Читать книгу Insel der nackten Frauen - Psychothriller - Ингер Фриманссон - Страница 12

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Dass er so gut aussah, war ihr nicht bewusst gewesen. Er war ihr als ein schweigsamer Junge mit strähnigen schwarzen Haaren in Erinnerung geblieben, ganz glatt waren sie gewesen, bei keinem anderen Menschen hatte sie jemals so glatte Haare gesehen, weder früher noch später. Sie waren immer noch glatt und schwarz. Und er schien auch keine Glatze zu bekommen. Wie alt war er jetzt? War er schon vierzig? Ja, mit Sicherheit. Er war ein Jahr jünger als sie, und sie würde in ein paar Wochen ihren zweiundvierzigsten Geburtstag feiern.

Ingelize bog in die Straße ein, die nach Östra Kvarnberga führte, wo ihr Hof lag. Sie warf einen flüchtigen Blick auf das Schild, das ganz neu war. Sie hatte es bei einer Firma in der Stadt bestellt. Ingelizes Islandpferde stand dort, eingerahmt von Leberblümchen und Hufeisen. Es war ihre eigene Idee gewesen. Das Schild sah professionell aus.

Es wäre wirklich nett, wenn Tobias sie zu einer Reittour begleiten würde. Er konnte doch reiten. Oder hatte es zumindest gekonnt. Tatsächlich war es das Verdienst seiner Mutter, dass sie ihre Zeit mit Pferden verbrachte. Svava hatte damals ihr Interesse für Pferde geweckt. Beinahe täglich war sie mit dem Fahrrad zu Elmkvists gefahren, wo sie beim Ausmisten und Striegeln der Pferde helfen durfte. Svava hatte große Pferde, Halbblüter, zwei Stück, und einen Nordschweden, der Trolle hieß. Er war die Ruhe selbst. Sie hatte sich um Trolle kümmern und auf ihm reiten lernen dürfen.

»Du hast Gespür für Pferde«, lobte Svava sie. »Das haben weiß Gott nicht alle.«

Sie war unglaublich stolz gewesen.

Als Erwachsene hatte sie dann ihren Traum verwirklicht. Ihre Eltern waren schon recht alt gewesen, als sie geboren wurde, beide über fünfundvierzig, und sie war das einzige Kind. Als sie vor ein paar Jahren starben, übernahm sie den Hof. Sie hatte mit zwei Islandpferden angefangen, schaffte jedoch bereits nach einem halben Jahr weitere Tiere an und besaß inzwischen eine fünfzehnköpfige Herde. Reiten war ungemein beliebt geworden. Sie betreute sowohl Firmen als auch Privatpersonen. Im Sommer organisierte sie Reitcamps und an mehreren Abenden in der Woche gab sie Reitunterricht. Es gab ein paar junge Mädchen im Ort, die nur zu gerne bereit waren, ihr bei der Arbeit mit den Tieren zu helfen. So wie sie selbst Tobias’ Mutter geholfen hatte.

Svava hatte ihr viel beigebracht. Sie war mit Pferden aufgewachsen. Ingelize erinnerte sich noch gut, wie sie fast ein wenig wehmütig die Pferde in ihrem Heimatland Island beschrieb, ihr besonderes Temperament und ihren Charakter.

»Ich hätte viel lieber solche Pferde hier«, hatte sie erklärt. »Aber ich glaube nicht, dass sie sich hier wohl fühlen würden. Ich habe von Islandpferden gehört, die hierher und nach Deutschland und Dänemark gekommen sind. Die Insekten machen ihnen zu schaffen, und im Sommer bekommen sie Ekzeme. Sie leiden sehr darunter. Das will ich ihnen nicht zumuten.«

Nach einiger Zeit verließen Svava und Tobias den Hof. Als Ingelize eines Nachmittags mit dem Fahrrad ankam, stand ein kleiner Lastwagen vor dem Haus. Es war kein Mensch zu sehen. Vorsichtig schlug sie die Plane zur Seite, die über der Ladefläche hing und konnte ein paar Stühle und die weiße Kommode erkennen, die im Flur gestanden hatte. Mit einem unguten Gefühl ging sie zum Stall. Die Pferde standen in ihren Boxen, und sie ging zu Trolle hinein und begann ihn zu striegeln, konnte jedoch den Gedanken nicht abschütteln, dass sich etwas Schreckliches anbahnte.

Kurz darauf hörte sie Stimmen. Jemand schrie, es war ein Mann. Sie bekam Angst, rannte zur Wand und verlor die Bürste im Stroh. Ihre heftige Reaktion ließ den sonst immer so ruhigen Trolle scheuen. Er trat mit seinen großen Hufen aus und setzte einen von ihnen dann mitten auf ihrem Fuß ab.

Während sie mit den Tränen kämpfte, sprang der Motor des Lastwagens an, und er fuhr los. Tobias’ Vater schrie ihm etwas hinterher, das fremd und gemein klang. Sie hörte nicht, was er schrie, wollte selber schreien und sich ins Stroh werfen. Ihr wurde klar, dass etwas zu Ende gegangen, unwiderruflich vorbei war.

Gleich darauf stand er im Stall, und sie hörte das Weinen eines erwachsenen Mannes. Sie hielt die Luft an und versuchte, sich so klein zu machen wie möglich. Er wimmerte, schrie manchmal auf und stöhnte. Schließlich verschwand er, setzte sich auf den Traktor und fuhr aufs Feld hinaus.

Sie hatte sich einen kleinen Knochen gebrochen, und der Fuß schwoll so stark an, dass sie den Stiefel nicht mehr ausziehen konnte. Noch heute, dreißig Jahre später, war der Fuß leicht deformiert, und sie hatte immer Probleme, Schuhe zu finden, die ihr passten.

Nach einer guten Woche hatte sie all ihren Mut zusammengenommen und war noch einmal zu dem Stall zurückgeradelt. Doch da hatte sie bereits von ihren Eltern erfahren, was passiert war. Svava Elmkvist hatte ihren Mann verlassen und war nach Södertälje gezogen. Sie und der Junge. Tobias.

Es wurde damals natürlich viel getratscht. Wie das in kleineren Ortschaften so ist. Das war der Nachteil, wenn man so lebte. Viele Jahre hatte Ingelize später in Göteborg gewohnt, sich dort aber nie wirklich wohl gefühlt. Stattdessen hatte sie sich immer danach gesehnt, der Natur näher zu sein.

Als ihr Mann Jens als Abgeordneter ins Parlament gewählt wurde und ihre Eltern ungefähr zur gleichen Zeit starben, machte sie Nägel mit Köpfen. Jens war viel unterwegs, aber jetzt hatte sie etwas Eigenes und brauchte nicht ohne sinnvolle Beschäftigung zu Hause hocken.

Sie hatte alle Bücher gekauft, die Tobias geschrieben hatte, und sie gelesen, als würde sie hoffen, in ihnen etwas wieder zu erkennen, einen Menschen, eine Umgebung, ein Detail. Sie mochte seine Art zu schreiben und fand, dass sie ihm durch die Bücher nahe gekommen war. In einem der Bücher gab es eine Liebesgeschichte mit einigen erotischen Szenen. Sie hatte ihn nie als Mann gesehen. Für sie war er immer dieser kleine Junge gewesen, der auf die Pferde kletterte und die Fersen in ihre Weichen schlug, sodass sie sich aufbäumten und davonschossen. So wie die Jungen auf den Göteborger Hinterhöfen ihren Fahrrädern und Mopeds die Sporen gegeben hatten.

Ihre Mutter hatte ihr von seiner Frau erzählt. Waren sie mittlerweile geschieden? Vermutlich. Sie war so seltsam, diese Frau. Hieß sie nicht Görel? Mitten im Winter lief sie in dünnen weißen Kleidern durch die Gegend, gab einem mit feuchten, schlappen Fingern die Hand, die auch im Hochsommer und bei einer Hitzewelle noch kalt war.

»Sie muss eine vollkommen andere Körpertemperatur haben als normale Menschen«, meinte ihre Mutter. »Irgendwie ist bei ihr alles umgekehrt. Wenn es kalt ist, ist sie warm und andersherum. Du hättest mal ihre Hüte sehen sollen, solche mit breiten Krempen, wie die Leute in alten Filmen sie tragen. Heutzutage trägt doch keine Frau mehr Hüte. Du weißt schon, solche Hüte, die man mit Nadeln im Haar feststeckt. Einmal bin ich ihr auf dem Weg zum Seeufer begegnet. Sie hatte eine Rose gepflückt und versuchte, sie auf der Krempe ihres Huts zu befestigen. Sie bat mich um Hilfe und meinte, sie würde sich dauernd stechen. Ich kannte sie doch gar nicht. Jedenfalls nicht gut. Und der Blick in ihren Augen, du hättest sie sehen sollen, Ingelize, ich glaube nicht, dass Tobias es wirklich gut bei ihr hat.«

In dem Artikel in der Illustrierten war Görel nicht erwähnt worden. Aber auf einem der Fotos saß Tobias zusammen mit seiner Tochter Klara an einem Computer. Das Mädchen hatte ebenfalls schwarze Haare und sah aus wie ein junger Eskimo.

Ingelize griff nach dem Taschenbuch, öffnete es erwartungsvoll, las, was er geschrieben hatte, und war stolz. Welches Pferd sollte sie ihn reiten lassen? Vielleicht Hábrók? Er war zwölf Jahre alt, ein lupenreiner Tölter mit einigem Temperament. Oder vielleicht doch den ruhigeren Bleikja? Das musste wohl überlegt sein.

Aber sie wollte ihn wieder sehen, das spürte sie.

Insel der nackten Frauen - Psychothriller

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