Читать книгу Ach, du grüne Neune! - Inge Helm - Страница 6
Ein gemütliches kleines Nest
ОглавлениеWir wohnen vier Treppen hoch, in einer entzückenden Drei-Zimmer-Dachwohnung mit Schrägen – mit sehr schrägen Schrägen. Ein gemütliches kleines Nest, sagen die Leute. Die müssen ja auch nicht darin leben! Zugegeben, als wir noch ein kinderloses Studentenehepaar waren, da hatte unser Heim ja so was richtig Kuscheliges. Mit zweieinhalb Nachkommen kann davon jedoch kaum noch die Rede sein.
Aber ich darf nicht lügen. Die Küche, die ist groß, die hat vier gerade Wände, es können sich bequem zwei Personen darin aufhalten, und die treten sich fast gar nicht auf die Zehen. Deshalb versteht der Vater auch nicht, warum mir immer wieder das Malheur mit den Nudeln im Ausguss passiert. Wenn er ein logisch denkender Mann wäre, dann hätte ich es sicher nicht nötig, Erklärungen abzugeben. Aber so …
»Also«, hebe ich an, »schütte du mal die Nudeln ab, rechts und links ein Kind am Ellbogen hängend, und vorn ein störender Bauch. Man müsste ja ein Affe sein mit überlangen Armen, um das Sieb haarscharf zu treffen. Mach du mir das mal vor, bitte schön!«
Heute Mittag will er mir nun zeigen, wie man es anstellt, dass keine einzige Nudel im Becken landet. Um Schlag zwölf rufe ich ihn, damit er mir das Wunder vorführt: »Es ist so weit, du kannst anfangen!« Als Erstes stopft er seine lieben Kleinen auf den winzigen Balkon, der an der Küche klebt wie ein Schwalbennest am Kuhstall. Dann nimmt er schnittig mit dem Kochtopf die Kurve vom Herd zum Ausguss, tritt mir dabei aufs Hühnerauge, dass ich schmerzvoll aufjaule, und gießt gekonnt die Nudeln samt Salzwasser ins Sieb. Es fällt nicht eine daneben … sondern alle! Der Schwung war wohl doch zu gekonnt und brachte das Sieb zum Kentern.
»Na ja«, sagt der Vorführer betreten, »war wohl nicht so gut, was? Aber Schuld hat das blöde Sieb, es ist nicht stabil genug.«
Selbstverständlich, das Sieb!
Ich verkneife mir das Lachen. Wenn man der Überlegene ist, sollte man nicht auch noch so kleinlich sein, seinen Triumph öffentlich zur Schau zu stellen. Außerdem steht in weiser Voraussicht ein weiterer Topf mit Nudeln auf dem Herd.
Irgendwo habe ich gelesen, man solle in einer kleinen Wohnung öfter mal was umstellen, das erzeuge ein ganz neues Wohngefühl! Ich habe es ausprobiert. Es funktioniert.
Heute kommt zum Beispiel der echt antike Eichenschrank von der linken Seite hinter der Tür auf die rechte Seite beim Fenster des Wohnzimmers. Vater und Sohn können nicht helfen, leider! Sie müssen unbedingt die elektrische Eisenbahn reparieren! Als es dunkel wird, sind sie immer noch nicht fertig.
»Bring mir doch eben mal den Hammer«, bekomme ich zugerufen. Sie werden doch wohl nicht die ganze Anlage zertrümmern wollen?
»Moment«, sage ich bereitwillig, einen Stoß Teller auf dem Arm balancierend, »ich muss nur schnell das Geschirr absetzen!« Ich eile ins dunkle Wohnzimmer, stelle den Stapel links hinter die Tür auf den barocken Schrank – und fahre erschreckt zusammen, weil sich ein entsetzliches Getöse erhebt. Himmel, meine verfluchten Orientierungsschwierigkeiten! Seit heute Morgen steht der Schrank ja rechts beim Fenster.
Vater und Sohn kommen angeschossen. Jetzt habe ich nicht nur Schwierigkeiten mit der Orientierung, sondern bekomme auch welche mit dem Familienoberhaupt.
»Ich konnte das Service schon lange nicht mehr leiden!«
Angriff ist ja bekanntlich die beste Verteidigung, denke ich und laufe an die Tür, um einer Nachbarin, die auf Grund des Krachs Sturm klingelt, zu öffnen.
»Seht euch das an«, zeigt mein fassungsloser Mann auf den Scherbenhaufen und wirft sich voll Verzweiflung in seinen Lieblingssessel rechts beim Fenster. Er landet leider vor dem antiken Schrank auf dem Fußboden. Der Sessel steht ja jetzt links, hinter der Tür! Die Gören lachen respektlos, was ich mich nicht traue, und die Nachbarin sagt fröhlich in sein verdattertes Gesicht hinein: »Da haben Sie Ihrer Familie aber eine richtige Sonntagsfreude bereitet, wie?«
Aufstehend und sich den verlängerten Rücken reibend, grinst der arme Vater gezwungen.
Jetzt wage auch ich ein vorsichtiges Lächeln und schiebe ihm dienstfertig seinen geliebten Sitzplatz in die Kniekehlen.
Corinna hat in der Zwischenzeit auch das Kinderzimmer verschönt, mit selbst gemalten Kunstwerken. Sie kleben dekorativ an der Wand, aber Gott sei Dank nicht mit Klebstoff, sondern – mit Nutella!
Aber nicht nur Möbelrücken ist gefährlich. Auch unsere vier Treppen haben es in sich, besonders das Geländer. Kleine Kinderhände können es kaum umfassen, und kleine Kinderbeine brauchen deshalb Stunden, bis sie unten angekommen sind. Nach oben natürlich noch viel länger.
Corinna ist dieses Schneckentempo mit »einer Bein, anner Bein« leid. Kurz entschlossen ergreift sie ihren Roller – und fährt auch gleich los. Mir bleibt fast das Herz stehen. Zum Glück fängt der zufällig heraufkommende Vater die Katastrophe in beiden Armen auf. Es gibt trotzdem Beulen und Geheul, und statt des Rollers wird wieder der Kindersportwagen mit auf die Einkaufstour genommen. Dann habe ich auch gleichzeitig einen fahrbaren Untersatz für meine schweren Einkäufe.
Vor dem Supermarkt tauschen wir den Sportwagen gegen einen Einkaufswagen. Corinna will einen eigenen schieben. Ich lasse ihr den Willen, und so können Christoph und ich in Ruhe einkaufen.
Es befinden sich gerade drei Sachen in meinem Wagen, da rappelt es schon, und meine Tochter ist in den Eierturm gekarrt. Jetzt liegt die Güteklasse la als Rührei am Boden. Fieberhaft überlege ich, ob ich eventuell so tue, als gehöre ich nicht dazu, da brüllt Christoph schon fingerzeigend: »Mensch, guck mal, die Corinna!«
Ich lasse meinen Wagen stehen, knie mich ergeben neben die Verkäuferin und helfe einsammeln, soweit man noch sammeln kann. Mein Gott, ist das Zeug klebrig! Ein Glück, dass wir für die Kinder eine Versicherung haben, sonst müssten wir den Rest des Monats nur noch von Eiern leben.
Dann will ich mich endlich wieder meinem Einkaufswagen zuwenden, doch der ist verschwunden.
»Hier«, strahlt Christoph und hält sich krampfhaft an einem mit Löffelbiskuits hoch beladenen Vehikel fest. Tatsächlich finde ich unter all den Kartons meine einsamen drei Einkäufe wieder. Ich muss schon sagen, mein sonst so langsamer Sohn war diesmal nicht wenig fleißig, während wir uns mit dem Eierunfall beschäftigten. Er isst nun mal für sein Leben gerne Löffelbiskuits. Leider kann ich diese nicht bei der Versicherung geltend machen, und so muss seine Ausbeute wieder ins Regal.
Auf dem Heimweg denke ich an die vielen Stufen und wie ich dem Vater schonend die Rühreier beibringe.
»Verdammte Sch …« Ich lasse den Satz unvollendet, wegen der minderjährigen Kinder. »Seiße, nich Mami?«, dreht sich da Corinna im Kinderwagen zu mir um. Wo sie das wohl herhat?