Читать книгу Insel der nackten Frauen - Psychothriller - Ингер Фриманссон - Страница 13

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Sieh mal, was ich im Schuppen gefunden habe. Sieh doch, Carl Sigvard!« Sabina stand auf einmal im Zimmer, er hatte ein wenig gedöst. Jetzt war sie da, und es war hell, und eine Fliege surrte gegen die Fensterscheibe. Er war träge und verschlafen. Die Sonne blendete ihn.

»Was ist das?«, sagte er undeutlich.

»Ich weiß nicht, ein alter Betttisch, glaube ich, man stellt ihn im Bett über die Beine und kann ein Tablett darauf abstellen.«

Jetzt erkannte er ihn, er hatte ihn selber getischlert. Der Tisch war ein Geschenk für Svava gewesen, für den Fall, dass sie nach der Geburt noch länger das Bett hüten musste. Dann würde sie im Bett liegen und essen können, hatte er sich überlegt. Aber das war nicht nötig gewesen. Einen Tag nach der Geburt war sie schon wieder auf den Beinen.

Sein Geschenk hatte sie gerührt, daran erinnerte er sich noch.

Er hatte ihn rot angestrichen und Tobias hatte ihn benutzt, wenn er mit Grippe im Bett lag. Carl Sigvard erinnerte sich noch, wie er dagelegen hatte mit seinen Buntstiften und den müden, fiebrigen Augen.

Wie oft er doch krank gewesen ist, weißt du noch?

Nein. Das war ja gar nicht Svava, das war Sabina, und sie konnte sich an nichts von all dem erinnern, hatte zu der Zeit ihre eigenen Sorgen.

»Ja genau, der alte Tisch«, murmelte er und ließ zu, dass sie ihn im Bett über ihm abstellte, über seinen schmerzenden Hüften.

»Du könntest ihn benutzen, das würde funktionieren.«

Er grummelte etwas vor sich hin.

»Ich habe jedenfalls nicht vor, für den Rest meines Lebens hier liegen zu bleiben, fallst du das glauben solltest.«

»Das glaube ich doch gar nicht.«

Sie ging watschelnd durchs Zimmer, anders als sonst. Wie eine schwangere Frau. Aber sie bekam ihre Tage nicht mehr, das wusste er.

»Was ist aus dem Fleisch geworden?«, fragte er.

»Ich werde es schon noch los. Ich habe es erst einmal bei Johanssons untergebracht.«

Sie ließ ihn allein und fing an, das Essen vorzubereiten. Der Tisch stand noch auf dem Bett. Sie hatte ihm versprochen, dass sie sich oben bei ihm treffen und gemeinsam essen würden. Jetzt hörte er wieder Schritte auf der Treppe, die anders klangen als ihre, schleichend und zögernd, es war Tobias.

Die Tür stand sperrangelweit offen. Jetzt kam er mit einem Tablett in den Händen, Tellern und Besteck ins Zimmer.

»Hallo«, sagte er beinahe schüchtern.

Carl Sigvard nickte ihm zu.

»Am besten stellst du es vielleicht da auf den Tisch, oder?«

»Ja.«

»Du denkst bestimmt, ich spinne! Ich meine, weil ich möchte, dass ihr heraufkommt und hier zu Abend esst.«

Tobias legte den Kopf schief, seine Haare fielen in die Stirn.

»Ach Unsinn. Ich kann mir schon vorstellen, dass man sich hier oben mit der Zeit ziemlich alleine fühlt.«

»Du musst den Tisch ein bisschen vorziehen. Nimm den Stuhl da, die Kleider kannst du auf das zweite Bett legen.«

Das Klirren von Porzellan und rostfreiem Metall.

»Hast du Hunger?«, fragte Tobias.

»Hunger? Ich weiß nicht. Wer nicht arbeitet, sollte auch nichts essen, das weißt du doch.«

»Aber Papa!«

»Ja, aber es stimmt doch! Oder etwa nicht?«

»Du hast doch verdammt noch mal mehr als genug gearbeitet in deinem Leben.«

»Komm mal her. Komm her und lass dich anschauen!«

Widerwillig näherte er sich seinem Vater. Seine Arme hingen herab, die langen Finger, die Schreibfinger.

»Ich möchte, dass du eines weißt, Tobias. Es ist wirklich sehr nett von dir, dass du dir die Zeit genommen hast und hergekommen bist.«

»Ach, schon gut. Ist doch selbstverständlich, dass man hilft, wenn man kann.«

»Das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Aber du sollst wissen, dass ich es zu schätzen weiß.«

Jetzt musste er sich abwenden, seine Augen wurden so heiß und feucht, zum Teufel, wenn das so weiterging, wurde er noch eine richtige Heulsuse. Man konnte fast meinen, er hätte zu allem Überfluss auch noch einen Schlag bekommen. Erik Malmfeldt, sein alter Nachbar, war nach einer Gehirnblutung so geworden. Wenn man Schlaganfall hörte, klang es wie das Ende, aber das musste nicht unbedingt stimmen. Obwohl, bei Erik . . . Carl Sigvard hatte ihn besucht, als er gerade in das Altersheim Kastanjegården gezogen war. Dieser verdammte große Kerl war in Tränen ausgebrochen wie ein Kind, hatte vor ihm gesessen und nach Luft geschnappt und nicht mehr sprechen können. Seine nackten Füße hingen schlaff in den Pantoffeln.

Würde er selber genauso werden? Würde einmal der Tag kommen, an dem er für seine Arbeitsstiefel keine Verwendung mehr hatte?

Nein, alles, nur das nicht!

Der Junge stand da und hatte seine Hände auf das Fußende des Betts gelegt. Es sah aus, als müsste er Halt suchen. Wenn man ihn so von der Seite sah, erkannte man deutlich, wie ähnlich er seiner Mutter war, sofort hatte man Svavas Profil und Körper vor Augen. Und wenn er stattdessen ein Mädchen geworden wäre? Hätte er dann genau wie Svava ausgesehen, wäre er dann ihr Ebenbild gewesen?

Carl Sigvard räusperte sich.

»Ach übrigens, Klara hat vorhin angerufen.«

»Wirklich. Sie hat hier angerufen?«

»Ja. Aber sie meinte, es wäre nichts Wichtiges.«

»Aha.«

»Wie oft siehst du sie eigentlich?«

»Ziemlich oft. Mindestens einmal die Woche.«

»Sie wird allmählich groß, was? Sie ist bestimmt schon eine richtige kleine Dame.«

Tobias schnaubte.

»Na ja, Dame. Aber sie kommt allmählich in die Pubertät, das lässt sich nicht leugnen. Sie kann ganz schön launisch sein.«

Launisch war Svava auch gewesen. Die Töpfe schepperten auf den Herdplatten und manchmal landete auch ein Glas auf dem Fußboden. Einmal wurde sie so wütend, dass sie den Sonntagsbraten zum Fenster hinauswarf.

Aber jetzt hockte sie bestimmt da oben im Schneematsch und sang ihr ridum, ridum.

Laut sagte er:

»Hast du was von deiner Mutter gehört?«

»Wir telefonieren manchmal. Es scheint ihr gut zu gehen.«

Hatte sie einen neuen?

Es interessierte ihn nicht, wirklich nicht, jedenfalls nicht mehr.

Das Betttuch war warm und zerknittert und voller Krümel. Er drehte sich, versuchte, seine Körperhaltung zu verändern. Sein Bein war eingeschlafen, es kribbelte und stach. Tobias beugte sich vor.

»Soll ich dir helfen?«

»Nee. Aber ich würde dich gerne etwas fragen. Darf ich das? Bist du zufrieden mit dem Leben, das du da oben führst? Darf ich dich so etwas fragen, ohne dass du wütend wirst? Bist du zufrieden mit deinem Leben?«

Tobias schreckte zurück, blieb aber stehen und zwirbelte einen losen Faden an seinem Pullover.

»Sicher. Ich bin zufrieden. Ich führe ein sehr gutes Leben.«

»Ein sehr gutes sogar?«

Tobias schluckte und nickte.

»O ja, natürlich. Sehr gut!«

»Papa, ich habe mich für dieses Leben entschieden, wie du dich für deins entschieden hast. Und wozu man sich einmal entschlossen hat, daraus muss man dann eben das Beste machen.«

»Na ja, entschieden! Zu meiner Zeit war das eher eine Frage der Verantwortung.«

Tobias ging auf und ab, kehrte ihm den Rücken zu und blieb schließlich mit hochgezogenen Schultern am Fenster stehen.

»Wir haben uns auch früher schon über dieses Thema unterhalten«, sagte er gepresst. »Ich dachte, wir hätten alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt.«

»Ja, schon gut. Das haben wir natürlich, das haben wir getan.«

Jetzt rief Sabina aus der Küche, und der Junge verzog sich aus dem Zimmer, er floh regelrecht.

»Ich muss ihr helfen. Das Essen ist sicher fertig.«

Man konnte doch wenigstens mal darüber reden. Tobias war wirklich furchtbar empfindlich, leicht reizbar. Das hatte er von seiner Mutter. Mit ihr konnte man auch nie vernünftig reden. Ihre Fuchsaugen, die hoch erhobene Nase, tagelang hatte sie kein Wort mit ihm geredet. Stattdessen war sie zu ihren Pferden verschwunden und manchmal schlief sie sogar da draußen auf der Bank mit dem Flickenteppich und ließ ihn alleine im Haus liegen.

Wie sollte er sie besänftigen? War es seine Schuld, dass sie war, wie sie war? Mitten in der Heuernte fuhr er in die Stadt und kaufte Geschenke für sie, ein Nachthemd, eine Vase, Dinge, über die sich Frauen freuen. Er tat alles, um sich mit ihr zu versöhnen, aber sie war nachtragend und unglaublich leicht auf die Palme zu bringen.

Sabina war da ganz anders, sodass er im Grunde einen guten Tausch gemacht hatte. Wenn da nur nicht diese Missgeburt von einem Sohn gewesen wäre, den sie, wo sie ging und stand, im Schlepptau hatte.

Er döste, obwohl er überhaupt nicht müde war. Er hatte so lange gelegen, dass er nicht mehr die Kraft hatte, wach zu sein. Sein Körper schwand dahin, denn hierfür war er nicht geschaffen, sein Körper wollte leben.

Svava, die rittlings auf einem Arbeitspferd saß! Den Jungen vor sich mit dem Arm zwischen ihren glänzenden Knien festhielt.

»Du bist doch vorsichtig, du hältst ihn doch gut fest!« So hatte er vor ihr gestanden und gegen den Wind gerufen.

Die Hufe, die über die Holzbrücke klapperten. Die Mähne, die ihre Hände umwehte.

»Schau mal, Papi, was ich kann!«

Insel der nackten Frauen - Psychothriller

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