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ОглавлениеEine Viertelstunde später erreichten sie das Unternehmen von Lautenschläger in Charlottenburg, nahe dem Grunewald. Auch dies war eine klassische Berliner Adresse, obwohl das Gebäude eher als Beispiel moderner Büroarchitektur durchging. Die Front war halbrund angelegt, diverse Vorbauten des mehrstöckigen Gebäudes erzeugten Innenhöfe, die von Fronten und Dächern aus Glas eingeschlossen waren. Innen befanden sich Besprechungsräume und Arbeitsplätze auf unterschiedlich angelegten Ebenen. Das Ganze strahlte Erfolg und Reichtum aus. Sie stiegen aus dem Wagen.
»Wie überleben Sie das ohne Haltungsschaden?«, fragte Bolko, während er sich ausgiebig streckte.
»Spezialsitz mit Holzmatte, etwas vertieft und zurückgelegt«, antwortete Kiran und ging auf den Eingang zu.
Dieser bestand aus einer sehr dicken Glastür, hinter der sich Vorraum mit Pförtnerloge befand. Der Raum hatte jedoch wenig mit dem Wirkungsbereich des traditionellen Türwächters vergangener Zeiten zu tun. Stattdessen bestand die gesamte rückwärtige Wand aus Monitoren mit Bedienerpult. Kiran blickte durch die Glastür, die offenbar nicht daran dachte, sich automatisch öffnen. Das hier hätte genauso gut die Wachabteilung des Innenministeriums sein können. Die beiden durchtrainierten Sicherheitsmänner hinter der Glaswand verstärkten diesen Eindruck.
Bolko hielt seinen Ausweis in die Kamera, die in die Gegensprechanlage eingebaut war.
»Sie wünschen?«, fragte eine metallisch klingende Stimme.
»KHK Blohm und Mendelsohn vom BKA. Wir sind wegen ihres Chefs hier, also lassen Sie mal die Zugbrücke runter.«
Erstaunlicherweise schien das zu wirken. Der Summer ertönte, und sie traten in den Vorraum. Dort bedeutete man ihnen, die Ausweise an einen Scanner zu halten. Einer der beiden Sicherheitsmänner tippte etwas in seinen Computer und nickte dann.
»Sie sind bestätigt. Bitte gehen Sie in den Warteraum. Ich kündige Sie an.«
Der Warteraum bestand aus einer ledernen Sitzgruppe, die durch eine weitere Glaswand auf einen der Innenhöfe blickte. Bolko ließ sich in einen der Sessel fallen und schaute sich um.
»Was waren das für Zeiten, als man einfach den Ausweis hingehalten hat und fertig. Diese beiden Heinis, haben die eben unsere Daten irgendwo abgerufen?«
Kiran wollte etwas erwidern, doch in diesem Moment betrat eine Mitarbeiterin den Raum. Sie trug den in dieser Berufswelt üblichen dunklen Zweiteiler, hoch gestecktes Haar und unaufdringliches Make-up. Alles an ihr schien unterkühlt professionell.
»Meine Herren, wenn Sie mir bitte folgen möchten, ich bringe Sie zu Herrn Fischer.« Sie drehte sich sofort um und ging los. Blohm warf Kiran einen fragenden Blick zu, dann folgten sie der Frau.
Sie gingen durch den Innenhof und betraten einen gläsernen Aufzug, der sich geräuschlos in Bewegung setzte. Während Bolko auf den Innenhof hinuntersah, musterte Kiran ihre Begleiterin. Sie hält die Fassade recht tapfer, dachte er. Dahinter aber ist sie ist hypernervös. Er beschloss jedoch, sie vorerst nicht zu behelligen
»Mein Beileid wegen Ihres Chefs«, ließ sich Bolko vernehmen. Ihr Gesichtsausdruck verrutschte mehrmals in Richtung Panik, bevor sie mit einer schier übermenschlichen Anstrengung eine Antwort zustande brachte.
»Ich soll Sie gleich zu Herrn Fischer bringen. Er kann Ihnen sicher Ihre Fragen beantworten.«
»Natürlich«, meinte Bolko. »Ich dachte nur, ich bin mal höflich angesichts Ihres schweren Verlusts.«
Der Lift war in der obersten Etage angekommen. Ihre Begleiterin floh nach draußen in Richtung einer weiteren Glastür. Dahinter sah man ein weiträumiges Büro und darin einen Mann am Schreibtisch. Er erhob sich, als er sie kommen sah, und drückte einen Knopf neben seinem Bildschirm. Die Tür öffnete sich und sie traten ein.
»Herr Mendelsohn, Herr Blohm«, sagte er und gab ihnen nacheinander die Hand, um dann mit einer Geste auf zwei Sessel vor seinem komplett leeren Schreibtisch zu deuten. »Das wäre alles, Frau Holt, vielen Dank.«
Kiran setzte sich und sah aus dem Augenwinkel, wie die Assistentin auf dem Rückweg zum Lift leicht schwankte. Er wandte sich dem Mann zu und betrachtete ihn. Fischer hatte wie der alte Lautenschläger das Rentenalter längst überschritten. Erstaunlich, dass er kein Kompagnon war, sondern nach wie vor die Position eines Assistenten innehatte. Aber oft waren ja die Assistenten die mächtigsten Männer im Hause. Fischers Auftreten unterstrich dies. Klassischer Stil, dachte Kiran. Teurer Anzug, elegante Lesebrille, leicht zurückgelegter Kopf mit eisenhartem Blick die Nase entlang herab auf sein Gegenüber. Alles wie erwartet.
»Ich bin erstaunt, dass Sie so schnell hier erscheinen und zudem ohne Anmeldung.«
Kiran erkannte die typisch arrogante und einschüchternde Gesprächseröffnung, wie man sie von der grauen Eminenz eines solchen Unternehmens erwarten konnte. Damit war Fischer bei Bolko aber an den Falschen geraten.
»Nun, bei Mordfällen nehmen wir es mit der Etikette nicht so genau. Und das zeitigt mitunter erstaunliche Ergebnisse, Herr ... Fischer, wenn ich Ihre stammelnde Assistentin im Foyer richtig verstanden habe?«
Kiran sah das leichte Aufblitzen in den Augen ihres Gegenübers und lächelte in sich hinein. Das konnte recht unterhaltsam werden, aber warum sollten sie nicht ein wenig Ballspielen?
»Wer hat Sie angerufen, Herr Fischer?«, fragte er, bevor dieser Bolko antworten konnte.
»Der Sohn, Martin Lautenschläger. Wir hatten für heute um zehn Uhr einen Termin mit ausländischen Investoren. Herr Lautenschläger senior wollte eine Stunde früher zum Briefing hier sein. Ich wollte gerade bei ihm zu Hause anrufen, aber Martin kam mir zuvor.« Er schüttelte den Kopf, nahm die Brille ab. »Eine schreckliche Geschichte. Ich muss sagen, ich bin schockiert. Wie ist das passiert? Martin hatte mir nichts sagen können, außer dass Friedrich erschossen worden ist.«
»Ihr Chef, Herr Fischer, ist bei seinem Morgenspaziergang angegriffen worden. Kugeln gezielt in die Brust und in den Kopf. Angesichts dieser Tatsache und der exponierten gesellschaftlichen Stellung von Herrn Lautenschläger sowie der Natur dieses Unternehmens gehen wir von der Tat eines professionellen Killers aus.«
»Was genau meinen Sie mit der Natur dieses Unternehmens, Herr Mendelsohn?«
»Sie sind an diversen strittigen Industrieprojekten beteiligt. Sie haben Gegner in verschiedenen Lagern, von Gewerkschaften bis hin zu konkurrierenden Unternehmen. Ihre internationalen Geschäfte erfreuen sich der Aufmerksamkeit unterschiedlichster Gruppierungen in Wirtschaft und Politik. Ich würde sagen, sowohl Sie als auch Herr Lautenschläger unterliegen einem gewissen Sicherheitsrisiko, meinen Sie nicht auch?«
Auch wenn dies offensichtlich zutraf, ließ sich Fischer keinerlei Reaktion anmerken.
»Ich denke, da übertreiben Sie ein wenig. Wie Sie wissen, sind wir ein etabliertes Unternehmen. Wir genießen mit unseren Engagements die volle Unterstützung der Regierung. Keines unserer derzeitigen Projekte ist so delikat, dass wir dafür größere Sicherheitsmaßnahmen benötigen.«
»Sie meinen, nicht mehr als Ihre jetzige Überwachungsanlage mit Standleitung zum Innenministerium?«, fragte Bolko.
»Herr Blohm, wir sind Deutschlands erfolgreichstes Investment-Unternehmen in Bereich der industriellen Koordination, unsere Tätigkeit ist von internationaler Tragweite. Natürlich müssen wir uns und unser Haus professionell absichern, das sollte gerade Ihnen klar sein. Darüber hinaus brauchen wir keinerlei Personenschutz. Weder Herr Lautenschläger noch ich beschäftigen einen Leibwächter.«
»Sicher, sonst wären wir auch nicht hier«, entgegnete Bolko trocken.
»Wie dem auch sei, Herr Fischer, wir stehen vor einem Mord, der alle Zeichen koordinierter Planung aufweist«, warf Kiran ein, bevor die Unterhaltung völlig aus dem Ruder lief. »Sie werden also verstehen, dass wir Ihnen ein paar Fragen zu Ihrem Unternehmen stellen müssen.«
»Es ist eine Regel in unserem Haus, dass mit Außenstehenden nicht über Interna gesprochen wird, Herr Mendelsohn. Dazu kommt, dass ich es nicht verantworten kann, die Belegschaft befragen zu lassen, bevor ich sie nicht selbst über den schweren Verlust und die daraus folgenden Maßnahmen unterrichten habe. Und Sie werden sicher verstehen, wenn ich Ihre Befugnisse mit Ihren Vorgesetzten besprechen muss.«
»Selbstverständlich«, antwortete Kiran, bevor Bolko eine weitere Breitseite abfeuern konnte. »Wir sind heute lediglich hier, um von Ihnen zu erfahren, ob Herr Lautenschläger in letzter Zeit unter Druck stand oder ob es eventuell Anzeichen gab für eine Bedrohung.«
»Friedrich war wie immer die Ruhe selbst. Er ist ... Er war ein äußerst kontrollierter Mensch. Wenn wir mit unseren Projekten Konkurrenten verärgert haben, so ist dies nie Anlass zur Sorge gewesen. Im Gegenteil hat er das eher als eine Art sportlichen Wettkampf verstanden.«
»Tja, bis dann ein Gegner die Nase voll davon hatte und den Mittelstürmer aus dem Spiel genommen hat«, el ihm Bolko ins Wort.
»Friedrich Lautenschläger, um bei dieser Metaphorik zu bleiben, Herr Blohm, war eher unser Trainer und Vereinspräsident in Personalunion. Er war die Seele dieses Unternehmens und mithin der deutschen Industriepolitik in Osteuropa. Wir haben mit unseren Projekten viel Gutes geleistet, für unser Land und für unsere Partner.«
»Zweifellos«, sagte Kiran. »Trotzdem werden wir dies alles sehr viel genauer beleuchten müssen, Herr Fischer. Und das schließt mit ein, dass wir über Ihre aktuellen und kürzlich abgeschlossenen Projekte eine ganze Menge mehr wissen wollen.«
»Wie ich schon sagte, dazu bräuchten Sie Befugnisse von Ihren Vorgesetzten«, antwortete Fischer mit einem unverbindlichen Lächeln.
»Das ist schon in Arbeit«, entgegnete Kiran und stand auf. »Sie können davon ausgehen, dass die Leitung unseres Teams bereits mit der Staatsanwaltschaft kommuniziert hat. »Wir werden Ihnen in Kürze dann unsere Assistenten vorbei schicken, die Sie und Ihre Belegschaft genauer befragen werden.«
»Ich glaube nicht, dass Ihre Assistenten ...«
»Herr Fischer, die Ermittlungen zum Tod Ihres Chefs sind, wie ich schon sagte, bereits angelaufen. Wen wir hierherschicken, um zu ermitteln, können Sie getrost uns überlassen. Inzwischen, schlage ich vor, beginnen Sie schon einmal mit der Zusammenstellung der wichtigsten Projekte und Kontaktpersonen, sowie entscheidender Mitglieder Ihres Personals, damit unsere Kollegen keine Zeit verlieren, wenn sie morgen hierherkommen und die Befragungen beginnen. In diesem Sinne, noch einmal mein Beileid und einen guten Tag.«
Bolko war ebenfalls aufgestanden, grinste und hob die Hand zum Gruß, während er sich abwandte und Kiran folgte, der bereits die Türe geöffnet hatte.
Sie fuhren schweigend mit dem Lift ins Parterre und verließen das Gebäude, ohne von den Sicherheitsbeamten behelligt zu werden.
»Mein lieber Mann«, sagte Bolko, als sie außer Hörweite waren. »Für einen Psychologen sind Sie aber auch nicht gerade zimperlich im Umgang mit diesen Typen.«
»Normalerweise kann ich meine Antipathie recht gut verbergen«, sagte Kiran. »In diesem Fall allerdings schien das nicht angebracht.«
»Aha, und wieso?«
»Erstens, weil Sie sich von ihm haben reizen lassen. Hätte ich Sie weitermachen lassen, wären wir vorzeitig aus dem Büro geflogen, ohne das Ende des Gesprächs selbst bestimmen zu können. Zweitens, weil der Mann ganz offensichtlich einen Maulkorb verpasst bekommen hat. Und drittens mussten wir die Chance bekommen, ihm klarzumachen, dass wir mindestens so gut aufgestellt sind wie er.«
»Und, sind wir das?«
»Keine Ahnung. Das werden wir sicher bei der ersten Team-Besprechung erfahren.«
Bolko schaute nachdenklich drein. »Dass Sie ihm die Leviten gelesen haben, hat ihn zumindest mehr überrascht, als wenn ich das getan hätte.«
Kiran lächelte und schloss den Wagen auf. »In diesem Spiel zählen nur zwei Dinge: Keine Angst vor großen Tieren und immer den Gegner überraschen.«
Sie stiegen ein und fuhren los. Bolkos Telefon machte ein weiteres undefinierbares Geräusch und er antwortete. Am anderen Ende war offensichtlich die Leiterin der Abteilung Birte Halbach, die wissen wollte, wo die beiden steckten. Bolko wollte von ihrem Besuch in der Lautenschläger-Firma berichten, wurde jedoch umgehend unterbrochen und musste sich eine ziemliche Tirade anhören.
»Aber ja doch, Frau Halbach«, sagte er schließlich, »das können wir dann ja alles gleich besprechen.« Er grinste, klappte sein Handy zu und wandte sich an Kiran.
»Und Sie beraten also Teams psychologisch und kriminalistisch. Was soll ich mir außer Profiling darunter vorstellen?«
»Nun, Fallanalyse und Tätertypisierung nehmen einen großen Raum ein. Hinzu kommt die Beratung in der Ermittlung. Abgesehen vom kriminalistischen Aspekt auch eine Art kriminologischer Bewertung von Personen oder Sachverhalten.«
»Solche Abteilungen gibt es doch in den meisten LKAs, und da fordern die zusätzlich einen promovierten Psycho- und Kriminologen wie Sie an?«
»Viel zu oft in diesen Tagen. Es scheint, als würden die Fälle mit jedem Jahr komplexer und die beteiligten Personen zunehmend Fälle für Therapeuten. Um dem irgendwie beizukommen, versuche ich mit kreativen Methoden andere Ermittlungsansätze zu finden.«
»Und das funktioniert vom Schreibtisch aus?«, fragte Bolko mit unverhohlener Skepsis.
»Besser, als Sie glauben.«
Bolko entgegnete nichts und schwieg den Rest der Strecke.