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Wie alles begann

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Heute - mit über siebzig Jahren - werde ich immer noch gefragt: „Reiten Sie schon lange?“ Was soll ich darauf antworten? Wie kam ich eigentlich zur Reiterei? Vage Erinnerungen an Kindheitserlebnisse tauchen dann vor meinem inneren Auge auf.

Reitschulen oder Reitunterricht gab es kurz nach dem Kriege bei uns auf dem Land nicht. Als Leseratte kannte ich natürlich Pferde, wie z.B. Iltschi, das Pferd Winnetous, Rih, den Rappen von Kara Ben Nemsi oder Hatatitla Old Shatterhands Pferd. Bei uns am Niederrhein gab es nur Brabanter, auch Belgier genannt, schwere Kaltblüter, die als Arbeitspferde gebraucht wurden. Mein Traum Pferde wie Iltschi, Rih oder Hatatitla zu reiten, würde sich wohl nie erfüllen.


Als Kind schlich ich mich heimlich auf die großen Wiesen am Niederrhein. Dort verbrachten die schweren Kaltblüter manchmal einen Ruhetag. Noch heute sehe ich die mächtigen Arbeitspferde mit ihrem seltsam verschimmelten Fell vor mir. Immer noch höre ich die Warnungen der Erwachsenen: „Pferde beißen vorne, treten hinten und trachten dem Menschen nach dem Leben.“ Ich habe diese Riesen als gutmütig kennen gelernt, kletterten wir doch auf Pferde, auf denen noch nie ein Reiter gesessen hatte, ritten sie ohne Sattel, ohne Trense, ohne Halfter. Weg konnten die Dicken nicht. Die Weide war, wie damals üblich, mit Stacheldraht eingezäunt. Einige Grasflächen lagen unter dem Meeresspiegel. Es gab viele für das Auge kaum erkennbare Sumpfstellen. Natürlich war es streng verboten, zu den Pferden zu gehen, geschweige denn sie zu reiten. Wir Kinder versuchten es immer wieder – natürlich heimlich.

Wieder einmal saßen meine Freundin und ich verbotenerweise auf den schweren Arbeitspferden und versuchten, sie in Gang zu bringen. Als der Bauer kam, sprangen wir ab und flüchteten. Zu jener Zeit war man mit Prügel nicht zimperlich. Gott sei Dank rannten wir schneller als der Bauer. Doch, oh Schreck, kaum in Sicherheit, bemerkte ich, dass mir ein Schuh fehlte, und zwar eine Lackleder-Sandalette meiner Mutter.

Kurz nach dem Krieg besaß ich keine eigenen Schuhe. Meine Füße waren sehr schnell gewachsen. Obwohl es bereits Spätherbst war, trug ich noch die Sandalen mit langen Strümpfen und dicken Socken. Jetzt war ein Schuh weg. Was war zu tun? Endlich gab der Bauer die Suche nach uns auf. Von irgendwo her besorgte ich einen riesigen Ast oder ein Brett – so genau weiß ich das nicht mehr – robbte auf dem Bauch zu der Sumpfstelle und angelte tatsächlich den Schuh aus dem Sumpf.

Indessen hatten sich die geflochtenen Riemchen, deren Ränder nur geklebt waren, aufgelöst. Vom Sumpf aufgequollen sahen sie schrecklich aus. Mir blieb mir nichts anderes übrig, ich musste die Schuhe weiter tragen. Außerdem verhängte meine Mutter als Strafe Stubenarrest. Nun traute ich mich nicht mehr zu den Pferden, träumte aber jede Nacht von tollen Ritten und feurigen Rossen.

Mit zunehmendem Alter verblasste die Erinnerung an die Pferde. Man sah sie nur noch selten. Der Traktor hatte die Pferde ersetzt.




















Endlich einmal kurze Geschichten

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