Читать книгу Gute Nacht, mein Geliebter - Psychothriller - Ингер Фриманссон - Страница 8

2. KAPITEL

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Er hatte die Weihnachtstage bei seinen Eltern verbracht, ruhige Tage, ereignislos. Heiligabend war es schön gewesen, die Bäume mit Raureif überzogen. Seine Mutter hatte eine Laterne in die alte Birke gehängt, so wie sie es immer getan hatte, als sie noch klein waren, und er erinnerte sich seiner und Margaretas überdrehter Aufregung, wenn sie am Morgen des Heiligabends erwachten.

Seine Mutter bestand darauf, dass er Weihnachten nach Hause kam. Was sollte er auch sonst tun? Trotzdem ließ er sich bitten, ließ sie betteln und flehen, als müsste er sich ständig vergewissern, wie viel er ihr immer noch bedeutete.

Wie das bei seinem Vater war, wusste er nicht so genau. Kjell Bergman war kein Mann, der Gefühle zeigte. Ein einziges Mal hatte Hans Peter gesehen, dass er die Fassung verlor, hatte er einen Ausdruck von Schmerz über das breite, fleischige Gesicht gleiten sehen. Es war in jener Nacht, als die Polizei kam, um ihnen mitzuteilen, dass Margareta von der Straße abgekommen war. Das war mittlerweile achtzehn Jahre her, damals hatte Hans Peter noch zu Hause gewohnt.

Der Tod seiner Schwester hatte für ihn zur Folge, dass er seinen Auszug von zu Hause verschieben musste. Er war als Einziger noch da, und seine Eltern brauchten ihn.

Er war fünfundzwanzig, als es geschah, und mitten in seinen Bemühungen, seiner Zukunft eine Struktur zu geben. Er studierte Theologie und Psychologie. Irgendwo in seinem Innersten gab es eine Sehnsucht nach etwas Höherem, er sah sich selbst in strengen, schwarzen Gewändern und empfand etwas, das innerem Frieden glich.

Drei Jahre blieb er noch bei ihnen. Dann packte er seine Sachen und ging fort. Seine Eltern hatten wieder begonnen, miteinander zu reden. Die erste Zeit schwiegen sie, saßen wie Marmorsäulen in ihren Fernsehsesseln und sagten kein Wort. Als wollten sie sich gegenseitig bestrafen, als wären sie auf eine irrationale Weise davon überzeugt, der andere sei schuld daran, dass Margareta von der Straße abgekommen war.

Sie hatte den Führerschein erst seit gut einer Woche gehabt, und es war das Auto ihrer Eltern gewesen, das sie an jenem Abend gefahren hatte, einen Saab, Baujahr 1972. Ohne dass es jemals gelang, die genaue Unfallursache zu ermitteln, kam sie in der Nähe von Bro von der Straße ab und fuhr direkt in einen Betonpfeiler.

Das Auto glich einem Schrotthaufen.

Ihr Zimmer wurde jahrelang nicht benutzt. Seine Mutter ging manchmal hinein und schloss die Tür. Wenn sie wieder herauskam, ging sie stets auf direktem Weg ins Schlafzimmer, zog sich aus und legte sich ins Bett.

Hans Peter litt darunter. Ganz allmählich und behutsam begann er, sie dazu zu überreden, ihm die Erlaubnis zu geben, hineinzugehen und aufzuräumen. Schließlich gab sie nach.

Er hatte das Zimmer ausgeräumt, Margaretas persönliche Sachen auf den Speicher getragen und ihr Bett und den kleinen, zierlichen Schreibtisch für sich beansprucht. Seine Eltern zeigten keine Reaktion, erwähnten es mit keinem Wort, nicht einmal, als ihnen die Leere aus dem frisch geputzten Zimmer entgegenstarrte. In der Tat, er war sehr gründlich gewesen, hatte die Wände mit Seifenlauge abgeschrubbt, war mit einem Wollmopp über die Decke gegangen, hatte sowohl die Fenster als auch den Fußboden geputzt.

Seine Mutter hatte immer von einem Esszimmer geträumt.

»Jetzt habt ihr eins«, hatte er gesagt. »Jetzt habe ich alles dafür vorbereitet.«

Und er hatte den IKEA-Katalog auf den Wohnzimmertisch geknallt und sie schließlich dazu bewegt, darin zu blättern und sich die Sachen anzuschauen. Sein Vater hatte ein wenig auf den Backen herumgekaut, die Zähne zusammengebissen und geschwiegen. Seine Mutter hatte geweint. Aber ganz allmählich hatten sie es akzeptiert. Er hatte sie dazu gebracht zu akzeptieren, zu begreifen, dass Margareta nie wieder zurückkommen würde und man ihr Andenken nicht befleckte, wenn man ihr Zimmer in etwas Praktischeres verwandelte als ein Museum.

Aber letztendlich aßen sie wohl nur, wenn er zu Hause war, in diesem Zimmer, um ihm einen Gefallen zu tun. Hans Peter glaubte nicht, dass sie jemals Gäste hatten. Sie hatten vorher keine gehabt, warum sollte sich das jetzt ändern? Nur weil sie ein Esszimmer bekommen hatten?

Es war, als hätten sie für mehr als die alltäglichen Arbeiten keine Kraft mehr. Sein Vater war ständig müde. Er hatte als Klempner gearbeitet, war aber schon seit vielen Jahren pensioniert. Sein Rücken war kaputt.

Seine Mutter war Realschullehrerin gewesen.

Hans Peter erinnerte sich, wie Margareta ihren Eltern einmal den Vorwurf gemacht hatte, sie würden sich isolieren. Sie war damals ungefähr dreizehn gewesen, hatte begonnen, ein wenig aufmüpfig zu werden. Ihr Vater hatte sie an den Oberarmen gepackt und gegen die Wand gedrückt.

»Wir leben auf unsere Art, und wenn das dem Fräulein nicht passt, kann es gerne ausziehen. Wir kommen ausgezeichnet zurecht, auch ohne dass eine Menge fremder Leute in unseren Angelegenheiten rumschnüffelt.«

Es war eine der seltenen Gelegenheiten gewesen, bei denen er aufbrausend reagiert hatte.

Er wollte fort und fand eine Wohnung in Hässelby Strand. Es war nicht weit zur U-Bahn, nicht weit ins Grüne, er mochte Spaziergänge, bewegte sich gern. Er studierte weiter, aber ohne dass dabei etwas Konkretes herauskam. Als er anfing, sich wegen der aufgelaufenen Studiendarlehen Sorgen zu machen, nahm er Gelegenheitsjobs an, trug Post aus, machte Umfragen für ein Meinungsforschungsinstitut. Dabei sprang zwar nicht besonders viel heraus, aber er kam auch mit wenig zurecht.

In der Bücherei von Åkermyntan, dem Einkaufszentrum von Hässelby Villastad, traf er Liv Santesson, eine frisch examinierte Bibliothekarin, die er nach einer Weile heiratete. Von Leidenschaft konnte keine Rede sein, weder von seiner noch von ihrer Seite. Sie mochten sich, das war alles.

Es wurde eine schlichte Hochzeit, Trauung im Rathaus mit anschließendem Essen im Restaurant Ulla Winbladh im Kreise der engsten Verwandten.

Ihr Bruder leitete ein Hotel in der Stadt. Hans Peter nahm dort die Stelle eines Nachtportiers an. Das war natürlich keine besonders gute Idee, nicht für jemanden, der gerade geheiratet hatte und von dem erwartet wurde, dass er seiner jungen Ehefrau den Hof machte, wie es sich für einen frisch verheirateten Mann gehört.

Kinder bekamen sie folgerichtig auch keine, und mit der Zeit stellten sie ihre sexuellen Aktivitäten gänzlich ein.

»Wir haben eine andere Art von Beziehung«, pflegte er zu denken, der festen Überzeugung, dass sie der gleichen Ansicht war. Das war sie nicht. An einem Samstagabend, ziemlich genau vier Jahre nach ihrer Hochzeit, teilte sie ihm mit, dass sie sich scheiden lassen wolle.

»Ich habe einen anderen Mann getroffen«, sagte sie, zupfte nervös an ihrem Ohrläppchen und duckte sich ein wenig wie vor einem Schlag.

Er blieb vollkommen ruhig.

»Bernt und ich passen zusammen. Auf eine ganz andere Art als du und ich. Wenn wir ehrlich sind, haben wir eigentlich kaum gemeinsame Interessen außer der Literatur, und von Literatur allein kann man nicht leben.«

Trauer überkam ihn, leicht und flatternd, kam und verschwand dann wieder.

Sie berührte ihn, ihre kleine, verfrorene Hand legte sich um seinen Hals. Er schluckte, schluckte.

»Du bist ein feiner Kerl«, flüsterte sie. »Es ist nicht so, als würde mit dir was nicht stimmen ... Aber wir sehen uns ja fast nie und Bernt und ich, wir haben uns einfach ...«

Hans Peter nickte.

»Verzeih mir, sag, dass du mir verzeihst.«

Jetzt weinte sie, die Tränen liefen ihr die Wangen herab, blieben an der Kinnspitze hängen, verloren den Halt und wurden vom Pullover aufgesaugt, ihre Nase war rot und glänzend.

»Da gibt es wohl im Grunde nichts zu verzeihen«, sagte er mit belegter Stimme.

Sie schluchzte auf.

»Dann bist du nicht wütend auf mich?«

»Eher enttäuscht, würde ich sagen, darüber, dass es nicht ging.«

»Vielleicht braucht man ja ein wenig mehr ... Feuer?«

»Ja, vielleicht.«

Bereits am nächsten Tag zog sie aus der Wohnung aus. Nahm nur das Notwendigste mit, fuhr zu Bernt nach Hause. Später in dieser Woche kehrte sie mit einem Transporter zurück, den sie an einer Tankstelle gemietet hatte. Das verblüffte ihn. Sie war nie gerne Auto gefahren.

Er half ihr hinunterzutragen, was ihr gehörte. Die meisten Möbel und Haushaltssachen durfte er behalten. Bernt hatte bereits ein komplett eingerichtetes Heim. Er wohnte in einem Reihenhaus auf dem Blomsterkungsväg.

»Darf ich dir wenigstens eine Tasse Kaffee oder etwas anderes anbieten?«, fragte er, als sie fertig waren. Eigentlich wollte er das gar nicht, eigentlich wollte er, dass sie sich auf den Weg machte, damit er allein sein konnte. Er hatte keine Ahnung, warum er das gesagt hatte, die Worte kamen einfach aus seinem Mund.

Sie zögerte kurz, nahm dann an.

Gemeinsam saßen sie auf dem Sofa, aber als sie den Arm um ihn legen wollte, entzog er sich ihr.

Sie schluckte.

»Dann bist du also doch scheißsauer auf mich?«

Es war das erste Mal, dass er sie fluchen hörte. Er war so überrascht, dass er in Gelächter ausbrach.

Ein paar Jahre später traf er die beiden in Åkermyntan, mit Einkaufstüten beladen. Sie hatten ein paar Kinder dabei, sie nannte ihre Namen, aber er vergaß sie sofort wieder.

Ihr neuer Mann war groß und kräftig gebaut, hatte einen Bauch, der sich deutlich abzeichnete. Er trug eine Jogginghose.

»Dickwanst«, dachte Hans Peter, aber ohne Aggression.

Liv war beim Friseur gewesen, ihr Haar jetzt lockig.

»Komm doch mal auf einen Drink vorbei«, schlug sie vor. Der Mann neben ihr nickte.

»Klar, mach das. Wir wohnen drüben in Backlura, nimm einfach den Bus, den 119er.«

»Ja«, sagte er unverbindlich.

Liv griff nach dem Ärmel seiner Jacke.

»Ich möchte nicht, dass wir uns ganz aus den Augen verlieren«, sagte sie.

Er sah zu den ungeduldigen Gesichtern der Kinder hinab. Das eine war ein Mädchen, es betrachtete ihn abweisend.

»Nein«, antwortete er. »Das werden wir schon nicht.«

Von Zeit zu Zeit machte seine Mutter ihm Vorwürfe. Sie hatte sich Enkelkinder gewünscht. Sie sprach es nie offen aus, aber es kam vor, dass sie auf ein Kind in einer Zeitung zeigte und einen traurigen Kommentar abgab. Oder das Fernsehen: Mit Vorliebe schaltete sie den Fernsehapparat immer dann ein, wenn es Zeit für die Kinderstunde war, Werwiewas, Wiesoweshalbwarum.

Das machte ihn rasend. Aber er ließ sich nie etwas anmerken.

Er hatte verschiedene Damenbekanntschaften, nahm die Frauen manchmal mit nach Hause und stellte sie seinen Eltern vor, nicht zuletzt, um seiner Mutter wenigstens die Andeutung einer Hoffnung zu geben.

Er wusste, dass seine Eltern enttäuscht von ihm waren, weder eine ordentliche Arbeit noch eine Familie hatte er.

Er konnte ihnen deswegen keinen Vorwurf machen, im Gegenteil.

Alles hätte sich anders entwickelt, wenn die Sache mit Margareta nicht passiert wäre. Das hatte ihn jeglichen Schwung verlieren lassen.

Am ersten Weihnachtstag begann es zu regnen, und das regnerische Wetter hielt mehr als eine Woche lang an. Seine Mutter tat ihr Bestes, um ihn zu verwöhnen. Sie deckte kleine Frühstückstabletts, und wenn er im Bett lag und gerade dabei war, aufzuwachen, hörte er ihr vorsichtiges Scharren an der Tür.

»Mein großer Junge«, murmelte sie und stellte das Tablett auf den Nachttisch.

Da bekam er Lust, zu ihr zu kriechen, zu weinen. Aber er hatte einen schlechten Geschmack im Mund und blieb unter der Decke liegen, regungslos.

Er blieb bis zum Tag vor Silvester. Länger hielt er es nicht aus. Ihre Atemzüge, ihre Art zu kauen, das Geräusch des Fernsehapparats, der so laut gestellt sein musste. Sie waren beide über siebzig. Einer von ihnen würde natürlich als Erster dran glauben müssen. Er wusste nicht, für wen es am schlimmsten sein würde, weiterzuleben, einsam.

Sie kannten sich, seit sie zwanzig waren.

Er sehnte sich nach seiner stillen, kühlen Wohnung. Er würde eine Flasche Wein leeren und ein Kreuzworträtsel lösen, seine Musik hören, Kraus und Frank Sinatra.

Seiner Mutter sagte er, dass er bei guten Freunden zu einer Silvesterparty eingeladen war.

Er war kaum zur Tür hereingekommen, als auch schon das Telefon klingelte.

Eine seiner Damenbekanntschaften.

Mist, dachte er. Nicht mehr.

»Wie geht es dir?« Ihre zarte Mädchenstimme.

»Gut, ich bin gerade nach Hause gekommen.«

»Bist du bei Kjell und Birgit gewesen?«

Sie hatte die beiden ein einziges Mal getroffen, tat aber so, als gehörte sie schon zur Familie.

»Ja.«

»Habe ich mir fast gedacht, ich habe versucht, dich anzurufen.«

»Aha ...«

»Hans Peter? Darf ich morgen zu dir kommen? Sollen wir zusammen Silvester feiern?«

Er hätte sagen können, dass er arbeiten musste, aber er brachte es nicht über sich.

Sie kam, und sie hatte sich schön gemacht. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass sie so süß war, er begriff, dass sie sich Mühe gegeben hatte, seinetwegen, er bekam ein schlechtes Gewissen.

Sie waren sich bei gemeinsamen Freunden begegnet, danach hatten sie sich eine Zeit lang getroffen. Sporadisch, nichts Festes. Aber sie waren gemeinsam bei seinen Eltern in Stuvsta gewesen.

»Findest du mich aufdringlich?«, fragte sie ihn ohne Umschweife. »Eine Frau soll ja eigentlich nicht die Initiative ergreifen. Solche Initiativen, meine ich.«

»Ach, Unsinn!«

»Tja, jetzt bin ich jedenfalls hier.«

Sie hatte Lebensmittel mitgebracht, zwei Tüten voll, dazu Wein und Sekt.

Okay, dachte er. Sie will es so haben.

Etwas an ihr machte ihn geil, stärker als bei jeder anderen. Etwas in ihrer Art, den Kopf hängen zu lassen, schuldbewusst auszusehen.

Er erschreckte selbst ein wenig über seine Kraft.

Danach verließ sie sofort das Bett.

Er wusste, dass es für sie nicht schön gewesen war, es war zu schnell gegangen.

Er dachte, dass er ihr das sagen sollte, fand aber nicht die richtigen Worte.

Wir machen es noch mal, dachte er. Später.

Sie deckten gemeinsam den Tisch, und sie sagte nicht viel, aber als sie ein halbes Glas Wein getrunken hatte, begann sie zu weinen.

»Du ...«, sagte er besorgt. »Was ist los?«

Sie antwortete nicht, weinte nur noch mehr.

Er warf seine Gabel auf den Tisch.

»Ich bin ein großes Stück Scheiße!«, schrie er.

Sie drehte sich zur Seite und beruhigte sich.

»Mein kleines Dummerchen«, sagte er leise. »Warum wolltest du eigentlich zu mir kommen?«

»Ich hab dich doch gern, hab mich nach dir gesehnt, ich hab mich die ganzen beschissenen Weihnachtstage nach dir gesehnt.«

Er stand auf und ging um den Tisch herum, fasste sie an den Armen, zog sie hoch.

»Sollen wir weiteressen?«

Sie zog ein Taschentuch hervor. Sie nickte.

Nach dem Essen schlief sie auf dem Sofa ein, an seinen Arm gelehnt. Sie atmete schwer und geräuschvoll. Er saß unbequem, traute sich aber nicht, seine Stellung zu ändern, voller Angst, sie könne aufwachen und etwas von ihm fordern.

Einsamkeit erfüllte ihn.

Gute Nacht, mein Geliebter - Psychothriller

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