Читать книгу Insel der nackten Frauen - Psychothriller - Ингер Фриманссон - Страница 7

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Sie gingen an Land. Sabina ließ Adam nicht aus den Augen, hatte den Finger an die Lippen gepresst, leiiiise. Der Hund blieb dicht bei ihr, er war nicht das erste Mal dabei und wartete nur auf ihre Kommandos.

»Wir bleiben erst einmal hier und lassen sie selber die Initiative ergreifen«, flüsterte Sabina. Sie ließ sich auf einem Baumstamm nieder, der weiter oben im Gras lag. Der Hund saß regungslos neben ihr und hatte den Blick auf ihren Mund gerichtet. Schon wenige Minuten später raschelte es im Laub. Die Tiere kamen. Zögernd, aber neugierig, der Atem kam wie Dampfstöße aus ihren Nasenlöchern.

Tobias stand mit einem Fuß auf einem großen Stein. Er trug seine eigenen Gummistiefel, die er aus der Stadt mitgebracht hatte. Er benutzte sie nur selten, hatte in den Keller gehen und sie suchen müssen. Er wackelte ein wenig mit den Zehen, fror, stand da und sah die Tiere immer mutiger werden, sah ihr braunweißes Fell, ihre Atemstöße, die ihn an das Geräusch von Heißluftballons erinnerten. Plötzlich sind sie einfach da, und der ganze Himmel ist voll von ihnen, und dann das Geräusch kontrollierter Atemzüge, das gleiche Geräusch wie bei gebärenden Frauen, eine beherrschte, sorgfältig erwogene Atmung. Aus den Augenwinkeln sah er Adam, sein schweres, verschlossenes Gesicht. Er war jetzt angespannt, weil er wusste, weil sein schwerfälliges Gehirn sich erinnerte, dass es da etwas gab, was er nicht vergessen durfte. Sein Blick ruhte auf dem Finger seiner Mutter, schön still jetzt, Adam, stiiill.

Der erste Ochse war nun schon auf dem Ufersand, ein kleines Stück von Sabina entfernt stemmte er die Hufe in den Boden und machte den Hals lang. Sein feuchtes graues Maul rückte dicht an Sabinas Kopf heran. Er runzelte die Stirn und schnaubte. War es das bunte Muster des Kopftuchs, das ihn anlockte, dachte er vielleicht, es wäre essbar? Sabina saß aufrecht auf dem Stamm, die rot verfrorenen Hände in den Schoß gelegt, die groben Handschuhe waren auf die Erde hinabgerutscht. Ein anderes Maul näherte sich ihnen, und sie machte eine Bewegung mit dem Fuß. Die Tiere zuckten zusammen und sprangen zur Seite. Sabina lächelte.

»Ihr Zuckerschnuten«, sagte sie leise. »Ihr seid so unglaublich neugierig.«

Hardy zählte.

»Ich sehe nur neunzehn.«

»Es müssten zwanzig sein, der Letzte kommt bestimmt bald, er merkt sicher, dass die anderen weg sind.«

Das Floß lag bereit, sie hatten Bretter zu einer stabilen Laufplanke zusammengelegt, und Hardy ging zurück und stellte an den Seiten Zäune auf. Er trieb Pflöcke in die Erde, und sie hörten ihn dumpf fluchen, denn an manchen Stellen war es schwierig, etwas in den Lehm zu schlagen.

»Ich glaube, sie haben Heimweh«, erklärte Sabina. »Sonst würden sie nicht so schnell kommen. Ich glaube, sie sehnen sich ins Warme.«

»Das würden sie nicht tun, wenn sie wüssten, was sie erwartet«, sagte Tobias trocken.

»Nein. Aber so ist es nun einmal.«

»Entrecôte und Beefsteak.«

»So darf man nicht denken. Das funktioniert nicht.«

Adam grunzte, hob die Hand und zeigte zum Wald hinauf.

»Da ist er, da ist er!«

Es kam Bewegung in die Hufe, und die Tiere zerstreuten sich mit einigen erschreckten Sprüngen, blieben mit bebenden Körpern stehen, die Ohren auf Geräusche gespitzt.

Sabina seufzte.

»Es ist gut, dass du uns Bescheid sagst«, meinte sie. »Aber leg jetzt die Arme an den Körper, Adam, schau mal, so, ganz fest, du darfst nicht winken, denn sonst verjagst du die ganzen Tiere. Wir wollen uns verteilen. Ich glaube, es ist jetzt so weit.«

Der Hund hatte den Schwanz erhoben, jeder Muskel seines schwarzweißen Körpers war darauf eingestellt zu arbeiten. Als Sabina ihm das Zeichen gab, schoss er wie ein Strich ins Unterholz. Es knackte, und einzelne Tiere muhten laut, aber nicht in Panik. Die Ochsen waren in ihrem dritten Lebensjahr, zwei Sommer hatten sie bereits hier draußen verbracht und vielleicht erinnerten sie sich an die Wärme in ihren Verschlägen und das beruhigende Kauen der Kameraden, wenn sie ihr Heu wiederkäuten.

Wir wollen euch nichts tun, dachte Tobias. Jedenfalls im Moment nicht. Kommt jetzt, Jungs, geht an Bord! Mit Hilfe des Hundes brachten sie die Tiere dazu, sich auf den Ufersaum und weiter auf die Laufplanken zuzubewegen. Er hatte befürchtet, wenn die ersten Tiere auf die Holzplanken traten, könnte das Klappern der Hufe die nachfolgenden Tiere verängstigen. Doch das war nicht der Fall. Das Geräusch ging im Gedrängel dampfender Körper unter, und er folgte ihnen und scheuchte sie auf dem Floß nach Achtern. Dort standen sie dann dicht gedrängt und starrten ihn mit ihren sanftmütigen Augen an, sodass er Lust bekam, seine flache Hand auf einen warmen und runden Bauch zu legen, aber das würde sie nur aufregen. Es wäre dumm von ihm.

Sabina lief durch das flache Wasser, das bis zum Rand des Stiefelschafts reichte.

»Es fehlt tatsächlich einer, Tobias. Wir müssen ihn suchen. Kannst du das übernehmen, kannst du mit Hardy suchen gehen? Wir warten hier so lange und passen auf die Tiere auf.«

»Wo ist Hardy denn?«

»Er ist schon mal losgegangen, in die Richtung. Nimm den Hund mit. Wir warten hier und halten die Stellung.«

Die Stille. Er war sie einfach nicht gewöhnt. Er blieb hinter der Hügelkuppe stehen und hielt die Luft an. Der Hund war irgendwohin verschwunden, vielleicht war er bei Hardy. Er gehörte zu einer Rasse, die um jeden Preis die Herde zusammenhalten musste, das war ihr Instinkt.

Ein Trommeln über seinem Kopf ließ ihn zusammenzucken. Es war ein Specht. Tobias legte den Kopf in den Nacken und erhaschte einen Blick auf schwarzrotes Gefieder. Ein Schwarzspecht, erinnerte er sich. Seine Lehrerin in der dritten Klasse hatte sich erst zufrieden gegeben, als sie mindestens zehn verschiedene Arten voneinander unterscheiden konnten. Auf die Insel war sie mit ihrer Klasse allerdings nie hinausgefahren. Auch damals weideten hier schon Ochsen, und sie hatte Angst vor Kühen. Angst vor Kühen! Und dann nahm sie ausgerechnet eine Stelle auf dem Land an! Wie hieß sie noch? Es wollte ihm einfach nicht einfallen. Jedenfalls hatte sie ein Verhältnis mit dem Pfarrer, und es gab einen Skandal, denn der Pfarrer hatte schon eine Frau und vier Kinder.

Was wohl aus ihr geworden war?

Die Vergebung der Sünden war jedenfalls dem Pfarrer zuteil geworden. Er stand auch weiterhin jeden Sonntag auf der Kanzel und unterrichtete auch weiter die Konfirmanden, als wäre nichts passiert. Aber die junge Lehrerin? Tobias musste daran denken, was Hardy über Skamön gesagt hatte. Ohne sich dagegen wehren zu können, empfand er eine gewisse Erregung. Er hatte die Schultern hochgezogen, und es schauderte ihn in der rauen Kälte, die aus der Erde aufstieg und seinen Körper umschloss, durch die Gummisohlen eindrang und sich an den Knöcheln hinaufschlich.

Ich muss mich bewegen, schoss es ihm durch den Kopf. Ich muss den Ochsen suchen, damit wir endlich nach Hause kommen.

Rutschend kletterte er zu ein paar Felsspalten hinauf, sank auf die Knie, schaute hinab und hörte einen fremden Laut, ein kurzes und abgeschnittenes Muhen. Tatsächlich. Es war der fehlende Ochse. Er war braun und weiß und lag ein ganzes Stück unter ihm eingeklemmt zwischen den Steinen, und als er Tobias entdeckte, begann er den Kopf hin und her zu werfen und Laute auszustoßen.

»Ist ja gut, ist ja gut!« Tobias ließ sich mit den Fersen im Moos hinunterrutschen, fiel in den Sand, robbte das letzte Stück auf die Ellbogen gestützt. Das Tier war schwer verletzt. Vermutlich hatte es sich das Bein gebrochen, denn sonst wäre es längst aufgestanden und geflohen. So aber konnte Tobias zu ihm gehen und es berühren. Er legte die Hand auf die harte platte Stirn, auf der sich ein sternförmiger weißer Fleck im braunen Fell abzeichnete.

»Na, wie geht es dir, Kumpel?«, sagte er ratlos. »Hast du dir den Fuß verstaucht?«

Nein, es stand schlimmer um ihn, das wusste Tobias nur zu gut und griff nach dem Horn, es war warm und glatt. »Ist ja gut, ist ja gut«, sagte er erneut, als der große Tierkopf hin und her schwang und sich die Nasenlöcher weiteten. Der Geruch von Angst.

»Wie zum Teufel sollen wir dich nach Hause schaffen, wenn du hier solche Dummheiten machst?«

Neben ihm bewegte sich etwas, und der Ochse warf seinen Kopf so heftig nach oben, dass Tobias loslassen musste. Es war der Hund. Er hatte sie aufgespürt. Tobias griff in das Hundehalsband und brachte ihn dazu, Sitz zu machen. Der Collie atmete keuchend und knurrte leise.

Er sprach mit dem Hund.

»Was sollen wir mit ihm machen? Hast du vielleicht eine Idee, du bist doch auch früher schon mal dabei gewesen?«

Der Hund neigte den Kopf und schien nachzudenken. Seine Schnauze stand halb offen, die Zunge vibrierte rosig und nass. Dann hob er den Kopf und bellte.

Hardy kam den Hang hinunter. Er hatte den Hut in den Nacken geschoben, ein Zweig mit Blättern hatte sich im Hutband verfangen. Er schien ebenfalls gefallen zu sein, die Knie seiner Hose waren nass und lehmverschmiert.

Hardy ging ohne Zögern zu dem liegenden Tier und trat es in die Seite. Der Ochse muhte dumpf.

»Steh auf!«, brüllte er.

Tobias ließ den Hund los. Es wurde ihm ganz heiß im Bauch.

»Verdammt, was tust du denn da! Siehst du nicht, dass er verletzt ist?«

Hardys eisblaue Augen fixierten ihn.

»Woher willst du das wissen, bist du etwa Tierarzt oder was?«

»Das sieht doch nun wirklich jeder, dass dieses Tier verletzt ist.«

»Manchmal sind sie auch nur faul und haben keine Lust zu laufen.« Er hob den Fuß und holte zu einem weiteren Tritt aus. Tobias schoss in die Höhe.

»Warum bist du nur so verdammt aggressiv? Jetzt beruhig dich mal ein bisschen.«

Zu seiner Überraschung trat Hardy zur Seite. Mit Zeigeund Mittelfinger zupfte er eine krumme Zigarette aus seiner Brusttasche, zündete sie an, blies Rauch aus.

»Wir müssen überlegen, was wir jetzt tun sollen. Und zwar in Ruhe.« Tobias machte eine Geste in Richtung des liegenden Tiers. »Wir müssen eine Lösung finden.«

»Du findest ganz bestimmt eine«, erwiderte Hardy provozierend.

»Ich begreife nicht, was mit dir los ist. Habe ich dir vielleicht etwas getan?«

Hardy lächelte, und seine Lippen verschwanden im Bart. Er nahm den Hut ab, sah den Zweig und riss ihn mit einem Ruck herunter.

Die beiden Männer blieben eine ganze Weile so stehen und starrten sich an. Hardy ließ Rauch aus den Nasenlöchern quellen. Sein Nasenrücken sah seltsam aus, er schien gebrochen zu sein. Die Nase sah aus, als wäre sie nach einem Schlag nicht mehr richtig zusammengewachsen. Hardy stand da und biss die Zähne zusammen.

»Na, Tierarzt«, spuckte er schließlich aus. »Was sagst du?«

»Ach, jetzt hör schon auf, verdammt! Sabina wartet auf uns, wir müssen los.«

Ehe Tobias reagieren konnte, war Hardy zurück bei dem Tier und trat gegen seinen Schwanz.

»Steh auf, du verdammtes Mistvieh, kannst du auf deinen Beinen stehen? Wir haben es nämlich eilig, kapiert, der Tierarzt hier hat es eilig.«

Tobias wurde rot und heiß vor Augen. Er lief zu Hardy, rutschte aber in dem nassen Gras aus und wäre fast hingefallen. Hardy wippte auf den Fersen.

»Das war nur ein Test«, erklärte er ruhig, »um zu sehen, ob er uns was vorspielt oder nicht.«

»Du hast sie doch nicht mehr alle!«

»Bist du jetzt auch noch Psychiater? Nicht nur Tierarzt?«

Tobias machte auf dem Absatz kehrt und begann, den Hang hinaufzuklettern, auf allen vieren und am ganzen Leib zitternd. Plötzlich war ihm heiß. Die Kleider klebten an seinem Rücken, unter den Armen und am Bauch. Er nahm an, dass der Hund ihm folgte, aber als er sich nach ihm umsah, war er zu Hardy zurückgelaufen. Er wollte ihn rufen, ihn zu sich locken, aber seine Lippen waren so steif wie Baumrinde. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, bis in die Trommelfelle hinauf, wie ein hartes und erstickendes Rauschen. Er stemmte sich über die Felskante und blickte sich um. Hardy sah ihm nach. Er hatte den Rucksack abgestellt, rauchte einen letzten Zug von seiner Zigarette und warf sie dann weg.

Tobias ging los. Sobald er außer Sichtweite war, begann er zu laufen. Er war unglaublich wütend und hätte am liebsten laut geschrien. Als er sich dem Ufer näherte, wurde er wieder langsamer, da ihm einfiel, dass er keine Panik auslösen durfte. Sabina stand auf dem Floß und hielt Ausschau in die andere Richtung, die Tiere bildeten hinter ihr eine dichte weißbraune Wand. Einer der Ochsen muhte, und Tobias glaubte, vom Grund der Felsspalte eine Antwort zu hören.

Dann drehte Sabina sich um und erblickte ihn. Ihre Augen waren besorgt. Er strich sich über die Haare, um sich zu beruhigen und sie zu ordnen, kratzte sich am Hals.

»Was ist los, Tobias?«

Ihr Gesicht war blass und ängstlich erregt.

»Was ist passiert?«

Noch ehe er ihr antworten konnte, gab es im Wald einen Knall. Es war das Geräusch eines Schusses, und gleichzeitig begann der Hund zu jaulen.

Insel der nackten Frauen - Psychothriller

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