf den Tatort, dann folgte er seinem Kollegen .

Sibirischer Wind

Подняться наверх