Читать книгу Ach, du grüne Neune! - Inge Helm - Страница 5
Allerhöchstens zwei
ОглавлениеBist du wahnsinnig?«, unkt meine beste Freundin, als sie hört, dass ich kurz vor Weihnachten Babykorb, Babysachen und den großen Kinderwagen verkauft habe. »Das soll man doch nicht machen. Das ist ein alter Aberglaube. Jetzt bekommst du bestimmt noch ein drittes Kind!«
Da kann ich ja nur miteidig lächeln. Aberglaube! Ich wollte höchstens zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, und die habe ich. Ein drittes Kind kommt überhaupt nicht mehr in Frage.
»Also«, sagt meine beste Freundin skeptisch, »ich verkaufe meine Babysachen lieber nicht. Mir reichen meine zwei.«
Wir jedenfalls können jeden Pfennig gebrauchen, besonders wo Weihnachten vor der Tür steht. Unser Haushaltungsvorstand studiert nämlich noch. Rechtswissenschaften, ein ziemlich langes Studium.
Mein Sohn Christoph hat Verständnis für unsere miese Finanzlage. »Ich wünsch mir zu Weihnachten was ganz Teures. Dann könnt ihr das Geld zu meinem Geburtstag sparen«, sagt er und diktiert mir seinen Wunschzettel.
Lieber Weihnachtsmann! Ich wünsche mir eine Eisenbahn oder Filzstifte, dafür nichts zum Geburtstag. Und viele Grüße an alle Engel und den Petrus. Dein Christoph.
Er hätte eigentlich ja noch gern einen kleinen Bruder, meint er. Mit seiner Schwester Corinna kann er nicht spielen, die ärgert ihn nur.
»Was«, protestiere ich, »jetzt, wo ich alle Babysachen verkauft habe?«
»Vielleicht kannst du dir neue vom Weihnachtsmann wünschen!«, sagt er etwas verlegen.
Ich erkläre, dass der Weihnachtsmann keine Babywäsche, geschweige denn kleine Kinder bringt.
»Die wachsen in Mamis Bäuchlein. Die Babys natürlich, nicht die Wäsche!«
»Nein«, antwortet Christoph treuherzig, »das glaube ich nicht. Du willst mich bloß hochnehmen. Wie sollen die denn da reinkommen?«
Ich sehe ihn verdattert an.
»Siehste«, triumphiert er, »so dumm bin ich nämlich gar nicht.«
»Außerdem«, fügt seine Schwester Corinna hinzu, »will ich nicht, dass du noch ein Baby bekommst. Dann wirst du nämlich ins Bein gebissen. Lass mich lieber ein Geschwisterchen kriegen. Ich werde nicht gebissen. Ich weiß das ganz genau. Die Gaby hat auch ein Brüderchen bekommen und ist kein bisschen gebissen worden. Außerdem will ich ein Schwesterchen haben.«
Und vom Weihnachtsmann wünscht sie sich nur ein richtiges Pferd.
»Na ja«, tröstet mich der Vater, »das kommt auf den Balkon und frisst deine Geranien. Das spart dir das Gießen.«
Im Januar will Christoph eines Morgens nicht aufstehen. Er wirkt schon seit Tagen so blass und weinerlich. Besorgt fühle ich seine Stirn. Sie ist ganz heiß. Ich messe Fieber und rufe sofort die Kinderärztin an.
»Angina«, diagnostiziert sie, als sie eine Stunde später vorbeikommt und ein Rezept ausschreibt. Corinna und ich begleiten sie dann die Treppe hinunter, und wir gehen noch schnell in die Apotheke um die Ecke. Dort treffen wir die nette Frau Schneider, die zwei Treppen unter uns wohnt. »Was fehlt denn dem armen Christoph?«, wendet sie sich mitfühlend an Corinna, nicht ahnend, dass die Zweijährige bisher nur Spielzeug kennt, dem etwas fehlt. Einen kaputten Bruder hatte sie noch nicht.
»Ach«, sagt Corinna dann auch prompt, »dem fehlt eine ganz große Schraube. Und eine ist abgebrochen.«
»Hier haben Sie den passenden Schraubenschlüssel«, lacht der Apotheker und reicht mir die Medizin, »und gute Besserung.«
Frau Schneider verspricht, am Nachmittag nach Christoph zu sehen und vielleicht ein wenig mit ihm zu spielen. Mir ist das sehr recht. Ich habe mich für heute beim Frauenarzt angemeldet, ich fühle mich in letzter Zeit auch nicht ganz wohl.
Um halb vier soll ich da sein. Als der Uhrzeiger fast die Drei erreicht, werde ich langsam nervös.
»Frau Schneider wird uns doch nicht vergessen haben?«, sage ich ungeduldig.
»Die spielt bestimmt heimlich mit Herrn Schneider«, kommt es wehleidig aus Christophs Bett.
Aber in diesem Moment läutet es an der Wohnungstür. Ich ziehe schnell meinen Mantel an und lasse unsere Nachbarin herein.
»Wie sehe ich denn aus?«, frage ich im Hinausgehen.
»Meine Haare halten in der letzten Zeit so schlecht!«
»Wenn du vorn so Löckchen hättest wie hinten«, ruft Corinna liebenswürdig, »dann wärst du fast eine schöne Frau!«
»Ja, das stimmt«, unterstützt ihr Bruder sie, »du siehst von hinten aus, als wärst du von vorn schön!«
So aufgemuntert wage ich mich beruhigt unter die Leute.
Und als ich vom Frauenarzt heimkomme, trage ich schwer an einem »süßen Geheimnis«. Von wegen Aberglaube!
Am Abend erzähle ich es erst einmal dem glücklichen Vater … und der freut sich auch noch! Dann rufe ich meine beste Freundin an.
»Du hattest ja so Recht«, jammere ich geknickt. »Behalte bloß deine Babysachen!«
»O Gott«, stöhnt sie entsetzt, »Klaus hat gestern alles verkauft. Wir brauchten dringend Geld, und da haben wir beschlossen, dass das mit dem Aberglauben alles Mumpitz ist!«